© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 096/19 Verpflichtung der Länder zur Einrichtung einer Verfassungsschutzbehörde Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 096/19 Seite 2 Verpflichtung der Länder zur Einrichtung einer Verfassungsschutzbehörde Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 096/19 Abschluss der Arbeit: 24. April 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 096/19 Seite 3 1. Fragestellung Nach § 2 Abs. 1 und 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) unterhält der Bund für „die Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern […] ein Bundesamt für Verfassungsschutz als Bundesoberbehörde. […] Für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund und der Länder untereinander unterhält jedes Land eine Behörde zur Bearbeitung von Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. Mehrere Länder können eine gemeinsame Behörde unterhalten.“ Es stellt sich die Frage, welche Folgen sich daraus ergäben, würde ein Land seine Landesbehörde für Verfassungsschutz ersatzlos auflösen. 2. Verpflichtung der Länder zur Einrichtung einer Verfassungsschutzbehörde Die Kompetenz des Bundes, den Ländern die Einrichtung und Unterhaltung von Verfassungsschutzbehörden vorzuschreiben, ergibt sich aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b GG. Dies gilt auch für die mit der Natur der Sache nach verbundene Befugnis, die Aufgaben zu umschreiben, die den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern gestellt sind.1 Der Bundesgesetzgeber kann die Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden zumindest im Kern bundeseinheitlich regeln und damit den Landesbehörden für Verfassungsschutz einen Mindestkatalog von Aufgaben vorgeben. Andernfalls liefe die bundesgesetzliche Befugnis zur Regelung der Zusammenarbeit ins Leere.2 Die Landesbehörden sind dem Bundesamt gegenüber jedoch nicht nachgeordnet und auch nicht weisungsunterworfen.3 § 2 Abs. 2 Satz 1 gibt den Ländern nicht vor, ob sie selbständige Verfassungsschutzbehörden einrichten oder den Verfassungsschutz als Abteilung des Innenministeriums des Landes führen wollen.4 Die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, und Sachsen haben Landesämter für Verfassungsschutz errichtet. Die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg- Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen führen den Verfassungsschutz als Abteilungen der Innenministerien .5 Die in § 2 Abs. 2 BVerfSchG statuierte Unterhaltungspflicht schließt die Verpflichtung ein, die Landesbehörden mit zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung genügenden personellen und 1 BVerwGE 69, 53 [57]; BVerwG DÖV 1995, 692 [693]; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 2 BVerfSchG Rn. 14. 2 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 2 BVerfSchG Rn. 14. 3 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 2 BVerfSchG Rn. 14. 4 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 2 BVerfSchG Rn. 15. 5 www.verfassungsschutz.de/de/service/landesbehoerden, Stand April 2019. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 096/19 Seite 4 sachlichen Mitteln auszustatten. Die ersatzlose Abschaffung einer Landesbehörde wäre bundesrechtswidrig ,6 da sie § 2 BVerfSchG widerspricht. Auch das Grundgesetz setzt in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b GG und Art. 87 Abs. 2 S. 1 GG einen „föderalistisch geteilten“ Verfassungsschutz voraus.7 Dem widerspricht es grundsätzlich, wenn ein Land seine Regelungs- und Vollzugskompetenz nicht wahrnimmt. 3. Rechte des Bundes bei Abschaffung einer Landesbehörde 3.1. Eigenes Tätigwerden des Bundesamtes § 5 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG lautet: „Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf in einem Lande im Benehmen mit der Landesbehörde für Verfassungsschutz Informationen, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen im Sinne des § 3 sammeln.“ Gibt es eine solche Landesbehörde nicht mehr, spricht viel dafür, dass das Benehmen mit der Landesregierung bzw. dem für innere Sicherheit zuständigen Mitglied der Landesregierung (regelmäßig der Innenminister) hergestellt werden kann: Diese haben die Rechts- und Fachaufsicht über die Landesbehörde ausgeübt oder waren unmittelbar für die Verfassungsschutzabteilung in ihrem Ministerium verantwortlich. Das Herstellen von Benehmen nach § 5 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG besteht aus einer Unterrichtung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme, der Verpflichtung zur Berücksichtigung der Stellungnahme und nötigenfalls dem Versuch einer Einigung.8 Gelingt trotz redlichen Bemühens keine Einigung, darf das Bundesamt gleichwohl tätig werden. Ein Vetorecht steht den Ländern nicht zu, ein „Einvernehmen “ ist nicht vorgeschrieben.9 Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das Bundesamt zur Beobachtung entsprechender Bestrebungen und Tätigkeiten nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet ist, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.10 Die Beobachtungspflicht ist verfassungsrechtlich im Prinzip der wehrhaften Demokratie fundiert.11 6 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 2 BVerfSchG Rn. 17. 7 Gusy, in: Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, S. 319 Rn. 36. 8 BVerwGE 11, 195 [200]; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 5 BVerfSchG Rn. 15. 9 Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 5 BVerfSchG Rn. 15. 10 BVerfGE 107, 339 [365]; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 4 BVerfSchG Rn. 131. 11 BVerfGE 40, 287 [293]; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 4 BVerfSchG Rn. 131. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 096/19 Seite 5 Problematisch wäre aber, wenn das Bundesamt dauerhaft anstelle der entfallenen Landesbehörde tätig würde. Dies würde der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung widersprechen, wonach diese Aufgabe von Bund und Ländern wahrgenommen wird. 3.2. Anrufung Bundesverfassungsgericht Der Bund könnte vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG anstrengen (Bund-Länder-Streit). Im Erfolgsfalle würde das Bundesverfassungsgericht feststellen, dass die Auflösung der Landesbehörde verfassungswidrig war. Das Bundesland müsste dann einen verfassungsgemäßen Zustand wiederherstellen. 3.3. Bundesintervention zur Errichtung einer Landesbehörde In Betracht kommt auch eine Bundesintervention nach Art. 37 GG: „(1) Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetze oder einem anderen Bundesgesetze obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. (2) Zur Durchführung des Bundeszwanges hat die Bundesregierung oder ihr Beauftragter das Weisungsrecht gegenüber allen Ländern und ihren Behörden.“ In der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik hat der Bund hiervon noch nie Gebrauch gemacht .12 Die von Art. 37 Abs. 1 GG vorgesehenen „Maßnahmen“ können Weisungen umfassen oder eine Ersatzvornahme.13 Maßnahmen nach Art. 37 GG können sich nach Auffassung eines Teils der Kommentierung unmittelbar auf das Landesrecht auswirken: „Die im Wege der Ersatzvornahme [durch die Bundesregierung] erlassenen Rechtsakte – Verwaltungsakte, Rechtsverordnungen, Gesetze – sind mithin solche des Landesrechts“.14 Nach dieser Auffassung könnte der Bund die Auflösung der Landesbehörde durch den notwendigen Rechtsakt rückgängig machen. Mangels Staatspraxis oder Rechtsprechung bewegt man sich hier verfassungsrechtlich auf Neuland. *** 12 Hellermann, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 40. Edition Stand: 15.02.2019, Art. 37 GG Rn. 2. 13 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 37 GG Rn. 83 ff. 14 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 37 GG Rn. 85; umstritten.