Deutscher Bundestag „Moratorium“ der Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 101/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 2 „Moratorium“ der Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 101/11 Abschluss der Arbeit: 22. März 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Einleitung 6 3. Die Rechtslage nach der 11. Änderung des Atomgesetzes 8 4. Aussetzung der Geltung des Atomgesetzes durch die Bundesregierung? 8 5. Anordnung der vorübergehenden Einstellung des Betriebs von Kernkraftwerken gemäß § 19 Abs. 3 AtG 10 5.1. Zuständige Aufsichtsbehörde 11 5.2. Atomrechtswidriger Zustand 11 5.3. Vorliegen einer Gefahr - § 19 Abs. 3 Satz 1, 3. Alt. AtG 11 5.4. Darlegungslast 14 5.5. Einzelfallprüfung 14 5.6. Rechtsfolge – Ermessensausübung 15 6. Endgültige Einstellung des Betriebs von Kernkraftwerken 15 6.1. Widderruf nach pflichtgemäßen Ermessen 16 6.2. Widerruf als gebundene Entscheidung 17 6.3. Rechtskraft 17 6.4. Entschädigungsanspruch 17 7. Exkurs: Atomausstieg durch 17 Stilllegungsverfügungen? 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 4 1. Zusammenfassung Die Bundesregierung hat nach dem Atomunfall in Japan ein „Moratorium“ verhängt. Aufgrund ihrer Wortwahl in öffentlichen Stellungnahmen am 14. und 15. März 2011 waren Zweifel aufgekommen , ob sie eine Aussetzung der Geltung der durch die 11. und 12. Novelle des Atomgesetzes beschlossene Aufstockung der Reststrommengen bezweckte, oder ob sie im Rahmen der atomrechtlichen Aufsicht die Überprüfung und vorübergehende Stilllegung einzelner Kernkraftwerke gemäß § 19 Abs. 3 AtG anordnen wollte. Diese Ausarbeitung kommt zu folgenden Ergebnissen: 1. Eine Aussetzung der Geltung der Laufzeitverlängerung ( § 7 Abs. 1a i.V. m. Anlage 3 Spalte 4 AtG) durch einen Beschluss der Bundesregierung würde gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen und wäre somit verfassungsrechtlich nicht möglich. Zur Änderung der Reststrommengen der Kernkraftwerke bedürfte es daher einer Änderung des AtG durch ein Bundesgesetz. 2. Die Aussagen der Bundesregierung lassen sich auch dahin gehend interpretieren, dass nur ein Vorgehen gegenüber einzelnen Kernkraftwerken im Rahmen der Atomaufsicht nach § 19 Abs. 3 AtG sowie eine Überprüfung der Kernkraftwerke auf Sicherheitsmängel angekündigt werden sollte. 3. Ein Vorgehen auf der Grundlage von § 19 Abs. 3 AtG wäre grundsätzlich möglich. Die Auslegung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen ist in der Rechtsprechung und in der juristischen Literatur umstritten. Einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung liegt nach bisheriger Prüfung nicht vor. Insbesondere ist streitig, ob ein Einschreiten der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde nur aufgrund einer Gefahr oder auch im Falle eines Gefahrenverdachts (so Bundesminister Dr. Norbert Röttgen) zulässig ist. Ferner ist umstritten, ob die Gefahr oder der Gefahrverdacht auf neuen Tatsachen beruhen muss, oder ob hierfür eine Änderung der Einschätzung bekannter Tatsachen ausreicht. Das Gutachten kann zu dieser Frage nicht abschließend Stellung nehmen, da im Rahmen der geforderten vorläufigen Bewertung nicht die Gesamtheit der atomrechtlichen Fragen aufgearbeitet werden konnte. 4. Jedenfalls bedarf es für eine vorübergehende Stilllegung eines Kernkraftwerks einer Einzelfallprüfung durch die Behörden. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Gefahr liegt bei der Behörde. 5. Nach § 19 Abs. 3 Nr. 3 AtG kann ferner die endgültige Stilllegung eines Kernkraftwerks angeordnet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Betriebsgenehmigung nach § 17 Abs. 3 bis 5 AtG rechtskräftig widerrufen wurde. Ob die Voraussetzungen für einen Widerruf erfüllt sind, bedarf einer Prüfung im Einzelfall. Der Widerruf einer Betriebsgenehmigung kann nach § 18 AtG zu einem Entschädigungsanspruch des Genehmigungsinhabers führen. 6. Ob die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Behörden auf der Grundlage von § 19 Abs. 3 AtG gegeben sind, kann von dieser Stelle mangels Sachnähe nicht beurteilt werden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 5 7. Alle deutschen Kernkraftwerke über einzelne Stilllegungsverfügungen dauerhaft außer Betrieb zu nehmen, widerspräche den derzeitigen gesetzgeberischen Wertungen. Unter dem Gesichtspunkt der Wesentlichkeitstheorie dürfte es Aufgabe des Gesetzgebers sein, die Art und Weise des Atomausstiegs zu regeln. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 6 2. Einleitung In einer Pressekonferenz am 14. März 2011 hat die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Angela Merkel, ein „Moratorium“ für die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke verkündet. Wörtlich führte sie aus: „Genau aus diesem Grunde werden wir die erst kürzlich beschlossene Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke aussetzen. Dies ist ein Moratorium. Dieses Moratorium gilt für drei Monate. Darüber, was das für die einzelnen Kernkraftwerke bedeutet, sind wir mit den Betreibern im Gespräch.“1 An gleicher Stelle etwas später gab es folgende Fragen und Antworten: „FRAGE: Frau Merkel, Sie wollen das Moratorium auf ein bestehendes Gesetz setzen. Wie soll das technisch funktionieren? Wollen Sie sozusagen den Bundestag außen vor lassen? Muss es dafür eine Gesetzesänderung geben? Wie funktioniert das praktisch? BK’IN MERKEL: Ich glaube, dass wir keine Gesetzesänderung brauchen, sondern wir brauchen ein Gespräch mit den Betreibern, was die Inkraftsetzung eines solchen Moratoriums bedeutet. Ich werde Ihnen morgen gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder, in denen Kernkraftwerke betrieben werden, konkreter sagen können, was diese Gespräche ergeben haben. Aus meiner Sicht ist es nicht notwendig, das Gesetz zu ändern, sondern wir werden am Ende des Moratoriums Bilanz ziehen und sagen, was das genau bedeutet. Ich habe nicht ohne Bedacht gesagt, dass die Zeit nach dem Moratorium sicherlich eine andere sein wird, als die vor dem Moratorium.“ (…) FRAGE: Frau Merkel, was bedeutet das Moratorium für die Kernkraftwerke, die ohne Laufzeitverlängerung ihre Reststrommengen schon aufgebracht haben? Müssen diese jetzt sofort vom Netz? BK’IN MERKEL: Das wäre die Konsequenz, denn sonst wäre es kein Moratorium des von uns neu beschlossenen Gesetzes. ZUSATZFRAGE: Ab wann? BK’IN MERKEL: Ich würde sagen: Wenn wir mit den Kernkraftwerksbetreibern gesprochen haben.“ 1 Mitschrift der Pressekonferenz - Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Guido Westerwelle zu den Folgen der Naturkatastrophen in Japan sowie den Auswirkungen auf die deutschen Kernkraftwerke am 14. März 2011, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/ 2011/03/2011-03-14-bkin-lage-japan-atomkraftwerke.html (Stand: 15. März 2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 7 In ihrer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 18. März 2011 führte die Bundeskanzlerin aus: „Bund und Länder sind sich einig, dass diese Abschaltung durch rechtliche Verfügung der Aufsichtsbehörden der Länder angeordnet wird. Das Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren, kurz ‚Atomgesetz‘ genannt, sieht genau das vor, also eine Anlage vorübergehend stillzulegen, bis sich die Behörden Klarheit über eine neue Lage verschafft haben. Ich danke an dieser Stelle dem Kollegen Oppermann ausdrücklich für das Angebot seiner Fraktion an die Koalition, in der nächsten Woche ein gemeinsames, wie Sie es formulieren , Abschaltgesetz zu verabschieden. Wir sind dennoch der Auffassung, dass wir dieses Angebot nicht anzunehmen brauchen, weil wir im beschriebenen Sinne handeln können – und das umgehend, meine Damen und Herren.“2 An anderer Stelle betonte sie, die vorläufige Stilllegung bestimmter Kernkraftwerke für den Zeitraum der Überprüfung sei eine „aufsichtsrechtliche Maßnahme“ und „die Anwendung des Atomgesetzes in einer neuen Lage“.3 Nach bisherigem Stand sind die entsprechenden Anlagen auf Anordnung der zuständigen Landesumweltministerien vorübergehend stillgelegt worden.4 Vorweg ist zu klären, dass es sich bei dem Begriff des „Moratoriums“ nicht um einen Begriff des Verfassungsrechts handelt. Nach dem Brockhaus ist ein Moratorium ein „vertraglich vereinbarter oder hoheitlich angeordneter Aufschub (Stundung) der Erfüllung fälliger Verbindlichkeiten. Schuldner und Gläubiger der unter ein Moratorium fallenden Verbindlichkeiten können Privatleute oder juristische Personen des privaten wie des öffentlichen Rechts sein.“5 Um ein Moratorium in diesem Sinne soll es sich bei dem angekündigten Moratorium offensichtlich nicht handeln, da in keinem Zusammenhang von der Stundung fälliger Verbindlichkeiten der Betreiber der atomrechtlichen Anlagen gesprochen wurde. 2 Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, 96. Sitzung des Deutschen Bundestages der 17. Wahlperiode am 17. März 2011, Pl.Pr. 17/96, S. 10885 B und C. 3 Pl.Prt. 17/96, S. 10886 A. 4 Am 16. März 2011 hat die EnBW Kernkraft GmbH auf Anordnung des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Baden-Württemberg den Block I des Kernkraftwerks Neckarwestheim und den Block I des Kernkraftwerks Philippsburg vom Netz genommen. Am 17. März 2011 hat der Energiekonzern Eon sein Kernkraftwerk Isar 1 auf Anordnung des Bayerischen Umweltministeriums ebenfalls vorübergehend abgeschaltet. Auf Weisung des niedersächsischen Umweltministeriums hat Eon am 18. März 2011 auch das Kernkraftwerk Unterweser vom Netz genommen . Ebenfalls am 18. März 2011 hat der Energiekonzern RWE nach einer Anordnung des hessischen Umweltministeriums das Kernkraftwerk Biblis Block A vom Netz genommen. Das Kraftwerk Biblis Block B steht wegen einer Revision bereits seit Februar 2011 still. Die Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel des Energiekonzerns Vattenfall sind sanierungsbedingt bereits seit 2007 abgeschaltet. 5 Brockhaus Online-Enzyklopädie, http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_article.php. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 8 3. Die Rechtslage nach der 11. Änderung des Atomgesetzes Gemäß § 7 Abs. 1a des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz - AtG)6 erlischt die Berechtigung zum Leistungsbetrieb von Kernkraftwerken, wenn eine in der Anlage 3 des AtG vorgegebene Elektrizitätsmenge erzeugt worden ist. Die festgelegten „Reststrommengen“ können unter bestimmten Bedingungen unter den genehmigten Kernkraftwerken übertragen werden. Durch das 11. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes7 wurden den einzelnen Kernkraftwerken in Anlage 3 Spalte 4 zusätzliche Elektrizitätsmengenerzeugungsrechte gewährt. 4. Aussetzung der Geltung des Atomgesetzes durch die Bundesregierung? Das von der Bundeskanzlerin angekündigte „Moratorium“ könnte so verstanden werden, dass die durch das 11. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes erfolgte Erhöhung der den Kernkraftwerken zu gewährende Reststrommenge vorübergehend nicht gelten solle. Damit würde die Rechtslage wiederaufleben, die vor der Annahme des 11. Atomgesetznovelle bestand. Die Restlaufzeiten verschiedener Kernkraftwerke würden gekürzt, zwei hätten ihre Laufzeit bereits am 31. Dezember 2010 erreicht.8 Im Folgenden wird geprüft, ob eine solche Aussetzung der Geltung eines Gesetzes durch die Bundesregierung möglich wäre. Gemäß Art. 20 Abs. 3, 2. Halbsatz GG sind die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden (Vorrang des Gesetzes).9 Diese Aussage enthält das zwingende Gebot für Exekutive und Judikative, die Gesetze anzuwenden (sog. Anwendungsgebot).10 Die Pflicht zum Gesetzesvollzug ist indisponibel.11 Daraus folgt, dass die Exekutive den Vollzug von Gesetzen oder Rechtsverordnungen nicht aussetzen kann, sondern zu deren Vollzug verpflichtet ist.12 Einzig die Judikative hat im Rahmen der Verfassungsgerichtsbarkeit sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene die Möglichkeit, mittels einer einstweiligen Anordnung13 den Vollzug von Ge- 6 BGBl. I 1985, 1565, zuletzt geändert durch Art. 1 des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes vom 8. Dezember 2010, BGBl. I 1817, in Kraft getreten am 27. Dezember 2010. 7 BGBl. I 2010, 1814. 8 Dies beträfe die Kernkraftwerke Neckarwestheim I und Isar I, vgl. SZ-Graphik „Atomkraftwerke in Deutschland“ in der Süddeutschen Zeitung, 14. März 2011, S. 5. 9 Vgl. hierzu , Aussetzung des Vollzugs von Gesetzen? – Zum „Gorleben-Moratorium“, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3- 380/08), 2008, S. 3 f. 10 Ossenbühl, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts“, Bd. 5, 3. Aufl. 2007, §101, Rn. 4, 5; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 92; Schnapp in von Münch, Grundgesetz -Kommentar, München 2001, Art. 20, Rn. 47. 11 Ossenbühl (Fn.10), Rn. 5. 12 Vgl. ferner die Stellungnahmen der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestag am 10. November 2010 zum Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen (BT-Drs. 17/776) sowie zu den weiteren Gesetzentwürfen BT-Drs. 17/646 und 17/772, zu der Frage der Nichtumsetzung des Zugangserschwerungsgesetzes, insbesondere Frey, S. 17 Rn. 44, Boecker, S. 3, Graf, S. 2, Heckmann, S. 21 f, Hoffmann-Holland, S. 6. 13 § 32 Abs. 1 BVerfGG; für die Landesverfassungsgerichte wird die Möglichkeit zum Erlass einer einstweiligen Anordnung durch die jeweiligen Landesverfassungsgerichtsgesetze eröffnet, Baden-Württemberg: § 25 Abs. 1 StGHG, Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 9 setzen vorläufig auszusetzen.14 Aufgrund der weitreichenden Folgen des Erlasses einer einstweiligen Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren15 gilt für die Beurteilung der Voraussetzungen des dabei einschlägigen § 32 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) ein strenger Maßstab.16 Soll der Vollzug eines Gesetzes ausgesetzt werden, so erhöht sich diese Hürde noch, weil hiermit stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verbunden ist.17 Die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, müssen daher bei Gesetzen besonderes Gewicht haben.18 Die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes durch einstweilige Anordnung kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.19 Beispiele aus der Praxis seit 1999 sind die einstweiligen Anordnungen zum Altenpflegegesetz20 und zur Vorratsdatenspeicherung.21 Eine Aussetzung der Geltung der Laufzeitverlängerung (§ 7 Abs. 1a i.V.m. Anlage 3 Spalte 4 AtG) durch einen Beschluss der Bundesregierung würde gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen und wäre somit verfassungsrechtlich nicht möglich. Zur Änderung der Reststrommengen der Kernkraftwerke bedürfte es daher einer Änderung des AtG durch ein Bundesgesetz.22 Auch wenn der Bundestag diese vorübergehende „Aussetzung der Geltung“ in einer Entschließung23 begrüßt, er in- Bayern: § 26 Abs. 1 VfGHG, Berlin: § 31 Abs. 1 VerfGHG, Brandenburg: § 30 Abs. 1 VerfGGBbg, Bremen: § 18 Abs. 1 StGHG, Hamburg: § 35 Abs. 1 VerfGG, Hessen: § 26 Abs. 1 StGHG, Mecklenburg-Vorpommern: § 30 Abs. 1 LVerfGG, Niedersachsen: § 12 Abs. 1 StGHG iVm. §32 Abs. 1 BVerfGG, Nordrhein-Westfalen: § 27 Abs. 1 VGHG NW, Rheinland-Pfalz: § 19a Abs. 1 LGVerfGH, Saarland: § 23 Abs. 1 VerfGHG, Sachsen: § 10 Abs. 1 SächsVerfGHG i.V.m. § 32 Abs. 1 BVerfGG, Sachsen-Anhalt: § 31 Abs. 1 LVerfGG, Schleswig-Holstein: § 30 Abs. 1 LVerfGG, Thüringen : § 26 Abs. 1 ThürVerfGHG. 14 Berkemann, in: Umbach/Clemens/Dollinger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2005, § 32, Rn. 174. 15 BVerfGE 7, 175, 179; 18, 151,153. 16 BVerfG, 1 BvR 851/07 vom 13.6.2007, Absatz-Nr. 2, abrufbar unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/ rk20070613_1bvr085107.html [Stand: 22. Oktober 2008]; Graßhof, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz , Loseblatt, Stand: April 2008, § 32, Rn. 139; Berkemann (Fn. 14), § 32, Rn. 175. 17 BVerfG, 1 BvQ 28/04 vom 4.8.2004, Absatz-Nr. 2, abrufbar unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/ qk20040804_1bvq002804.html [Stand: 21. Oktober 2008]. 18 BVerfG, 1 BvR 851/07 vom 13.6.2007, Absatz-Nr. 3, abrufbar unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/ rk20070613_1bvr085107.html [Stand: 21. Oktober 2008]; BVerfG, 2 BvQ 25/05 vom 2.9.2005, Absatz-Nr. 7, abrufbar unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/qk20050902_2bvq002505.html [Stand: 21. Oktober 2008]; BVerfGE 104, 23, 27; 108, 45, 48. 19 BVerfGE 1, 85, 86; 6, 1, 4; 3, 34, 37; 44, 245, 248. 20 BVerfG, 2 BvQ 48/00 vom 22.5.2001, abrufbar unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/qs20010522_2bvq 004800.html [Stand: 22.Oktober 2008]. 21 BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 11.3.2008, abrufbar unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20080311_1 bvr025608.html [Stand: 22. Oktober 2008]. 22 So auch ganz einhellige Meinung der Verfassungsrechtler in ihren aktuellen Äußerungen zum gegebenen Fall in diversen Tageszeitungen: Papier, Interview im Handelsblatt vom 17.3.2011; Degenhart, Handelsblatt vom 17.3.2011; Pestalozza, Handelsblatt vom 17.3. 2011; Wieland, Handelsblatt vom 17.3.2011; Schellenberg, Die Welt vom 16.3.2011. 23 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur Aktuellen Lage in Japan, BT-Drs. 17/5048, Annahme in der 96. Sitzung des Deutschen Bundestages am 17. März 2011, Pl.Prt. 17/96, S. 10921. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 10 haltlich also die Position der Bundesregierung stützt, hat dies keinen Einfluss auf die verfassungsrechtliche Bewertung. 5. Anordnung der vorübergehenden Einstellung des Betriebs von Kernkraftwerken gemäß § 19 Abs. 3 AtG Die Aussagen der Bundeskanzlerin lassen sich im Licht der Regierungserklärung am 17. März 2011 aber auch so deuten, dass mit dem „Moratorium“ kein Aussetzen der Geltung des Atomgesetzes in der Fassung der 11. und 12. Novelle gemeint war, sondern nur eine „Denkpause“ während der Überprüfung der Atomkraftwerke festgelegt werden sollte. Während dieser „Denkpause“ sollten im Rahmen der atomrechtlichen Aufsicht Anordnungen zur vorübergehenden Einstellung des Betriebes von Kernkraftwerken gemäß § 19 Abs. 3 AtG zur Sicherheitsüberprüfung erlassen werden. Hierfür spricht auch, dass der Deutsche Bundestag mit der Annahme des bereits erwähnten Entschließungsantrages die vorübergehende Stilllegung einzelner Kraftwerke begrüßt.24 Zur vorübergehenden Einstellung des Betriebes von Anlagen auf der Grundlage von § 19 Abs. 3 AtG bedarf es grundsätzlich keiner Gesetzesänderung, da sie bereits nach der geltenden Rechtslage möglich wäre. Fraglich ist jedoch, ob die Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr.3 AtG gegeben sind. § 19 Abs. 3 AtG lautet: (3) Die Aufsichtsbehörde kann anordnen, dass ein Zustand beseitigt wird, der den Vorschriften dieses Gesetzes oder der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen , den Bestimmungen des Bescheids über die Genehmigung oder allgemeine Zulassung oder einer nachträglich angeordneten Auflage widerspricht oder aus dem sich durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können. Sie kann insbesondere anordnen, 1. dass und welche Schutzmaßnahmen zu treffen sind, 2. dass radioaktive Stoffe bei einer von ihr bestimmten Stelle aufbewahrt oder verwahrt werden, 3. dass der Umgang mit radioaktiven Stoffen, die Errichtung und der Betrieb von Anlagen der in den §§ 7 und 11 Abs. 1 Nr. 2 bezeichneten Art sowie der Umgang mit Anlagen , Geräten und Vorrichtungen der in § 11 Abs. 1 Nr. 3 bezeichneten Art einstweilen oder, wenn eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt oder rechtskräftig widerrufen ist, endgültig eingestellt wird. 24 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur Aktuellen Lage in Japan, BT-Drs. 17/5048. Diese Auslegung unterstützt auch die Aussage des Bundesumweltministers Dr. Norbert Röttgen in seiner Rede in der 881. Sitzung des Bundesrates am 18. März 2011 (http://www.bmu.bund.de/reden/bundesumweltminister_dr_norbert_roettgen/doc/47139.php). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 11 5.1. Zuständige Aufsichtsbehörde Die Aufsichtsbehörden für Kernkraftwerke sind gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 AtG die durch die Landesregierungen bestimmten obersten Landesbehörden. Da es sich bei der Aufsicht über die Kernkraftwerke um eine Verwaltung durch die Länder im Auftrag des Bundes handelt (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AtG), untersteht die Landesbehörde gemäß Art. 85 Abs. 3 GG den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörde, also dem Bundeministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit . Zuständig für den Erlass von Stilllegungsverfügungen bleiben aber die obersten Landesbehörden, die in den bisherigen Fällen auch tätig geworden sind. 5.2. Atomrechtswidriger Zustand Voraussetzung für die Anordnung der vorübergehenden Einstellung des Betriebs einer Anlage durch die zuständige Landesbehörde gemäß § 19 Abs. 3 AtG ist, dass mit der vorübergehenden Einstellung ein Zustand beseitigt wird, der dem Atomgesetz oder auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen widerspricht (§ 19 Abs. 3 Satz 1, 1. und 2. Alternative) oder aus dem sich Gefahren für Gesundheit, Leben oder Sachgüter durch die Wirkung ionisierender Strahlen ergeben können (§ 19 Abs. 3 Satz 1, 3. Alternative). Dem Betrieb sämtlicher in der Bundesrepublik Deutschland betriebenen Kernkraftwerke liegen die erforderlichen Genehmigungen zu Grunde. Diese sind bisher auch noch nicht widerrufen worden. Auch über einen Verstoß gegen mögliche nachträgliche Auflagen (§ 19 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative AtG) ist bisher nichts bekannt. Eine vorübergehende Stilllegung der Kraftwerke kann sich daher allenfalls auf die 3. Alternative – Gefahren für Gesundheit, Leben oder Sachgüter – stützen. 5.3. Vorliegen einer Gefahr - § 19 Abs. 3 Satz 1, 3. Alt. AtG Voraussetzung für ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1, 3. Alt. AtG ist das Vorliegen einer Gefahr für Gesundheit, Leben oder Sachgüter. § 19 Abs. 3 Satz 1, 3. Alt. AtG ist in unveränderter Fassung seit Verabschiedung des AtG in Kraft.25 In den Gesetzesmaterialien finden sich keine Hinweise, wie der Begriff der Gefahr zu definieren sei oder dass dieser Begriff umstritten war.26 In der Literatur ist der Begriff der Gefahr im Atomrecht und insbesondere in § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG umstritten. Höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Thema liegt nach hiesiger Kenntnis nicht vor. Die Entscheidungen des BVerfG und des BVerwG zum Atomrecht betreffen entwe- 25 Das Gesetz wurde am 23. Dezember 1959 verabschiedet (BGBl. I S. 814). 26 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) BT-Drs. III/759, Vergleichende Übersicht des Gesetzentwurfes und der Beschlüsse des Ausschusses für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft des Deutschen Bundestages in 1. und 2. Lesung (Ausschussdrucksache 23/59 und 24/59), Beschlüsse des Wirtschaftsausschusses des Bundesrates, Drucksache 244/1/58, S. 18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 12 der die Gefahr, die bei der Genehmigung von Anlagen gemäß § 7 AtG ausschlaggebend ist27 oder die Frage nachträglicher Auflagen gemäß § 17 AtG.28 Unumstritten ist eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift eine klassische polizeiliche Gefahr29, die besteht, wenn „eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird“30. Damit müsste mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Schädigung für Gesundheit , Leben oder Sachgüter bevorstehen. Dem Wahrscheinlichkeitsurteil müssen dabei Erfahrungssätze zugrundeliegen.31 Wenn nach der Lebenserfahrung mit einer Schädigung von Leben, Gesundheit oder Sachgütern durch die Wirkung ionisierender Strahlen zu rechnen ist, würde bereits im polizeirechtlichen Sinne eine Gefahr vorliegen. Nach allgemeiner Meinung muss jedoch die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts um so geringer sein, je größer der zu erwartende Schaden ist.32 In der Literatur umstritten ist, ob eine „Gefahr“ im Sinne des § 19 Abs. 3 AtG auch Gefahren umfasst , die nur im sog. Risikobereich liegen. Eine Anlage darf gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nur genehmigt werden, wenn die „nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch (...) den Betrieb der Anlage getroffen ist“. Über die reine Gefahrenabwehr sind im Genehmigungsverfahren also Möglichkeiten der Risikominimierung auszuschöpfen .33 Fraglich ist, ob im Atomrecht ein einheitlicher Gefahrenbegriff angelegt werden muss, so dass eine in diesem Risikobereich liegende Gefahr nicht nur bei Genehmigung der Anlage, sondern auch bei der Aufsicht über deren Betrieb berücksichtigt werden muss. In Anwendung des Drei-Sphären-Bildes des Bundesverwaltungsgerichts34 fordern einige Stimmen 35 eine Gefahr, die weder dem Risikobereich als „Besorgnispotential“ noch dem Restrisikobereich als Akzeptanzbereich sozialadäquater Lasten zuzuordnen ist. Das Atomgesetz setze unterschiedliche Gefahren voraus; während bei der Genehmigung einer atomrechtlichen Anlage gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG sowohl der Gefahren-, als auch der Risikobereich berücksichtigt werden müsse, umschließe § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG nur Gefahren im herkömmlichen polizeirechtlichen Sinne. Andernfalls wäre es der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde möglich, „jederzeit mit entfernt liegenden hypothetischen Schadensszenarien in den Genehmigungsbestand einzugreifen 27 So BVerfGE 49, 89, 141f (Kalkar); BVerwGE 106, 115 (Mülheim-Kärlich). 28 So bspw. BVerwGE 131, 259-267. 29 Vgl. Rosin in: Büdenbender/Heintschel von Heinegg/Rosin, Energierecht I – Recht der Energieanlagen, 1999, Rn. 1071; Ossenbühl, Anmerkung zu OVG Münster, DVBl. 1990, 600, 601. 30 Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., 2007,Kapitel E Rn. 39. 31 Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl., 1995, Rn. 142. 32 Roller, Der Gefahrenbegriff im atomrechtlichen Aufsichtsverfahren, DVBl. 1993, S. 20, 21. 33 So auch BVerwGE 88, 286, 302 f. (Obrigheim). 34 BVerwGE 72, 300, 315 Whyl-Entscheidung: Hierin unterscheidet das BVerwG zwischen dem polizeirechtlich vorgeformten Gefahrenbegriff und einem „Besorgnispotential“, das in § 7 Abs, 2 Nr. 3 AtG ebenfalls zu berücksichtigen ist, und nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu ermitteln ist. Ein gewisses „Restrisiko“ sei als Akzeptanzbereich sozialadäquater Lasten zu tragen. 35 Ossenbühl (Fn.29), S. 601; Papier in Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 184 f.; Blümel in Pelzer (Hrsg.), Schnittpunkte nationalen und internationalen Atomrechts, 1. Aufl., 1997, S. 216 f.; Gemmeke, Nachträgliche Anordnung im Atomrecht, 1995, S. 76 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 13 und den atomrechtlichen Bestandsschutz auszuhöhlen.“36 Diese Ansicht beruft sich auch auf das BVerwG, das in einer anders gelagerten Entscheidung anerkannt habe, dass bei nachträglich auftauchenden Zweifeln an der Betriebssicherheit einer genehmigungskonform errichteten Anlage die Bindungswirkung bestandskräftiger Entscheidungen nicht entfalle.37 Andere38 halten einen Gefahrenverdacht im Sinne eines Besorgnispotentials für ausreichend. So überträgt das OVG Schleswig-Holstein den einheitlichen Vorsorgebegriff des Bundesverwaltungsgerichts auf die §§ 17 und 19 AtG.39 Aus systematischen Gründen sei aufsichtsbehördliches Handeln nach den §§ 17, 19 AtG an denselben Grundsätzen auszurichten, die bereits für das Genehmigungsverfahren gelten, da sie in gleicher Weise den in § 1 Nr. 2 AtG genannten Zweck des Atomgesetzes konkretisierten. Auch der Wortlaut des Gesetzes, der „einen Zustand“ fordere, „aus dem sich … Gefahren … ergeben können“ sprächen für diese Auslegung.40 Wenn die Voraussetzungen für eine Genehmigung einer Anlage nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG – erforderliche Vorsorge gegen mögliche Schäden – nicht mehr vorlägen, eine Genehmigung also nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft und Technik nicht mehr erteilt werden dürfte, ergäben sich ausreichend Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Zustandes gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG.41 Fraglich ist ferner, ob die Gefahr oder der Gefahrenverdacht im Sinne eines Besorgnispotentials auf neuen Tatsachen beruhen muss, oder ob eine Änderung der Einschätzung ebenfalls ausreicht , um Anordnungen gemäß § 19 Abs. 3 AtG vorzunehmen. Viele Stimmen42 in der Literatur fordern eine Veränderung der Gefahrensituation. Damit wären nach ordnungsgemäßem Erlass einer Genehmigung nur solche Gefahren zu berücksichtigen, die „die Genehmigungsbehörde von vorneherein übersehen hat (praktisch auszuschließender Fall) oder die erst nach Genehmigungserteilung erkannt oder bekannt geworden sind.“43 Als Beispiel für die Annahme einer Gefährdung in diesem Sinne werden neben Änderungen in der Umgebung der Anlage neue Erkenntnisse aufgrund einer Änderung des Standes von Wissenschaft und Technik ohne gleichzeitige Änderung der Anlage, ihrer Teile oder ihrer Umgebung genannt.44 36 Ossenbühl (Fn.29), S. 601 mit Verweis auf Schmitt, in Deutsches Atomrechts-Symposium, 1989, S. 92. Das OVG Nordrhein-Westfalen hat in dem von Ossenbühl besprochenen Beschluss diese Frage offengelassen. Roßnagel, Wesentliche Änderungen durch „Vorabzustimmungen“ – ein neues Instrument des Atomrechts?, DVBL. 1987, 65, 69 forderte zunächst eine akut drohende Gefahr. 37 Blümel (Fn. 35), S. 214 unter Berufung auf BVerwGE 88,286 (Obrigheim), das aber zum Gefahrenbegriff in § 19 AtG nicht explizit Stellung nimmt. 38 So Rosin (Fn.29), Rn. 1072; Roßnagel, Der Begriff der Gefahr in § 19 Abs. 3 AtG, DÖV 1998, 1048 (1051) in Abkehr zu DVBl. 1987, 65, 69; Roller (Fn.32), DVBl. 1993, 20, 21. 39 OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27. Mai 1994, 4 K 7/92 –Ni, teilweise abgedruckt in SchlHA 1994, S. 293, 295. 40 So mit ausführlicher Begründung Rosin (Fn.29), Rn. 1072; Roßnagel, Der Begriff der Gefahr in § 19 Abs. 3 AtG, DÖV 1998, S. 1048, 1050. 41 VGH Baden-Württemberg, ZUR 1996, 33-37 (Obrigheim, nicht rechtskräftig). So auch Schneider, Die Verantwortung des Staates für den sicheren Betrieb kerntechnischer Anlagen in Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 115, 123. 42 Rosin (Fn. 29), Rn. 1074 a.E.; Ossenbühl (Fn.29), S. 601; Gemmeke (Fn. 35), S. 85. Wohl auch Roller, zitiert nach Spiegel Online: Deutsche Energiewende – Neuem Atomkurs fehlt die Grundlage, vom 15.März 2011 (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,750871,00.html); Rebentisch lt. FAZ vom 18.3.2011; Ewer, FAZ vom 18.3.2011; Wieland lt. Handelsblatt vom 18.3.2011. 43 So Ossenbühl (Fn.29), S. 601 und ihm folgend Rosin (Fn. 29), Rn. 1074 a.E. 44 Gemmeke (Fn. 35), S. 85. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 14 Nach den Aussagen der Bundesregierung ist die vorübergehende Abschaltung der Kernkraftwerke , die vor dem Ende des Jahres 1980 in Betrieb gegangen sind, Ausdruck des Gebots „äußerster Vorsorge“.45 Im Dezember 2010 ist die 11. Novelle des Atomgesetzes in Kraft getreten, mit der die Laufzeiten auch für solche Anlagen, die vor Ende des Jahres 1980 in Betrieb genommen worden sind („ältere Anlagen“), verlängert wurden. Bundesregierung und ihr folgend die Mehrheit im Bundestag sahen zu diesem Zeitpunkt offensichtlich keine mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bevorstehende Gefahr für die Gesundheit der Anwohner auch von älteren Anlagen. Nach Aussage der Bundesregierung hat sich erst durch den Atomunfall in Japan am 11. März 2011 eine neue Lage ergeben, die eine neue Überprüfung notwendig mache.46 Das Vorliegen einer Gefahr aufgrund neuer Tatsachen scheint damit auch die Bundesregierung nicht anzunehmen. Die Bundesregierung erklärt, der Atomunfall in Japan habe gezeigt, „dass etwas, das nach allen wissenschaftlichen Maßstäben für unmöglich gehalten wurde, doch möglich werden konnte.“47 Damit könnte sie sich auf neue Erkenntnisse aufgrund einer Änderung des Standes von Wissenschaft und Technik ohne gleichzeitige Änderung der Anlage, ihrer Teile oder ihrer Umgebung berufen, was zumindest nach einem Teil der Literatur für das Vorliegen einer Gefährdungssituation ausreichen könnte. Ausdrücklich beruft sich der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit darauf, dass das Vorliegen eines Gefahrenverdachtes für eine vorläufige Stilllegung nach § 19 Abs. 3 AtG ausreiche.48 Ob eine Gefahr im Sinne des § 19 Abs. 3 AtG bei den einzelnen stillgelegten Kernkraftwerken vorliegt, kann von dieser Seite nicht beurteilt werden. 5.4. Darlegungslast Eine aufsichtsbehördliche Anordnung gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG wie bspw. die vorläufige Untersagung des Betreibens eines Kernkraftwerkes ist ein belastender Verwaltungsakt. Die Darlegungslast für das Vorliegen der nach § 19 Abs. 3 notwendigen Voraussetzungen obliegt nach den allgemeinen Regeln der eingreifenden Behörde.49 5.5. Einzelfallprüfung Der Anordnung einer vorübergehenden Stilllegung nach § 19 Abs. 3 AtG muss eine Einzelfallprüfung vorausgehen, in der das Vorliegen der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen in jeder ein- 45 So der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, in der Pressekonferenz am 15. März 2011, Mitschrift der Pressekonferenz - Statements nach dem Gespräch über die Nutzung der Kernenergie in Deutschland, 15. März 2011, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/ 2011/03/2011-03-15-statements-nutzung-kernenergie.html (Stand: 17.3.2011). 46 So die Bundeskanzlerin auf der Pressekonferenz am 15. März 2011 (Fn.45). 47 Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, PlPrt. 17/96, S. 10884 D. 48 Rede des Bundesumweltministers in der 881. Plenarsitzung des Bundesrates am 18.März 2011, http://www.bmu.bund.de/reden/bundesumweltminister_dr_norbert_roettgen/doc/47139.php. 49 Vgl. Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, 1980, S. 229f. So auch explizit zu § 19 Abs. 3 AtG Ossenbühl (Fn.29), S. 601; Rosin (Fn. 29), Rn. 1076; Schirra, Die atomrechtliche Aufsicht, Rn. 68, in: Stuhlmacher (Hrsg.), Grundriss zum Energierecht – der rechtliche Rahmen für die Energiewirtschaft, Frankfurt am Main, 2011. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 15 zeln stillzulegenden Anlage geprüft werden muss. Häufigstes Beispiel für die Anwendung des § 19 Abs. 3 AtG ist die vorübergehende Stilllegung einer Anlage, um Raum für die Überprüfung zu schaffen, ob Auflagen für die Anlage oder ein Widerruf der Genehmigung der Anlage angebracht sind.50 Bei dieser Prüfung steht der zuständigen Behörde ein Beurteilungsspielraum auch hinsichtlich der zu erwartenden Gefahren zu. Diese Anordnungen müssten im Einzelnen das Vorliegen der Voraussetzungen des Tatbestandes nach § 19 Abs. 3 AtG dargelegt haben. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, kann von dieser Seite nicht überprüft und beurteilt werden. 5.6. Rechtsfolge – Ermessensausübung § 19 Abs. 3 AtG stellt es als sog. „Kann-Vorschrift“ in das Ermessen der Behörde, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um eine Gesundheitsgefährdung auszuschließen. Dies umfasst das „Ob“ als auch das „Wie“ des Einschreiten.51 Die Bundesregierung will sämtliche Kernkraftwerke einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen, während der die vor 1980 gebauten Anlagen gemäß § 19 Abs. 3 AtG vorübergehend stillgelegt werden sollen.52 Die Bundesregierung beruft sich auf eine neue Sachlage, die durch den Brand von Kernkraftwerken in Japan entstanden sei. Sie beruft sich dabei auf das Gebot äußerster Vorsorge . Die Ausübung des Ermessens im Einzelnen ist Aufgabe der verfügenden Behörde; deren Entscheidung ist nicht im Einzelnen bekannt und kann daher nicht beurteilt werden. 6. Endgültige Einstellung des Betriebs von Kernkraftwerken Nach § 19 Abs. 3 Nr. 3 AtG kann von der zuständigen Aufsichtsbehörde die endgültige Einstellung des Betriebs eines Kernkraftwerks angeordnet werden, wenn die hierfür erteilte Genehmigung rechtskräftig widerrufen wurde. Die Voraussetzungen für den Widerruf einer atomrechtlichen Genehmigung sind in § 17 Abs. 3 bis 5 AtG geregelt. Daneben finden die allgemeinen Regelungen über den Widerruf von Verwaltungsakten in § 49 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)53 keine Anwendung.54 50 Vgl. Haedrich, Atomgesetz mit Pariser Atomhaftungs-Übereinkommen, 1986, § 19 Rn. 7; Fischerhof, Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht, 1978, § 19 Rn. 9, Rosin (Fn. 29), Rn. 1072 ff. 51 Zu den Voraussetzungen der Ermessensausübung im Einzelnen Rosin (Fn. 29), Rn. 1078 ff. 52 Mitschrift der Pressekonferenz - Statements nach dem Gespräch über die Nutzung der Kernenergie in Deutschland, 15. März 2011, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2011/03/2011-03-15- statements-nutzung-kernenergie.html (Stand: 15.3.2011). 53 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2827) geändert worden ist. 54 Rosin (Fn. 29), Rn. 1028 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 16 6.1. Widderruf nach pflichtgemäßen Ermessen § 17 Abs. 3 AtG sieht für vier Fallkonstellationen die Möglichkeit eines Widerrufs vor.55 Dabei handelt es sich um Entscheidungen, die in das pflichtgemäße Ermessen der Aufsichtsbehörde gestellt sind, d.h. die Genehmigung kann widerrufen werden. Dies gilt zunächst für den Fall, dass von einer Genehmigung innerhalb von zwei Jahren kein Gebrauch gemacht wurde, § 17 Abs. 3 Nr. 1 AtG. Des Weiteren ist ein Widerruf möglich, wenn eine der Genehmigungsvoraussetzungen später weggefallen ist und nicht in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen wurde, § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG. Dabei ist zu beachten, dass hinsichtlich des Wegfalls der Genehmigungsvoraussetzungen eine allgemeine Neubewertung der Gefahren von Kernkraftwerken als Begründung für einen Widerruf nicht ausreichen dürfte.56 Erforderlich wäre vielmehr eine Bewertung der Gefahrenlage und Sicherheitsvorsorge jedes einzelnen Kernkraftwerks. In der Literatur ist ähnlich wie bei einer vorübergehenden Stilllegung nach § 19 Abs. 3 Nr. 3 AtG umstritten, ob bei der Beurteilung der Gefahrenlage auch der sog. Restrisikobereich einzubeziehen ist (s. 5.3).57 Sofern nach Einschätzung der Aufsichtsbehörde aufgrund der Gefahrenlage keine Genehmigung hätte erteilt werden dürfen, ist zu prüfen, ob durch nachträgliche Auflagen Abhilfe geschaffen werden könnte.58 Dies wäre gegenüber dem Widerruf der Genehmigung das mildere Mittel. Auch hierfür ist eine sorgfältige und umfassende Prüfung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls durchzuführen. Die dritte Fallgruppe in § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG erfasst erhebliche oder wiederholte Verstöße gegen das AtG, atomrechtliche Rechtsverordnungen, Anordnungen, Verfügungen der Aufsichtsbehörden , Bestimmungen des Genehmigungsbescheids oder nachträgliche Auflagen. Erforderlich ist außerdem, dass in angemessener Zeit keine Abhilfe geschaffen wird. Schließlich kommt ein Widerruf in Betracht, wenn nach Setzung einer ordnungsgemäßen Nachfrist kein ordnungsgemäßer Entsorgungsvorsorgenachweis nach § 9a AtG bzw. kein Ergebnis der nach § 19a Abs. 1 AtG durchzuführenden Sicherheitsüberprüfung vorgelegt wird. 55 § 17 Abs. 3 AtG lautet: „(3) Genehmigungen und allgemeine Zulassungen können widerrufen werden, wenn 1. von ihnen innerhalb von zwei Jahren kein Gebrauch gemacht worden ist, soweit nicht die Genehmigung oder allgemeine Zulassung etwas anderes bestimmt, 2. eine ihrer Voraussetzungen später weggefallen ist und nicht in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen wird oder 3. gegen die Vorschriften dieses Gesetzes oder der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen, gegen die hierauf beruhenden Anordnungen und Verfügungen der Aufsichtsbehörden oder gegen die Bestimmungen des Bescheids über die Genehmigung oder allgemeine Zulassung erheblich oder wiederholt verstoßen oder wenn eine nachträgliche Auflage nicht eingehalten worden ist und nicht in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen wird, 4. auch nach Setzung einer angemessenen Nachfrist ein ordnungsgemäßer Nachweis nach § 9a Abs. 1a bis 1e nicht vorgelegt wird oder auch nach Setzung einer angemessenen Nachfrist keine Ergebnisse der nach § 19a Abs. 1 durchzuführenden Sicherheitsüberprüfung vorgelegt werden.“ 56 Wagner, Ausstieg aus der Kernenergie durch Verwaltungsakt, DVBl. 1987, 524,3 528. 57 Rosin (Fn. 29), Rn. 1029. 58 Haedrich, Atomgesetz, 1986, § 17 Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 17 6.2. Widerruf als gebundene Entscheidung In § 17 Abs. 4 und 5 AtG ist geregelt, in welchen Fällen die Aufsichtsbehörde eine Genehmigung widerrufen muss. Ihr steht dabei kein Ermessen zu. Dies gilt nach § 17 Abs. 4 AtG, falls die Deckungsvorsorge für die Erfüllung gesetzlicher Schadensersatzansprüche nicht den Anforderungen von § 13 AtG entspricht und auch nicht binnen einer angemessenen Nachfrist nachgewiesen wird. § 17 Abs. 5 AtG verpflichtet die Aufsichtsbehörde zum Widerruf, wenn dies wegen einer erhebliche Gefährdung der Beschäftigten, Dritter oder der Allgemeinheit erforderlich ist und nicht durch nachträgliche Auflagen in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen werden kann. Unter „erheblicher Gefährdung“ soll nach wohl überwiegender Auffassung in der Literatur eine klassische Gefahr im polizeirechtlichen Sinne zu verstehen sein59 (s. 5.3). Auch insoweit wäre eine umfassende Prüfung jedes Einzelfalls erforderlich. 6.3. Rechtskraft Um eine endgültige Einstellung des Betriebs nach § 19 Abs. 3 Nr. 3 AtG anordnen zu können, muss der Widerruf einer Betriebsgenehmigung rechtskräftig geworden sein. Dies ist der Fall, wenn der Betroffene keinen Widerspruch hiergegen eingelegt hat oder ein Widerspruchs- und ggf. sich anschließendes Gerichtsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. 6.4. Entschädigungsanspruch Ein Widerruf der Betriebsgenehmigung verpflichtet das Land, dessen Behörde den Widerruf ausgesprochen hat, nach § 18 Abs. 1 S. 1 AtG zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung an den Betreiber. Ausnahmen von dieser Entschädigungspflicht sind in § 18 Abs. 2 AtG geregelt. Danach ist keine Entschädigung zu leisten, wenn der Inhaber der Genehmigung diese auf Grund von Angaben erhalten hat, die in wesentlichen Punkten unrichtig oder unvollständig waren, § 18 Abs. 2 Nr. 1 AtG. Des Weiteren besteht keine Entschädigungspflicht, wenn der Inhaber der Genehmigung oder für ihn tätige Personen durch ihr Verhalten Anlass zum Widerruf, insbesondere durch wiederholten Verstoß gegen atomrechtlich Vorschriften, Anordnungen, Verfügungen etc. gegeben haben, § 18 Abs. 2 Nr. 2 AtG. Schließlich ist die Entschädigungspflicht ausgeschlossen, wenn der Widerruf wegen einer nachträglich eingetretenen, in der genehmigten Anlage begründeten erheblichen Gefährdung der Beschäftigten, Dritter oder der Allgemeinheit ausgesprochen werden musste. Sofern für ein Land eine Entschädigungspflicht besteht, sind nach § 19 Abs. 4 AtG der Bund oder ein anderes Land dem entschädigungspflichtigen Land entsprechend ihrem sich aus der Gesamtlage ergebenen Interesse an dem Widerruf zum Ausgleich verpflichtet. 59 Rosin (Fn. 29), Rn. 1036 ff. m.w.N.; nach der von Schneider vertretenen Gegenauffassung soll jede Gefahr i.S.d. § 1 Nr. 2 AtG ausreichen, also auch ein Gefahrenverdacht; vgl. Schneider, (Fn. 41), S. 174. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 101/11 Seite 18 7. Exkurs: Atomausstieg durch 17 Stilllegungsverfügungen? Theoretisch wäre es denkbar, alle deutschen Kernkraftwerke durch Verfügungen nach § 19 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AtG endgültig stillzulegen, sofern hierfür nach Prüfung des Einzelfalls die Voraussetzungen vorlägen. Dadurch würde ein Ausstieg aus der Kernkraftnutzung durch behördliches Handeln erreicht. Dieser Weg könnte allerdings rechtlich problematisch sein, da hierdurch grundsätzliche gesetzgeberische Wertungen des AtG umgangen würden. Nach derzeitiger Rechtslage ist der Betrieb der genehmigten Kernkraftwerke bis zum Erreichen der gesetzlich zugewiesenen Strommenge grundsätzlich erlaubt. Nur im Einzelfall ermächtigt § 19 Abs. 3 Nr. 3 AtG die Aufsichtsbehörde dazu, ein Kernkraftwerk stillzulegen. Dieser gesetzliche Ausnahmefall würde durch 17 Stilllegungsverfügungen seinen Ausnahmecharakter verlieren und die gesetzlichen Regelungen über den Weg des Atomausstiegs hätte keinen Anwendungsbereich mehr. Angesichts der grundsätzlichen und weitreichenden rechtlichen und politischen Bedeutung der Frage des Atomausstiegs dürfte es im Sinne der Wesentlichkeitstheorie jedoch Aufgabe des Gesetzgebers sein, die Art und Weise des Atomausstiegs zu regeln. Dazu zählt auch eine etwaige Neubewertung der Frage, in welchem Zeitraum dieser Ausstieg erfolgen soll.