© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 100/20 Entschädigung für Betriebsschließungen aufgrund von Verordnungen nach § 32 Infektionsschutzgesetz? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Grundsätzliche Rechtsfolge 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 4 1. Fragestellung Es stellt sich die Frage, ob ein Anspruch auf Entschädigung besteht, wenn Betriebe aufgrund einer Verordnung nach § 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG) geschlossen werden müssen. 2. § 65 Infektionsschutzgesetz Das IfSG regelt in seinem 12. Abschnitt die „Entschädigung in besonderen Fällen“. Für die Entschädigung in vorliegendem Fall ist § 65 IfSG einschlägig.1 Nach dessen Abs. 1 gilt: „Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten […].“2 Im Grundsatz erfasst § 65 IfSG damit auch Rechtsverordnungen: § 17 Abs. 4 und Abs. 5 IfSG ermächtigt zum Erlass von Rechtsverordnungen. Gleichwohl geht es bei § 17 IfSG um besondere Fälle, insbesondere darum, dass „Gegenstände mit meldepflichtigen Krankheitserregern behaftet sind“. Die Verordnungen der Länder zur Schließung von Betrieben beruhen jedoch soweit ersichtlich auf § 32 IfSG: „Aufgrund des § 32 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes […] wird verordnet […].“3 Für diesen Fall sieht das IfSG keinen Entschädigungsanspruch vor. Selbst wenn ein Anspruch dem Grunde nach bestünde, würde er nicht allgemein auf den Ersatz von Vermögensschäden zielen. Zu diesem Ergebnis kommt eine der ersten Fachveröffentlichungen zu den „Corona-Verordnungen“: „Eine allgemeine Entschädigungsklausel für durch rechtmäßige Maßnahmen verursachte Vermögensschäden existiert im IfSG nicht. Auch eine Auslegung des § 65 I 1 Hs. 1, Var. 4 IfSG, zumindest ‚nicht nur unwesentliche Vermögensnachteile‘ durch Maßnahmen zur Verhütung 1 Erdle, Infektionsschutzgesetz, 7. Auflage 2020, § 65 Rn. 2: Entschädigung für Maßnahmen gegen „Nichtstörer“. 2 § 65 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148) geändert worden ist (Hervorhebung durch Autor). 3 Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus in Berlin vom 14. März 2020, https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles /rathaus-aktuell/2020/meldung.906890.php (Hervorhebung durch Autor); ähnlich die „Verordnung der Landesregierung [Baden-Württemberg] über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung - CoronaVO), https://km-bw.de/site/pbs-bw-new/get/documents/KUL- TUS.Dachmandant/KULTUS/KM-Homepage/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen %202020/2020%2003%2016%20Verordnung%20der%20Landesregierung%20%C3%BCber%20infektionssch %C3%BCtzende%20Ma%C3%9Fnahmen%20gegen%20die%20Ausbreitung%20des%20Virus%20SARS- Cov-2%20%28Corona-Verordnung%20-%20CoronaVO%29.pdf: „Auf Grund von § 32 in Verbindung mit den § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 und § 31 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) […] wird verordnet […]“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 5 übertragbarer Krankheiten beim Menschen (§§ 16, 17 IfSG) auszugleichen, ist nur schwerlich annehmbar. Zunächst sind alle Vermögensnachteile durch Eingriffe im Sinne der weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung (insb. §§ 28 ff. IfSG) bereits durch den Wortlaut von § 65 I 1 Hs. 1 Var. 4 IfSG nicht erfasst. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit der insoweit zum heutigen § 65 I 1 Hs. 1 IfSG inhaltsgleichen Einfügung der Var. 4 in den damaligen § 57 I BSeuchG klargestellt, dass es sich hierbei lediglich um einen Auffangtatbestand für über die in den Var. 1–3 genannten konkreten Enteignungstatbestände (Vernichtung, Beschädigung oder Wertminderung in sonstiger Weise) hinausgehenden denkbaren Einbußen bezogen auf Gegenstände handeln solle. Weiter spricht auch die zielgerichtete und ausschließliche Beschränkung der Entschädigung auf Eigentümer nicht gefährlicher Gegenstände (‚Nichtstörer‘) systematisch für ein solches Verständnis: Ein danach möglicher, nicht gegenstandsbezogen- und pauschaler Entschädigungsanspruch für Maßnahmen aus den §§ 16, 17 IfSG für nicht unwesentliche Vermögenseinbußen zugunsten etwa von Verantwortlichen wäre auch im Hinblick auf § 65 I 1 Hs. 2 IfSG systemwidrig.“4 3. § 56 Infektionsschutzgesetz analog? § 56 IfSG ist eine Anspruchsgrundlage für Störer. Absatz 1 Satz 1 lautet: „Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld“ (Hervorhebung durch Autor). Vereinzelt finden sich im Netz Andeutungen, § 56 IfSG müsse auf „gesunde Betriebe“, die rein präventiv aufgrund einer „Corona-Verordnung“ schließen mussten, analog angewendet werden.5 Die Kommentierung zu § 56 IfSG stützt diese Ansicht nicht, da selbst Störer eine Schließung grundsätzlich entschädigungslos hinnehmen müssen. Dies gilt für Nichtstörer erst recht: „Ein Eingriff, der den Störer zur Beachtung der öffentlichen Ordnung zwingt und von ihm ausgehende Störungen beseitigt, macht nur die allgemeinen Schranken der Rechtsausübung 4 Giesberts/Gayger/Weyand, NVwZ 2020, 417 (420) – Hervorhebung durch Autor. 5 FAZ vom 8. April 2020, Kommt die Entschädigungswelle?, https://www.faz.net/einspruch/kommt-die-entschaedigungswelle -infektionsschutzgesetz-16716204.html: „Anwälte gehen daher davon aus, dass es nur gerecht wäre, wenn die bestehenden Regeln [§ 56 IfSG] für die Tätigkeitsverbote von betroffenen Personen erst Recht für Unternehmer gelten würden, die sich mit der Krankheit gar nicht erst angesteckt haben – und trotzdem von dem faktischen Berufsverbot betroffen sind“; Winterhoff, Coronavirus & Öffentliches Recht, juris vom 7. April 2020: „[....] § 56 IfSG [könnte] auf Nichtstörer und auch auf juristische Personen analog anwendbar [...] [sein]. Beides erscheint wegen der Lückenhaftigkeit der Entschädigungsregelungen des Infektionsschutzgesetzes nicht als ausgeschlossen“ (jedoch ohne weitere Begründung der Lückenhaftigkeit und weiteren Voraussetzungen einer analogen Anwendung ), https://www.juris.de/jportal/nav/juris_2015/aktuelles/magazin/coronavirus-entschaedigungsansprueche.jsp; Dörrenbacher, Folgewirkungen der extensiven Auslegung des IfSG, JuWiss vom 10. April 2020: „Denn bei genauerer Betrachtung ist eine erweiternde bzw. analoge Anwendung des § 56 IfSG nicht nur zulässig, sondern auch geboten. Denn die Lückenhaftigkeit der Norm beruht darauf, dass der Gesetzgeber – der diese Vorschrift in Abstimmung auf die u. a. nach § 28 IfSG zulässigen Maßnahmen gestaltet hat – solche kollektiven Betriebsschließungen überhaupt nicht im Blick hatte“, https://www.juwiss.de/55-2020/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 6 geltend (BGHZ 5, 144); eine solche Maßnahme ist grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen , auch wenn sie zu Vermögensschäden führt (BVerfGE 20, 351; BGHZ 43, 196 und 45, 23). Die §§ 56 ff sind folglich kein Entgeltfortzahlungsanspruch, sondern eine reine Billigkeitsentschädigung , die eigentlich dem sozialen Leistungsrecht zuzuordnen ist. Ziel ist kein Schadenersatz , sondern lediglich die wirtschaftliche Sicherung des Betroffenen vor materieller Not. Die Vorschriften sind nicht geschaffen, um Arbeitgeber oder Versicherungen zu entlasten [...]. Die §§ 56 ff sind keiner ausdehnenden Auslegung fähig.“6 Gegen eine Analogie spricht auch, dass der Gesetzgeber § 56 IfSG am 25. März 2020 erweitert hat und in Absatz 3 einen Satz 2 angefügt hat:7 „Demnach erhalten Eltern eine finanzielle Entschädigung, wenn sie wegen auf Grundlage des IfSG behördlich angeordneten Schließungen von Kinderbetreuungseinrichtungen oder Schulen selbst die Betreuung ihrer Kinder übernehmen müssen und dadurch einen Verdienstausfall erleiden.“8 Der Gesetzgeber hat sich also trotz der sich bereits aufdrängenden Entschädigungsfrage9 gegen einen allgemeinen Entschädigungsanspruch entschieden. Auch dieser Umstand spricht gegen eine unbewusste Regelungslücke. Hiervon geht auch die Begründung eines in den Landtag Niedersachsen eingebrachten Gesetzentwurfs aus: „Der Deutsche Bundestag hat bei der Beschlussfassung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) absichtlich[10] keine Entschädigung für die breitflächigen Maßnahmen mit sehr hohen Schadensfolgen vorgesehen, um die Lastentragung in solchen Fällen, die potenziell eine sehr hohe Belastung für die Länderhaushalte bedeuten können, einer demokratisch verantworteten Bewältigung ad hoc zu überlassen.“11 6 Erdle, Infektionsschutzgesetz, 7. Auflage 2020, § 56, Vorbemerkungen (Hervorhebung durch Autor); siehe auch Eckert, Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling 2020, 157 (in Bezug auf „Corona-Verordnungen “): „Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko“, „unter Umständen ein Entschädigungsanspruch des Arbeitgebers nach § 65 IfSG“; ähnlich Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 3. Auflage 2020, § 56 Rn. 1: „Billigkeitsregelung“, „kein voller Schadensausgleich“; siehe aber die Rechtsprechung des BVerfG zum Bundesseuchengesetz (Nachweise in Fn. 43). 7 BT-Drs. 19/18111. 8 Wagner/Weber, DStR 2020, 745 (749). 9 Siehe nur Cornils, Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet, 13. März 2020, https://verfassungsblog.de/coronaentschaedigungsrechtlich -betrachtet/; siehe ferner die – vor Änderung des IfSG – verfassten Beiträge in Fn. 5. 10 Hiermit dürfte vermutlich die Änderung des IfSG vom 25. März 2020 gemeint sein, siehe oben bei Fn. 8und 9. 11 LT-Drs. 18/06266, Entwurf eines niedersächsischen Gesetzes über Entschädigungen für Maßnahmen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG), Niedersächsisches Infektionsschutz-Entschädigungsgesetz (NInfEntschG), Gesetzentwurf der Fraktion der FDP, https://www.landtag-niedersachsen.de/drucksachen/drucksachen_18_07500/06001-06500/18-06266.pdf (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 7 4. Staatshaftung 4.1. Keine Sperrwirkung des IfSG Über die Ausgleichsansprüche des IfSG hinaus kommen grundsätzlich weitere Staatshaftungsansprüche in Betracht. Diese sind unabhängig von den speziellen Entschädigungsregelungen des IfSG anwendbar: „Qua argumentum a maiore ad minus entfalten die Entschädigungsregelungen des IfSG bei rechtswidrigen Maßnahmen der Gesundheitsbehörden keine Sperrwirkung gegenüber diesen allgemeinen Instituten der Staatshaftung.“12 4.2. Enteignender Eingriff Art. 14 Grundgesetz (GG) schützt das Eigentum. Ob künftige Umsätze eines Betriebs überhaupt unter den Schutz des Eigentums fallen, ist umstritten.13 Dessen ungeachtet könnte ein Anhaltspunkt für einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit folgende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sein: „[E]in enteignender Eingriff in einen Gewerbebetrieb als Eigentum i. S. des Art. 14 GG [liegt] nur vor, wenn in die Substanz dieses Betriebes eingegriffen wird. […] Indessen ist die ‚Substanz‘ eines Gewerbebetriebes nur berührt, wenn in die den Betrieb darstellende Sach- und Rechtsgesamtheit als solche, in den Betrieb als wirtschaftlichen Organismus eingegriffen und damit das ungestörte Funktionieren dieses Organismus unterbunden oder beeinträchtigt, wenn mit anderen Worten der ‚Eigentümer‘ gehindert wird, von dem Gewerbebetrieb als der von ihm aufgebauten und aufrechterhaltenen Organisation sachlicher und persönlicher Mittel den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen.“14 Die Schließung von Betrieben – jedenfalls über mehrere Wochen – ließe sich als „Unterbinden“ des „ungestörten Funktionierens“ ansehen. Hierfür spricht auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1981 zu Maßnahmen nach Bundesseuchengesetz: „Zu seinen [des Klägers] Gunsten kann davon ausgegangen werden, dass die Entschädigungsregelung für Ansteckungsverdächtige nicht lediglich eine Billigkeitsmaßnahme im Rahmen der gewährenden Verwaltung darstellt, dass vielmehr die Tätigkeitsverbote das Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 GG – bei längerfristigen und existenzgefährdenden Maßnahmen möglicherweise das Grundrecht aus Artikel 14 Abs. 1 GG – berühren.“15 Insoweit eine „Corona-Verordnung“ in diesem Sinne grundrechtlich geschützte Eigentumspositionen beeinträchtigt, gilt nach Art. 14 Abs. 3 GG folgende Regelung zu Enteignung und Entschädigung: 12 Giesberts/Gayger/Weyand, NVwZ 2020, 417 (421) in Bezug auf „Corona-Maßnahmen“ (Hervorhebung durch Autor). 13 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 49. 14 BGHZ 111, 349 (356). 15 BVerfGE 57, 107 (117) – Hervorhebung durch Autor. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 8 „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen“ (Hervorhebung durch Autor). Die Kommentierung führt hierzu aus: „Der dem Art. 14 Abs. 3 GG zugrunde liegende Rechtsgedanke schafft demnach eine Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung unter der Voraussetzung, dass durch einen Eingriff von hoher Hand Eigentum beeinträchtigt und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit abverlangt wird. Handelt es sich um die Nebenfolge eines an sich rechtmäßigen Handelns, spricht man von enteignendem Eingriff […].“16 Dabei gilt für eine Entschädigung aus enteignendem Eingriff: „Die Rspr. [Rechtsprechung] des BVerfG [Bundesverfassungsgerichts] hat klargestellt, dass eine Enteignungsentschädigung voraussetzt, dass ein den Anforderungen des Art. 14 III [GG] genügendes Gesetz sie regelt. Fehlt ein solches Gesetz, kann sich eine Klage nur auf Aufhebung des Eingriffsaktes richten. Nicht aber darf eine vom Gesetzgeber als entschädigungslose Schrankenbestimmung gedachte Regelung richterrechtlich oder gewohnheitsrechtlich durch eine Entschädigungsregelung ergänzt werden, womit zugleich auch die Befassung des BVerfG mit der Frage, ob der Ausschluss der Entschädigung mit Art. 14 [GG] vereinbar ist, umgangen würde. Dies folgt letztlich aus dem Eigentumsgrundrecht als Bestandsgarantie und dem Vorbehalt einer näheren Bestimmung eigentumsgestaltender oder -beeinträchtigender Wirkungen durch Gesetz. I. Ü. [im Übrigen] ist gegen eine Fortgeltung des aus dem Aufopferungsgedanken begründeten Instituts des enteignenden Eingriffs nichts einzuwenden.“17 Ausnahmen hiervon lässt die Rechtsprechung der Zivilgerichte nur zu bei ungewollten Nebenfolgen: „Wohl aber erscheint es zulässig, wenn die Zivilrspr. [Zivilrechtsprechung] ungewollte, insbes . unvorhergesehene Nebenfolgen an sich rechtmäßigen hoheitlichen Handelns, die der Betroffene aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren wegen ihrer besonderen ‚Schwere‘ oder des im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen bewirkten Gleichheitsverstoßes übersteigen, als ‚enteignenden Eingriff‘ begreift und – so z. B. bei Zufalls- und Unfallschäden – eine Entschädigung zuerkennt.“18 Es lässt sich wohl kaum argumentieren, dass wirtschaftliche Nachteile eines Betriebs „ungewollte“ oder „unvorhergesehene“ Nebenfolgen einer Verordnung zur Schließung sind. 16 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 174 (Fußnoten ausgelassen; Hervorhebung durch Autor). 17 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 178 (Fußnoten ausgelassen; Hervorhebung durch Autor). 18 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 179 (Fußnoten ausgelassen; Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 9 Entschädigungsrechtliche Rechtsprechung existiert zu den erst wenige Wochen alten, nach § 32 IfSG erlassenen Verordnungen soweit ersichtlich nicht. Ein Professor für öffentliches Recht kommt aber zu dem Thema „Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet“ zu folgendem Ergebnis: „Alles in allem zeichnet sich doch ab, dass der eigentumsverfassungsrechtlich begründete Sonderopferausgleich des Infektionsschutzrechts kaum der Hebel sein dürfte, mit dem das gesamtgesellschaftliche Problem schwerwiegender, wohl auch für manches Unternehmen existenzgefährdender, wirtschaftlicher Schäden aufgrund der Corona-Epidemie zu bewältigen wäre. Die Frage einer gerechten Lastenverteilung für die wirtschaftlichen Folgen dieser Krankheit muss politisch verhandelt und dann situationsangemessen entschieden werden; sie ist schwerlich schon durch die spezifischen Entschädigungsvorschriften des Seuchenrechts , die solche Schadensszenarien ersichtlich nicht im Blick hatten, vorentschieden.“19 In diese Richtung weisen auch die beiden folgenden Stellungnahmen wirtschaftsrechtlicher Kanzleien: „Wenn wir also davon ausgehen dürfen, dass angesichts der derzeit bekannten epidemiologischen und virologischen Fakten und der Krankheits- und Mortalitätsstatistik das derzeitige Handeln geboten ist, bestehen gegen die öffentliche Hand keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche , da die Behörden sich notgedrungenermaßen gerechtfertigt also rechtmäßig verhalten.“20 „Ein umfangreiches Entschädigungsregime, das für die große Zahl der von den Schutzmaßnahmen betroffenen Unternehmen und Betriebe Abhilfe schaffen könnte, lässt sich auf die bestehenden Regeln des IfSG jedoch nicht stützen. Vor diesem Hintergrund ist es Sache des Gesetzgebers, Entschädigungen für von Betriebsschließungen infolge der Corona-Krise betroffene Unternehmen und Betriebe einzuführen.“21 Für einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff könnte sprechen, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1981 in einem Entschädigungsfall zum Bundesseuchengesetz Folgendes entschieden hat: „Gemessen an diesen Grundrechten wären Tätigkeitsverbote im Interesse der Allgemeinheit sicherlich zulässig, aber unter Umständen nur dann verhältnismäßig, wenn den Betroffenen eine Entschädigung gewährt wird, die demgemäß nicht im freien Belieben des Gesetzgebers stünde. Unter Berücksichtigung der den Betroffenen gewährten Verdienstausfallentschädigung 19 Cornils, Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet, 13. März 2020, https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich -betrachtet/ (Hervorhebung durch Autor). 20 SKW Schwarz Rechtsanwälte, 23. März 2020, Entschädigung und staatliche Hilfen – muss der Staat für Corona zahlen?, https://www.skwschwarz.de/aktuelles/artikel/artikel-detail/news/entschaedigung-und-staatliche-hilfen -muss-der-staat-fuer-corona-zahlen/4/detail/News/ (Hervorhebung durch Autor). 21 Noerr Rechtsanwälte, Newsroom vom 9. April 2020, Entschädigungen für Betriebsschließungen nach aktueller Rechtslage unwahrscheinlich, https://www.noerr.com/de/newsroom/news/entschadigungen-fur-betriebsschliessungen -nach-aktueller-rechtslage-unwahrscheinlich (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 10 ist aber nicht erkennbar, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit selbst bei kurzfristigen Tätigkeitsverboten einen Ersatz auch der Betriebsausgaben gebietet.“22 Insoweit zielt das Bundesverfassungsgericht mit seinen Überlegungen auf einen Fall des enteignungsgleichen Eingriffs: Der Eingriff ist rechtmäßig („zulässig“), stellt aber ein ausgleichspflichtiges Sonderopfer dar („unverhältnismäßig“). Folgende Umstände sprechen aber dagegen, diese Ausführungen spiegelbildlich oder auch nur in ähnlicher Weise auf Eingriffe durch Eindämmungsverordnungen zu übertragen: – In der Vorlagefrage des Normenkontrollverfahrens ging es um die Frage der Gleichbehandlung verschiedener Störer nach Art. 3 GG. Die weiteren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Eigentums nach Art. 14 GG erscheinen aus diesem Grund eher als obiter dictum (geäußerte Rechtsansicht, die nicht die gefällte Entscheidung trägt). Hierfür sprechen auch die spekulativen, im Konjunktiv gehaltenen Formulierungen („sicherlich “, „unter Umständen“, „stünde“, „gebiete“). Von einer Grundsatzentscheidung zur Frage des enteignungsgleichen Eingriffs lässt sich daher wohl kaum sprechen. Hierzu passt, dass die Kommentierung zu § 56 IfSG diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ignoriert.23 – Diese Überlegung des Bundesverfassungsgerichts wäre mit folgender, die Entscheidung tragender, Begründung in einem anderen Fall in Ausgleich zu bringen: „Der Grundsatz: Sachen, von denen erhebliche Gefahren für die öffentliche Gesundheit ausgehen, können dem Eigentümer ohne Entschädigung entzogen (und vernichtet) werden, stellt eine dem Sacheigentum immanente Sozialbindung dar [...].“24 – In dem vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fall ging es um Entschädigungsansprüche eines Störers für Nachteile aus einem individuellen Tätigkeitsverbot, nicht um Ansprüche der Allgemeinheit (Nichtstörer). – Abgesehen davon könnten bei einer Pandemie Nichtstörer Störern eher gleichkommen, als bei einer punktuellen Infektion. Treten z. B. in einem Betrieb Salmonellen auf, begrenzt sich die Störereigenschaft mehr oder weniger auf diesen Betrieb und ist von Nichtstörern (z. B. anderen Betrieben) klar abgrenzbar. Bei einer Pandemie mit einer leicht übertragbaren Atemwegsinfektion hingegen lassen sich Störer und Nichtstörer kaum mehr unterscheiden: Wer trägt bereits ein unerkanntes Infektionsrisiko mit sich und wer nicht? Mit anderen Worten: Jeder Veranstalter einer infektionsträchtigen Zusammenkunft von Menschen (Fußballspiele , Après-Ski-Feiern, etc.) wird sich jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit im Nachhinein als Störer herausstellen; jedenfalls in Bezug auf die Gesamtheit der Veranstaltung besteht bereits ein „Ansteckungsverdacht“, der bereits die Störereigenschaft begründen 22 BVerfGE 57, 107 (117) – Hervorhebung durch Autor. 23 Vgl. Erdle, Infektionsschutzgesetz, 7. Auflage 2020, § 56 (die Entscheidung des BVerfG findet sich – soweit ersichtlich – an keiner Stelle des Kommentars); Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 3. Auflage 2020, § 56. 24 BVerfGE 20, 351 (361) – Hervorhebung durch Autor. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 11 könnte. Dies könnte verfassungsrechtlich einen entschädigungslosen Eingriff in das Eigentum eher rechtfertigen.25 – Die verfassungsrechtliche Abwägung in dem Verfahren aus dem Jahr 1981 (die die Entscheidungsgründe auch nicht ausführt) ist eine fundamental andere als bei der Entschädigungsfrage dieser Ausarbeitung. Die haushälterische und volkswirtschaftliche Auswirkung individueller Entschädigungen für Störer ist unbedeutend; bei flächendeckenden Entschädigungsansprüchen der Allgemeinheit ist sie jedoch kaum übersehbar und könnte unter Umständen das Staatswohl gefährden. Dies wäre ein Aspekt, der dafürsprechen könnte, dass individuelle Eigentumsrechte von Nichtstörern jedenfalls in gewissem Maß zurückstehen müssen. Eine solche verfassungsrechtliche Abwägung hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf den Seuchen- oder Infektionsschutz bislang nicht vorgenommen. – Die Entscheidung aus dem Jahr 1981 befasst sich mit der Frage individueller Sonderopfer auf dem Boden ständiger Rechtsprechung seit dem Jahr 1952.26 Bei der Entschädigungsfrage dieser Ausarbeitung dürfte es aber – vereinfacht ausgedrückt – nicht mehr um ein Sonderopfer, sondern etwas anderes, nämlich Opfer der Allgemeinheit gehen. 4.3. Enteignungsgleicher Eingriff Der verschuldensunabhängige enteignungsgleiche Eingriff ist auf eine Entschädigung in Geld für rechtswidrige hoheitliche Eingriffe in eine Eigentumsposition im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gerichtet. Dies ist eine Frage des Einzelfalls. 4.4. Amtshaftung Die Amtshaftung beruht auf Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Als grundgesetzlich verbürgtes Recht lässt sich der Amtshaftungsanspruch einfachgesetzlich nicht abbedingen. Art. 34 S. 1 GG lautet: „Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.“ Bei dem Erlass von Gesetzen und Verordnungen verneint die Rechtsprechung regelmäßig das Bestehen einer drittbezogenen Amtspflicht: „Gesetze und Verordnungen enthalten durchweg generelle und abstrakte Regeln, und dementsprechend nimmt der Gesetzgeber – bei Tätigwerden und Untätigbleiben – in der Regel ausschließlich Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit wahr, denen die Richtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise mangelt. Nur ausnahmsweise – etwa bei sogenannten Maßnahme- oder Einzelfallgesetzen – kann etwas anderes in Betracht kommen und können 25 Siehe BVerfG, oben Fn. 24. 26 BGHZ 6, 270 (Großer Senat). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 12 Belange bestimmter einzelner unmittelbar berührt werden, so dass sie als ‚Dritte‘ i.S. des § 839 BGB angesehen werden können.“27 So hat die Rechtsprechung z. B. eine Amtshaftung verneint für eine rechtswidrige Mietpreisverordnung 28 oder eine rechtswidrige Gymnasialschulordnung,29 während hingegen ein Einzelfallgesetz z. B. nur bei einem (bestimmte Grundstücksflächen betreffenden) Bebauungsplan denkbar sein soll.30 Es dürften die besseren Gründe dafür sprechen, dass sich die „Corona-Verordnungen“ der Länder an die Allgemeinheit richten, und keine Einzelfallregelung sind. Zwar gelten die Verordnungen in Bezug auf eine bestimmte Infektion und nur vorübergehend. Gleichwohl sprechen die abstrakten Regeln und die flächendeckend wirkenden Maßnahmen für den Allgemeinheitsbezug. Abgesehen davon würde ein etwaiger Verstoß einer Verordnung gegen Grundrechte als solches noch keine Amtspflichtverletzung begründen.31 Im Übrigen wäre nach § 839 BGB ein Verschulden der Landesregierungen darzulegen. Grundsätzlich gegen ein Verschulden der Landesregierungen würde deren Einschätzungsspielraum bei der Annahme der Gefahr und der Wahl geeigneter und erforderlicher Präventionsmittel sprechen.32 5. Allgemeiner Gleichheitssatz 5.1. Grundsatz Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich“ 33 zu behandeln. 5.2. Vergleichsgruppe Zur Prüfung, ob ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vorliegt, ist zunächst festzustellen , ob eine Vergleichbarkeit von Personen, Gruppen oder Sachverhalten besteht. Hierzu ist eine Vergleichsgruppe zu bilden.34 Die Bildung der Vergleichsgruppe erfolgt durch Erfassung eines 27 BGH NJW 1971, 1172 (1174) – Hervorhebungen durch Autor. 28 LG München, Urteil vom 21. November 2018, 15 O 19893/17, BeckRS 2018, 29534. 29 BayObLGZ 1997, 31. 30 Vgl. LG München, Urteil vom 21. November 2018, 15 O 19893/17, BeckRS 2018, 29534. 31 BayObLGZ 1997, 31 (36). 32 Siehe hierzu ausführlich WD 3 - 3000 - 079/20, Kontaktbeschränkungen zwecks Infektionsschutz: Grundrechte, https://www.bundestag.de/resource/blob/690718/d37f86a0d2630831d13f70f16f63911b/WD-3-079-20-pdf-data.pdf. 33 BVerfGE 4, 144 (155) – Hervorhebung durch Autor. 34 Schmidt, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, Art. 3 Rn. 33. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 13 bestimmten gemeinsamen Merkmals, das sich unter einen gemeinsamen Oberbegriff subsumieren lässt.35 Der Oberbegriff soll die Vergleichsgruppe abschließend und vollständig erfassen.36 Eine Vergleichsgruppe könnten alle von den „Corona-Verordnungen“ durch Schließungen betroffenen Betriebe sein (wie Hotels, Diskotheken, Sportbetriebe, etc.). Allerdings werden alle gleichbehandelt, da kein Betriebsinhaber eine Entschädigung erhält. Diese Vergleichsgruppe ist daher für die Prüfung einer Ungleichheit irrelevant. Als weiter Oberbegriff könnte die Gruppe derjenigen gesehen werden, die „wegen Corona-Verordnungen Erwerbsausfall haben“. Hierunter fallen insbesondere: – Die zur vorübergehenden Betriebseinstellung gezwungenen Betriebsinhaber (z. B. Hotelbesitzer); – Selbständige, deren Tätigkeit untersagt ist (z. B. Prostituierte); – Angestellte, deren Tätigkeit untersagt ist (z. B. Friseure) oder deren Arbeitgeber vorübergehend den Betrieb einstellen musste. Allerdings besteht auch innerhalb dieser Vergleichsgruppe keine Ungleichbehandlung. Keine Person dieser Gruppe erhält eine infektionsschutzrechtliche Entschädigung. Zwar erhalten Angestellte „Kurzarbeitergeld“. Dies ist jedoch eine (Sozial-)Versicherungsleistung und keine mit § 56 IfSG vergleichbare Entschädigung. Im Übrigen erscheint es eher fernliegend, in Arbeitnehmern und Selbständigen/Unternehmern eine Vergleichsgruppe zu sehen. Der Unterschied in beiden Tätigkeiten ist wesentlich und drückt sich in der Sozialversicherungspflicht von Angestellten aus (deren Ausprägung wiederum das Kurzarbeitergeld ist). Insoweit ist auch diese Vergleichsgruppe für einen Verstoß gegen Art. 3 GG nicht relevant. Denkbar wäre es, die Vergleichsgruppe weiter zu fassen, so dass sie Störer und Nichtstörer umfasst. Störer sind in ihrer Erwerbstätigkeit aber nicht aufgrund der Corona-Verordnungen nach § 32 IfSG beschränkt, sondern aufgrund individueller Infektionsschutzmaßnahmen nach §§ 16 ff. IfSG. Die Vergleichsgruppe wäre daher weiter und unabhängig von den Corona-Verordnungen zu fassen: „Alle Personen, die aufgrund einer ‚Corona‘-bezogenen Maßnahme Erwerbsausfall haben, unabhängig ob diese auf allgemeinen Beschränkungen oder auf einer individuellen Infektionsschutzmaßnahme beruht“. Auch hier erscheint zweifelhaft, dass man bei einer derart vagen Umschreibung noch sinnvoll von einer Vergleichsgruppe sprechen kann. Die Gruppe erfasst Einnahmeausfälle von Bettlern, „Airbnb“-Vermietern, Hotelbetreibern, Aktionären, ebenso wie von Angestellten, ob krank oder gesund. Auch legen es die Begriffe „Störer“ und „Nichtstörer“ nahe, begrifflich nicht von einer Vergleichsgruppe zu sprechen. 5.3. Ungleichbehandlung Würde man gleichwohl entgegen aller Zweifel Störer und Nichtstörer einer Vergleichsgruppe zuordnen , ergäbe sich eine Ungleichbehandlung: Nach dem Infektionsschutzgesetz erhalten Störer 35 Heun, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 3 Rn. 24. 36 Wollenschläger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 3 Rn. 80. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 14 – dies sind im Wesentlichen durch COVID-19 Infizierte bzw. unter behördlich verordneter Quarantäne Stehende – eine Entschädigung über § 56 IfSG. Nichtstörer – also diejenigen, von denen kein unmittelbares Infektionsrisiko ausgeht – erhalten dagegen keine Entschädigung bei Betriebsschließungen aufgrund von Rechtsverordnungen nach § 32 IfSG.37 5.4. Rechtfertigung Um die Ungleichbehandlung innerhalb einer Vergleichsgruppe zu rechtfertigen, bedarf es eines sachlichen Grundes. Ein sachlicher Grund liegt vor, wenn „Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen“.38 Diesen Prüfungsmaßstab ergänzt die neuere Rechtsprechung durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung.39 Der sachliche Grund für die Ungleichbehandlung liegt wohl in der bei Krankheit bestehenden Schutzbedürftigkeit : „Ist die Krankheit schon ausgebrochen, verdichten sich sowohl die staatliche Schutzpflicht zu wirksamen Eindämmungsmaßnahmen als auch korrespondierend die Pflicht Betroffener, Schutzeingriffe im nun dringenden Gemeinwohlinteresse zu dulden.“40 Anders ausgedrückt: Eine kranke Person hat grundsätzlich weniger Möglichkeiten, die Folgen eines Verdienstausfalls aufzufangen, als eine gesunde Person. Anhaltspunkte dafür, dass diese Differenzierung unverhältnismäßig wäre, dürften nicht bestehen. In diesem Zusammenhang ist auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1981 zu sehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich mit der Vorgängervorschrift des § 56 IfSG, dem § 49 Bundesseuchengesetz zu befassen. Das Bundesverfassungsgericht stellte zwar innerhalb der eng gefassten Vergleichsgruppe „Störer“ eine Ungleichbehandlung bei der Entschädigung fest, sah diese aber durch ausreichende Gründe gerechtfertigt: „Dies verkennt auch das vorlegende Gericht nicht. Es erörtert ferner selbst die Unterschiede, die sich daraus ergeben, dass es dem Abgesonderten [entspricht in etwa einer Quarantäne in einem Krankenhaus] normalerweise schwerer fällt, den Auswirkungen seiner Absonderung zu begegnen, als demjenigen, der lediglich einem Tätigkeitsverbot unterliegt und sich daher eher um seinen Betrieb weiter kümmern kann.“41 37 Siehe oben unter Abschnitt 2. 38 Heun, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 3 Rn. 26 (Fußnote des Originals ausgelassen). 39 Heun, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 3 Rn. 27. 40 Vgl. Matthias Cornils, „Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet“, 13. März 2020, https://verfassungsblog .de/corona-entschaedigungsrechtlich-betrachtet/; siehe auch Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 3. Auflage 2020, § 56 Rn. 1: „gewisse Sicherung [...] vor materieller Not“; ähnlich Erdle, Infektionsschutzgesetz, 7. Auflage 2020, § 56, Vorbemerkungen. 41 BVerfGE 57, 107 (111) – Hervorhebung durch Autor. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 100/20 Seite 15 5.5. Grundsätzliche Rechtsfolge Selbst wenn man zu einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG käme, begründete dies noch keinen Anspruch auf Entschädigung. Folge einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung wäre die Unvereinbarkeitserklärung der betroffenen Norm mit dem Grundgesetz .42 Der Gesetzgeber wäre in einem derartigen Fall gehalten, die Ungleichbehandlung dadurch zu beseitigen, dass er die Begünstigung in allen vergleichbaren Fällen gewährt, in keinem Fall, oder insgesamt anders regelt. Da der Anspruch nach § 56 IfSG eine Billigkeitsentschädigung gewährt, könnte der Gesetzgeber diesen Anspruch wohl zumindest weitgehend streichen.43 *** 42 Kischel, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 1. Dezember 2019, Art. 3 Rn. 69 ff. 43 Siehe oben Abschnitt 3; siehe aber den wohl obiter dictum (hierzu im Text bei Fn. 23) geäußerten Hinweis des BVerfG zur Entschädigung nach Bundesseuchengesetz, oben Fn. 15 („nicht lediglich eine Billigkeitsmaßnahme“).