© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 095/17 Der Anspruch auf einen Dolmetscher für Flüchtlinge und Migranten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 095/17 Seite 2 Der Anspruch auf einen Dolmetscher für Flüchtlinge und Migranten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 095/17 Abschluss der Arbeit: 05.05.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 095/17 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung beschäftigt sich mit möglichen Ansprüchen auf Hinzuziehung eines Fremdsprachendolmetschers bzw. einer Dolmetscherin für Flüchtlinge und Migranten und die damit verbundene Kostentragungspflicht. Gefragt wird nach entsprechenden Rechtsgrundlagen und ihren Voraussetzungen. Ferner soll geklärt werden, ob sich mögliche, bisher nicht geregelte Ansprüche, aus höherrangigem Recht ergeben können. 2. Allgemeine Ausführungen Ein allgemeiner Anspruch auf kostenlose Übersetzungstätigkeiten für sprachunkundige Personen besteht nicht. Für den Bereich des Verwaltungsrechts schreiben § 23 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) sowie die vergleichbaren Vorschriften in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder Deutsch als Amtssprache vor. Vorgaben für die Hinzuziehung von Dolmetschern lassen sich der Vorschrift nicht entnehmen.1 In § 23 Abs. 2 VwVfG ist lediglich die Übersetzung von Dokumenten geregelt. Nur vereinzelt finden sich Regelungen, die einen Anspruch auf Dolmetscherleistungen beinhalten. Insbesondere betrifft dies § 17 des Asylgesetzes (AsylG) für das Asylverfahren sowie § 185 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) für Gerichtsverfahren. 3. Anspruch auf Dolmetschertätigkeiten im Asylverfahren Nach § 17 Abs. 1 AsylG ist bei der Anhörung eines Ausländers im Asylverfahren von Amts wegen ein Dolmetscher, Übersetzer oder sonstiger Sprachmittler hinzuzuziehen, wenn entsprechende ausreichende Deutschkenntnisse nicht vorliegen. Ein behördliches Ermessen besteht bei der Entscheidung über die Hinzuziehung nicht.2 Die Vorschrift setzt Art. 12 der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie – AsylVerfRL) in deutsches Recht um. Nach Art. 12 Abs. 1 lit. b) AsylVerfRL trägt die öffentliche Hand die Kosten für den Dolmetscher. 4. Anspruch auf Dolmetschertätigkeiten in gerichtlichen Verfahren Auch für Gerichtsverfahren ist die Hinzuziehung von Dolmetschern gesetzlich geregelt. Nach § 185 GVG ist ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Die Vorschrift dient der Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie dem Recht auf ein faires Verfahren.3 Gemäß § 55 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) findet § 185 GVG auch im Verwaltungsgerichtsverfahren Anwendung. Die Kostentragung für die Hinzuziehung von Dolmetschern richtet sich nach den prozessrechtlichen Vorgaben. Grundsätzlich zählen die Dolmetscherkosten zu den üblichen Verfahrenskosten, die von der jeweils unterliegenden Partei zu tragen sind. Eine Ausnahme besteht jedoch bei gerichtlichen Verfahren, die Streitigkeiten nach dem AsylG zum Gegenstand haben. Nach § 83b AsylG sind solche Verfahren gerichtskostenfrei. Anfallende Kosten für Dolmetschertätigkeiten werden daher 1 Vgl. Heßhaus, in: Bader/Ronellenfitsch, 2. Aufl. 2016, § 23 VwVfG Rn. 16. 2 Sieweke, in: Kluth/Heusch, 13. Edition, Stand: 15.08.2016, § 17 AsylG Rn. 3. 3 Zimmermann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2013, § 185 GVG Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 095/17 Seite 4 auch einer unterliegenden Partei nicht auferlegt. Eine weitere Ausnahme beruht auf Art. 6 Abs. 3 lit. e der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Demnach erfolgt die Hinzuziehung von Dolmetschern in Strafverfahren grundsätzlich unentgeltlich, worauf das Gericht nach § 167 Abs. 1 S. 2 GVG den Beschuldigten auch hinzuweisen hat. 5. Anspruch auf Dolmetschertätigkeiten in sonstigen Verwaltungsverfahren Nach § 23 Abs. 1 VwVfG ist die Amtssprache deutsch. Für den Umgang der Behörden mit Personen, die der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig sind, enthält das Verwaltungsverfahrensrecht keine umfassenden Regelungen. § 23 Abs. 2 VwVfG beinhaltet lediglich Vorgaben für den Umgang mit Dokumenten in fremder Sprache. Vorgaben für den Einsatz von Dolmetschern im Verwaltungsverfahren enthält das VwVfG hingegen nicht.4 In der juristischen Literatur wird hieraus allgemein geschlussfolgert, dass eine sprachunkundige Person sich selbst um entsprechende Sprachkenntnisse oder einen Dolmetscher bemühen muss. Der Behörde komme im Rahmen ihres Verfahrensermessens aber die Pflicht zu, die fehlenden Sprachkenntnisse angemessen zu berücksichtigen.5 Der überwiegende Teil der Literaturstimmen geht mit unterschiedlicher rechtlicher Herleitung zudem von einer Pflicht der Behörde aus, im Einzelfall einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Abgeleitet wird diese Pflicht zumeist aus allgemeinen Verfahrensprinzipien, wie der Gewährung rechtlichen Gehörs oder der Gewährleistung eines fairen Verfahrens.6 Orientiert werden kann sich dabei an den Vorgaben des § 185 GVG.7 Ob im Einzelfall eine Pflicht zur Hinzuziehung eines Dolmetschers besteht, richtet sich insbesondere nach dem Gegenstand, der dem jeweiligen Verwaltungsverfahren zugrunde liegt. In der Literatur wird insbesondere zwischen solchen Verfahren, bei denen die Behörde auf Antrag eines Beteiligten in dessen Interesse tätig werden soll, und solchen, die eine belastende Behördenentscheidung zum Gegenstand haben und vorrangig dem Allgemeininteresse dienen, unterschieden. Bei letzteren führe bereits die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung sowie zur ordnungsgemäßen Anhörung nach § 28 Abs. 1 VwVfG zu einer notwendigen Hinzuziehung eines Dolmetschers von Amts wegen.8 Soll die Behörde hingegen auf Antrag und im Interesse des Betroffenen tätig werden, so wird es zumeist auch in dessen Pflicht zur Verfahrensförderung liegen, sich eines geeigneten 4 Heßhaus, in: Bader/Ronellenfitsch, 2. Aufl. 2016, § 23 VwVfG Rn. 16. 5 Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, 17. Aufl. 2016, § 23 VwVfG Rn. 4a. 6 Vgl. hierzu: Heßhaus, in: Bader/Ronellenfitsch, 2. Aufl. 2016, § 23 VwVfG Rn. 16; Ritgen, in: Knack/Henneke, 10. Aufl. 2014, § 23 VwVfG Rn. 25; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Aufl. 2014, § 23 VwVfG Rn. 42. 7 Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Aufl. 2014, § 23 VwVfG Rn. 41. 8 Vgl. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Aufl. 2014, § 23 VwVfG Rn. 43. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 095/17 Seite 5 Dolmetschers zu bedienen.9 Im Ergebnis wird es aber auch in dieser Konstellation auf eine Abwägung im jeweiligen Einzelfall ankommen. Von der Pflicht zur Hinzuziehung eines Dolmetschers abzugrenzen, ist die Pflicht zur Kostentragung. Auch diese Frage wird in der Literatur einzelfallbezogen beantwortet. Befürwortet wird eine Kostentragungspflicht der Behörde, wenn das rechtliche Gehör bzw. die Aufklärungspflicht dies gebiete oder wenn anders Völkergewohnheitsrecht bzw. verfassungsrechtliche Vorgaben nicht umsetzbar erscheinen.10 In Betracht komme eine Kostentragungspflicht der Behörde daher vor allem beim Erlass belastender Entscheidungen. Bei solchen habe die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen umfassend aufzuklären und den Betroffenen nach § 28 Abs. 1 VwVfG anzuhören. Aus dieser Pflicht wird unmittelbar auf eine korrespondierende Kostentragungspflicht der Behörde geschlossen.11 Ist die sprachunkundige Person hingegen Antragsteller, sei auf den Rechtsgedanken des § 23 Abs. 2 VwVfG abzustellen. Danach habe der Antragsteller selbst für einen Dolmetscher zu sorgen. Komme er dem nicht nach, sei die Behörde zur Stellung eines Dolmetschers nur dann verpflichtet, wenn der Antragsteller zu Übernahme der Kosten bereit sei.12 Unabhängig von den hier aufgezeigten Konstellationen wird die Behörde im Rahmen ihres Verfahrensermessens für den jeweiligen Einzelfall zu ermitteln haben, ob eine Kostentragungspflicht der sprachunkundigen Person den oben genannten Verfahrensgrundsätzen entspricht. 6. Vorgaben aus höherrangigem Recht Vorgaben aus höherrangigem Recht für die Hinzuziehung eines Dolmetschers und die daraus folgende Kostentragung enthalten vor allem die rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien. Diese finden grundsätzlich auch im Verwaltungsverfahren Anwendung und werden weitgehend durch die bereits bestehenden Vorgaben des Verwaltungsverfahrensrechts sichergestellt. Allgemein sind sie als Ausdruck der Verfahrensfairness anzusehen.13 Dass diese Verfahrensfairness eine generelle für sprachunkundige Personen kostenfreie Inanspruchnahme von Dolmetscherleistungen verlangt, erscheint zweifelhaft. Das Rechtsstaatsprinzip fordert keine allgemeine Kostenfreiheit, sondern verlangt lediglich eine weitgehend gleiche Beteiligungsmöglichkeit für Unbemittelte.14 Ein rechtsstaatliches Verfahren darf dabei nicht von der wirtschaftlichen Situation der betroffenen 9 Vgl. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Aufl. 2014, § 23 VwVfG Rn. 43. 10 Ritgen, in: Knack/Henneke, 10. Aufl. 2014, § 23 VwVfG Rn. 25; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Aufl. 2014, § 23 VwVfG Rn. 45. 11 Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Aufl. 2014, § 23 VwVfG Rn. 45. 12 Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Aufl. 2014, § 23 VwVfG Rn. 44. 13 Sachs, in: Sachs, 7. Aufl. 2014, Art. 20 GG Rn. 165. 14 Vgl. etwa: Grzeszick, in: Maunz/Dürig, 78. EL September 2016, Art. 20 GG (VII.) Rn. 137. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 095/17 Seite 6 Person abhängen. Ob eine solche vergleichbare Beteiligungsmöglichkeit besteht, ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Bei dieser Einzelfallprüfung muss die Behörde daher zunächst über die Hinzuziehung eines Dolmetschers an sich und sodann über die Kostentragungspflicht entscheiden. Dabei hat sie im Rahmen ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten ein faires, den rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechendes Verwaltungsverfahren sicherzustellen. Ist ein faires Verfahren ohne Hinzuziehung eines Dolmetschers nicht möglich, muss ein solcher daher grundsätzlich beteiligt werden. Gleiches gilt für die Kostentragungspflicht. Bei wirtschaftlich unbemittelten Personen wird die Behörde daher auch zu prüfen haben, ob ein den rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechendes Verwaltungsverfahren im Einzelfall nur durch die kostenlose Hinzuziehung eines Dolmetschers sichergestellt werden kann. Eine solche Sicherstellung erscheint im Rahmen der geltenden Regelungen jedenfalls im Wege der verfassungskonformen Auslegung mit den oben aufgezeigten Auslegungsansätzen grundsätzlich möglich.15 *** 15 In diesem Sinne auch: Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Aufl. 2014, § 23 VwVfG Rn. 8.