© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 094/14 Ermächtigung der Bundesärztekammer zum Erlass von Richtlinien gemäß § 16 Absatz 1 Transplantationsgesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 2 Ermächtigung der Bundesärztekammer zum Erlass von Richtlinien gemäß § 16 Absatz 1 Transplantationsgesetz Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 094/14 Abschluss der Arbeit: 19. Juni 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 3 1. Zusammenfassung 4 2. Einleitung 4 3. Genese des § 16 TPG 5 3.1. Gesetzgebungskompetenz 5 3.2. Gesetzgebung 5 3.3. Die Entwicklung der Regelungen des § 16 TPG zur Richtlinienermächtigung der BÄK 6 3.4. Die Aufnahme eines Genehmigungsvorbehalts des Bundesministeriums für Gesundheit in die Bestimmung des § 16 TPG 8 4. Rechtliche Qualifikation der von der Bundesärztekammer erlassenen Richtlinien 9 4.1. Rechtlich unverbindliche Richtlinien? 9 4.1.1. Argumentation der Bundesregierung und eines Teils der Lehre 9 4.1.2. Der Begriff des antizipierten Sachverständigengutachtens 11 4.1.3. Argumente gegen diese Ansicht 11 4.2. Verbindliche Rechtsetzung durch die BÄK als „Beliehene“? 13 4.3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Normsetzung durch die BÄK 14 4.3.1. Vereinbarkeit mit Art. 80 GG 14 4.3.2. Vereinbarkeit mit Art. 20 Abs. 2 GG 15 4.4. Zwischenergebnis 16 5. Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Betroffenen 17 5.1. Schutzbereich 17 5.2. Eingriff 17 5.3. Rechtfertigung 18 5.3.1. Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes 18 5.3.2. Verhältnismäßigkeit 21 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 4 1. Zusammenfassung Die rechtliche Qualifikation der von der Bundesärztekammer (BÄK) im Rahmen des § 16 TPG erlassenen Richtlinien ist umstritten. So verstehen die Bundesregierung und ein Teil der Literatur sie als antizipiertes Sachverständigengutachten ohne Rechtsverbindlichkeit, ein kleiner Teil der Literatur als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften und ein größerer Teil der Literatur als Rechtsnormen, die die BÄK als untypisch Beliehene erlassen habe. Dieser Teil der Literatur kommt dabei überwiegend zu dem Ergebnis, dass eine Beleihung der BÄK mit dem Erlass dieser Richtlinien in diesem Fall verfassungsrechtlich nicht zulässig wäre. Unabhängig von der rechtlichen Qualität der Richtlinien stellt sich die Frage, ob der Ausschluss einer Person mit einer alkoholinduzierten Leberzirrhose von der Warteliste für eine Lebertransplantation bis zum Einhalten einer sechsmonatigen Karenzzeit mit dessen Grundrechten vereinbar wäre. Auch diese Frage ist in der Literatur umstritten. Es zeigen sich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, ob der Ausschlusses dieser Patienten durch eine Richtlinie der BÄK dem Vorbehalt des Gesetzes genügt. Soweit die Karenzzeit aber medizinisch nachvollziehbar begründet wird und eine entsprechende, dem Wesentlichkeitsgrundsatz genügende Regelung eine Klausel für Härtefälle vorsehe, wäre eine Karenzzeit im Übrigen wohl mit dem Grundrecht auf Leben und Gesundheit der Betroffenen vereinbar. 2. Einleitung In der Bundesrepublik Deutschland wurden 1.305 neue Patienten im Jahr 2013 auf der Warteliste für eine Lebertransplantation angemeldet. Es gab 970 Lebertransplantationen, davon 83 nach einer Lebendspende.1 Eine Lebertransplantation wird in Betracht gezogen, wenn der Patient unter einer lebensgefährlichen, nicht rückbildungsfähigen und fortschreitenden Lebererkrankung leidet. Es bestehen bestimmte Kontraindikationen für eine Organtransplantation, sodass diese Patienten erst gar nicht auf die Wartelisten aufgenommen werden. Die Zulässigkeit und die Voraussetzungen für die Organtransplantation werden im Transplantationsgesetz (TPG)2 geregelt. Gemäß § 12 Abs. 3 TPG sind die vermittlungspflichtigen Organe von der Vermittlungsstelle „nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln.“ § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG verpflichtet die Transplantationszentren, über die Aufnahme in die von ihnen geführte Wartelisten „nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung.“ Den „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ stellt gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG die BÄK für die entsprechenden Wartelisten fest. Nach § 16 Abs. 1 S. 2 TPG wird die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vermutet, wenn die Richtlinien der BÄK beachtet worden sind. 1 Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation, im Internet abrufbar unter http://www.dso.de/organspendeund -transplantation/warteliste-und-vermittlung/leber.html [letzter Abruf für alle Internet-Seiten: 16.6.2014]. 2 Transplantationsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4.9.2007 (BGBl. I S. 2206), das zuletzt durch Artikel 5d des Gesetzes vom 15.7.2013 (BGBl. I S. 2423) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 5 Die Entscheidung über die Aufnahme eines Patienten in die Warteliste, ihre Führung sowie über die Abmeldung eines Patienten trifft eine ständige, interdisziplinäre und organspezifische Transplantationskonferenz des Transplantationszentrums. Daran ist auch mindestens ein Mediziner beteiligt, der nicht unmittelbar in das Transplantationsgeschehen eingebunden ist. Diese Konferenz hat sich an die von der BÄK erlassenen Richtlinien zu halten, um dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zu entsprechen. Gemäß Nr. 2.1. der Richtlinien der BÄK für eine Lebertransplantation3 erfolgt bei Patienten mit alkoholinduzierter Zirrhose die Aufnahme in die Warteliste erst, wenn der Patient für mindestens sechs Monate völlige Alkoholabstinenz eingehalten hat. Im Folgenden soll die Frage erörtert werden, ob eine solche Wartezeit verfassungsrechtlich zulässig ist. Nach einer Darstellung der Änderungshistorie der entsprechenden Vorschrift im TPG wird auf die rechtliche Qualität der von der BÄK erlassenen Richtlinien eingegangen. Im Anschluss wird die Frage aufgeworfen, ob die generelle Anforderung einer sechsmonatigen Alkoholabstinenz vor der Aufnahme in die Warteliste für eine Lebertransplantation mit den Grundrechten der Betroffenen vereinbar ist. 3. Genese des § 16 TPG 3.1. Gesetzgebungskompetenz Die Kompetenz zum Erlass von Bestimmungen zur Regelung von Organtransplantationen fiel bis 1994 den Ländern zu. Mit der Änderung des Grundgesetzes durch Gesetz vom 27. Oktober 19944 fand sie durch die Einfügung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 Grundgesetz5 (GG) Aufnahme in den Kompetenzkatalog der konkurrierenden Gesetzgebung und ermöglichte damit dem Bund, ein einheitliches Transplantationsgesetz zu erlassen. 3.2. Gesetzgebung Nachdem die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereits im November 1995 einen Gesetzentwurf für ein Transplantationsgesetz6 in den Deutschen Bundestag einbrachte, legten die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP im April 1996 einen interfraktionellen Gesetzentwurf für ein Transplantationsgesetz7 vor. Dieser wurde nach intensiven Beratungen beider Vorlagen in den 3 http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Leber_09122013.pdf; http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Praeambel_08122010.pdf (Geschichte der Transplantation). 4 Art. 1 Nr. 6 Buchst. a D Buchst. dd des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 (BGBl. I 1994, 3146) mit Wirkung vom 15.11.1994. 5 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 27.10.1994 (BGBl. I 1994, 3146) mit Wirkung vom 15.11.1994. 6 Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Entwurf eines Gesetzes über die Spende, die Entnahme und die Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG) vom 7.11.1995, BT-Drs. 13/2926. 7 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP - Entwurf eines Gesetzes über die Spende, die Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG) vom 16.4.1996, BT-Drs. 13/4355. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 6 Ausschüssen, darunter Anhörungen von Sachverständigen im federführenden Gesundheitsausschuss sowie im Rechtsausschuss, vom Plenum des Deutschen Bundestages in dritter Lesung am 25. Juni 1997 angenommen.8 Das Transplantationsgesetz trat am 1. Dezember 1997 in Kraft. Es wurde seitdem zehnmal geändert , darunter die Neufassung mit dem Gesetz vom 21. Juli 2012.9 Die jüngste Änderung des Transplantationsgesetzes wurde durch Art. 5d des Gesetzes10 vom 15. Juli 2013 vorgenommen. Die Transplantationszentren sind gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG verpflichtet, über die Aufnahme in die Warteliste für eine Organtransplantation nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht der Organübertragung. Die BÄK stellt für die Aufnahme in die Warteliste gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 TPG diesen Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest. Gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 TPG wird die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vermutet, wenn die Richtlinien der BÄK beachtet worden sind. Das Verfahren für die Erarbeitung der Richtlinien und für die Beschlussfassung legt die BÄK fest. Der im Juli 2013 geänderte § 16 Abs. 2 TPG enthält weitere Vorgaben hinsichtlich des Verfahrens. So sind bei der Erarbeitung der Richtlinien die betroffenen Fachkreise angemessen zu beteiligen; ferner müssen die Richtlinien begründet werden. Nach dem neu eingefügten § 16 Abs. 3 TPG sind die Richtlinien und deren Änderungen dem Bundesministerium für Gesundheit zur Genehmigung vorzulegen. 3.3. Die Entwicklung der Regelungen des § 16 TPG zur Richtlinienermächtigung der BÄK § 16 TPG in der aktuellen Fassung lautet: „§ 16 Richtlinien zum Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bei Organen (1) Die Bundesärztekammer stellt den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest für 1. die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der dazu jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation, 1a. die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2. die Regeln zur Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der Dokumentation der Gründe für die Aufnahme oder die Ablehnung der Aufnahme, 3. die ärztliche Beurteilung nach § 9a Absatz 2 Nummer 1, 8 In der Fassung der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses (BT-Drs. 13/8017). Vgl. BT-PlPr 13/183, S. 16503A. Der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist mehrheitlich abgelehnt worden. Vgl. BT- PlPr 13/183, S. 16405D. 9 Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes (TPGÄndG) vom 21.7.2012 (BGBl I 2012, 1601). 10 Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung (BeitrSchuldG) vom 15.7.2013 (BGBl I 2013, 2423.) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 7 4. die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen einschließlich ihrer Dokumentation ergänzend zu der Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a, insbesondere an (…) 5. die Regeln zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 Satz 1, 6. die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme und -übertragung erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung und 7. die Anforderungen an die Aufzeichnung der Lebendorganspenden nach § 10 Absatz 2 Nummer 6. Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind. (2) Die Bundesärztekammer legt das Verfahren für die Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 und für die Beschlussfassung fest. Die Richtlinien nach Absatz 1 sind zu begründen; dabei ist insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen. Bei der Erarbeitung der Richtlinien ist die angemessene Beteiligung von Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise‚ einschließlich des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der Koordinierungsstelle nach § 11, der Vermittlungsstelle nach § 12 und der zuständigen Behörden der Länder vorzusehen. Darüber hinaus sollen bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 1a und 5 Ärzte, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind, noch Weisungen eines Arztes unterstehen, der an solchen Maßnahmen beteiligt ist, bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 5 Personen mit der Befähigung zum Richteramt und Personen aus dem Kreis der Patienten, bei der Erarbeitung von Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 ferner Personen aus dem Kreis der Angehörigen von Organspendern nach § 3 oder § 4 angemessen vertreten sein. (3) Die Richtlinien nach Absatz 1 sowie deren Änderungen sind dem Bundesministerium für Gesundheit zur Genehmigung vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann von der Bundesärztekammer im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern.“ § 16 TPG in der Fassung des Gesetzes vom 5. November 1997 bestimmte die Ermächtigung der BÄK zum Erlass von Richtlinien in folgenden Regelungsfeldern: – Richtlinien zur Feststellung des Todes des Organspenders und Verfahrensregeln zur Feststellung des irreversiblen Gesamtfunktionsausfalls des Gehirns (Abs. 1 S. 1 Nr. 1), – Richtlinien zur Aufnahme in die Warteliste der für eine Transplantation angenommenen Patienten (Abs. 1 S. 1 Nr. 2), – Richtlinien für die ärztliche Beurteilung von Patienten, die als Spender vermittlungspflichtiger Organe in Betracht kommen (Abs. 1 S. 1 Nr. 3), – Richtlinien für die Anforderungen an die zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen (Abs. 1 S. 1 Nr. 4), insbesondere an - die Untersuchung des Organspenders, der entnommenen Organe und der Organempfänger , zur Reduzierung der gesundheitlichen Risiken für die Organempfänger (lit. a), - die Konservierung, Aufbereitung, Aufbewahrung und Beförderung der Organe zur Erhaltung der für eine Transplantation geeigneten Beschaffenheit (lit. b), Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 8 – Richtlinien zur Organvermittlung insbesondere nach Maßgabe der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten (Abs. 1 S. 1 Nr. 5), – Richtlinien für die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme und -übertragung erforderlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen (Abs. 1 S. 1 Nr. 6). § 16 Abs. 2 TPG trifft Festlegungen zur Zusammensetzung des Personenkreises, der an der Erarbeitung der Richtlinien beteiligt ist. So sollen bei der Erarbeitung der Richtlinien zur Feststellung des Todes und denen zur Organvermittlung Ärzte angemessen vertreten sein, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind. Bei der Erarbeitung der Richtlinien zur Aufnahme in die Warteliste und denen zur Organvermittlung sollen Personen mit der Befähigung zum Richteramt sowie Personen aus dem Patientenkreis und Angehörige von Organspendern angemessen vertreten sein. Mit der Neufassung des TPG durch Art. 7 des Gesetzes vom 20. Juli 200711 tritt – neben redaktionellen Änderungen – eine neue materielle Bestimmung hinzu. Durch den neu eingefügten § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a wird die BÄK auch zum Erlass von Richtlinien für die Regeln zur Feststellung des Todes des Embryos oder Fötus ermächtigt. Die Richtlinienermächtigung korrespondiert mit den neu aufgenommenen Bestimmungen des § 4a TPG zur Entnahme bei toten Embryonen und Föten. Durch die Neufassung des TPG mit dem Änderungsgesetz vom 21. Juli 2012 kamen neben redaktionellen Modifikationen folgende neue Regelungen hinzu: – § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 neuer lit. c – Anforderungen an die Erkennung und Behandlung von Vorfällen bei einer Lebendorganspende, die mit der Qualität und Sicherheit des gespendeten Organs zusammenhängen können sowie – § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 (neu) – Anforderungen an die Aufzeichnung der Lebendorganspenden nach § 10 Abs. 2 Nr. 6 Ferner konkretisiert § 16 Abs. 2 TPG die bei der Erarbeitung der Richtlinien der BÄK zu beteiligenden Personenkreise: Nun müssen Sachverständige der betroffenen Fach- und Verkehrskreise, einschließlich bestimmter Spitzenfachverbände des Gesundheitswesens beteiligt werden. 3.4. Die Aufnahme eines Genehmigungsvorbehalts des Bundesministeriums für Gesundheit in die Bestimmung des § 16 TPG Mit der jüngsten Änderung des TPG durch das Gesetz vom 15. Juli 2013 kamen zwei neue Regelungen zum Verfahren des Richtlinienerlasses hinzu: – § 16 Abs. 2 neuer S. 1 – Begründungspflicht für die Richtlinien, insbesondere nachvollziehbare Darlegung des Erkenntnisstandes der medizinischen Wissenschaft sowie 11 BGBl. I S. 1574. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 9 – § 16 Abs. 3 (neu) – Genehmigungspflicht der Richtlinien durch das Bundesministerium der Gesundheit und dessen Recht, im Laufe des Genehmigungsverfahren ergänzende Stellungnahmen anzufordern. Die Genehmigung der Richtlinien durch das Bundesministerium für Gesundheit hatte zuvor der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einer Änderung des Transplantationsgesetzes vom Oktober 201112 zur effektiven Wahrnehmung der staatlichen Aufsicht über die grundrechtsrelevante Ausgestaltung wesentlicher Bereiche des Transplantationsgeschehen vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde von der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung mit der Begründung abgelehnt, die Richtlinien der BÄK seien nicht rechtsverbindlich und bedürften als antizipiertes Sachverständigengutachten keiner Genehmigung.13 Erst aufgrund der Aufforderung in einem interfraktionellen Antrag zum System der Organtransplantation im Juni 201314 fand der Genehmigungsvorbehalt Eingang in das Gesetzgebungsverfahren. 4. Rechtliche Qualifikation der von der Bundesärztekammer erlassenen Richtlinien Die Rechtsnatur dieser Richtlinien der BÄK ist umstritten. Die BÄK ist ein freiwilliger Zusammenschluss der 17 Landesärztekammern; der einzelne Arzt gehört der BÄK nur mittelbar über seine Pflichtmitgliedschaft in der Landesärztekammer an. Die BÄK ist damit – anders als die Landesärztekammern – keine Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern ein nicht rechtsfähiger Verein des Privatrechts.15 4.1. Rechtlich unverbindliche Richtlinien? 4.1.1. Argumentation der Bundesregierung und eines Teils der Lehre Nach Ansicht der Bundesregierung und eines Teiles der Literatur stellt die BÄK in ihren Richtlinien nur den Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft fest, ohne selber rechtsverbindliche Vorgaben zu setzen. Vielmehr hätten die Richtlinien nur die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens für die empirisch-deskriptive Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“.16 Die Vermutungsrege- 12 Drs. 17/7376, S. 32 f. 13 Drs. 17/7376, S. 36 f. 14 Drs. 17/13897, S. 4; angenommen PlPr. 17/250, TOP 17. 15 Allgemeine Ansicht; Gutmann, in: Schroth/Gutmann/Oduncu, Kommentar zum TPG, 1. Auflage 2005, § 12 Rn. 4; Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Auflage 2010, § 13 Rn. 13 und 14; Berger, Die Bundesärztekammer , 2004, S. 38, 46 m.w.N.; Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, 2011, S. 62 f. 16 Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 17/7376, S. 36. So auch Nickel/ Schmidt-Preisigke/Sengler, Transplantationsgesetz, Kommentar, 2001 § 16 Rn. 20. Ähnlich Taupitz, Richtlinien in der Transplantationsmedizin, NJW 2003, 1145, 1148 f., der von einer normenkonkretisierenden Verweisung spricht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 10 lung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG unterstreiche die fehlende Rechtsverbindlichkeit der Richtlinien.17 Die Richtlinien stellten eine Entscheidungshilfe für die ärztliche Berufsausübung dar18, seien also eine Erkenntnisquelle für die Frage, wie die Transplantationsmedizin lege artes auszuführen sei. Daher sei deren Genehmigung durch das Bundesministerium für Gesundheit zwar nicht erforderlich , diene aber der höheren Transparenz ihrer Erstellung und erzeuge eine höhere Verbindlichkeit für die Mediziner. Nach einer Auffassung sei der (ursprünglich) fehlende Genehmigungsvorbehalt verfassungsrechtlich solange unbedenklich gewesen, wie die Vermittlung der Organe durch den Allokationsvertrag selbst geregelt worden sei, der wiederum der Genehmigung durch das Ministerium unterliege.19 Dieses Verfahren sei auch sachdienlich, da sich die Erkenntnisse der Wissenschaft insbesondere im Bereich der Organtransplantation rasant veränderten, zahlreiche Einzelfragen nur mit äußerst speziellen Kenntnissen bearbeitet werden könnten und eine jeweilige Anpassung auf Verordnungsebene daher nicht praktikabel sei.20 Der Stand der medizinischen Wissenschaft könne zutreffender und zügiger durch die BÄK dargestellt werden. Diese Bündelung des Sachverstandes legitimiere die Vorgehensweise und schütze die Grundrechte der Betroffenen besser.21 Durch die neuen, engen Verfahrensvorgaben für die Ausarbeitung der Richtlinien, die eine starke Beteiligung interessierter Fachkreise sicherstelle, eine Begründungspflicht vorsehe und die Richtlinie unter den Vorbehalt der Genehmigung durch das Bundesministerium der Gesundheit stelle, sei die Transparenz des Verfahrens und seine demokratische Legitimation hinreichend gewährleistet.22 Für die Unverbindlichkeit der privaten Richtlinien spreche auch Folgendes: Im Gesundheitswesen habe sich ein spezielles Verständnis der Begriffe „Richtlinien, Leitlinien, Empfehlungen“ für institutionell gesetzte ärztliche Handlungsregeln entwickelt.23 Richtlinien seien in dem Rechtsraum der Institution, die sie erlassen hat, unbedingt zu befolgen. Dennoch seien die Richtlinien keine öffentlich-rechtlichen, sondern privatrechtliche Regelwerke, deren Verfehlung (nur) berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könne. Die Vermutungswirkung werde – soweit die Richtlinien regelmäßig fortgeschrieben würden – in der Praxis allerdings sehr stark sein, sodass 17 So Nickel/ Schmidt-Preisigke/Sengler (Fn. 16), § 16 Rn. 4 a.E.; Conrads, Rechtliche Aspekte der Richtlinienfeststellung nach § 16 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 5 Transplantationsgesetz, in: Dierks/Neuhaus/Wienke, Die Allokation von Spenderorganen – Rechtliche Askpekte, 1999, S. 35, 39; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin , 2001, S. 179 - 206. 18 Nickel/Schmidt-Preisgke/Sengler (Fn. 16), § 16 Rn. 20. 19 Conrads (Fn. 17), S. 40 f. 20 Hase, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Gesundheit am 24.6.2013, Ausschussdrucksache 17 (14) 0450 (5), S. 2 f.; im Internet abrufbar unter: http://webarchiv.bundestag.de/archive/2013/1212/bundestag/ ausschuesse17/a14/anhoerungen/ao_Organspende/Stellungnahmen/17_14_0450_5_ESV_Prof_Dr_Hase.pdf. 21 Nachweise für diese Argumente bei Parzeller/Henze, Richtlinienkompetenz zur Hirntod-Feststellung erneut bei Bundesärztekammer – Sind Demokratie- und Wesentlichkeitsprinzip hirntot?, in: ZRP 2006, 176 (177). 22 Heun, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Gesundheit am 24.6.2013, Ausschussdrucksache 17 (14) 0450 (4), S. 1, im Internet abrufbar unter: http://webarchiv.bundestag.de/archive/2013/1212/bundestag/ ausschuesse17/a14/anhoerungen/ao_Organspende/Stellungnahmen/17_14_0450_4_ESV_Prof_Dr_Dr_h_c_Heun.pdf. 23 Ausführlich und zum Ganzen kritisch Wiegand, Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, 2011, S. 67 - 71 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 11 ein Abweichen von diesen Regeln kaum in Betracht komme. Einem Arzt, der sich an diese halte, werde kaum ein Verschuldensvorwurf gemacht werden können.24 Aus der Vermutungsregel des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG schließen andere Autoren auf den Charakter der Richtlinien als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift.25 4.1.2. Der Begriff des antizipierten Sachverständigengutachtens Der Begriff des antizipierten Sachverständigengutachtens wird überwiegend für technische Regelwerke privatrechtlicher Vereine (z.B. DIN-Vorschriften) oder normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften (z.B. TA Luft) angewendet.26 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen diese keine Rechtsquellen dar, sondern können als Ausdruck der Erkenntnisse und Erfahrungen von Fachleuten die Bedeutung von allgemeinen Erfahrungssätzen und antizipierten generellen Sachverständigengutachten haben.27 Ihre Verwertbarkeit hänge von der Zusammensetzung der Normungsgremien ab und davon, ob der auf einem Fachgebiet vorhandene Sachverstand durch die Gremien repräsentiert werde und nicht Interessengruppen einseitig die Normung steuerten.28 Keinesfalls dürften die wissenschaftlich fundierten, fachlich-technischen Regeln mit den ohne Rechtsverbindlichkeit gleichzeitig getroffenen Wertungs- und Abwägungsentscheidungen vermengt und ohne weiteres rezipiert werden.29 Eine die Kontrolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit reduzierende normenkonkretisierende Wirkung von Verwaltungsvorschriften komme nur ausnahmsweise im Technik- und Umweltrecht in Betracht .30 Entsprechende Verwaltungsvorschriften würden durch die Bundesregierung – ggf. mit Zustimmung des Bundesrats – erlassen und im Gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlicht. 4.1.3. Argumente gegen diese Ansicht Gegen die Qualifikation der Richtlinien der BÄK als privates Regelwerk wird eingewandt, bereits der Regelungsgehalt spreche für die Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe31: Letztlich stellten die Richtlinien nicht nur den Stand der Wissenschaft fest, sondern legten die Bedeutung bestimmter Auswahlkriterien fest und schlössen bestimmte Personen (vorläufig) von der Aufnahme in die Warteliste aus. Es handelt sich also nicht um die Ausübung der medizinischen Wissenschaft, sondern 24 Nickel/Schmidt-Preisgke/Sengler (Fn. 16), § 16 Rn. 20. 25 Junghanns (Fn. 17), S. 184; Rosenau, Die Setzung von Standards in der Transplantation: Aufgabe und Legitimation der Bundesärztekammer, in: Ahrens et al. (Hrg.), Medizin und Haftung, Festschrift für Erwin Deutsch, 2009, S. 435 (439); Taupitz, Richtlinien in der Transplantationsmedizin, NJW 2003, 1145, 1148 f. 26 Insgesamt kritisch: Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts (HStR) Bd. 8, 3. Aufl. 2010, § 177 Rn. 85 f. 27 BVerwG, Beschl. v. 7.5.2007 – 4 B 5/07, BeckRS 2007, 23642. 28 BVerwG NVwZ 2008, 675, 677. 29 Papier (Fn. 26), § 177 Rn. 85 m.w.N. 30 BVerwGE 107, 338 (341). 31 Wiegand (Fn. 23), S. 69 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 12 die Festlegung von Allokationsregeln. Das TPG mache gerade keine gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Gewichtung der strukturell einander widersprechenden Kriterien der Erfolgsaussicht und der Dringlichkeit der Organtransplantation. Die BÄK müsse daher faktisch einen erheblichen eigenen – normativen – Entscheidungsspielraum ausfüllen; dies werde aber nicht von dem Begriff „Feststellung von Erkenntnissen“ umfasst.32 So gehen die Regelungen der Richtlinien über ein technisches Regelwerk zumindest dort hinaus, wo auf Mitwirkungspflichten des Patienten Bezug genommen wird – dies ist bei der Mitarbeit des Patienten (Compliance) in Punkt I 4 der Richtlinien als mögliche Kontraindikation sowie in Punkt III. 2.1 – Einschränkung der Aufnahme in die Warteliste bei alkoholinduzierter Zirrhose, der Fall. Anders als bei den ebenfalls geregelten Kriterien für die Allokation von Lebern (Punkte III. 6 ff.) sowie der Einteilung der MELD-Scoren werden bei den aktuellen Richtlinien keine wissenschaftlichen Kriterien für die Ausnahme von der Warteliste genannt. Erst der Entwurf einer neuen Richtlinie33 gibt medizinische Kriterien an. Daher handelt es sich zumindest bei diesem Teil der Richtlinien nicht um rein technische oder wissenschaftliche Regelwerke, sondern auch um Regelungen mit Wertungsentscheidungen. Den Richtlinien kommt ferner Außenwirkung zu, da sich die „Stichting Eurotransplant International Foundation“ (ET), die von den gesetzlichen Krankenkassen, gemeinsam mit der BÄK und der Deutschen Krankenhausgesellschaft vertraglich mit der Vermittlung der zu transplantierenden Organe beauftragt wird, gemäß § 5 Abs. 1 und 7 des Vertrages34 bei der Verteilung der Organe an die von der BÄK aufgestellten Richtlinien zu halten hat. Auch die Transplantationszentren sind gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG zur Aufstellung der Wartelisten entsprechend dieser Richtlinien verpflichtet.35 Letztlich spricht auch die derzeitige Fassung des § 16 Abs. 3 TPG, die einen Genehmigungsvorbehalt des Ministeriums für die Richtlinien vorsieht36, gegen deren Charakter als Sachverständigengutachten : Technische Normen (wie bspw. DIN) bedürften keiner Genehmigung. Soweit es sich um ein antizipiertes Sachverständigengutachten handeln sollte, müsste dem Patienten im Übrigen die Möglichkeit gegeben werden, dieses Gutachten im konkreten Fall zu entkräften. Demnach müsste ein alkoholkranker Patient nachweisen können, dass er auch ohne Abstinenz 32 Gutmann (Fn. 15), § 16 Rn. 6; Lang, Deregulierte Verantwortungslosigkeit?, MedR 2005, S. 269 (274) 33 Entwurf einer Beschlussempfehlung der Ständigen Kommission Organtransplantation für eine Änderung der Richtlinien für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, 1. Lesung 14.1.2014, S. 3 ff., im Internet abrufbar unter: www.bundesaerztekammer.de/downloads/RL-Aenderung_Leber-Tx2.pdf. Für die derzeit geltende Richtlinie gibt es keine Begründung. 34 Vertrag im Internet abrufbar unter: http://www.aok-gesundheitspartner.de/imperia/md/gpp/bund/krankenhaus/ transplantation/transplantation_vertrag_et_2000.pdf. 35 Wiegand (Fn. 23), S. 71; Höfling, in: Höfling, Transplantationsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2013, § 16 Rn. 16; Bader, Organmangel und Organverteilung, 2010, S. 179 f. je m.w.N. Laut Bader handelt es sich formal um antizipierte Sachverständigengutachten, materiell aber um Rechtsnormen. 36 § 6 Abs. 2 S. 2 TPG; s. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, Drs. 17/13947, S. 40. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 13 wegen der Dringlichkeit und der Erfolgsaussichten einer Transplantation auf die Warteliste gesetzt werden kann. Gegen ihre Qualität als normenkonkretisierende Verwaltungsvorschriften sprechen bereits formell das Verfahren ihres Entstehens – nur der Genehmigung durch das zuständige Ministerium anstatt durch die Bundesregierung – wie auch ihre Veröffentlichung im Ärzteblatt und nicht im Ministerialblatt . 4.2. Verbindliche Rechtsetzung durch die BÄK als „Beliehene“? Nach einer im Schrifttum37 weit verbreiteten Auffassung wird die BÄK bei der Richtliniensetzung als (atypische) „Beliehene“ tätig. Beliehene sind (natürliche oder juristische) Privatpersonen, denen die Kompetenz zur selbständigen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen übertragen worden ist.38 Zur Frage, ob dies auch – wie im konkreten Fall – Rechtssetzungsbefugnisse umfasst, s. unter 4.3. Die BÄK ist nach allgemeiner Ansicht ein sog. nichtrechtsfähiger, privatrechtlicher Verein nach § 54 BGB39.40 § 16 Abs. 2 S. 1 TPG weise mit seinem Regelungsauftrag an die BÄK, den Stand der Wissenschaft in der Medizin festzustellen, den Richtlinien ausdrücklich unmittelbare rechtsnormative Verbindlichkeit zu. Mit dem Erlass der Richtlinien übe die BÄK öffentliche Gewalt aus.41 Die BÄK sei daher mit weitreichenden Normsetzungsbefugnissen beliehen worden.42 Den Richtlinien komme Rechtswirkung zu. Eine Ansicht betont, die letzte Entscheidung über die Aufnahme in die Warteliste bliebe zwar formal beim Rechtsanwender; allerdings komme eine Widerlegung der in den Richtlinien niedergelegten Vermutung kaum in Betracht, so dass den Richtlinien eine gesetzesähnliche Wirkung zukomme, die die hoheitliche Tätigkeit der BÄK unterstreiche.43 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein großer Teil der Literatur vom verbindlichen Charakter der Richtlinien der BÄK ausgeht, es sich also im weitesten Sinne um durch die BÄK gesetzte Normen handele44, während die Bundesregierung und ein Teil der Kommentarliteratur von der rechtlichen Unverbindlichkeit der Normen ausgeht. 37 Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im Transplantationsgesetz – verfassungsgemäß?, 2011, S. 92 - 98; Berger, Die Bundesärztekammer – Eine verfassungsrechtliche Studie zu Status, Organisation und Aufgaben, 2005, S. 83, 94; Höfling (Fn. 35), § 16 Rn. 14 – 17; Gutmann (Fn. 15), § 16 Rn. 5; Schmidt-Aßmann Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, 2001, S. 102; Bader (Fn. 35), S. 177 je m.w.N. 38 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl., 2011, § 23 Rn. 56. 39 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.1.2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 5 des Gesetzes vom 1.10.2013 (BGBl. I S. 3719) geändert worden ist. 40 Berger (Fn. 37), S. 46 f. m.w.N. 41 Gutmann in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, Kommentar, 2005, § 16 Rn. 5; Lang (Fn. 32), S. 274; Höfling (Fn. 35) § 16 Rn. 17; Schmidt-Aßmann (Fn. 37), S. 102 f. 42 Berger (Fn. 37), S. 82 f. m.w.N. 43 Bader (Fn. 35), S. 177. 44 Zusammenfassend Bader (Fn. 35), S. 184 mit Auflistung der verschiedenen Bezeichnungen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 14 4.3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Normsetzung durch die BÄK Soweit man mit der Literatur von einer Normsetzung durch die BÄK als Beliehene ausgeht, ist zu prüfen, ob diese Normsetzung verfassungsgemäß ist. Es ist umstritten45, ob eine Beleihung Privater mit Normsetzungskompetenzen überhaupt verfassungsrechtlich zulässig ist. 4.3.1. Vereinbarkeit mit Art. 80 GG Ansatzpunkt für die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Delegation von Normgebung sind die Vorschriften des Grundgesetzes (GG) über die Gesetzgebung im formellen Sinne gemäß Art. 122 Abs. 1, Art. 70 ff GG. Gemäß Art. 80 Abs. 1 GG kann ein Gesetz die Bundesregierung (Erstdelegatar) oder andere, abschließend aufgeführte46 Erstdelegatare ermächtigen, Rechtsverordnungen zu erlassen. Diese kann – soweit im Gesetz vorgesehen – eine Ermächtigung per Rechtsverordnung weiter auf einen Subdelegatar übertragen. In der Literatur ist umstritten, ob bereits Art. 80 Abs. 1 GG eine Subdelegation der Ermächtigung zur Normsetzung auf Private ausschließt.47 Zumindest in der ursprünglichen Fassung des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG wurde die Ermächtigung zur Normsetzung – folgt man der Auffassung dieses Teils der Literatur – bereits durch den Bundesgesetzgeber unmittelbar auf die BÄK übertragen.48 Eine solche direkte Übertragung darf jedoch nicht durch Gesetz vorgenommen werden.49 Mangels zulässigem Erstdelegatar – der Bundesregierung – habe die BÄK daher nicht in verfassungskonformer Weise mit dem Erlass von Normen beliehen werden können; die Richtlinien könnten daher grundsätzlich keine Verbindlichkeit beanspruchen.50 Es stellt sich die Frage, ob die nunmehr eingeführte Genehmigungspflicht durch das Bundesministerium für Gesundheit diesen Mangel heilen könnte (§ 16 Abs. 3 TPG). Jedenfalls war intendiert, die Richtlinienerstellung durch die BÄK unter staatliche Rechtsaufsicht zu stellen und damit eine größere Verbindlichkeit der Richtlinien herzustellen.51 Auch in der Literatur wurde der Vorschlag gemacht, die Richtlinien an das Einvernehmen mit der zuständigen Bundesoberbehörde zu binden .52 Der Genehmigungsvorbehalt ist auch geeignet, demokratische Legitimation zu entfalten. Allerdings sei ein Genehmigungsvorbehalt hier das falsche Instrument, da die BÄK nicht im Rahmen der Selbstverwaltung tätig werde.53 Jedoch könnten durch dieses herzustellende Einvernehmen 45 Zum Streitsand s. Freitag, Das Beleihungsverhältnis, 2005, S. 41 ff. m.w.N. Vgl. auch den Hinweis in BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12, NJW 2013, 1727 (1728), Rn. 17 auf diese umstrittene Frage. 46 Unstreitig, Nachweise bei Remmert, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, 70. EL 2013, Art. 80 Rn. 74. 47 Ausführlich hierzu Wiegand (Fn. 23), S. 142 ff. 48 Bader (Fn. 35), S. 186. 49 Unstreitig, Nachweise bei Remmert, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, 70. EL 2013, Art. 80 Rn. 74. 50 Wiegand (Fn. 23), S. 208; Bader (Fn. 35), S. 186. 51 Interfraktioneller Antrag aller im Bundestag vertretenen Fraktionen, BT-Drs. 17/13897, S. 4 f. 52 Höfling (Fn. 35), § 16 Rn. 22 a.E.; Schmidt-Aßmann (Fn. 37), S. 105. 53 Kingreen, Kurzreferat auf der Öffentlichen Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates am 26.9.2013 in Berlin, Protokoll, S. 30. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 15 wohl die teilweise in der Literatur erhobenen Bedenken hinsichtlich der fehlenden Aufsicht durch eine staatliche Stelle behoben werden.54 4.3.2. Vereinbarkeit mit Art. 20 Abs. 2 GG Unabhängig davon, ob es sich um eine „normkonkretisierende Verweisung“ oder um eine „exekutive Normsetzung“ durch die BÄK handelt, fordert die Literatur wegen der Bedeutsamkeit der Regelungsmaterie, der Staatsnähe der Regelungsinstanz und des spezifischen Bindungscharakters der Regelungswirkungen eine ausreichende demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG.55 Gemäß Art. 20 Abs. 2 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Die Ausübung hoheitlicher Gewalt ist daher mittelbar auf das Volk zurückzuführen. Dies geschieht durch die sachlichinhaltliche Legitimation einerseits, die personell-demokratische Legitimation andererseits.56 Zum einen werden Lücken in der sachlich-inhaltlichen Legitimation darin gesehen57, dass die BÄK in ihren Richtlinien keinesfalls nur wissenschaftlich empirische Daten feststelle, sondern auch Wertungen treffe: So sei die Abwägung „insbesondere von Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten“ eine Wertungsfrage, für die der Gesetzgeber nur wenige Kriterien benannt habe.58 Dieser normative Entscheidungsspielraum komme aber dem parlamentarischen Gesetzgeber und nicht der BÄK zu.59 Dieser Befund sei nach Ansicht der Befürworter der derzeitigen Regelung zwar richtig, treffe hingegen auf jeden gesetzlichen Verweis auf technische Standards zu. Diese seien nie allein durch wissenschaftliche Gesichtspunkte ohne Wertung ausfüllbar.60 Die Bewertung der Erfolgsaussichten einer Transplantation setze gerade medizinisches Fachwissen voraus, das nicht exklusiv dem Gesetzgeber vorbehalten sei. Medizin sei nicht eine ausschließlich naturwissenschaftliche, feststehende Fakten erforschende Disziplin, sondern beruhe auf evidenzbasiertem allgemeinen Erfahrungswissen über ihren allgemeinen Patientennutzen. Die Anwendung der medizinischen Wissenschaft enthalte immer auch eine Bewertung von Fakten, basierend auf medizinischethischen Überzeugungen.61 54 Ausführlich zur alten Gesetzeslage Wiegand (Fn. ??? ), S. 209 - 222. 55 Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, 2001, S. 103, der nicht explizit von einer Beleihung ausgeht; Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, 2011, S. 66 - 73; Gutmann (Fn. 41), § 16 Rn. 5; Höfling (Fn. 35), § 16 Rn. 17 ff. m.w.N. 56 Grzeszik, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, 70. EL 2013, Art. 20 Rn. 120 ff. 57 Schmidt-Aßmann (Fn. 37), S. 103 f.; Höfling (Fn. 35), § 16 Rn. 18 ff.; Gutmann (Fn. 41), § 16 Rn. 6, 19 f.; Bader (Fn. 35), S. 187 f.; Taupitz (Fn. 16) NJW 2003, 1145, 1149. 58 Taupitz (Fn. 16) NJW 2003, 1145, 1149; Höfling (Fn. 35), § 16 Rn. 20. 59 Bader (Fn. 35), S. 188. 60 Heun (Fn. 22), S. 3. 61 Rissing-van Saan, Der sog. „Transplantationsskandal“ – eine strafrechtliche Zwischenbilanz, NStZ 2014, 233 (236). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 16 Der BÄK fehle auch die personell-demokratische Legitimation.62 Bei der ursprünglichen Fassung des § 16 TPG sollten bei der Erarbeitung der Richtlinien zwar Juristen und Patientenvertreter beteiligt werden. Dieser Personenkreis sei aber zu eng gezogen und die Kriterien für deren Auswahl nicht ausreichend genau gewesen, um eine Legitimation „von unten“ zu begründen.63 Zwar müsse nach der Neufassung des § 16 Abs. 2 TPG die BÄK ein Verfahren zur Erarbeitung der Richtlinien festlegen und auch ein größerer Kreis an Sachverständigen einbezogen werden; aber auch diese Gesetzesänderung genüge nicht, um die verfassungsrechtlichen Probleme zu beseitigen.64 Vielmehr müssten Zusammensetzung und Verfahren der zuständigen Ständigen Kommission Organtransplantation bei der BÄK im Gesetz selbst geregelt werden, um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)65 an ähnliche Institutionen zu genügen. Hiergegen kann jedoch eingewandt werden, dass die nunmehr erforderliche Genehmigung der Richtlinien durch das Bundesministerium für Gesundheit die mangelnden Vorgaben für die Besetzung der Kommission ausgleicht. Anders als bei der der Entscheidung des BVerfG zugrundeliegenden Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften entscheidet die BÄK gerade nicht (mehr) abschließend über die Richtlinien, sondern das mittelbar demokratisch legitimierte Bundesministerium für Gesundheit, so dass die Grundsätze der erwähnten Entscheidung wohl gerade keine Anwendung mehr auf die Ständige Kommission finde.66 Auch bereits vor dieser Gesetzesänderung sei nach einer Ansicht bereits rein tatsächlich ein hinreichendes Maß an Partizipation der Betroffenen, Neutralität und Objektivität durch die konkrete Besetzung der Ständigen Kommission erreicht gewesen.67 4.4. Zwischenergebnis Die Rechtsnatur der von der BÄK im Rahmen des § 16 Abs. 1 TPG erlassenen Richtlinien ist umstritten . Nach Auffassung der Bundesregierung und eines Teils der Literatur handelt es sich um rechtlich unverbindliche Richtlinien, deren Verbindlichkeit durch die Genehmigung durch das Ministerium für Gesundheit erhöht werden sollte. Verfassungsrechtliche Fragen hinsichtlich der Richtlinienkompetenz der BÄK stellen sich daher zunächst nicht. Nach einem anderen Teil der Literatur handelt es sich bei den Richtlinien der BÄK um verbindliche Normen, die die BÄK als Beliehene erlassen habe. Ursprünglich aufgeworfene Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Beleihung könnten wohl durch die nunmehr 62 Wiegand (Fn. 23), S. 208 f. m.w.N. Sie lehnt auch das Konzept der Legitimation „von unten“ ab. 63 Wiegand (Fn. 23), S. 208 f; Höfling (Fn. 35), § 16 Rn. 21. je m.w.N. Ähnlich kritisch Lang, in: Höfling (Fn. 35), § 10 Rn. 20 f. 64 Höfling (Fn. 35), § 16 Rn. 48. 65 BVerfGE 83, 13 (150 ff.). 66 Heun (Fn. 22), S. 3; im Ergebnis ebenso Hase (Fn. 20). Auch Lang, Deregulierte Verantwortungslosigkeit? , MedR 2005, 269 (279) schlägt eine Genehmigung durch das zuständige Ministerium als ausreichende Legitimation für die Richtlinientätigkeit der BÄK vor. Ebenso Höfling (Fn. 35), § 16 Rn. 22. 67 Rosenau (Fn. 25), S. 443. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 17 eingeführte Begründungspflicht und den Genehmigungsvorbehalt durch das Ministerium für Gesundheit ausgeräumt sein. 5. Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Betroffenen Über die Frage der rechtlichen Qualität der Richtlinien hinausgehend ist zu prüfen, ob eine Aufnahme von Personengruppen wie Alkoholkranke auf die Warteliste für die Organtransplantation erst nach Einhaltung einer gewissen Wartefrist mit deren Grundrechten vereinbar wäre. Dies könnte ein Verstoß gegen die körperliche Unversehrtheit der Patienten sein, die Art. 2 Abs. 2 GG gewährleistet. 5.1. Schutzbereich Art. 2 Abs. 2 GG gewährt jedermann das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieses Grundrecht wird berührt, „wenn staatliche Regelungen dazu führen, dass einem kranken Menschen eine nach dem Stand der medizinischen Forschung prinzipiell zugängliche Therapie, mit der eine Verlängerung des Lebens, mindestens aber eine nicht unwesentliche Minderung des Leidens verbunden ist, versagt bleibt.“68 Die Organtransplantation stellt eine in der Medizin anerkannte wissenschaftliche Therapie dar. Das Grundrecht ist also berührt, wenn aufgrund einer Alkoholkrankheit an einer Leberzirrhose erkrankten Patienten eine Therapie durch Organtransplantation solange versagt bleibt, bis diese mindestens sechs Monate alkoholabstinent waren. Zumindest für den Zeitraum dieser sechs Monate bleibt ihnen eine Therapie versagt. Soweit allerdings die Organtransplantation wegen anderweitiger Heilungsaussichten nicht indiziert ist69, liegt kein Eingriff vor, da sein Leben durch die Transplantation nicht verlängert oder verbessert würde als durch eine andere Therapie. Dies ist eine Frage des Einzelfalls. 5.2. Eingriff Fraglich ist, wodurch in den Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit eingegriffen wurde. Ein Eingriff durch die Transplantationszentren, die die Wartelisten gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 1 TPG zu führen und über die Annahme eines Patienten zur Organübertragung und seine Aufnahme in die Warteliste zu entscheiden haben, scheidet aus, soweit sie privatrechtlich organisiert und damit nicht gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden sind. Auch die Vermittlungsstelle Eurotransplant ist als eine privatrechtliche Stiftung niederländischen Rechts nicht an die Grundrechte gebunden. Sind die Transplantationszentren hingegen öffentlich-rechtlich verfasst, sind diese an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG gebunden70, so dass ein Eingriff wohl zunächst in Betracht käme. 68 BVerfG, NJW 1999, 3399, 3400.S 69 Nach Lilie, Kurzreferat auf der Öffentlichen Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates am 26.9.2013 in Berlin, Protokoll , S. 16, 70 Ausführlich zum Ganzen Dreier, in: Dreier, Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 3. Aufl. 2013, Art. 1 III Rn. 70 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 18 Dann käme ein Eingriff durch die von der BÄK erlassene Richtlinie selber in Frage. Soweit man mit einem Teil der Literatur von einem (atypischen) Beleihungsverhältnis ausgeht, wäre die BÄK als Beliehene bei der Erarbeitung an die Grundrechte gebunden.71 Folgt man der Auffassung der Bundesregierung und sieht die Richtlinien der BÄK als Sachverständigengutachten mit einer gesteigerten Verbindlichkeit an, wäre ein Eingriff wohl in der Genehmigung dieser Richtlinien durch die Bundesregierung zu sehen: Die Richtlinien binden aufgrund der Vermutungsregel in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG die entscheidenden (privatrechtlichen) Organe faktisch. Durch deren Genehmigung macht sich die Bundesregierung die Richtlinie – und sei es als Sachverständigengutachten – zu eigen. Für die daraus folgende Grundrechtsbindung spricht auch, dass andernfalls der Gesetzgeber durch eine entsprechende Konzeption die öffentliche Gewalt aus der Verantwortung nehmen könnte. Wenn der Gesetzgeber sich aber für die Regelung einer Materie wie dem Transplantationswesen entscheidet, ist er bei der Regelung dieser Materie an die Grundrechte gebunden. Letztlich handelt es sich um die Verantwortlichkeit der Staatsgewalt für eine mögliche Beeinträchtigung der Grundrechte durch Dritte, die sie mittels des Regelungsbefehls des § 16 Abs. 1 TPG veranlasst hat.72 Damit kommt bei dieser Auffassung sowohl ein Eingriff durch die Genehmigung der Richtlinie durch die Bundesregierung als auch durch § 16 Abs. 1 Nr. 2 TPG selbst in Betracht, obwohl dieser nur die BÄK mit der Erarbeitung von Richtlinien beauftragt, ohne konkrete Vorgaben zu Fragen der Compliance oder der Alkoholabstinenz zu treffen. 5.3. Rechtfertigung Dieser Eingriff könnte allerdings verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG müssen Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verhältnismäßig sein. Konflikte zwischen den Schutzgütern dieses Grundrechts und anderen Rechtsgütern sind nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips durch Abwägung der einander widerstreitenden Interessen zu lösen. Führt diese Abwägung zu dem Ergebnis, dass die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen im konkreten Fall ersichtlich wesentlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die staatliche Maßnahme dienen soll, so verletzt der gleichwohl erfolgte Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und damit das Grundrecht.73 5.3.1. Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes Dieser Ausgleich einander widerstreitender, zudem jeweils grundrechtlich fundierter Interessen ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers.74 Nach der Rechtsprechung des BVerfG gebieten Demokratie und Rechtsstaatsgebot dem parlamentarischen Gesetzgeber „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelungen zugänglich ist, alle wesentliche Entscheidung selbst“ zu treffen.75 Er darf diese nicht dem Handeln 71 Maurer (Fn. 38), § 23 Rn. 58. 72 Zu dieser Rechtsfigur s. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, 1994, S. 192 ff. 73 BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 11.8.1999 - 1 BvR 2181–98 u.a., NJW 1999, 3399, 3401; BVerf GE 51, 324 (346). 74 BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 11.8.1999 - 1 BvR 2181–98 u.a., NJW 1999, 3399, 3401. 75 BVerfGE 95, 267 (307 f.) m.w.N.; st. Rspr. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 19 und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen.76 Eine institutionalisierte Beteiligung sachverständiger Akteure ist aber zulässig. Die Abgrenzung des vom Gesetzgeber zu regelenden „Wesentlichen“ vom „Unwesentlichen“ stößt auf Schwierigkeiten und lässt sich nicht generell-abstrakt vornehmen.77 Insbesondere im Bereich des Technik- und Umweltrechts oder auch Sozialversicherungsrecht werden „wesentliche“ Regelungen außerhalb des förmlichen Gesetzes auf untergesetzlicher Ebene getroffen. Auch Regelungen durch Rechtsverordnungen, die – wie etwa im Atomrecht – den „Stand der Wissenschaft und Technik“ festlegen und damit eine sofortige Reaktion und flexible Antwort auf geänderte Sachlagen geben können, gehören hierzu.78 Allerdings kommt es für die Abgrenzung auf die Intensität des Grundrechtseingriffs an.79 Soweit der Gesetzgeber seine Regelungsbefugnis delegiert, müsse er „zumindest die Art der anzuwendenden Auswahlkriterien und das Rangverhältnis untereinander“ selbst festlegen.80 Zusammenfassend lässt sich festhalten: Je schwerwiegender die Auswirkungen einer Regelung und je wesentlicher eine Angelegenheit für die Allgemeinheit bzw. den einzelnen Bürger ist, desto genauer müssen die Vorgaben des parlamentarischen Gesetzgebers sein.81 Dabei müssen auch Verfahrensfragen sowie Auswahlkriterien und deren Rangverhältnis vom Gesetzgeber festgelegt werden. Schutzzweck und fachliche Einzelfragen können auch für eine Regelung durch Berufsverbände sprechen.82 Bei den zu prüfenden Richtlinien handelt es sich um die Aufnahme in die und die Reihenfolge auf der Warteliste für teilweise lebensrettende Organtransplantationen. Die Regelungen befinden sich damit in einem Bereich, in dem die Grundrechte – Recht auf Gesundheit und Leben – intensiv betroffen sind, so dass die Wesentlichkeitslehre Anwendung findet. § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG83 gibt als Kriterien für die Aufnahme in die Warteliste und damit für die Rangfolge der Verteilung lebenswichtiger Organe insbesondere „Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung“ an. Zum einen lässt der Gesetzestext mit diesem Wortlaut bereits 76 BVerfGE 83, 130 (142). 77 Zu diesem Problem Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band 5, 3. Aufl. § 101 Rn. 56 ff. 78 Ossenbühl (Fn. 77), § 101 Rn. 79. 79 BVerfGE 49, 89 (127). 80 BVerfGE 33, 303 (345 f.) – Numerus-clausus-Urteil; auf dieses Urteil verweisen Gutmann/Fateh-Moghadam, Rechtsfragen der Organverteilung, NJW 2002, 3365 sowie Kingreen, Kurzreferat auf der Öffentlichen Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates am 26.9.2013 in Berlin, Protokoll, S. 21. 81 BVerfGE 33, 125 (158 ff.); 96, 189 (193); Parzeller/Henze, Richtlinienkompetenz zur Hirntod-Feststellung erneut bei Bundesärztekammer – Sind Demokratie und Wesentlichkeitsprinzip hirntot?, ZRP 2006, 176 (178). 82 BVerfGE 49, 89 (137). 83 Das gleiche Problem stellt sich bei § 12 Abs. 3 TPG im Bezug auf die Vermittlung von Organen, der von der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit spricht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 20 weitere Kriterien für deren Rangfolge zu und regelt diese Kriterien nicht abschließend. Zum anderen handelt es sich bei den genannten Kriterien im Bereich der Organtransplantation tendenziell um zwei einander widersprechende Ziele – je dringlicher eine Organtransplantation aufgrund der Schwere der Erkrankung ist, desto geringer sind in vielen Fällen wegen des allgemeinen Gesundheitszustandes die Erfolgsaussichten.84 Das Gesetz gibt aber für die Frage, wie beide Kriterien gewichtet werden sollen, keinerlei Hinweise und überlässt dies den die Warteliste führenden Transplantationszentren, die sich an die Richtlinien der BÄK halten müssen. Diese wiederum sollen den Stand der Wissenschaft in der Medizin widerspiegeln; gerade zur Abwägung dieser beiden Kriterien bedarf es aber über die medizinischen Kriterien hinausgehende Gründe.85 Auch wenn im parlamentarischen Verfahren angesichts der sich ändernden wissenschaftlichen Grundlagen nicht sämtliche – insbesondere auch medizinische – Kriterien aufgelistet und die Abwägung der einzelnen Merkmale abschließend getroffen werden kann86, wäre doch zumindest zu erwarten, dass der Gesetzgeber Vorgaben hinsichtlich der Gewichtung der widerstreitenden Kriterien vornimmt. So wurden die Kriterien für eine Lebertransplantation lediglich durch die Richtlinientätigkeit der BÄK geändert: Statt wie zunächst insbesondere auf die Wartezeit und daraus folgende Dringlichkeit abzustellen, wird nunmehr ein international verwendetes MELD- Score-Verfahren angewandt.87 Da es sich um schwerwiegende Grundrechtseingriffe handelt, muss der parlamentarische Gesetzgeber zumindest Vorgaben machen, in welchem Gewicht Erfolgsaussicht und Dringlichkeit zueinander stehen und ob und welche weiteren Kriterien einfließen sollen.88 Ferner wären eventuelle Ausschlussgründe zu regeln. Im Übrigen ist die Übertragung auf die Exekutive durch Rechtsverordnung , die sich bei deren Erlass hinsichtlich des Standes der medizinischen Wissenschaft durch ein in seiner Zusammensetzung vorgegebenes Gremium beraten lässt, durchaus zulässig und ist in anderen Bereichen auch üblich.89 Zwar macht § 16 Abs. 2 TPG genauere Vorgaben zur Besetzung der Gremien zur Ausarbeitung der Richtlinien und verlangt deren Begründung. Auch unterliegen die Richtlinien der BÄK nunmehr gemäß § 16 Abs. 3 TPG einem Genehmigungsvorbehalt durch das Bundesministerium für Gesundheit. Allerdings ist die Gewichtung der anzulegenden Kriterien 84 Zur Kritik an der Praxis der Leberallokation anhand dieser Kriterien aus medizinischer Sicht Greif-Higer, Kurzreferat auf der Öffentlichen Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates am 26.9.2013 in Berlin, Protokoll, S. 7 - 10; ausführlich auch Lang, Deregulierte Verantwortungslosigkeit?, MedR 2005, 269 (275 ff.). 85 Ausführlich zum Ganzen Lang (Fn. 63), § 10 Rn. 19 - 30 sowie Lang, Deregulierte Verantwortungslosigkeit?, MedR 2005, 269 (275) m.w.N.; Gutmann (Fn. 41), § 16, Rn. 14. 86 Hierauf weist Lilie, Kurzreferat auf der Öffentlichen Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates am 26.9.2013 in Berlin, Protokoll, S. 15, 17 hin. 87 Lilie, Kurzreferat auf der Öffentlichen Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates am 26.9.2013 in Berlin, Protokoll, S. 15 f.; Greif-Hilger, ebenda, S. 9. 88 So auch Kingreen, Kurzreferat auf der Öffentlichen Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates am 26.9.2013 in Berlin, Protokoll, S. 20 f. 89 Z.B. § 12 Atomgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.7.1985 (BGBl. I S. 1565), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 28.8.2013 (BGBl. I S. 3313) geändert worden ist; § 51a BImSchG; hinsichtlich einer Ethikkommission § 3a Embryonenschutzgesetz vom 13.12.1990 (BGBl. I S. 2746), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21.11.2011 (BGBl. I S. 2228) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 21 nach wie vor nicht im Gesetzestext zu finden. Ferner stellt sich die Frage, warum die Richtlinien der BÄK nicht durch Rechtsverordnung der Bundesregierung in Kraft gesetzt werden soll, um damit eine mittelbare Verantwortung vor dem Parlament zu begründen.90 Diese Verfahrensänderung würde wohl nicht zu einer erheblichen Zeitverzögerung führen.91 Letztlich ist ein Genehmigungsvorbehalt ein Instrument der Fachaufsicht, um die es sich vorliegend gerade nicht handelt; die Bundesregierung begibt sich ihrer Gestaltungsmöglichkeit.92 5.3.2. Verhältnismäßigkeit Der Gesetzgeber hat bei der verhältnismäßigen Zuordnung der Rechtsgüter, die bei der Organtransplantation in Frage stehen, einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum. Jede Regelung der Organtransplantation muss – wie das BVerfG in seinem Beschluss zum Verbot der altruistischen Lebendorganspende ausführte – „in einem Grenzbereich von medizinischen Möglichkeiten, ethischen Anforderungen und gesellschaftlichen Vorstellungen einen Ausgleich schaffen.“93 Die entsprechende Regelung müsste also geeignet, erforderlich und angemessen sein, um ein legitimes Ziel zu erreichen. Die gesetzliche Regelung des § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG, die die Transplantationszentren verpflichtet, über die Aufnahme in die Warteliste nach den Regeln, die von der BÄK erlassen werden, und insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht94 einer Organübertragung zu entscheiden, hat zum Ziel, Patienten in die Warteliste nur nach medizinischen und nicht nach anderen, insbesondere finanziellen oder sozialen Kriterien aufzunehmen. Die Entscheidung solle der Chancengleichheit nach medizinisch begründeten Kriterien dienen.95 Der Ausschluss anderer als medizinischer Kriterien für die Allokation nicht im ausreichenden Maße vorhandener Organe ist ein legitimes Ziel. Die in den Richtlinien der BÄK vorgesehene Karenzzeit für Patienten mit alkoholinduzierter Zirrhose vor Aufnahme auf die Warteliste soll einer effizienten Nutzung der vorhandenen Organe dienen. So ist die alkoholinduzierte Zirrhose eine der häufigsten Indikationen für eine Organtransplantation ; zugleich geht die BÄK in ihren Richtlinien von der grundsätzlichen Therapierbarkeit der Krankheit auch ohne Transplantation aus. In diesem Fall wäre eine Organtransplantation wohl nicht indiziert. Ein Rückfall in den Alkoholkonsum nach Organtransplantation minimiere 90 Kritisch zur jetzigen Fassung des § 16 Abs. 2 TPG auch Höfling (Fn. 35), § 16 Rn. 48 sowie Kingreen, Kurzreferat auf der Öffentlichen Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates am 26.9.2013 in Berlin, Protokoll, S. 19 f., 22; Rosenau (Fn. 25), S. 443 hält den Verordnungsgeber nicht für hinreichend fachlich qualifiziert. Schmidt-Aßmann (Fn. 37), S. 105 f. würde die derzeitige Lösung wohl für ausreichend halten. 91 Rosenau (Fn. 25), S. 447 f. hält den Gesetzgeber aus diesen Gründen für ungeeignet, genauere Regelungen zu erlassen. 92 Hierauf weist Kingreen (Fn. 90), S. 30, hin. 93 BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 11.8.1999 - 1 BvR 2181–98 u.a., NJW 1999, 3399, 3401. 94 Kritisch zum Rang der Erfolgsaussicht im Sinne des Überlebens des Empfängers Gutmann (Fn. 41), § 16 Rn. 13. 95 Begründung in Beschlussempfehlung und Bericht des Gesundheitsausschusses zum damaligen § 9 Abs. 2 Nr. 1a TPG, BT-Drs. 13/8017, S. 42. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 22 die Erfolgsaussichten der Transplantation.96 Die Richtlinien will demnach eine möglichst effiziente Verteilung der nur begrenzt vorhandenen Organe nach medizinischen Kriterien erreichen. Auch sie verfolgt ein legitimes Ziel. Die Regelungen müssten geeignet und erforderlich sein, wobei dem Gesetzgeber bei der Einschätzung dieser Anforderungen sowie bei den notwendigen Prognosen und Einschätzungen ein weiter Spielraum zusteht.97 Soweit sich der Gesetzgeber Prognosen bedient, müssen sich diese nach der Rechtsprechung des BVerfG methodisch auf ein angemessenes Prognoseverfahren stützen lassen, und dieses muss konsequent im Sinn der „Verlässlichkeit“ der Prognosen verfolgt worden sein. Das Prognoseergebnis ist daraufhin zu kontrollieren, „ob die die prognostische Einschätzung tragenden Gesichtspunkte mit hinreichender Deutlichkeit offen gelegt worden sind oder ihre Offenlegung jedenfalls im Normenkontrollverfahren möglich ist und ob in die Prognose keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind.“98 Der Gesetzgeber hat die Ausgestaltung der Kriterien – Stand der medizinischen Wissenschaft, Notwendigkeit und Erfolgsaussicht – in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG der Bundesärztekammer übertragen. Diese Übertragung – unabhängig von ihrer Verfassungsmäßigkeit im Übrigen – auf ein sachnäheres Gremium ist zunächst zur Erreichung des Zwecks geeignet und erforderlich. Zumindest die zukünftig von der BÄK zu erlassenden Richtlinien legen in ihrer Begründung dar, dass eine sechsmonatige Alkoholabstinenz einen Teil der Organtransplantationen unnötig macht und die auch längerfristigen Erfolgsaussichten einer Transplantation erhöht. Hierbei wird auf zahlreiche wissenschaftliche Studien zurückgegriffen.99 Zwar wird in teilweise nicht-wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf entgegenstehende Studien oder eine andere Rechtslage in anderen Ländern verwiesen .100 Auch wird die medizinische Begründung für festgeschriebene Abstinenzzeiten in Frage gestellt.101 Soweit die BÄK bei der Erstellung der Richtlinie allerdings wissenschaftlich vorgeht, diese Vorgehensweise dokumentiert wird, keine sachfremden Erwägungen einfließen und zu keinem unhaltbaren Ergebnissen kommt, ist gegen dieses Verfahren der Prognose nichts einzuwenden . Für ein angemessenes Vorgehen spricht auch das – teilweise durch § 16 Abs. 2 TPG vorgegebene – Verfahren. Der ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer gehören neben medizinischen Experten Juristen, Ethiker, Patienten, Angehörige von Organspendern sowie Vertreter der Koordinierungsstelle, der Vermittlungsstelle, der Auftraggeber und der Länder an. Jedenfalls scheint nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft eine Karenzzeit vor einer möglichen Organtransplantation nicht ungeeignet zu sein; auch kann diese 96 Entwurf einer Beschlussempfehlung der Ständigen Kommission Organtransplantation für eine Änderung der Richtlinien für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, 1. Lesung 14.1.2014, S. 3 ff., im Internet abrufbar unter: www.bundesaerztekammer.de/downloads/RL-Aenderung_Leber-Tx2.pdf. Für die derzeit geltende Richtlinie gibt es keine Begründung. 97 St. Rspr., vgl. Nachweise bei BVerfGE 90, 145, 173. 98 BVerfGE 111, 226 (255); 106, 62 (150 ff.). 99 Entwurf der Richtlinien (Fn. 96), S. 3 ff. 100 Umgelter, Hilfe als Regelverstoß – Lebertransplantation bei Alkoholkranken, taz vom 3.4.2013 im Internet abrufbar unter: http://www.taz.de/!113938/. 101 Gutmann (Fn. 41), § 16 Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 094/14 Seite 23 Maßnahme im Zusammenhang mit den Verteilungsschwierigkeiten von nutzbaren Organen auch als erforderlich angesehen werden. Letztlich stellt sich die Frage der Angemessenheit der Karenzzeit. Da es sich auf der einen Seite um einen schwerwiegenden Eingriff in die Behandlungsmöglichkeiten Alkoholkranker handelt, auf der anderen Seite aber ein Mangel an transplantierbaren Organen festgestellt werden muss, müssen die Grundrechtspositionen der alkoholkranken Patienten mit denen abgewogen werden, die aus anderen Gründen auf die Transplantation einer Spenderleber angewiesen sind. Wie bereits eingangs ausgeführt, steht dem Gesetzgeber ein weiter Beurteilungsspielraum bei der Abwägung auch dieser Kriterien zu. Legt man die Argumentation der BÄK zugrunde, wäre aufgrund der Regenerationsfähigkeit einer durch Alkoholmissbrauch geschädigten Leber bei einer Abstinenz von mindestens sechs Monaten, die zudem ganzheitlich medizinisch und psychologisch begleitet wird, eine Transplantation in vielen Fällen nicht mehr erforderlich. Diese Regenerationsmöglichkeit besteht bei durch andere Krankheiten oder genetische Merkmale verursachten Leberschädigungen zumindest nicht, wenn die Grunderkrankung unheilbar ist. Insofern wäre auch eine unterschiedliche Behandlung von Lebererkrankten unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG gerechtfertigt.102 Jedoch stellt sich die Frage, warum die Abstinenz bereits vor Aufnahme in die Warteliste begonnen haben muss, sofern die durchschnittliche Wartedauer die sechs Monate der Mindestabstinenz überschreitet .103 Gegebenenfalls würde es ausreichen, wenn der Alkoholkranke mit Aufnahme in die Warteliste abstinent zu sein hat. Unter diesem Gesichtspunkt wäre die Karenzpflicht wohl auch mit den Grundrechten der betroffenen Erkrankten vereinbar. Auch könnte sich bei Vorliegen bestimmter Prädispositionen, bei denen eine kurzzeitige Alkoholerkrankung zu einer rapide sich verschlechternden Gesundheitssituation des Patienten führt104, im Einzelfall eine Abwägung zugunsten der Abwägung von der Regelkarenzpflicht führen. Dies stellt aber nicht die Rechtmäßigkeit der gesamten Regelung in Frage. Hierauf, ebenso wie auf die Fälle, in denen ein alkoholkranker Patient aufgrund akuten Leberversagens lebensbedrohlich erkrankt ist105, könnte durch Härtefallklauseln reagiert werden. Nach den vorliegenden Erkenntnissen wäre die Verpflichtung für Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose, zunächst sechs Monate vor Aufnahme in die Warteliste und dann dauerhaft abstinent zu leben, bei einer entsprechenden Ausgestaltung, die Härtefallklauseln für besondere Fälle vorsehen, wohl mit deren Recht auf Gesundheit vereinbar. 102 Den Einwand einer aus seiner Sicht wohl verbotenen Differenzierung, die an die Krankheit anknüpft, bringt Lang (Fn. 63), § 10 Rn. 41. 103 So Lang (Fn. 63), § 10 Rn. 41. 104 Dies scheint bei der akuten Alkoholhepatitis der Fall zu sein, den die taz (Fn. 100) als Beispiel anführt. 105 Gutmann (Fn. 41), § 16 Rn. 15 sähe andernfalls einen Verstoß gegen den Grundsatz der Lebenswertindifferenz.