© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 100/21 Änderung der Fassung der Ermächtigungsgrundlage einer Verordnung nach dem Zustimmungsverfahren Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragestellung Nach § 28c S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung „für Personen, bei denen von einer Immunisierung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 auszugehen ist oder die ein negatives Ergebnis eines Tests auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorlegen können, Erleichterungen oder Ausnahmen von Geboten und Verboten nach dem fünften Abschnitt dieses Gesetzes oder von aufgrund der Vorschriften im fünften Abschnitt dieses Gesetzes erlassenen Geboten und Verboten zu regeln“. Nach § 28c S. 2 IfSG bedarf eine solche Verordnung der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Diese haben der „Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung – SchAusnahmV)“ am 6.5.2021 (Bundestag) bzw. am 7.5.2021 (Bundesrat) zugestimmt. Die Verordnung wurde am 8.5.2021 verkündet und trat einen Tag später in Kraft.1 Am 6.5.2021 beschloss der Bundestag zudem eine Änderung von § 28c IfSG durch Hinzufügung eines S. 3, der besagt: „Wenn die Bundesregierung von ihrer Ermächtigung nach Satz 1 Gebrauch macht, kann sie zugleich die Landesregierungen ermächtigen, ganz oder teilweise in Bezug auf von den Ländern nach dem fünften Abschnitt dieses Gesetzes erlassene Gebote und Verbote für die in Satz 1 genannten Personen Ausnahmen zu regeln.“ Die Gesetzesänderung wurde nach Zustimmung des Bundesrates am 7.5.2021 verkündet und trat am nächsten Tag in Kraft.2 Die verkündete Fassung der oben genannten Rechtsverordnung zitiert als Ermächtigungsgrundlage „§ 28c des Infektionsschutzgesetzes, der durch Artikel 6 Nummer 1 des Gesetzes vom 7. Mai 2021 (BGBl. I S. 850) geändert worden ist“. Währenddessen bezog sich die Zitierung in der Fassung der Rechtsverordnung, der Bundestag und Bundesrat zugestimmt hatten, noch auf die vorherige Fassung der Ermächtigungsgrundlage, nämlich auf „§ 28c des Infektionsschutzgesetzes, der durch Artikel 1 Nummer 3 des Gesetzes vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802) eingefügt worden ist“.3 Es wird gefragt, ob diese Änderung der Angabe der Ermächtigungsgrundlage in der verkündeten Verordnung zulässig ist. 1 BAnz AT vom 8.5.2021 V1. 2 BGBl. I S. 850. 3 Siehe BT-Drs. 19/29257, S. 5; BR-Drs. 347/21, S. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/21 Seite 4 2. Zulässigkeit der Änderung Im Rahmen der Ausfertigung von Gesetzen und Rechtsverordnungen (Art. 82 Abs. 1 GG) ist es in gewissem Rahmen möglich, Änderungen am Text vorzunehmen. Bei Gesetzen ist dafür ein spezielles Berichtigungsverfahren durchzuführen.4 Bei Rechtsverordnungen ist die Änderung grundsätzlich unproblematisch, da bei ihnen die erlassende Stelle und die ausfertigende Stelle zusammenfallen (vgl. Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG), während sie bei Gesetzen nicht übereinstimmen. Ein Problem könnte sich im vorliegenden Fall allerdings daraus ergeben, dass nicht die Bundesregierung allein über den Erlass der Verordnung entscheiden durfte, sondern die Verordnung der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat bedurfte. Hier stellt sich die Frage, ob durch die Änderung des Textes nach bereits erfolgter Zustimmung die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat betroffen sind. Dies dürfte ausscheiden, wenn die Änderung rein redaktioneller Art war. Voraussetzung einer zulässigen redaktionellen Änderung ist, dass nicht der rechtlich erhebliche maßgebliche Inhalt der Norm geändert wurde.5 Im Falle einer rechtlich erheblichen Änderung müssten die beteiligten Organe erneut befasst werden.6 Bei der Änderung der Fassung einer Ermächtigungsgrundlage im Verordnungstext muss in diesem Zusammenhang die Frage geklärt werden, ob dadurch eine Änderung der Rechtslage in Bezug auf die Einhaltung des Zitiergebots sowie die Tauglichkeit der Ermächtigungsgrundlage herbeigeführt wurde. 2.1. Zitiergebot Nach Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG muss eine Rechtsverordnung die ihr zugrundeliegende gesetzliche Ermächtigung angeben. Das Zitiergebot dient zum einen der Klarstellung, ob der Verordnungsgeber von einer ihm erteilten Ermächtigung Gebrauch machen wollte.7 Zum anderen dient es der Kontrolle , ob der Verordnungsgeber sich in den gesetzlichen Grenzen der Ermächtigung gehalten hat.8 Für eine rein redaktionelle Änderung spräche es, wenn der Verordnungsgeber auch mit der ursprünglichen Fassung der Rechtsverordnung den Anforderungen des Zitiergebots nachgekommen wäre. Daraus würde sich nämlich ergeben, dass die Änderung nur als Formalität vorgenommen wurde, da der Verordnungsgeber auch darauf hätte verzichten können. Hierzu ist anzumerken, dass das Zitiergebot recht großzügig verstanden wird. Es genügt, den jeweiligen Paragrafen zu zitieren. Nicht gefordert wird, dass die genaue Fundstelle im Gesetzblatt bis hin zur letzten Änderung angegeben wird.9 Der Verordnungsgeber ist somit durch die Angabe der 4 Siehe dazu Butzer, in: Maunz/Dürig, GG, 93. EL Oktober 2020, Art. 82 Rn. 257 ff. 5 Vgl. Butzer, in: Maunz/Dürig, GG, 93. EL Oktober 2020, Art. 82 Rn. 256. 6 Vgl. in Bezug auf Gesetze Butzer, in: Maunz/Dürig, GG, 93. EL Oktober 2020, Art. 82 Rn. 256. 7 BVerfGE 101, 1 (42). 8 Uhle, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 46. Edition 15.2.2021, Art. 80 Rn. 32; Bauer, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 80 Rn. 44. 9 Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 46. Edition Stand: 15.2.2021, Art. 80 Rn. 32a m.w.N.; Bauer, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 80 Rn. 45. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/21 Seite 5 letzten Änderung und der Fundstelle im Bundesgesetzblatt über die Anforderungen des Zitiergebots hinausgegangen. Er hätte sich zur Einhaltung des Zitiergebots darauf beschränken können, nur die Angabe „§ 28c IfSG“ zu machen. Die Änderung in der verkündeten Fassung der Verordnung war somit in Bezug auf das Zitiergebot nicht rechtserheblich. 2.2. Taugliche Ermächtigungsgrundlage Maßgeblich entscheidend dafür, ob eine redaktionelle oder eine rechtserhebliche Änderung vorliegt , ist zudem die Frage, ob zum Zeitpunkt der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung vorlag. Wenn die Ermächtigung erst aufgrund der Gesetzesänderung als Grundlage für die Rechtsverordnung dienen konnte, so wäre die Zustimmung zu einer Verordnung erfolgt, die zu diesem Zeitpunkt auf keiner hinreichenden Ermächtigung beruhte. Die Änderung der angegebenen Fassung der Ermächtigungsgrundlage in der Verordnung wäre in diesem Fall rechtserheblich. Nach der Gesetzesbegründung sollte die Änderung von § 28c IfSG durch die Einfügung von S. 3 der „Klarstellung“ dienen, dass die Bundesregierung, wenn sie eine Verordnung nach § 28c IfSG über Ausnahmen für Geimpfte und Genesene erlässt, auch die Landesregierungen ermächtigen kann, solche Ausnahmen vorzusehen.10 Die Rechtsverordnung sieht in § 11 eine solche Ermächtigung der Länder vor. Fraglich ist, ob eine Ermächtigung der Länder zum Vorsehen von Ausnahmen nur aufgrund der Gesetzesänderung ergehen konnte, oder ob sie bereits aufgrund der alten Fassung des § 28c IfSG, die die Öffnungsklausel für die Länder nicht vorsah, möglich war. Im letztgenannten Fall wäre die Gesetzesänderung rein deklaratorischer Art. Dazu ist Folgendes zu sagen: Die Bundesländer sind nach § 32 IfSG ermächtigt, Schutzmaßnahmen nach den §§ 28, 28a IfSG durch Rechtsverordnung zu erlassen. Dies gilt auch im Anwendungsbereich der bei einem Inzidenzwert von mehr als 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen automatisch in Kraft tretenden sog. „Bundesnotbremse“ des § 28b IfSG, sofern die Maßnahmen der Länder darüber hinausgehen (§ 28b Abs. 5 IfSG). Bei diesen Schutzmaßnahmen handelt es sich um (teils erhebliche) Grundrechtseingriffe. Die Möglichkeit, Ausnahmen vorzusehen, ist zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit Bestandteil jeder Regelung eines Grundrechtseingriffs, da Ausnahmen insbesondere zur Einhaltung der Erforderlichkeit und Angemessenheit eines Eingriffs dienen können. Dürfte keine Ausnahme vorgesehen werden, so könnte dies dazu führen, dass eine verfassungsgemäße Regelung des Grundrechtseingriffs nicht möglich ist. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Corona-Maßnahmen, da nach wohl einhelliger Auffassung von Verfassungsrechtlern das Vorsehen von Ausnahmen für Personen, die das Coronavirus nicht mehr übertragen können, zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit zwingend ist.11 Im Rahmen der Ermächtigung der Länder nach 10 BT-Drs. 19/29246, S. 2. 11 So etwa Möllers, „Stellungnahme zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, S. 7, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/834614/9ace24a12b228c12a677f4b05aec4865/19_14_0323-2-_Prof-Dr-Moellers_-viertes-BevSchGdata .pdf; Kingreen, „Stellungnahme als geladener Einzelsachverständiger zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drucks. 19/28444)“, S. 10 f., abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/835086/141e8c66a95c14a9d9def23da8d9a06a/19_14_0323-19-_ESV-Prof-Dr-Thorsten-Kingreen_- viertes-BevSchG-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/21 Seite 6 § 32 IfSG besteht somit auch die Ermächtigung dazu, Ausnahmen für Geimpfte und Genesene zu erlassen. Einer ausdrücklichen Öffnungsklausel für die Länder hätte es somit nicht bedurft. Die Rechtsverordnung des Bundes konnte somit bereits aufgrund der vorherigen Fassung des § 28c IfSG erlassen werden, die keine Öffnungsklausel vorsah. Die Ergänzung in § 28c S. 3 IfSG dürfte somit tatsächlich nur deklaratorischer Natur gewesen sein. Somit ist auch die Änderung der Fassung der Ermächtigungsgrundlage in der verkündeten Rechtverordnung nicht rechtserheblich, sondern nur redaktioneller Art. 2.3. Kenntnis von Bundestag und Bundesrat Für die Zulässigkeit der Änderung kann zudem ergänzend die Tatsache herangezogen werden, dass die Zustimmung des Bundestages zu der Verordnung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zum Beschluss über die Änderung des § 28c IfSG erfolgte, nämlich am selben Tag direkt hintereinander.12 Gleiches gilt für die Zustimmung des Bundesrates zur Verordnung und zur Gesetzesänderung .13 Dies dürfte dafür sprechen, dass sich Bundestag und Bundesrat im Zeitpunkt ihres Beschlusses bzw. ihrer Zustimmung darüber bewusst waren, dass sich die Rechtsverordnung in der Fassung ihrer Verkündung auf den geänderten § 28c IfSG beziehen würde. 2.4. Fazit Nach diesen Ausführungen dürfte die Änderung der Fassung der Ermächtigungsgrundlage in der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung als rein redaktionelle Änderung zulässig gewesen sein. *** 12 Plenarprotokoll vom 6.2.2021, S. 28919 ff. 13 5. Nachtrag zur Tagesordnung für den 7.5.2021, abrufbar unter https://dserver.bundestag.de/btp/19/19227.pdf.