AUSARBEITUNG Thema: Kommunales Wahlrecht für Ausländer (Drittstaater) Fachbereich III Verfassung und Verwaltung Bearbeiter: Abschluss der Arbeit: 23. März 2006 Reg.-Nr.: WF III G – 097/06 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - 1. Zusammenfassung Die Gewährung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländer, die nicht EU-Bürger sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der überwiegenden Auffassung in der juristischen Literatur verfassungswidrig. 2. Die Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgerichts zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer von 1990 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in zwei Grundsatzurteilen vom 31. Oktober 1990 entschieden, dass die Gewährung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländer grundsätzlich gegen das Grundgesetz (GG) verstößt.1 Zur Begründung hat das Gericht die verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 20 Abs. 2 S. 1 und 28 Abs. 1 S. 2 GG angeführt. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bestimmt, dass das Volk der Bundesrepublik Deutschland Träger und Subjekt aller Staatsgewalt ist. Das Staatsvolk, von dem die Staatsgewalt ausgeht , wird nach dem Grundgesetz von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen in Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen gebildet. Gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nimmt das Volk die ihm zukommende Staatsgewalt in erster Linie durch die Ausübung des Wahlrechts wahr. Nach der Konzeption des Grundgesetzes wird daher auch bei Wahlen grundsätzlich die Eigenschaft als Deutscher vorausgesetzt. Diese Vorgabe gilt nicht nur für die Bundesebene. Gemäß Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG ist das in Art. 20 Abs. 2 GG ausgestaltete Demokratieprinzip auch für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern und auf kommunaler Ebene zu beachten. 1 BVerfGE 83, 37 ff. und 83, 71 ff., bezogen auf landesrechtliche Regelungen in Schleswig-Holstein und Hamburg. - 3 - Auch soweit Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG eine Vertretung des Volkes für die Kreise und Gemeinden vorschreibt, bilden ausschließlich Deutsche das Volk und wählen dessen Vertretung. Die Vorschrift gewährleistet für alle Gebietskörperschaften auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland die Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage und trägt damit der besonderen Stellung der kommunalen Gebietskörperschaften im Aufbau des demokratischen Staates Rechnung. Aus diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben folgt, dass Ausländern das kommunale Wahlrecht grundsätzlich nicht ermöglicht werden kann. Nur aufgrund der ausdrücklichen Bestimmung in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ermöglicht die Verfassung ausnahmsweise das kommunale Wahlrecht für EU-Bürger.2 3. Überwiegende Zustimmung der juristischen Literatur zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts hat in der juristischen Literatur überwiegend Zustimmung gefunden.3 Dabei wird die – zeitlich erst nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts erfolgte – Sonderregelung in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, die das kommunale Wahlrecht für EU- Bürger ermöglicht, vor dem Hintergrund des europäischen Einigungsprozesses als zulässige Ausnahme angesehen.4 Eine weitergehende Änderung des Grundgesetzes, um allen Ausländern das kommunale Wahlrecht zu ermöglichen, wird hingegen überwiegend kritisch bewertet.5 2 Siehe dazu unter 3. 3 Scholz in Maunz, Theodor / Dürig, Günter, Kommentar zum Grundgesetz, Loseblattsammlung, Band IV, Art. 28 – 69, 43. Lieferung, München 2004 (zit.: Bearbeiter in Maunz/Dürig), Art. 28, Rn 41 c; Dreier in Dreier, Horst, Grundgesetz, Kommentar, Band II, Artikel 20-82, Tübingen 1998 (zit.: Bearbeiter in Dreier), Art. 28 Rn. 72; von Mutius, Albert, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer ist verfassungswidrig, Aufsatz, JURA 1993, 410 ff. 4 Dreier in Dreier, Art. 28 Rn. 73 ff.; Scholz in Maunz/Dürig, Art. 28, Rn 41 b und d, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG bzgl. EG-Ausländer. 5 Zum Streitstand siehe die Nachweise bei von Mutius, JURA 1993, 410 (414), Fn. 19 und 20, - 4 - Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche Grundgesetzänderung ergeben sich aus der so genannten Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG. Diese Bestimmung soll verhindern, dass die Verfassungsordnung des Grundgesetzes in ihrer Substanz durch verfassungsändernde Gesetzgebung beseitigt oder materiell ausgehöhlt wird.6 Das Demokratieprinzip und damit auch das Wahlrecht zählen zu den unantastbaren Grundsätzen im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 20 GG. Eine Verfassungsänderung zur Ermöglichung des generellen Ausländerwahlrechts würde das Demokratieprinzip in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG und den Begriff des Staatsvolks in bedenklicher Weise modifizieren.7 4. Argumente der Befürworter eines kommunalen Wahlrechts für Ausländer Eine Mindermeinung in der juristischen Literatur spricht sich allerdings nach wie vor für die generelle Gewährung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländer aus.8 Dabei werden u. a. folgende Argumente angeführt:9 Der Anknüpfungspunkt für die Wahlberechtigung müsse die nachhaltige Betroffenheit durch die Staatsgewalt sein. Nur dies entspreche dem eigentlichen Wesensgehalt des Demokratieprinzips. Die Beschränkung des Staatsvolkes auf Deutsche beruhe auf einer historischen Betrachtungsweise, die im Hinblick auf die Entwicklung der Gesamtbevölkerung in Deutschland durch die erhebliche Ausländerzuwanderung nicht mehr zeitgemäß sei. Das Verfassungsrecht müsse dem Wandel der tatsächlichen Verhältnisse ausreichend Rechnung tragen und den Begriff des Staatsvolkes entsprechend weiter fassen. 6 Scholz in Maunz/Dürig, Art. 28, Rn 41 d. 7 Von Mutius, JURA 1993, 410 (414), der zudem Bedenken im Hinblick darauf äußert, dass die zweistufige Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland bei einer Sonderregelung für die Kommunen um eine dritte Stufe erweitert werden würde. 8 Siehe Nachweise bei Dreier in Dreier, Art. 28 Rn. 72 Fn. 291. 9 Von Mutius, JURA 1993, 410 (411). - 5 - Selbst wenn man an der Beschränkung des Staatsvolkes auf Deutsche auf Bundesund Landesebene festhalten wolle, sei eine derartige Einheitlichkeit des Wahlvolkes jedenfalls auf der kommunalen Ebene von Gemeinden und Gemeindeverbänden nicht zwingend erforderlich. Bei Kommunalwahlen führten der Selbstverwaltungsgedanke und der Zweck der Regelung eigener Angelegenheiten der Kommunalbürger durch diese selbst zu einer ausreichenden Legitimation für einen erweiterten Wählerbegriff. ( )