© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 093/14 Parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Deutschland Befugnisse und Grenzen der Untersuchungstätigkeit Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 093/14 Seite 2 Parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Deutschland Befugnisse und Grenzen der Untersuchungstätigkeit Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 093/14 Abschluss der Arbeit: 14. April 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 093/14 Seite 3 Anlässlich einer vom österreichischen Hörfunksender ORF Radio Ö1 geplanten Sendung über das dortige Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, welche Querverweise zur Rechtslage in Deutschland beinhalten soll, sind wir um Unterstützung bei der Beantwortung folgender fünf Fragen der ORF-Korrespondentin gebeten worden. Angesichts des Verwendungszwecks und der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit handelt es sich lediglich um eine überblicksartige Darstellung. 1. Welche Kompetenzen hat ein Untersuchungsausschuss grundsätzlich? Ein Untersuchungsausschuss ist gemäß § 17 Untersuchungsausschussgesetz (PUAG)1 zur Erhebung aller durch den Untersuchungsauftrag gebotenen Beweise befugt. Der Untersuchungsgegenstand wird durch den konkreten Untersuchungsauftrag definiert und begrenzt, vgl. § 3 PUAG. Mögliche Beweismittel sind Zeugen (§ 20 PUAG), Sachverständige (§ 28 PUAG), Augenschein sowie Urkunden und andere Schriftstücke.2 Als Mittel der Beweissicherung können Beschlagnahmen und Durchsuchungen angeordnet werden, wobei sich die Kompetenz wegen Art. 44 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG)3 nicht auf Beschlagnahmen der Post und Überwachung/Aufzeichnung der Telekommunikation erstreckt.4 Der Untersuchungsausschuss hat das Recht, von jedermann die Herausgabe beweisrelevanter Gegenstände zu verlangen, § 29 Abs. 1 S. 1 PUAG. Zur Durchsetzung des Untersuchungsauftrages stehen dem Ausschuss ferner Zwangsmittel zur Verfügung. Für die Bundesregierung, für Bundesbehörden und bundesunmittelbare Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts besteht eine Pflicht, dem Ausschuss die nötigen Beweismittel vorzulegen, § 18 Abs. 1 PUAG. Diese Pflicht bezieht sich auf alle Akten, die sich im Gewahrsam der Behörde befinden. Eine Pflicht zur Rechts- und Amtshilfe besteht ferner für Gerichte und Verwaltungsbehörden, § 18 Abs. 4 PUAG. Davon erfasst sind auch die Bundesländer und Gemeinden.5 2. Welche Beweismittel dürfen ihm verweigert werden? Nach § 29 Abs. 1 S. 2 PUAG erstreckt sich die allgemeine Herausgabepflicht nicht auf Beweismittel , deren Weitergabe wegen des streng persönlichen Charakters der Informationen für die Betroffenen unzumutbar wäre: Beweismittel, die individuelle, schützenswerte Rechte verletzten 1 Untersuchungsausschussgesetz vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1142), das durch Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) geändert worden ist. 2 Pieper/Spoerhase, in: Nomos Kommentar, Untersuchungsausschussgesetz, 1. Auflage 2012, § 17 PUAG Rdnr. 1. 3 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist. 4 Pieper/Spoerhase, in: Nomos Kommentar, Untersuchungsausschussgesetz, 1. Auflage 2012, § 17 PUAG Rdnr. 3. 5 Pieper/Spoerhase, in: Nomos Kommentar, Untersuchungsausschussgesetz, 1. Auflage 2012, § 18 PUAG Rdnr. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 093/14 Seite 4 (z.B. das Steuergeheimnis), dürfen dem Untersuchungsausschuss verweigert werden; das gilt ebenso für Informationen aus der innersten Sphäre des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes.6 Die Regierungen dürfen dem Untersuchungsausschuss solche Beweismittel vorenthalten, die aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung entstammen. Denn in diesem Bereich hat der Grundsatz der Gewaltenteilung Vorrang vor dem Kontrollauftrag des Parlaments. Dies betrifft v.a. Vorgänge der Willensbildung der Regierung7, ist aber stets eine Frage des Einzelfalls.8 Insbesondere die Offenlegung laufender Prozesse kann verweigert werden. Für abgeschlossene Vorgänge ist der exekutive Kernbereich im Einzelfall zu bestimmen.9 Zuletzt können Belange des Staatswohls der Untersuchung entgegenstehen, was sich aus dem Gedanken des § 96 StPO ergibt: Eine Herausgabepflicht besteht nicht für Informationen, bei deren Bekanntwerden das Wohl des Bundes oder eines Landes beeinträchtigt würde.10 Eine Verweigerung unterliegt aber strengen Voraussetzungen , da im PUAG Mechanismen zur Wahrung exekutiver Geheimhaltungsinteressen vorgesehen sind, vgl. § 15 PUAG.11 3. Gibt es Verwertungsverbote? Unter welchen Voraussetzungen und in Bezug auf welche Informationen? Nach Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG gelten die Regelungen der Strafprozessordnung (StPO)12 für die Beweiserhebung sinngemäß. In dieser sind teilweise ausdrückliche Beweisverwertungsverbote angeordnet . Darüberhinaus ergeben sich bei der Verletzung der Beweiserhebungsregelungen ungeschriebene Verwertungsverbote, z.B. wenn Zeugen und Sachverständige nicht ordnungsgemäß über ihre Auskunfts- und Verweigerungsrechte belehrt wurden und die Verwertung der Informationen bei einer Abwägung der Interessen nicht verhältnismäßig wäre. 4. Gibt es Erkenntnisse, die die Öffentlichkeit unter Umständen nicht erfährt? Aus Art. 44 Abs. 1 GG ergibt sich, dass die Beweiserhebung grundsätzlich öffentlich zu erfolgen hat; für Beratungen und Beschlussfassungen gilt dies nicht, vgl. § 12 Abs. 1 PUAG.13 Wenn der Untersuchungsgegenstand Geheimhaltungsinteressen berührt, welche jedoch nicht derart sensibel sind, dass sie zu einer Herausgabeverweigerung berechtigen, hat der Ausschluss der Öffent- 6 Pieper/Spoerhase, in: Nomos Kommentar, Untersuchungsausschussgesetz, 1. Auflage 2012, § 18 PUAG Rdnr. 3. 7 Vgl. BVerfGE 67, 100, 139. 8 Vgl. BVerfGE 110, 199-226. 9 Mit weitgehenden Ausführungen: Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 69. Ergänzungslieferung (Stand: 2013), Art. 44 Rdnr. 153. 10 Pieper/Spoerhase, in: Nomos Kommentar, Untersuchungsausschussgesetz, 1. Auflage 2012, § 18 PUAG Rdnr. 5. 11 Pieper/Spoerhase, in: Nomos Kommentar, Untersuchungsausschussgesetz, 1. Auflage 2012, § 18 PUAG Rdnr. 5. 12 Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die durch Artikel 5 Absatz 4 des Gesetzes vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3799) geändert worden ist. 13 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 69. Ergänzungslieferung (Stand: 2013), Art. 44 Rdnr. 172. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 093/14 Seite 5 lichkeit bei der Beweiserhebung zu erfolgen, vgl. § 14 PUAG.14 Dies gilt z.B. für allgemeine Dienstgeheimnisse von Abgeordneten.15 Des Weiteren kann die Öffentlichkeit bei solchen Informationen auszuschließen sein, deren Offenlegung zu Grundrechtsverletzungen führte.16 Zu beachten ist, dass die Informationsfreiheit an großer Bedeutung gewonnen hat, sodass die Transparenz des Untersuchungsverfahrens zunehmend Vorrang hat; insofern erfordert der Ausschluss der Öffentlichkeit stets eine besondere Begründung.17 5. Wo sind die Grenzen der Aufklärung durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ? Zu den Grenzen der Beweiserhebung heißt es in der Literatur: Sie ergeben sich nach der Rechtsprechung der BVerfG aus dem Untersuchungsauftrag, dem aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung abgeleiteten Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung, dem Staatswohl (in Anlehnung an § 96 StPO) und dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundrechtsschutz (vgl. BVerfGE 124, 78, 118  ff.).18 So wird zum Beispiel die Aufklärung mittels Zeugenvernehmung durch Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte begrenzt, da gem. § 22 PUAG die Regelungen aus §§ 53, 53a StPO zur Anwendung kommen. Soll ein Amtsträger vernommen werden, muss dieser zunächst seiner Schweigepflicht entbunden werden, vgl. § 23 PUAG i.V.m. § 54 StPO. Für Sachverständige gelten diese Regelungen entsprechend, § 28 Abs. 1 PUAG. 14 Pieper/Spoerhase, in: Nomos Kommentar, Untersuchungsausschussgesetz, 1. Auflage 2012, § 18 PUAG Rdnr. 6. 15 Vgl. BVerfGE 67, 100, 136. 16 Vgl. hierzu BVerfGE 67, 100, 144; BVerfGE 77, 1, 47; BVerfGE 124, 78, 125. 17 Pieper/Spoerhase, in: Nomos Kommentar, Untersuchungsausschussgesetz, 1. Auflage 2012, § 14 PUAG Rdnr. 2. 18 Pieper/Spoerhase, in: Nomos Kommentar, Untersuchungsausschussgesetz, 1. Auflage 2012, § 17 PUAG Rdnr. 4.