© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 093/20 Zulässigkeit einer Ausweismitführpflicht in den Corona-Verordnungen der Länder Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 093/20 Seite 2 Zulässigkeit einer Ausweismitführpflicht in den Corona-Verordnungen der Länder Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 093/20 Abschluss der Arbeit: 28. April 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 093/20 Seite 3 1. Fragestellung Es wird gefragt, ob die Länder in ihren Corona-Verordnungen eine Pflicht zum Mitführen eines Ausweisdokuments regeln dürfen. Eine solche Ausweismitführpflicht sahen die Corona-Verordnungen von Berlin und Sachsen-Anhalt zunächst vor. Soweit ersichtlich, wurde sie inzwischen aus beiden Verordnungen gestrichen. 2. Personalausweisgesetz Nach § 1 Abs. 1 S. 1 Personalausweisgesetz (PAuswG) sind Deutsche im Sinne des Art. 116 GG dazu verpflichtet, einen gültigen Ausweis zu besitzen, sobald sie 16 Jahre alt sind und der allgemeinen Meldepflicht unterliegen oder sich überwiegend in Deutschland aufhalten. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 PAuswG besteht die Verpflichtung, den Ausweis auf Verlangen einer zur Feststellung der Identität berechtigten Behörde vorzulegen. Eine Pflicht, einen Ausweis mit sich zu führen, ergibt sich aus § 1 Abs. 1 PAuswG nicht.1 Der Bürger muss nur in der Lage sein, innerhalb einer angemessen Frist durch Vorlage des Ausweises seine Identität nachzuweisen.2 Ausnahmen gelten für bestimmte Personen, die durch Spezialgesetze zum Mitführen eines Ausweises verpflichtet werden. Dies betrifft etwa in bestimmten Wirtschaftsbereichen tätige Personen nach § 2a Abs. 1 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und Waffen führende Personen nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 Waffengesetz . 3. Regelung durch die Länder in den Corona-Verordnungen? Fraglich ist zunächst, ob die Länder überhaupt eine Ausweismitführpflicht durch Rechtsverordnung einführen dürfen. Nach Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG dürfen unter anderem die Landesregierungen durch Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Rechtsverordnungen der Länder dürfen allerdings nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Unzulässig ist daher eine Rechtsverordnung, die mit einem Bundesgesetz unvereinbar ist.3 Hier könnte ein Verstoß gegen § 1 PAuswG vorliegen, da dieser eine Ausweismitführpflicht gerade nicht fordert. Zwar ist dies in der Regelung nicht ausdrücklich formuliert, ein Vergleich mit den oben genannten Normen des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes und des Waffengesetzes, in denen die Mitführpflicht ausdrücklich benannt wird, macht aber deutlich, dass grundsätzlich keine Mitführpflicht gelten soll. Es dürfte daher davon ausgegangen werden, dass die Einführung einer Mitführpflicht durch die Länder wegen Unvereinbarkeit mit dem Bundesrecht generell nicht möglich ist. Geht man dennoch davon aus, dass eine Mitführpflicht grundsätzlich durch die Länder eingeführt werden dürfte, so stellt sich die Frage, ob dies im Rahmen der Corona-Verordnungen zulässig wäre. Die Corona-Verordnungen wurden aufgrund der Ermächtigungsgrundlage in § 32 S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) erlassen. Nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der 1 Beimowski/Gawron, in: dieselben, Passgesetz/Personalausweisgesetz, 1. Aufl. 2018, § 1 PAuswG Rn. 2, 12; Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 228. EL Januar 2020, § 1 PAuswG Rn. 1. 2 Beimowski/Gawron, in: dieselben, Passgesetz/Personalausweisgesetz, 1. Aufl. 2018, § 1 PAuswG Rn. 2. 3 Remmert, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 80 Rn. 132. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 093/20 Seite 4 erteilten Ermächtigung gesetzlich bestimmt werden. Rechtsverordnungen dürfen nicht über den gesetzlichen Ermächtigungsrahmen hinausgehen.4 Fraglich ist daher, ob die Ermächtigungsgrundlage eine Ausweismitführpflicht trägt. § 32 S. 1 IfSG ermächtigt die Länder, unter den Voraussetzungen der §§ 28 bis 31 IfSG durch Rechtsverordnung „Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen“. Die Ermächtigung umfasst daher nur solche Regelungen, die dem Zweck der Krankheitsbekämpfung dienen. Die Pflicht zum Mitführen eines Ausweises ist keine Maßnahme, die die Übertragung von Krankheiten unmittelbar beeinflusst. Es könnte argumentiert werden, dass eine Ausweismitführpflicht dazu dienen würde, die Einhaltung der in den Corona-Verordnungen vorgesehenen Maßnahmen unter Zuhilfenahme der Identitätsfeststellung zu kontrollieren, sodass die Mitführpflicht mittelbar der Krankheitsübertragung vorbeugen würde. Die Zulässigkeit der Identitätsfeststellung richtet sich grundsätzlich nach den Polizeigesetzen der Länder. Eine Identitätsfeststellung ist grundsätzlich zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig.5 Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht bei jeder drohenden oder bereits begangenen Verletzung von Rechtsnormen ,6 also auch bei einer (drohenden) Verletzung der Corona-Verordnungen. Die Identitätsfeststellung kann auf verschiedene Arten erfolgen, die zum Teil in den Polizeigesetzen ausdrücklich benannt sind.7 Neben der Aufforderung zur Aushändigung mitgeführter Ausweisdokumente kann die Person etwa befragt und im Zweifel festgehalten und zur Dienststelle gebracht werden, wenn die Identität anders nicht festgestellt werden kann.8 Der Zweck einer Ausweismitführpflicht würde sich somit darauf beschränken, die Identitätsfeststellung zu erleichtern bzw. zu beschleunigen. Dieses Ziel dürfte nicht vom Zweck der Ermächtigungsgrundlage des § 32 S. 1 IfSG („Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“) gedeckt sein. Die Einführung einer Ausweismitführpflicht durch die Corona-Verordnungen der Länder dürfte daher wegen einer Überschreitung des Ermächtigungsrahmens unzulässig sein.9 *** 4 Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 80 Rn. 82. 5 Rachor/Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Teil E Rn. 314; siehe etwa § 21 Abs. 1 ASOG. 6 Trurnit, in: Möstl/Trurnit, BeckOK Polizeirecht Baden-Württemberg, 17. Edition Stand: 1. Januar 2020, § 1 PolG Rn. 36. 7 Siehe etwa § 21 Abs. 3 ASOG. 8 Enders, in: Möstl/Trurnit, BeckOK Polizeirecht Baden-Württemberg, 17. Edition Stand: 1. Januar 2020, § 26 PolG Rn. 21, 24; Borsdorff, in: Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl. 2018, Eintrag: Identitätsfeststellung. 9 So auch Fährmann/Arzt/Aden, Ausweispflicht per Corona-Verordnung?, Verfassungsblog vom 29. März 2020, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/ausweispflicht-per-corona-verordnung/.