AUSARBEITUNG Thema: Die Frage nach einem Gottesbezug in der US- Verfassung und die Rechtsprechung des Supreme Court zur Trennung von Staat und Religion Fachbereich III Verfassung und Verwaltung Bearbeiter: Abschluss der Arbeit: 13. Mai 2004 Reg.-Nr.: WF III - 100/04 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite Zusammenfassung 3 1. Die Frage nach einem „Gottesbezug“ in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika 3 2. Entstehung und Entwicklung der „Establishment Clause“ 4 3. Inhalt und Reichweite der Establishment Clause nach der Rechtsprechung des Supreme Court 6 3.1. Die Vertreter einer Trennung und einer Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften 6 3.2. Zusammenfassender Überblick über die Rechtsprechung des Supreme Court 7 - 3 - Zusammenfassung Ein Blick in die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zeigt, dass darin der Begriff „Gott“ unmittelbar nicht enthalten ist. Mittelbar lässt sich dieser Begriff jedoch in Verbindung mit dem Zusatzartikel I der Verfassung herleiten. Im gleichen Satz ist darin das Verbot enthalten, ein Gesetz zu erlassen, das eine Religion (als Staatsreligion) einrichtet, auf der anderen Seite untersagt die Verfassung, die freie Religionsausübung zu beeinträchtigen. Im Lauf der Verfassungsgeschichte der USA wurde der erwähnte Zusatzartikel, dessen zwei Bestandteile in ihren gegenseitigen Verhältnis bislang nicht zufrieden stellend geklärt werden konnte, über einen längeren Zeitraum hinaus als striktes Trennungsgebot zwischen Staat und Kirche/Religion ausgelegt. Entscheidend zu dieser Auslegung hat die Rechtsprechung des obersten Bundesgerichts der USA, des Supreme Court, beigetragen . Seit geraumer Zeit deutet sich allerdings ein Wandel an, der von strikter Trennung zu „wohlwollender“ Neutralität tendiert. Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass die Rechtsprechung uneinheitlich und schwankend ist. Diese für einen deutschen Beobachter paradoxe Erscheinung ist insofern überraschend, als in den USA im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland religiöse Anschauungen im politischen Bereich überall gegenwärtig sind.1 Hingewiesen sei an dieser Stelle nur auf die Aufschrift auf dem Geld: „In God we trust“ einerseits, andererseits ist die amerikanische Flagge in fast jeder Kirche auffallend sichtbar aufgestellt2, die Militärseelsorge ist eingerichtet, die Benutzung der Heiligen Schrift bei Eidesleistungen ist weithin üblich.3 Dies könnte zumindest darauf hindeuten, dass der „wall of separation“ nicht derartig hoch ist, wie Thomas Jefferson, der Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und dritter Präsident der USA, mit der zitierten Formulierung offenbar angenommen hat. 1. Die Frage nach einem „Gottesbezug“ in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika Untersucht man die Verfassung der USA vom 17. September 1787 daraufhin, ob sie – entsprechend der Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland – einen 1 Vgl. nur die instruktive Darstellung Konrad Ege, Staatstränke für die durstige Christenheit - die Regierung, die Gläubigen und die Toleranz, in: „Freitag 15“ vom 6. April 2001, http://www.freitag.de/2001/15/01150901.php S. 1 ff. (Stand: 12. Mai 2004) 2 Erich Geldbach, Religion und Politik: Religious Liberty, S. 240, in: Klaus M. Kodalle (Hrsg.), Gott und Politik in USA – Über den Einfluss der Religion, Frankfurt/Main 1988, S. 230 ff. 3 Axel von Campenhausen, Der heutige Verfassungsstaat und die Religion, S. 65 f., in: Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. grundlegend neu bearbeitete Auflage, Berlin 1994 - 4 - Gottesbezug aufweist, stellt man fest, dass die Bezeichnung „Gott“ in der Verfassung nicht enthalten ist. Lediglich im ersten Halbsatz des Zusatzartikels I vom 15. Dezember 1791 ist die Religion angesprochen, wenn es heißt: „Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einrichtung einer Religion zum Gegenstand hat oder deren freie Ausübung beschränkt .“ 4 Die genannte Verfassungsbestimmung besteht aus zwei deutlich sich von einander abhebenden Bestandteilen, der „establishment clause“ einerseits und der „ free exercise clause“ andererseits, deren gegenseitiges Verhältnis unklar und umstritten ist; beide Bestandteile des Zusatzartikels sind auch in ihrer Interpretation seit langem heftig in Rechtsprechung und Literatur umkämpft. Der erste Halbsatz wurde über einen längeren Zeitraum als striktes Trennungsgebot zwischen Staat und Kirche/Religion ausgelegt. Maßgeblich hat dazu die Rechtsprechung des obersten Bundesgerichts, des Supreme Court, beigetragen. In den letzten Jahren ist allerdings eine behutsame Änderung der Rechtssprechung zu beobachten, die nicht mehr von einer strengen Trennung ausgeht. Maßgebend dazu beigetragen haben die vielfältigen traditionsreichen Verschränkungen christlicher Religionsgemeinschaften und Kirchen mit staatlichen bzw. kommunalen Einrichtungen. 2. Entstehung und Entwicklung der „Establishment Clause“ Um die Entstehung und Entwicklung der „establishment clause“ richtig zu erfassen, darf nicht unbeachtet bleiben, dass diese in ihrer Entstehungszeit (1789/91) kein Bild rechtlicher und tatsächlicher Realitäten wiedergab, vielmehr war sie ein Durchbruch zu mehr staatlicher Toleranz in Glaubensfragen, wie sie sich im Zeitalter der Aufklärung herausgebildet hatte. Das Grundrecht auf freie Religionsausübung bestand bereits in den Verfassungen aller Neuenglandstaaten, allerdings gab es in keiner Verfassung der 13 ursprünglichen Einzelstaaten eine Norm, die die Trennung von Staat und Kirche beinhaltet hätte.5 4 „Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof.” Vgl. http://www.verfassung.de/us/verf87-i.htm (Stand: 12. Mai 2004); The Constitution of the United States of America with annotations, http://www.verfassung.de/us/verf87-i.htm, S. 977 ff. (Stand: 12. Mai 2004); Zur Entwicklung und den Hintergründen des Zusatzartikels I zur US Verfassung siehe Ernst Vollrath, Die Trennung von Staat und Kirche im Verfassungsverständnis der USA, S. 217 ff., in: Klaus M. Kodalle (Hrsg.), Gott und Politik in USA – Über den Einfluss des Religiösen, Frankfurt/Main 1988, S. 216 ff. 5 Vgl. Vollrath, Die Trennung von Staat und Kirche im Verfassungsverständnis der USA, S. 216 f. - 5 - Am Vorabend der amerikanischen Revolution gegen das englische Mutterland bestanden in den meisten Kolonien „establishments of religion“ in verschiedener Gestalt. In den südlichen Kolonien etwa war die Anglikanische Kirche Staatskirche6, sie war „established“. Die vier nördlichen Kolonien kannten keine Form des establishments, die übrigen Kolonien etablierten die christliche Religion oder den Protestantismus im Allgemeinen . Die Revolutionsära veränderte das Verhältnis zwischen Staat und Kirche grundlegend. Der Begriff des Establishments war zunehmend mit der anglikanischen Kirche in Zusammenhang gebracht worden und wurde als Ausdruck englischer Unterdrückung empfunden. Als 1773 im Quebec Act die bestehenden Rechte des katholischen Klerus bestätigt wurden, wuchs die Abneigung gegen ein establishment weiter an.7 Die Entwicklung in den einzelnen Staaten hin zu einer Trennung zwischen Staat und Kirche8 vollzog sich unterschiedlich und zeigt ein uneinheitliches, teilweise verwirrendes Bild. Auf einhellige Ablehnung stieß eine Staatskirche anglikanischer Prägung. Ebenso war auf Dauer die Erhebung von Abgaben zu Gunsten der verschiedenen Kirchen selbst auf paritätischer Grundlage nicht beizubehalten. Ferner ist kein einheitlicher Sprachgebrauch und kein übereinstimmendes Verständnis davon festzustellen, was „establishment“ letztlich besagen will. Es kann sich auch kein Anhaltspunkt aus der zunächst vorgesehenen Formulierung des Verbots einer „national religion“ wie auch aus dem unbestimmten Artikel „an (sc. establishment of religion)“ für das Gebot der Errichtung einer einzigen Staatskirche gewinnen. Immerhin lässt sich das „establishment“ als eine klare Trennung der Sphären Staat/Kirche deuten, wenn auch nicht im Sinn einer derart strikten Trennung, wie sie der oberste Gerichtshof judizierte.9 Die Verflechtungen von Staat und Kirche (z. B. durch staatliche Kirchenfinanzierung in einigen Einzelstaaten) blieben sogar noch nach dem In-Kraft-Treten der „Bill of Rights“ (=Grundrechte)(1791) bestehen, da diese als Adressaten die Bundesebene, nicht die Einzelstaaten hatten. Richtete sich, wie oben erwähnt, der Zusatzartikel I zunächst gegen den Zentralstaat, änderte sich die Rechtslage mit dem Zusatzartikel XIV von 6 Vgl. Vollrath, Die Trennung von Staat und Kirche, S. 220 7 Christoph Mergler, Die Verfassung der USA, http://www.chr.mergler.bnvbamberg .de/initiativkreis/us-verfassung.htm#entstehungsgeschichte , (Stand: 11. Mai 2004) 8 dazu Werner Heun, Die Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 343 ff. (341 ff.), in: Karl-Hermann Kästner/Knut Wolfgang Nörr/Klaus Schlaich, Festschrift für Martin Heckel, Tübingen 1999 9 Heun, Die Trennung, S. 347 f.; Vollrath, Die Trennung von Staat und Kirche, S. 216 f. - 6 - 1863.10 Dieser Zusatzartikel inkorporierte nach überwiegender Auffassung und der Rechtsprechung des obersten Gerichts zur „due process clause“ Mitte des 20. Jahrhundert , die meisten Regelungen der Bill of Rights, darunter auch die „establishment clause “. Die Freiheitsgarantie der due process clause stellt nicht nur eine subjektivrechtliche umfassende rechtsstaatliche Garantie verfahrensrechtlicher, sondern auch materiellrechtlicher Prägung dar. Mit der due process clause erreichten die Freiheitsrechte der ersten zehn Zusatzartikel, darunter die subjektiv-rechtliche Religionsfreiheit des erwähnten Zusatzartikels, die Gliedstaaten der USA. Als Ausprägung der due process clause werden alle jene Teile der Bill of Rights verstanden und auf die Gliedstaaten mit Hilfe dieser Klausel übergeleitet, denen nach der Rechtsprechung des obersten Bundesgerichts eine grundlegende Bedeutung für das der Bundesverfassung unterliegende Freiheitskonzept der „ordered liberty“ zukommt.11 Gegen die Einbeziehung der Einzelstaaten in die establishment clause ist eingewandt worden, diese stelle kein Freiheitsrecht dar. Dem ist entgegenzuhalten, dass das Verbot des establishment unzweifelhaft mit dem Freiheitsrecht der Religionsfreiheit zusammenhängt , das sich gegen jede Einwirkung des Staates auf religiöse Freiheiten richtet. Daneben war das Verbot auch von einer eher säkular geprägten Auffassung beeinflusst, der das Individuum und auch den Staat vor religiösen Einflüssen schützen wollte; letztlich sieht diese Auffassung sowohl den Staat durch eine Beeinflussung seitens der Kirche als auch diese durch eine Einflussnahme des Staates gleichermaßen als gefährdet an.12 3. Inhalt und Reichweite der Establishment Clause nach der Rechtsprechung des Supreme Court 3.1. Die Vertreter einer Trennung und einer Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften Die Rechtsprechung des obersten Bundesgerichts der USA ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich zwischen zwei gegenläufigen Positionen zur Auslegung der Establishment- Klausel bewegt. 10 „… und kein Staat soll irgend jemandem das Leben, die Freiheit oder das Eigentum nehmen, es sei denn durch ein ordentliches Gerichtsverfahren nach Recht und Gesetz …“ (Unterstreichung vom Verfasser) 11 Günter Krings, Von strikter Trennung zu wohlwollender Neutralität - Staat und Kirche in den Vereinigten Staaten und die gewandelte Auslegung der religious clauses der US-Verfassung, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 2000, S. 505 ff. (509 ff. mit Fußnote 22) 12 Thomas M. Gannon, Die katholischen Bischöfe in der amerikanischen Politik der 80er Jahre, S. 155 ff. (167 ff.), in: Klaus-M. Kodalle, Gott und Politik in USA, Frankfurt/Main 1988 - 7 - Einerseits ist der so genannte „Trennungsansatz“ („separation“) hervorzuheben. Dieser verbietet eine Unterstützung von Religionsgemeinschaften in jedweder Form, unabhängig davon, ob alle Gruppen gleichermaßen begünstigt oder nur bestimmte Glaubensrichtungen bevorzugt werden. Nach dieser „Trennungsrechtsprechung“ ist Religion eine auf den privaten Bereich beschränkte Erscheinung, die öffentliche oder gar staatliche Angelegenheiten nicht oder zumindest so wenig wie möglich beeinflussen sollte. Diese Rechtsprechung lässt sich dahin gehend zusammenfassen, dass die genannte Klausel „eine Trennungswand zwischen Kirche und Staat“ darstellt. Auf der anderen Seite sind die Vertreter der Einstellung zu nennen, die eine Zusammenarbeit („accomodation“) zwischen Staat und Religionsgemeinschaften so lange und insoweit für zulässig erachten, als der Staat nicht eine bestimmte Religionsgemeinschaft gegenüber anderen bevorzugt (sog. „accomodationists“ bzw. „nonpreferentialists“). Letztgenannte Richtung hat in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Unterstützung von Verfassungshistorikern erhalten, die zweierlei Aspekte herausgearbeitet haben : 1. Die Verfassungsväter der USA haben in der establishment-Klausel nur die Gründung einer Staatskirche und die Begünstigung von Bewerbern bestimmter Konfessionen bei der Besetzung öffentlicher Ämter verbieten wollen. 2. Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, die establishment-Klausel habe nur untersagen wollen, die zur Zeit der Verfassunggebung bestehenden staatskirchenrechtlichen Gegebenheiten der Gliedstaaten zu beeinträchtigen.13 3.2. Zusammenfassender Überblick über die Rechtsprechung des Supreme Court Nach der grundlegenden Entscheidung des Gerichts aus dem Jahr 1947 (sog. Everson- Entscheidung) beinhaltet die mehrfach erwähnte establishment-Klausel die strikte Trennung von Staat und Religions-/Glaubensgemeinschaften/Kirchen, zum anderen untersagt sie zugleich aber auch eine Religionsfeindlichkeit des Staates. Die Spannung zwischen dem Recht auf freie Religionsausübung und dem Verbot der Errichtung einer Staatskirche versucht das Gericht durch das verbindende Element der „wohlwollenden Neutralität“ zu überbrücken. Teilweise enthält die Rechtsprechung Elemente, die stärker den Trennungsgedanken, dann wieder solche, die mehr die Offenheit gegenüber der Religion betonen. Eine – alle Fälle befriedigende – Lösung ist bis heute nicht gefunden 13 Krings, Von strikter Trennung zu wohlwollender Neutralität, S. 511 f. - 8 - worden, vielmehr werden die bestehenden rechtlichen Probleme an Hand des jeweils zu entscheidenden Einzelfalls gelöst. Prüfungsmaßstab der establishment-Klausel durch das oberste Gericht ist der bekannte, aber zugleich auch problematische „Lemon-Test“. Dieser enthält drei Elemente und verlangt: a) Mit staatlichem Handeln darf nur ein säkularer Zweck verfolgt werden (subjektives oder finales Kriterium), b) das Staatshandeln darf primär weder in der Förderung noch in der Beeinträchtigung der Religion bestehen (objektives, ergebnisoffenes Kriterium ), c) aus einem Tätigwerden des Staates darf sich keine übermäßige Verflechtung von Staat und Religionsgemeinschaften ergeben (objektives, handlungsbezogenes Kriterium). Festzustellen ist, dass auch der „Lemon-Test“ zu keiner klaren, eindeutigen Rechtsprechung geführt hat.14 Besonders einschneidend wirkt sich die Interpretation der establishment -Klausel im Bereich der öffentlichen Erziehung 15aus. Jede Form der Hinnahme religiöser Ausdrucksformen (Schulgebet, Lesen der Heiligen Schrift ect.) wie auch staatlicher Unterstützung wird als unvereinbar mit der genannten Klausel angesehen. Ferner wurden vom obersten Bundesgericht ein Moment der Stille zum individuellen Beten, das Anbringen des Dekalogs in Klassenzimmern als Verletzung der genannten Klausel angesehen. Dasselbe Verbot gilt etwa für die gesetzliche Unterbindung der Evolutionslehre Darwins einerseits, andererseits ist der Unterricht in (streng) biblischer Abstammungslehre verboten. Ebenso hat das Gericht bestimmte Freizeiten im Rahmen der regulären Unterrichtszeit zur Ermöglichung des Religionsunterrichts als Verletzung der Klausel angesehen. Offenbar ist diese missverständliche Rechtsprechung darauf zurückzuführen, dass Kinder im besonderen Maß für religiöse Einflüsse empfänglich sind und diese Einflussnahme verhindert werden soll. Die staatliche Ermöglichung religiöser Ausdrucksformen haben staatliche Stellen dagegen – letztlich aus historischen Gründen – nicht beanstandet. Dasselbe gilt z. B. für das Gebet vor der Eröffnung von Parlamentssitzungen in den Einzelstaaten, die Ausstellung von Krip- 14 Krings, Von strikter Trennung zu wohlwollender Neutralität, S. 523 ff. 15 Zu den einzelnen staatlichen Maßnahmen mit einem möglichen Bezug zu Aktivitäten von Religionsgemeinschaften oder religiösem Verhalten umfassend: Krings, Von strikter Trennung zu wohlwollender Neutralität, S. 515 ff. - 9 - pen als Teil einer öffentlich städtischen Weihnachtsdarstellung. Dagegen wurde das Zeigen religiöser Symbole in Gerichtsgebäuden verboten.16 Einen weiteren großen Bereich der erwähnten Klausel stellen die öffentlichen Subventionen für private religiöse Aktivitäten dar, aber auch hier ist keine eindeutige Linie in der Rechtsprechung zu erkennen. So ist z. B. (religiöser) Ergänzungsunterricht außerhalb des Schulgeländes erlaubt, innerhalb des Geländes verboten. 1997 ist das oberste Bundesgericht jedoch von dieser Rechtsprechung in einem Einzelfall abgewichen. Ferner: Der Staat darf einer konfessionell geführten Privatschule die Kosten für die Durchführung staatlicher Prüfungen erstatten, sofern die Prüfungsaufgaben nicht von Lehrern der Privatschule stammen. Nicht beanstandet hat das oberste Bundesgericht auch die Förderung von Schulen und Aktivitäten in Form von Steuerabzügen und Steuerbefreiungen . Keine klare Rechtsprechung zur establishment-Klausel ist auch im Bereich öffentlicher Subventionen für private religiöse Aktivitäten zu erkennen. Immerhin ist festzustellen, dass sich das Gericht in vielen seinen Entscheidungen, so auch den beispielhaft angeführten, vom Trennungsprinzip leiten lässt, wonach „die Regierung ganz vom Bereich der religiösen Unterweisung ausgeschlossen ist und Kirchen von staatlichen Angelegenheiten.“ Der „Lemon-Test“, der dieses Ziel erreichen soll, wird widersprüchlich angewendet. Vor allem sind es die oben erwähnte 2. und 3. Stufe, die einander so entgegengesetzt sind, dass sie kaum zugleich verwirklicht werden können. In seiner Rechtsprechung berücksichtigt das oberste Bundesgericht denn auch Aspekte, die im „Lemon-Test“ nicht vorkommen, das Ergebnis aber entsprechend entscheidend beeinflussen.17 Neben den für eine strikte Trennung zwischen Staat und Glaubensgemeinschaft maßgebenden Gründen, der Gefahr politischer Zerreißproben, der religiösen Indoktrination durch den Staat sowie der Gefahr der Verwicklung des Staates in religiöse Angelegenheiten oder einer Identifizierung des Staates mit einer bestimmten Glaubensrichtung, die gerade vermieden werden soll, sind es vor allen Gesichtspunkte der Neutralität gegenüber verschiedenen Glaubensrichtungen, individuelle Gleichbehandlung sowie die Bedeutung des Allgemeinwohls, von der sich das oberste Bundesgericht und die Gerichte der Gliedstaaten, wie immer wieder betont wird, in ihrer Rechtsprechung leiten lassen; in der Rechtsprechung wird dies allerdings nicht oder nur unzureichend deutlich. 16 Heun, Die Trennung von Kirche und Staat, S. 350 ff.; Krings, Von strikter Trennung zu wohlwollender Neutralität, S. 515 ff. 17 Zur Kritik am „Lemon-Test“ ausführlich Krings, Von strikter Trennung zu wohlwollender Neutralität , S. 523 ff. - 10 - Hinzu kommt das Dilemma, dass dem Staat auf Grund der Religionsfreiheit Einschränkungen der freien Religionsausübung untersagt sind. Der Prüfungsmaßstab der Religionsausübungsklausel war bis 1990 dreistufig aufgebaut, wurde jedoch entscheidend von einer Abwägung zwischen den mit der Regelung verfolgten staatlichen Zwecken und dem Individualinteresse an freier Religionsausübung beeinflusst. In seiner neuesten Rechtsprechung - etwa ab 1990 - hat das oberste Bundesgericht allerdings die Abwägung und das Erfordernis eines überwiegenden staatlichen Interesses fallen gelassen und akzeptiert nun eine Einschränkung der Religionsausübung, sofern sie auf einem „gültigen und neutralem Gesetz von allgemeiner Anwendbarkeit“ beruht. Vorschläge für eine Lösung der Spannung zwischen der establishment-Klausel und der freien Religionsausübung waren in der Vergangenheit nicht in Übereinstimmung zu bringen; daran hat sich auch in der Gegenwart nichts Wesentliches geändert. Überwiegend tendieren derartige Vorschläge dahin, je nach der Fallgestaltung entweder zu einem Vorrang der Trennungskonzeption (im Sinn des „Lemon-Tests“) oder zum Vorrang der Religionsfreiheit zu gelangen. Allerdings ist nicht festzustellen, dass die Rechtsprechung bisher eindeutig zu einer der beiden Alternativen neigt. Keine allgemeine Zustimmung haben auch die bisherigen Versuche gefunden, die erwähnten Widersprüche des „Lemon-Tests“ aufzulösen. Allerdings haben sich die Schwerpunkte der Rechtsprechung durch die Besetzung vakanter Richterstellen am obersten Bundesgericht mit konservativen Juristen unter den Präsidenten Reagan und Bush insoweit verschoben, als jetzt der Trennungsgedanke weniger stark betont, auf der anderen Seite aber die Religionsfreiheit stärker eingeschränkt wird. Die grundlegenden Schwierigkeiten werden damit allerdings auch nicht zufriedenstellend gelöst, zumindest so lange nicht, wie das mehrfach erwähnte Spannungsverhältnis zwischen strikter Trennung von Staat und Glaubensgemeinschaften einerseits und der Religionsfreiheit andererseits anerkannt wird.18 18 Krings, Von staatlicher Trennung zu wohlwollender Neutralität, S. 523 ff.; Heun, Die Trennung von Kirche und Staat, S. 355 ff. - 11 -