WD 3 - 3000 - 095/21 (11. Mai 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Es wird gefragt, ob dem Bundesverfassungsgericht verfahrensrechtlich vorgeschrieben ist, im Verfahren des Eilrechtsschutzes nach § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) alle angeführten Beschwerdegründe zu prüfen. Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Die Vorschrift schreibt kein bestimmtes Verfahren vor, wie das Bundesverfassungsgericht Anträge zum einstweiligen Rechtsschutz zu prüfen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichts wird die Begründetheit des Antrags in einem zweistufigen Verfahren geprüft. Das Bundesverfassungsgericht prüft auf der ersten Stufe, ob sich der im Hauptsacheverfahren gestellte Antrag als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist.1 Ist dies der Fall, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.2 Der Antrag ist offensichtlich unbegründet, wenn das Gericht zu diesem Zeitpunkt keinen Gesichtspunkt erkennen kann, der ihm zum Erfolg verhelfen könnte.3 Daraus folgt, dass es alle Beschwerdegründe berücksichtigen muss. Darüber hinaus führt das Gericht in Ausnahmefällen unter Zugrundelegung aller Beschwerdegründe eine summarische Prüfung durch. Dies könnte bspw. aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes oder bei einer potentiellen Verletzung der Schutzgüter des Art. 79 Abs. 3 GG notwendig sein.4 1 Vgl. zum Ganzen Walter, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 10. Edition, Stand: 01.01.2021, § 32 Rn. 42 ff. sowie BVerfGE 131, 47 (55 m.w.N.). 2 Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Werkstand: 60. EL Juli 2020, § 32 Rn. 97. 3 Ebenda, Rn. 102. 4 Vgl. Lechner/Zuck Lechner/Zuck, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 8. Auflage 2019, § 32 Rn. 21 m.w.N. sowie Walter, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 10. Edition, Stand: 01.01.2021, § 32 Rn. 58 ff. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Prüfung von Beschwerdegründen im Eilverfahren nach § 32 BVerfGG Kurzinformation Prüfung von Beschwerdegründen im Eilverfahren nach § 32 BVerfGG Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Maßgeblich für die Prüfung ist, ob die Hauptsache offensichtlich begründet wäre.5 Dies ist der Fall, wenn für das Gericht keine Gesichtspunkte erkennbar sind, die dem Erfolg der Hauptsache entgegenstehen könnten.6 In diesem Fall ist der Erlass der einstweiligen Anordnung besonders dringlich, wenn eine stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht zeitgerecht ergehen kann; eine Folgenabwägung findet nicht mehr statt.7 Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens nimmt das Bundesverfassungsgericht auf der zweiten Stufe eine Folgenabwägung vor, bei der die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechenden Gründe außer Betracht bleiben. Das Gericht hat nur die Nachteile abzuwägen , die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (sog. Doppelhypothese).8 Die fehlende Berücksichtigung von angeführten Beschwerdegründen dürfte jedenfalls im Verfahren der Verfassungsbeschwerde keinen rügefähigen Verfahrensfehler darstellen. Den Beschwerdeführenden in einem solchen Verfahren ist nach § 32 Abs. 3 S. 2 BVerfGG die Widerspruchsmöglichkeit verwehrt. In allen anderen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht können die Beteiligten gemäß § 32 Abs. 3 S. 1 BVerfGG gegen eine ohne mündliche Verhandlung erlassene oder abgelehnte einstweilige Anordnung Widerspruch einlegen.9 Davon ausgenommen sind einstimmige Beschlüsse des Gerichts nach § 24 BVerfGG, in denen der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgrund Unzulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit verworfen wird.10 Durch den Widerspruch müssen substantiierte Einwendungen gegen den Beschluss eingebracht werden. Der Beschluss wird dann in einem öffentlichen Verfahren mit mündlicher Verhandlung vom Gericht überprüft.11 *** 5 Vgl. Lechner/Zuck, in: Lechner/Zuck, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 8. Auflage 2019, § 32 Rn. 21 m.w.N. 6 Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Werkstand: 60. EL Juli 2020, § 32 Rn. 102. 7 Ebenda, Rn. 99. 8 Vgl. zum Ganzen Walter, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 10. Edition, Stand: 01.01.2021, § 32 Rn. 42 ff. sowie BVerfGE 131, 47 (55 m.w.N.). 9 Walter, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 10. Edition, Stand: 01.01.2021, § 32 Rn. 96 ff. 10 Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Werkstand: 60. EL Juli 2020, § 32 Rn. 226. 11 Vgl. ebenda, Rn. 234 sowie Walter, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 10. Edition, Stand: 01.01.2021, § 32 Rn. 99.