Deutscher Bundestag Anordnung der vorübergehenden und endgültigen Einstellung des Betriebs von Kernkraftwerken nach § 19 Abs. 3 Atomgesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 098/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 2 Anordnung der vorübergehenden und endgültigen Einstellung des Betriebs von Kernkraftwerken nach § 19 Abs. 3 Atomgesetz Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 098/11 Abschluss der Arbeit: 22. März 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Einleitung 5 3. Anordnung der vorübergehenden Einstellung des Betriebs von Kernkraftwerken gemäß § 19 Abs. 3 AtG 6 3.1. Zuständige Aufsichtsbehörde 6 3.2. Atomrechtswidriger Zustand 6 3.3. Vorliegen einer Gefahr - § 19 Abs. 3 Satz 1, 3. Alt. AtG 7 3.4. Darlegungslast 10 3.5. Einzelfallprüfung 10 3.6. Rechtsfolge – Ermessensausübung 11 4. Endgültige Einstellung des Betriebs von Kernkraftwerken 11 4.1. Widderruf nach pflichtgemäßen Ermessen 12 4.2. Widerruf als gebundene Entscheidung 13 4.3. Rechtskraft 13 4.4. Entschädigungsanspruch 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 4 1. Zusammenfassung Die Ausarbeitung befasst sich mit den Fragen, ob die Anforderungen des § 19 Abs. 3 AtG zur vorübergehenden Stilllegung von Kernkraftwerken, wie sie zwischen dem 16. und 18. März 2011 erfolgt ist, vorliegen, und unter welchen Voraussetzungen eine dauerhafte Stilllegung gemäß § 19 Abs. 3 AtG möglich ist. Diese Ausarbeitung kommt zu folgenden Ergebnissen: 1. Ein Vorgehen auf der Grundlage von § 19 Abs. 3 AtG wäre grundsätzlich möglich. Die Auslegung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen ist in der Rechtsprechung und in der juristischen Literatur umstritten. Einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung liegt nach bisheriger Prüfung nicht vor. Insbesondere ist streitig, ob ein Einschreiten der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde nur aufgrund einer Gefahr oder auch im Falle eines Gefahrenverdachts (so Bundesminister Dr. Norbert Röttgen) zulässig ist. Ferner ist umstritten, ob die Gefahr oder der Gefahrverdacht auf neuen Tatsachen beruhen muss, oder ob hierfür eine Änderung der Einschätzung bekannter Tatsachen ausreicht. Das Gutachten kann zu dieser Frage nicht abschließend Stellung nehmen, da im Rahmen der geforderten vorläufigen Bewertung nicht die Gesamtheit der atomrechtlichen Fragen aufgearbeitet werden konnte. 2. Jedenfalls bedarf es für eine vorübergehende Stilllegung eines Kernkraftwerks einer Einzelfallprüfung durch die Behörden. Die Darlegungslast für das Vorliegen einer Gefahr liegt bei der Behörde. 3. Nach § 19 Abs. 3 Nr. 3 AtG kann ferner die endgültige Stilllegung eines Kernkraftwerks angeordnet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Betriebsgenehmigung nach § 17 Abs. 3 bis 5 AtG rechtskräftig widerrufen wurde. Ob die Voraussetzungen für einen Widerruf erfüllt sind, bedarf einer Prüfung im Einzelfall. Der Widerruf einer Betriebsgenehmigung kann nach § 18 AtG zu einem Entschädigungsanspruch des Genehmigungsinhabers führen. 4. Ob die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Behörden auf der Grundlage von § 19 Abs. 3 AtG gegeben sind, kann von dieser Stelle mangels Sachnähe nicht beurteilt werden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 5 2. Einleitung In Deutschland sind 17 Kernkraftwerke in Betrieb. Die sieben ältesten von ihnen, die vor 1980 in Betrieb gegangen sind (Biblis A und B , Neckarwestheim I, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser, Philippsburg ), und das Kernkraftwerk Krümmel sollen nach dem Beschluss der Bundesregierung während des dreimonatigen Moratoriums im Stillstand überprüft werden.1 Zur Umsetzung dieses Beschlusses haben die zuständigen Landesbehörden in den letzten Tagen Anordnungen zur vorübergehenden Stilllegung der genannten Kernkraftwerke erlassen. Am 16. März 2011 hat die EnBW Kernkraft GmbH auf Anordnung des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Baden-Württemberg den Block I des Kernkraftwerks Neckarwestheim und den Block I des Kernkraftwerks Philippsburg vom Netz genommen.2 Am 17. März 2011 hat der Energiekonzern Eon sein Kernkraftwerk Isar 1 auf Anordnung des Bayerischen Umweltministeriums ebenfalls vorübergehend abgeschaltet.3 Auf Weisung des niedersächsischen Umweltministeriums hat Eon am 18. März 2011 auch das Kernkraftwerk Unterweser vom Netz genommen.4 Ebenfalls am 18. März 2011 hat der Energiekonzern RWE nach einer Anordnung des hessischen Umweltministeriums das Kernkraftwerk Biblis Block A vom Netz genommen. Das Kraftwerk Biblis Block B steht wegen einer Revision bereits seit Februar 2011 still.5 Die Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel des Energiekonzerns Vattenfall sind sanierungsbedingt bereits seit 2007 abgeschaltet.6 Die Rechtsgrundlage für die Stilllegungsverfügungen bildet nach Auffassung der Bundesregierung 7 § 19 Abs. 3 Nr. 3 Atomgesetz (AtG).8 Diese Vorschrift ermächtigt die Aufsichtsbehörden, eine vorübergehende oder endgültige Einstellung des Betriebs einer nach dem Atomgesetz genehmigten Anlage anzuordnen. 1 BT-Drucksache 17/5048. 2 Siehe http://www.enbw.com/content/de/presse/pressemitteilungen/2011/03/PM_20110316_Kernkraftwerke_ vom_Netz_cu_ys_01/index.jsp (Stand: 17. März 2011). 3 Siehe http://www.eon-kernkraft.com/pages/ekk_de/Standorte/Isar/Aktuelle_Presse/Pressemitteilung.htm?id =1454122 (Stand: 18. März 2011). 4 Siehe http://www.enbw.com/content/de/presse/pressemitteilungen/2011/03/PM_20110316_Kernkraftwerke_ vom_Netz_cu_ys_01/index.jsp (Stand: 17. März 2011). 5 Siehe http://www.eon-kernkraft.com/pages/ekk_de/Presse_und_Wissenswertes/Pressemitteilungen/Aktuelle_ Presse/Pressemitteilung.htm?id=1454127 (Stand: 18. März 2011). 6 Christen, Ulf B., „Der Norden schaltet ab“, Hamburger Abendblatt vom 16. März 2011, S. 5. 7 Äußerung von Bundesminister Röttgen auf der Pressekonferenz zum Thema „Gespräch über die Nutzung der Kernenergie in Deutschland“ am 15. März 2011, Mitschrift abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2011/03/2011-03-15-statementsnutzung -kernenergie.html (Stand 18. März 2011). 8 Atomgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1817) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 6 3. Anordnung der vorübergehenden Einstellung des Betriebs von Kernkraftwerken gemäß § 19 Abs. 3 AtG Zur vorübergehenden Einstellung des Betriebes von Anlagen auf der Grundlage von § 19 Abs. 3 AtG bedarf es grundsätzlich keiner Gesetzesänderung, da sie bereits nach der geltenden Rechtslage möglich wäre. Fraglich ist jedoch, ob die Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr.3 AtG gegeben sind. § 19 Abs. 3 AtG lautet: (3) Die Aufsichtsbehörde kann anordnen, dass ein Zustand beseitigt wird, der den Vorschriften dieses Gesetzes oder der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen , den Bestimmungen des Bescheids über die Genehmigung oder allgemeine Zulassung oder einer nachträglich angeordneten Auflage widerspricht oder aus dem sich durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können. Sie kann insbesondere anordnen, 1. dass und welche Schutzmaßnahmen zu treffen sind, 2. dass radioaktive Stoffe bei einer von ihr bestimmten Stelle aufbewahrt oder verwahrt werden, 3. dass der Umgang mit radioaktiven Stoffen, die Errichtung und der Betrieb von Anlagen der in den §§ 7 und 11 Abs. 1 Nr. 2 bezeichneten Art sowie der Umgang mit Anlagen , Geräten und Vorrichtungen der in § 11 Abs. 1 Nr. 3 bezeichneten Art einstweilen oder, wenn eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt oder rechtskräftig widerrufen ist, endgültig eingestellt wird. 3.1. Zuständige Aufsichtsbehörde Die Aufsichtsbehörden für Kernkraftwerke sind gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 AtG die durch die Landesregierungen bestimmten obersten Landesbehörden. Da es sich bei der Aufsicht über die Kernkraftwerke um eine Verwaltung durch die Länder im Auftrag des Bundes handelt (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AtG), untersteht die Landesbehörde gemäß Art. 85 Abs. 3 GG den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörde, also dem Bundeministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit . Zuständig für den Erlass von Stilllegungsverfügungen bleiben aber die obersten Landesbehörden, die in den bisherigen Fällen auch tätig geworden sind. 3.2. Atomrechtswidriger Zustand Voraussetzung für die Anordnung der vorübergehenden Einstellung des Betriebs einer Anlage durch die zuständige Landesbehörde gemäß § 19 Abs. 3 AtG ist, dass mit der vorübergehenden Einstellung ein Zustand beseitigt wird, der dem Atomgesetz oder auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen widerspricht (§ 19 Abs. 3 Satz 1, 1. und 2. Alternative) oder aus dem Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 7 sich Gefahren für Gesundheit, Leben oder Sachgüter durch die Wirkung ionisierender Strahlen ergeben können (§ 19 Abs. 3 Satz 1, 3. Alternative). Dem Betrieb sämtlicher in der Bundesrepublik Deutschland betriebenen Kernkraftwerke liegen die erforderlichen Genehmigungen zu Grunde. Diese sind bisher auch noch nicht widerrufen worden. Auch über einen Verstoß gegen mögliche nachträgliche Auflagen (§ 19 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative AtG) ist bisher nichts bekannt. Eine vorübergehende Stilllegung der Kraftwerke kann sich daher allenfalls auf die 3. Alternative – Gefahren für Gesundheit, Leben oder Sachgüter – stützen. 3.3. Vorliegen einer Gefahr - § 19 Abs. 3 Satz 1, 3. Alt. AtG Voraussetzung für ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1, 3. Alt. AtG ist das Vorliegen einer Gefahr für Gesundheit, Leben oder Sachgüter. § 19 Abs. 3 Satz 1, 3. Alt. AtG ist in unveränderter Fassung seit Verabschiedung des AtG in Kraft.9 In den Gesetzesmaterialien finden sich keine Hinweise, wie der Begriff der Gefahr zu definieren sei oder dass dieser Begriff umstritten war.10 In der Literatur ist der Begriff der Gefahr im Atomrecht und insbesondere in § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG umstritten. Höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Thema liegt nach hiesiger Kenntnis nicht vor. Die Entscheidungen des BVerfG und des BVerwG zum Atomrecht betreffen entweder die Gefahr, die bei der Genehmigung von Anlagen gemäß § 7 AtG ausschlaggebend ist11 oder die Frage nachträglicher Auflagen gemäß § 17 AtG.12 Unumstritten ist eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift eine klassische polizeiliche Gefahr13, die besteht, wenn „eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird“14. Damit müsste mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Schädigung für Gesundheit , Leben oder Sachgüter bevorstehen. Dem Wahrscheinlichkeitsurteil müssen dabei Erfahrungssätze zugrundeliegen.15 Wenn nach der Lebenserfahrung mit einer Schädigung von Leben, Gesundheit oder Sachgütern durch die Wirkung ionisierender Strahlen zu rechnen ist, würde 9 Das Gesetz wurde am 23. Dezember 1959 verabschiedet (BGBl. I S. 814). 10 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) BT-Drs. III/759, Vergleichende Übersicht des Gesetzentwurfes und der Beschlüsse des Ausschusses für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft des Deutschen Bundestages in 1. und 2. Lesung (Ausschussdrucksache 23/59 und 24/59), Beschlüsse des Wirtschaftsausschusses des Bundesrates, Drucksache 244/1/58, S. 18. 11 So BVerfGE 49, 89, 141f (Kalkar); BVerwGE 106, 115 (Mülheim-Kärlich). 12 So bspw. BVerwGE 131, 259-267. 13 Vgl. Rosin in: Büdenbender/Heintschel von Heinegg/Rosin, Energierecht I – Recht der Energieanlagen, 1999, Rn. 1071; Ossenbühl, Anmerkung zu OVG Münster, DVBl. 1990, 600, 601. 14 Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., 2007,Kapitel E Rn. 39. 15 Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl., 1995, Rn. 142. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 8 bereits im polizeirechtlichen Sinne eine Gefahr vorliegen. Nach allgemeiner Meinung muss jedoch die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts um so geringer sein, je größer der zu erwartende Schaden ist.16 In der Literatur umstritten ist, ob eine „Gefahr“ im Sinne des § 19 Abs. 3 AtG auch Gefahren umfasst , die nur im sog. Risikobereich liegen. Eine Anlage darf gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nur genehmigt werden, wenn die „nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch (...) den Betrieb der Anlage getroffen ist“. Über die reine Gefahrenabwehr sind im Genehmigungsverfahren also Möglichkeiten der Risikominimierung auszuschöpfen .17 Fraglich ist, ob im Atomrecht ein einheitlicher Gefahrenbegriff angelegt werden muss, so dass eine in diesem Risikobereich liegende Gefahr nicht nur bei Genehmigung der Anlage, sondern auch bei der Aufsicht über deren Betrieb berücksichtigt werden muss. In Anwendung des Drei-Sphären-Bildes des Bundesverwaltungsgerichts18 fordern einige Stimmen 19 eine Gefahr, die weder dem Risikobereich als „Besorgnispotential“ noch dem Restrisikobereich als Akzeptanzbereich sozialadäquater Lasten zuzuordnen ist. Das Atomgesetz setze unterschiedliche Gefahren voraus; während bei der Genehmigung einer atomrechtlichen Anlage gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG sowohl der Gefahren-, als auch der Risikobereich berücksichtigt werden müsse, umschließe § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG nur Gefahren im herkömmlichen polizeirechtlichen Sinne. Andernfalls wäre es der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde möglich, „jederzeit mit entfernt liegenden hypothetischen Schadensszenarien in den Genehmigungsbestand einzugreifen und den atomrechtlichen Bestandsschutz auszuhöhlen.“20 Diese Ansicht beruft sich auch auf das BVerwG, das in einer anders gelagerten Entscheidung anerkannt habe, dass bei nachträglich auftauchenden Zweifeln an der Betriebssicherheit einer genehmigungskonform errichteten Anlage die Bindungswirkung bestandskräftiger Entscheidungen nicht entfalle.21 Andere22 halten einen Gefahrenverdacht im Sinne eines Besorgnispotentials für ausreichend. So überträgt das OVG Schleswig-Holstein den einheitlichen Vorsorgebegriff des Bundesverwal- 16 Roller, Der Gefahrenbegriff im atomrechtlichen Aufsichtsverfahren, DVBl. 1993, S. 20, 21. 17 So auch BVerwGE 88, 286, 302 f. (Obrigheim). 18 BVerwGE 72, 300, 315 Whyl-Entscheidung: Hierin unterscheidet das BVerwG zwischen dem polizeirechtlich vorgeformten Gefahrenbegriff und einem „Besorgnispotential“, das in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG ebenfalls zu berücksichtigen ist, und nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu ermitteln ist. Ein gewisses „Restrisiko“ sei als Akzeptanzbereich sozialadäquater Lasten zu tragen. 19 Ossenbühl (Fn.13), S. 601; Papier in Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 184 f.; Blümel in Pelzer (Hrsg.), Schnittpunkte nationalen und internationalen Atomrechts, 1. Aufl., 1997, S. 216 f.; Gemmeke, Nachträgliche Anordnung im Atomrecht, 1995, S. 76 ff. 20 Ossenbühl (Fn. 13), S. 601 mit Verweis auf Schmitt, in Deutsches Atomrechts-Symposium, 1989, S. 92. Das OVG Nordrhein-Westfalen hat in dem von Ossenbühl besprochenen Beschluss diese Frage offengelassen. Roßnagel, Wesentliche Änderungen durch „Vorabzustimmungen“ – ein neues Instrument des Atomrechts?, DVBL. 1987, 65, 69 forderte zunächst eine akut drohende Gefahr. 21 Blümel (Fn. 19), S. 214 unter Berufung auf BVerwGE 88,286 (Obrigheim), das aber zum Gefahrenbegriff in § 19 AtG nicht explizit Stellung nimmt. 22 So Rosin (Fn. 13), Rn. 1072; Roßnagel, Der Begriff der Gefahr in § 19 Abs. 3 AtG, DÖV 1998, 1048 (1051) in Abkehr zu DVBl. 1987, 65, 69; Roller (Fn.16), DVBl. 1993, 20, 21. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 9 tungsgerichts auf die §§ 17 und 19 AtG.23 Aus systematischen Gründen sei aufsichtsbehördliches Handeln nach den §§ 17, 19 AtG an denselben Grundsätzen auszurichten, die bereits für das Genehmigungsverfahren gelten, da sie in gleicher Weise den in § 1 Nr. 2 AtG genannten Zweck des Atomgesetzes konkretisierten. Auch der Wortlaut des Gesetzes, der „einen Zustand“ fordere, „aus dem sich … Gefahren … ergeben können“ sprächen für diese Auslegung.24 Wenn die Voraussetzungen für eine Genehmigung einer Anlage nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG – erforderliche Vorsorge gegen mögliche Schäden – nicht mehr vorlägen, eine Genehmigung also nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft und Technik nicht mehr erteilt werden dürfte, ergäben sich ausreichend Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Zustandes gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG.25 Fraglich ist ferner, ob die Gefahr oder der Gefahrenverdacht im Sinne eines Besorgnispotentials auf neuen Tatsachen beruhen muss, oder ob eine Änderung der Einschätzung ebenfalls ausreicht , um Anordnungen gemäß § 19 Abs. 3 AtG vorzunehmen. Viele Stimmen26 in der Literatur fordern eine Veränderung der Gefahrensituation. Damit wären nach ordnungsgemäßem Erlass einer Genehmigung nur solche Gefahren zu berücksichtigen, die „die Genehmigungsbehörde von vorneherein übersehen hat (praktisch auszuschließender Fall) oder die erst nach Genehmigungserteilung erkannt oder bekannt geworden sind.“27 Als Beispiel für die Annahme einer Gefährdung in diesem Sinne werden neben Änderungen in der Umgebung der Anlage neue Erkenntnisse aufgrund einer Änderung des Standes von Wissenschaft und Technik ohne gleichzeitige Änderung der Anlage, ihrer Teile oder ihrer Umgebung genannt.28 Nach den Aussagen der Bundesregierung ist die vorübergehende Abschaltung der Kernkraftwerke , die vor dem Ende des Jahres 1980 in Betrieb gegangen sind, Ausdruck des Gebots „äußerster Vorsorge“.29 Im Dezember 2010 ist die 11. Novelle des Atomgesetzes in Kraft getreten, mit der die Laufzeiten auch für solche Anlagen, die vor Ende des Jahres 1980 in Betrieb genommen worden sind („ältere Anlagen“), verlängert wurden. Bundesregierung und ihr folgend die Mehrheit im Bundestag sahen zu diesem Zeitpunkt offensichtlich keine mit hinreichender Wahrscheinlichkeit 23 OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27. Mai 1994, 4 K 7/92 - Ni, teilweise abgedruckt in SchlHA 1994, S. 293, 295. 24 So mit ausführlicher Begründung Rosin (Fn. 13), Rn. 1072; Roßnagel, Der Begriff der Gefahr in § 19 Abs. 3 AtG, DÖV 1998, S. 1048, 1050. 25 VGH Baden-Württemberg, ZUR 1996, 33-37 (Obrigheim, nicht rechtskräftig). So auch Schneider, Die Verantwortung des Staates für den sicheren Betrieb kerntechnischer Anlagen in Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991, S. 115, 123. 26 Rosin (Fn. 13), Rn. 1074 a.E.; Ossenbühl (Fn. 13), S. 601; Gemmeke (Fn. 19), S. 85. Wohl auch Roller, zitiert nach Spiegel Online: Deutsche Energiewende – Neuem Atomkurs fehlt die Grundlage, vom 15.März 2011 (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,750871,00.html); Rebentisch lt. FAZ vom 18.3.2011; Ewer, FAZ vom 18.3.2011; Wieland lt. Handelsblatt vom 18.3.2011. 27 So Ossenbühl (Fn. 13), S. 601 und ihm folgend Rosin (Fn. 13), Rn. 1074 a.E. 28 Gemmeke (Fn. 19), S. 85. 29 So der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, in der Pressekonferenz am 15. März 2011, Mitschrift der Pressekonferenz - Statements nach dem Gespräch über die Nutzung der Kernenergie in Deutschland, 15. März 2011, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/ 2011/03/2011-03-15-statements-nutzung-kernenergie.html (Stand: 17.3.2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 10 bevorstehende Gefahr für die Gesundheit der Anwohner auch von älteren Anlagen. Nach Aussage der Bundesregierung hat sich erst durch den Atomunfall in Japan am 11. März 2011 eine neue Lage ergeben, die eine neue Überprüfung notwendig mache.30 Das Vorliegen einer Gefahr aufgrund neuer Tatsachen scheint damit auch die Bundesregierung nicht anzunehmen. Die Bundesregierung erklärt, der Atomunfall in Japan habe gezeigt, „dass etwas, das nach allen wissenschaftlichen Maßstäben für unmöglich gehalten wurde, doch möglich werden konnte.“31 Damit könnte sie sich auf neue Erkenntnisse aufgrund einer Änderung des Standes von Wissenschaft und Technik ohne gleichzeitige Änderung der Anlage, ihrer Teile oder ihrer Umgebung berufen, was zumindest nach einem Teil der Literatur für das Vorliegen einer Gefährdungssituation ausreichen könnte. Ausdrücklich beruft sich der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit darauf, dass das Vorliegen eines Gefahrenverdachtes für eine vorläufige Stilllegung nach § 19 Abs. 3 AtG ausreiche.32 Ob eine Gefahr im Sinne des § 19 Abs. 3 AtG bei den einzelnen stillgelegten Kernkraftwerken vorliegt, kann von dieser Seite nicht beurteilt werden. 3.4. Darlegungslast Eine aufsichtsbehördliche Anordnung gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG wie bspw. die vorläufige Untersagung des Betreibens eines Kernkraftwerkes ist ein belastender Verwaltungsakt. Die Darlegungslast für das Vorliegen der nach § 19 Abs. 3 notwendigen Voraussetzungen obliegt nach den allgemeinen Regeln der eingreifenden Behörde.33 3.5. Einzelfallprüfung Der Anordnung einer vorübergehenden Stilllegung nach § 19 Abs. 3 AtG muss eine Einzelfallprüfung vorausgehen, in der das Vorliegen der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen in jeder einzeln stillzulegenden Anlage geprüft werden muss. Häufigstes Beispiel für die Anwendung des § 19 Abs. 3 AtG ist die vorübergehende Stilllegung einer Anlage, um Raum für die Überprüfung zu schaffen, ob Auflagen für die Anlage oder ein Widerruf der Genehmigung der Anlage angebracht sind.34 30 So die Bundeskanzlerin auf der Pressekonferenz am 15. März 2011 (Fn.29). 31 Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, PlPrt. 17/96, S. 10884 D. 32 Rede des Bundesumweltministers in der 881. Plenarsitzung des Bundesrates am 18.März 2011, http://www.bmu.bund.de/reden/bundesumweltminister_dr_norbert_roettgen/doc/47139.php. 33 Vgl. Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, 1980, S. 229f. So auch explizit zu § 19 Abs. 3 AtG Ossenbühl (Fn. 13), S. 601; Rosin (Fn. 13), Rn. 1076; Schirra, Die atomrechtliche Aufsicht, Rn. 68, in: Stuhlmacher (Hrsg.), Grundriss zum Energierecht – der rechtliche Rahmen für die Energiewirtschaft, 2011. 34 Vgl. Haedrich, Atomgesetz mit Pariser Atomhaftungs-Übereinkommen, 1986, § 19 Rn. 7; Fischerhof, Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht, 1978, § 19 Rn. 9, Rosin (Fn. 13), Rn. 1072 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 11 Bei dieser Prüfung steht der zuständigen Behörde ein Beurteilungsspielraum auch hinsichtlich der zu erwartenden Gefahren zu. Diese Anordnungen müssten im Einzelnen das Vorliegen der Voraussetzungen des Tatbestandes nach § 19 Abs. 3 AtG dargelegt haben. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, kann von dieser Seite nicht überprüft und beurteilt werden. 3.6. Rechtsfolge – Ermessensausübung § 19 Abs. 3 AtG stellt es als sog. „Kann-Vorschrift“ in das Ermessen der Behörde, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um eine Gesundheitsgefährdung auszuschließen. Dies umfasst das „Ob“ als auch das „Wie“ des Einschreiten.35 Die Bundesregierung will sämtliche Kernkraftwerke einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen, während der die vor 1980 gebauten Anlagen gemäß § 19 Abs. 3 AtG vorübergehend stillgelegt werden sollen.36 Die Bundesregierung beruft sich auf eine neue Sachlage, die durch den Brand von Kernkraftwerken in Japan entstanden sei. Sie beruft sich dabei auf das Gebot äußerster Vorsorge . Die Ausübung des Ermessens im Einzelnen ist Aufgabe der verfügenden Behörde; deren Entscheidung ist nicht im Einzelnen bekannt und kann daher nicht beurteilt werden. 4. Endgültige Einstellung des Betriebs von Kernkraftwerken Nach § 19 Abs. 3 Nr. 3 AtG kann von der zuständigen Aufsichtsbehörde die endgültige Einstellung des Betriebs eines Kernkraftwerks angeordnet werden, wenn die hierfür erteilte Genehmigung rechtskräftig widerrufen wurde. Die Voraussetzungen für den Widerruf einer atomrechtlichen Genehmigung sind in § 17 Abs. 3 bis 5 AtG geregelt. Daneben finden die allgemeinen Regelungen über den Widerruf von Verwaltungsakten in § 49 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)37 keine Anwendung.38 35 Zu den Voraussetzungen der Ermessensausübung im Einzelnen Rosin (Fn. 13), Rn. 1078 ff. 36 Mitschrift der Pressekonferenz - Statements nach dem Gespräch über die Nutzung der Kernenergie in Deutschland, 15. März 2011, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2011/03/2011-03-15- statements-nutzung-kernenergie.html (Stand: 15.3.2011). 37 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2827) geändert worden ist. 38 Rosin (Fn. 13), Rn. 1028 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 12 4.1. Widderruf nach pflichtgemäßen Ermessen § 17 Abs. 3 AtG sieht für vier Fallkonstellationen die Möglichkeit eines Widerrufs vor.39 Dabei handelt es sich um Entscheidungen, die in das pflichtgemäße Ermessen der Aufsichtsbehörde gestellt sind, d.h. die Genehmigung kann widerrufen werden. Dies gilt zunächst für den Fall, dass von einer Genehmigung innerhalb von zwei Jahren kein Gebrauch gemacht wurde, § 17 Abs. 3 Nr. 1 AtG. Des Weiteren ist ein Widerruf möglich, wenn eine der Genehmigungsvoraussetzungen später weggefallen ist und nicht in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen wurde, § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG. Dabei ist zu beachten, dass hinsichtlich des Wegfalls der Genehmigungsvoraussetzungen eine allgemeine Neubewertung der Gefahren von Kernkraftwerken als Begründung für einen Widerruf nicht ausreichen dürfte.40 Erforderlich wäre vielmehr eine Bewertung der Gefahrenlage und Sicherheitsvorsorge jedes einzelnen Kernkraftwerks. In der Literatur ist ähnlich wie bei einer vorübergehenden Stilllegung nach § 19 Abs. 3 Nr. 3 AtG umstritten, ob bei der Beurteilung der Gefahrenlage auch der sog. Restrisikobereich einzubeziehen ist (s. 3.3).41 Sofern nach Einschätzung der Aufsichtsbehörde aufgrund der Gefahrenlage keine Genehmigung hätte erteilt werden dürfen, ist zu prüfen, ob durch nachträgliche Auflagen Abhilfe geschaffen werden könnte.42 Dies wäre gegenüber dem Widerruf der Genehmigung das mildere Mittel. Auch hierfür ist eine sorgfältige und umfassende Prüfung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls durchzuführen. 39 § 17 Abs. 3 AtG lautet: „(3) Genehmigungen und allgemeine Zulassungen können widerrufen werden, wenn 1. von ihnen innerhalb von zwei Jahren kein Gebrauch gemacht worden ist, soweit nicht die Genehmigung oder allgemeine Zulassung etwas anderes bestimmt, 2. eine ihrer Voraussetzungen später weggefallen ist und nicht in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen wird oder 3. gegen die Vorschriften dieses Gesetzes oder der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen, gegen die hierauf beruhenden Anordnungen und Verfügungen der Aufsichtsbehörden oder gegen die Bestimmungen des Bescheids über die Genehmigung oder allgemeine Zulassung erheblich oder wiederholt verstoßen oder wenn eine nachträgliche Auflage nicht eingehalten worden ist und nicht in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen wird, 4. auch nach Setzung einer angemessenen Nachfrist ein ordnungsgemäßer Nachweis nach § 9a Abs. 1a bis 1e nicht vorgelegt wird oder auch nach Setzung einer angemessenen Nachfrist keine Ergebnisse der nach § 19a Abs. 1 durchzuführenden Sicherheitsüberprüfung vorgelegt werden.“ 40 Wagner, Ausstieg aus der Kernenergie durch Verwaltungsakt, DVBl. 1987, 524,3 528. 41 Rosin (Fn. 13), Rn. 1029. 42 Haedrich, Atomgesetz, 1986, § 17 Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 13 Die dritte Fallgruppe in § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG erfasst erhebliche oder wiederholte Verstöße gegen das AtG, atomrechtliche Rechtsverordnungen, Anordnungen, Verfügungen der Aufsichtsbehörden , Bestimmungen des Genehmigungsbescheids oder nachträgliche Auflagen. Erforderlich ist außerdem, dass in angemessener Zeit keine Abhilfe geschaffen wird. Schließlich kommt ein Widerruf in Betracht, wenn nach Setzung einer ordnungsgemäßen Nachfrist kein ordnungsgemäßer Entsorgungsvorsorgenachweis nach § 9a AtG bzw. kein Ergebnis der nach § 19a Abs. 1 AtG durchzuführenden Sicherheitsüberprüfung vorgelegt wird. 4.2. Widerruf als gebundene Entscheidung In § 17 Abs. 4 und 5 AtG ist geregelt, in welchen Fällen die Aufsichtsbehörde eine Genehmigung widerrufen muss. Ihr steht dabei kein Ermessen zu. Dies gilt nach § 17 Abs. 4 AtG, falls die Deckungsvorsorge für die Erfüllung gesetzlicher Schadensersatzansprüche nicht den Anforderungen von § 13 AtG entspricht und auch nicht binnen einer angemessenen Nachfrist nachgewiesen wird. § 17 Abs. 5 AtG verpflichtet die Aufsichtsbehörde zum Widerruf, wenn dies wegen einer erhebliche Gefährdung der Beschäftigten, Dritter oder der Allgemeinheit erforderlich ist und nicht durch nachträgliche Auflagen in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen werden kann. Unter „erheblicher Gefährdung“ soll nach wohl überwiegender Auffassung in der Literatur eine klassische Gefahr im polizeirechtlichen Sinne zu verstehen sein43 (s. 3.3). Auch insoweit wäre eine umfassende Prüfung jedes Einzelfalls erforderlich. 4.3. Rechtskraft Um eine endgültige Einstellung des Betriebs nach § 19 Abs. 3 Nr. 3 AtG anordnen zu können, muss der Widerruf einer Betriebsgenehmigung rechtskräftig geworden sein. Dies ist der Fall, wenn der Betroffene keinen Widerspruch hiergegen eingelegt hat oder ein Widerspruchs- und ggf. sich anschließendes Gerichtsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. 43 Rosin (Fn. 13), Rn. 1036 ff. m.w.N.; nach der von Schneider vertretenen Gegenauffassung soll jede Gefahr i.S.d. § 1 Nr. 2 AtG ausreichen, also auch ein Gefahrenverdacht; vgl. Schneider, (Fn. 25), S. 174. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 098/11 Seite 14 4.4. Entschädigungsanspruch Ein Widerruf der Betriebsgenehmigung verpflichtet das Land, dessen Behörde den Widerruf ausgesprochen hat, nach § 18 Abs. 1 S. 1 AtG zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung an den Betreiber. Ausnahmen von dieser Entschädigungspflicht sind in § 18 Abs. 2 AtG geregelt. Danach ist keine Entschädigung zu leisten, wenn der Inhaber der Genehmigung diese auf Grund von Angaben erhalten hat, die in wesentlichen Punkten unrichtig oder unvollständig waren, § 18 Abs. 2 Nr. 1 AtG. Des Weiteren besteht keine Entschädigungspflicht, wenn der Inhaber der Genehmigung oder für ihn tätige Personen durch ihr Verhalten Anlass zum Widerruf, insbesondere durch wiederholten Verstoß gegen atomrechtlich Vorschriften, Anordnungen, Verfügungen etc. gegeben haben, § 18 Abs. 2 Nr. 2 AtG. Schließlich ist die Entschädigungspflicht ausgeschlossen, wenn der Widerruf wegen einer nachträglich eingetretenen, in der genehmigten Anlage begründeten erheblichen Gefährdung der Beschäftigten, Dritter oder der Allgemeinheit ausgesprochen werden musste. Sofern für ein Land eine Entschädigungspflicht besteht, sind nach § 19 Abs. 4 AtG der Bund oder ein anderes Land dem entschädigungspflichtigen Land entsprechend ihrem sich aus der Gesamtlage ergebenen Interesse an dem Widerruf zum Ausgleich verpflichtet.