© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 092/20 Möglichkeiten des Infektionsschutzes bei Versammlungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 2 Möglichkeiten des Infektionsschutzes bei Versammlungen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 092/20 Abschluss der Arbeit: 21. April 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 3 1. Fragestellung 4 2. Schutzbereich 4 3. Eingriff 4 4. Schranke 4 4.1. Gesetzliche Grundlage 4 4.2. Verhältnismäßigkeit 5 4.2.1. Legitimes Ziel 5 4.2.2. Geeignetheit 5 4.2.3. Erforderlichkeit 6 4.2.3.1. Grundsatz 6 4.2.3.2. Aktuelle Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts 6 4.2.3.3. Denkbare Mittel 8 4.2.3.3.1. Beschränkte Teilnehmerzahl 9 4.2.3.3.2. Anreise 10 4.2.3.3.3. Abstandsgebot 10 4.2.3.3.4. Mundschutz 11 4.2.3.3.5. Immunisierte („Geheilte“) 12 4.2.3.3.6. Zeitliche Verschiebung 13 4.2.3.3.7. Örtliche Verlagerung 13 4.2.3.4. Wirksamkeit 13 4.2.4. Angemessenheit 13 4.2.5. Umsetzungsebene 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 4 1. Fragestellung Die Länder können nach § 32 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) im Wege der Rechtsverordnung „Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten […] erlassen“. Die Länder haben von dieser Befugnis Gebrauch gemacht. Dabei ergeben sich Beschränkungen der Versammlungsfreiheit . So sind z. B. gemäß § 1 Abs. 1 der „SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin“ „öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen, Versammlungen, Zusammenkünfte und Ansammlungen“ außer in den in Abs. 2 bis 7 genannten Ausnahmefällen untersagt.1 In Brandenburg beispielsweise sind Versammlungen gänzlich verboten.2 Es stellt sich die Frage, ob die grundgesetzlich garantierte Versammlungsfreiheit es gebietet, Versammlungen unter bestimmten Auflagen zuzulassen. 2. Schutzbereich Die einzelnen Regelungen der Rechtsverordnungen berühren den Schutzbereich der in Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gewährleisteten Versammlungsfreiheit. Der Begriff der Versammlung erfasst „eine aus zwei oder mehr Personen bestehende Gruppe, die durch das Zusammentreffen einen gemeinsamen Zweck verfolgt, der sie innerlich verbindet“.3 Eine einzelne Person fällt damit nicht in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit. Als Auffanggrundrecht greift aber die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. 3. Eingriff Ein generelles Versammlungsverbot greift in die Versammlungsfreiheit ein. Ebenso wird der Grundrechtschutz aus Art. 8 GG verkürzt, wenn eine Versammlung nur unter bestimmten Auflagen stattfinden kann. Ein Eingriff liegt auch bei lediglich beschränkenden Maßnahmen vor.4 4. Schranke 4.1. Gesetzliche Grundlage In die Versammlungsfreiheit kann bei Versammlungen in geschlossenen Räumen nur durch kollidierendes Verfassungsrecht, bei Versammlungen unter freiem Himmel „durch oder aufgrund eines Gesetzes“ (Art. 8 GG) eingegriffen werden. Die bisherige Rechtsprechung hat die alte Fassung des 1 https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/#headline_1_10; siehe auch die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und den Bundesländern „Leitlinien zum Kampf gegen die Corona-Epidemie“, vom 16. März 2020, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/meseberg/leitlinien-zum-kampf-gegen-die-corona-epidemie -1730942. 2 https://www.landesrecht.brandenburg.de/dislservice/public/gvbldetail.jsp?id=8581. 3 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 8 Rn. 24. 4 Vgl. Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 89. EL Oktober 2019, Art. 8 Rn. 124 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 5 § 28 Abs. 1 IfSG als ausreichende Rechtsgrundlage für Allgemeinverfügungen zum Infektionsschutz angesehen.5 Dies gilt auch für Verordnungen nach § 32 IfSG in Verbindung mit § 28 Abs. 1 IfSG. Der Bundestag hat am 25. März 2020 Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) beschlossen.6 Die Änderungen des § 28 IfSG sind am Tag nach der Verkündung in Kraft getreten, mithin am 28. März 2020.7 Die Änderungen bieten weitere Anhaltspunkte dafür, dass § 28 Abs. 1 IfSG grundsätzlich eine gesetzliche Grundlage für notwendige Schutzmaßnahmen bietet.8 Im Übrigen wird im Folgenden unterstellt, dass die Rechtsgrundlagen formell ordnungsgemäß zustande gekommen sind und das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) einhalten. 4.2. Verhältnismäßigkeit Ein Eingriff in Grundrechte muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dies setzt voraus, dass der Eingriff ein legitimes Ziel in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise verfolgt. 4.2.1. Legitimes Ziel Der „Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere eine Verhinderung der Überlastung des Gesundheitssystems“ sind ein legitimes Ziel für Grundrechtseingriffe.9 4.2.2. Geeignetheit Das „Corona-Virus“ überträgt sich wohl vor allem durch soziale Kontakte. Daher sind Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, soziale Kontakte zu verringern oder zu verhindern, wie das Verbot bzw. die Beschränkung von Versammlungen geeignet, die Gesundheit der Bevölkerung und das Funktionieren des Gesundheitssystems zu schützen. Bei der Beurteilung der Geeignetheit staatlicher Maßnahmen, steht Gesetzgeber und Exekutive ein Einschätzungsspielraum zu. Hierauf weist auch 5 Näher hierzu: Wissenschaftliche Dienste, WD 3 - 3000 - 086-20, Ausgangsbeschränkungen gemäß § 28 Infektionsschutzgesetz . 6 BT-Drs. 19/18111, Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. 7 Gesetz vom 27. März 2020, Bundesgesetzblatt Teil I 2020 Nr. 14 vom 27. März 2020, S. 587. 8 Näher hierzu: Wissenschaftliche Dienste, WD 3 - 3000 - 086-20, Ausgangsbeschränkungen gemäß § 28 Infektionsschutzgesetz . 9 So auch VG Bremen, Beschluss vom 26. März 2020, 5 V 553/20, juris, Rn. 43, zum „bezweckten Erfolg“ der „SARS- CoV-2-Eindämmungsverordnung“ (Hervorhebung durch Autor); siehe auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30. März 2020, 20 NE 20.632, juris, Rn. 34: „Verhinderung weiterer Infektionsfälle“ und „Gewährleistung einer möglichst umfassenden medizinischen Versorgung von Personen“ als „legitimes Ziel“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 6 die Rechtsprechung zu den aktuellen Infektionsschutzmaßnahmen im Zusammenhang mit dem „Corona-Virus“ hin: „Bei der Auswahl und Beurteilung der Wirksamkeit von Maßnahmen zur Bekämpfung einer neuartigen Viruserkrankung muss den zuständigen Gesundheitsbehörden zudem ein Beurteilungsspielraum zugebilligt werden. Wie oben dargestellt gehen die Aussagen verlässlicher Experten dahin, dass Maßnahmen der sozialen Distanzierung […] neben anderen Maßnahmen ein wichtiger und entscheidender Baustein bei der Verlangsamung der Ausbreitung der Infektion sind.“10 „Die Reduzierung des direkten Kontaktes zwischen den Menschen ist geeignet, die weitere Verbreitung des Virus und insbesondere die Verbreitungsgeschwindigkeit, die zu einer Überforderung der medizinischen Versorgung mit der Folge von ansonsten vermeidbaren zahlreichen zusätzlichen Todesopfern führen kann, einzudämmen. Es besteht die begründete Hoffnung, dass durch die starke Eingrenzung des direkten Kontaktes zwischen den Menschen möglichst effektiv und zügig die Verbreitung des Virus erheblich verlangsamt werden kann, um Menschenleben zu retten.“11 4.2.3. Erforderlichkeit 4.2.3.1. Grundsatz Ein absolutes Versammlungsverbot dürfte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig sein. Das Bundesverfassungsgericht geht hierzu in ständiger Rechtsprechung von folgendem Grundsatz aus: „[E]in Versammlungsverbot [...] setzt als ultima ratio [...] voraus, dass das mildere Mittel der Auflagenerteilung ausgeschöpft ist. [...] Auch insofern gilt, dass die Gefahrenprognose auf erkennbaren Umständen beruhen muss. Ein bloßer Verdacht und Vermutungen reichen nicht aus [...].“12 4.2.3.2. Aktuelle Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts In zwei aktuellen Beschlüssen hat das Bundesverfassungsgericht diesen Grundsatz auf die Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch Maßnahmen des Infektionsschutzes angewandt. In 10 VG Bremen, Beschluss vom 26. März 2020, 5 V 553/20, juris, Rn. 39 (Hervorhebung durch Autor). 11 VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 3. April 2020, 1 B 35/20, juris, Rn. 11 (Hervorhebung durch Autor). 12 Siehe nur BVerfG, BayVBl 2001, 624 (625). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 7 beiden Fällen hat es die Versammlungsverbote aufgehoben und die Behörden zu einer Neuentscheidung verpflichtet.13 Die Beschlüsse stützen sich dabei vor allem darauf, dass die Behörden es unterlassen haben, mildere Mittel zu einem Verbot zu prüfen: „Es ist schon nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens von dem ihr in § 3 Abs. 6 CoronaVO eingeräumten Ermessen im Lichte von Art. 8 GG Gebrauch gemacht hat. […] Zudem hat die Behörde keinerlei eigene Überlegungen zur weiteren Minimierung von Infektionsrisiken angestellt. Die Verantwortung dafür trifft nicht allein den Antragsteller. Vor dem Erlass einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit muss sich die zuständige Behörde zunächst um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter bemühen. Dies entspricht für Auflagen und Verbote ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. grundlegend BVerfGE 69, 315 <355 ff., 362>). […] Es wäre danach Sache der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens gewesen, gemeinsam mit dem Antragsteller, der sich dem nicht entgegenstellt, mögliche Auflagen zum Infektionsschutz, von denen § 3 Abs. 6 CoronaVO die Erteilung einer Zulassung abhängig macht, zu eruieren. Stattdessen stellt die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens in ihrer Stellungnahme pauschal fest, auch nach Beratung mit dem städtischen Gesundheitsamt und unter Hinzuziehung der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts sei es ihr nicht möglich, Auflagen festzusetzen, die der aktuellen Pandemielage gerecht würden. Damit schließt sie jede Einzelfallbetrachtung von vornherein aus. Insbesondere fasst sie die angemeldete Teilnehmerzahl von 50 Personen, den geplanten Versammlungsort am Schlossplatz sowie den Termin am 18. April 2020 von 15.30 bis ca. 17.30 Uhr unzutreffend als zwingende Vorgaben auf, ohne dabei in Betracht zu ziehen, ob sich nötigenfalls durch Verringerung der Teilnehmerzahl und/oder eine örtliche oder zeitliche Verlagerung der Versammlung gegebenenfalls in Verbindung mit weiteren Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko auf ein in Abwägung mit dem Grundrecht aus Art. 8 GG vertretbares Maß reduzieren lässt.“14 „Auf der Grundlage dieser unzutreffenden Einschätzung hat die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens Art. 8 Abs. 1 GG verletzt, weil sie verkannt hat, dass § 1 der Verordnung der Versammlungsbehörde für die Ausübung des durch § 15 Abs. 1 VersG [Versammlungsgesetz] eingeräumten Ermessens gerade auch zur Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit einen Entscheidungsspielraum lässt. Der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 8 Abs. 1 GG konnte sie schon deshalb von vornherein nicht angemessen Rechnung tragen. 13 Beschluss vom 15. April 2020, 1 BvR 828/20, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen /DE/2020/04/rk20200415_1bvr082820.html; Beschluss vom 17. April 2020, 1 BvQ 37/20, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen /DE/2020/04/qk20200417_1bvq003720.html. 14 BVerfG, Beschluss vom 17. April 2020, 1 BvQ 37/20, Rn. 25, 27 f. (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 8 Darüber hinaus wird die Entscheidung der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens den verfassungsrechtlichen Maßgaben des Art. 8 Abs. 1 GG auch deshalb nicht gerecht, weil sie über die Vereinbarkeit der Versammlung mit § 1 der Hessischen Verordnung nicht unter hinreichender Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden hat. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens macht überwiegend Bedenken geltend, die jeder Versammlung entgegengehalten werden müssten und lässt auch damit die zur Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 GG bestehenden Spielräume des § 1 der Verordnung leerlaufen.“15 Bei der Frage gleich wirksamer, aber weniger einschneidender Maßnahmen, wie z. B. freiwilliger Impfungen steht der Exekutive nach der Rechtsprechung ein Einschätzungsspielraum zu: „Für die Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit der angeordneten Maßnahmen dürfte dem Verordnungsgeber grundsätzlich ein Einschätzungsspielraum zuzubilligen sein […]. Für dessen Überschreitung ist hier nichts ersichtlich. Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 ist von der WHO als Pandemie eingestuft worden. Die Erfahrungen in anderen Staaten zeigen, dass die exponentiell verlaufende Verbreitung des besonders leicht von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus nur durch eine strikte Minimierung der persönlichen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann.“16 4.2.3.3. Denkbare Mittel Das Bundesverfassungsgericht hält es für geboten, dass Versammlungsbehörden folgende, zu einem Verbot mildere Mittel in Betracht ziehen, insbesondere „ob sich nötigenfalls durch Verringerung der Teilnehmerzahl und/oder eine örtliche oder zeitliche Verlagerung der Versammlung gegebenenfalls in Verbindung mit weiteren Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko auf ein in Abwägung mit dem Grundrecht aus Art. 8 GG vertretbares Maß reduzieren lässt.“17 Bereits vor Erlass dieser Eilentscheidung hat die Stadt Münster eine Demonstration unter Auflagen zugelassen. Die Versammlung durfte mit maximal 15 Teilnehmern nur an einem festgelegten Ort stattfinden. Die Teilnehmer waren u. a. verpflichtet, einen Mundschutz zu tragen und 1,50 Meter Abstand voneinander zu halten. Ein Vertreter der Stadt erklärte: „Mit der jetzt festgelegten Vorgehensweise im Zeichen der Corona-Krise wird der Versuch unternommen, den dringenden Infektionsschutz mit der Ausübung eines politisch elementaren 15 BVerfG, Beschluss vom 15. April 2020, 1 BvR 828/20, Rn. 11-14 (Hervorhebung durch Autor). 16 OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat, 23. März 2020, 11 S 12/20, BeckRS 2020, 4408, Rn. 10 (Hervorhebung durch Autor). 17 BVerfG, Beschluss vom 17. April 2020, 1 BvQ 37/20, Rn. 25, 27 f. (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 9 Grundrechts in Einklang zu bringen. Dies ist möglich geworden, weil der Veranstalter den Infektionsschutz sehr ernst nimmt.“18 Insgesamt kommen nach derzeitigem Erkenntnisstand die nachfolgenden Schutzmaßnahmen in Betracht, um eine Versammlung durchzuführen und gleichzeitig Infektionsrisiken zu minimieren. 4.2.3.3.1. Beschränkte Teilnehmerzahl Zur Geeignetheit dieser Auflage bei Versammlungen hat das Verwaltungsgericht Dresden Folgendes ausgeführt: „Der Antragsteller könne sich demgegenüber auch nicht darauf berufen, dass mit dem von ihm benannten Maßnahmenkatalog dem Infektionsschutz hinreichend Rechnung getragen werde. Denn es liege nicht in seinem Einflussbereich, wie viele Teilnehmer tatsächlich zu der von ihm angezeigten Versammlung kämen. Auch könne er nicht hinreichend gewährleisten, dass die Teilnehmer die von ihm angedachten Maßnahmen tatsächlich umsetzten. Eine Einflussmöglichkeit , die er gegebenenfalls als Versammlungsleiter wahrnehmen könne, habe er weder für die Anreise noch für die Abreise der Teilnehmer. Hinzu komme, dass eine öffentliche Versammlung , die an einem relativ stark frequentierten Ort abgehalten werden solle, bereits ihrem Zweck nach darauf ausgerichtet sei, Aufmerksamkeit auch bei unbeteiligten Dritten zu erwecken . Es sei weder vorhersehbar noch vom Veranstalter zu beeinflussen, dass unbeteiligte Personen von außen zu der Versammlung hinzukämen.“19 Dem ließe sich entgegensetzen, dass es nicht nur Aufgabe des Veranstalters ist, die Durchführung einer Versammlung zu sichern, sondern auch Pflicht des Staates. Dem entsprechend kann auch die Polizei bei Versammlungen dafür sorgen, dass die Teilnehmerzahl der beauflagten Höchstgrenze entspricht. Die Höchstzahlen müssen allerdings den Kapazitäten dessen entsprechen, was sich im Hinblick auf infektionsschutzrechtliche Auflagen noch polizeilich kontrollieren lässt. 18 https://www.muensterschezeitung.de/Lokales/Staedte/Muenster/4182180-Uranmuell-Transport-Mahnwacheals -Kompromiss. 19 Beck-aktuell, VG Dresden: Eilanträge gegen sächsische Maßnahmen zu Corona-Pandemie erfolglos, zu VG Dresden, Beschluss vom 30. März 2020, 6 L 212/20, 6 L 220/20, https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/vg-dresden-eilantraegegegen -saechsische-massnahmen-zur-corona-pandemie-bleiben-ohne-erfolg (Hervorhebung durch Autor); vgl. dazu auch Pressemitteilung der Verwaltungsgerichtsbarkeit Hessen vom 31. März 2020 zu VG Gießen, Beschluss vom 31. März 2020, 4 L 1332/20.GI, https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/keine-versammlung -zum-thema-straßenbahn-gießen-am-1-april-2020 (Entscheidung des VG Gießen wurde auf Beschwerde des Antragsstellers hin durch den VGH Kassel bestätigt: Pressemitteilung der Verwaltungsgerichtsbarkeit Hessen vom 1. April 2020 zu VGH Kassel, Beschluss vom 1. April 2020, 2 B 925/20, https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen .de/pressemitteilungen/versammlung-gießen-zum-thema-straßenbahn-bleibt-verboten). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 10 4.2.3.3.2. Anreise Der vorgenannte Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden lässt anklingen, dass Auflagen für die „Anreise [] [und] Abreise der Teilnehmer“20 ein denkbar milderes Mittel wären. So könnten Teilnehmer gehalten sein, sich nach bestimmten Kriterien zeitlich gestaffelt der Versammlung anzuschließen oder unterschiedliche Zutrittswege zu nutzen, um eine räumliche Verdichtung der Teilnehmer beim Zutritt zu vermeiden. 4.2.3.3.3. Abstandsgebot Das Verwaltungsgericht Köln hat einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung von dem derzeit in Nordrhein-Westfalen geltenden Versammlungsverbot abgelehnt: „Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts liegen die von der Corona-Schutz-Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem Versammlungsverbot nicht vor. Nach dem von dem Antragsteller geplanten Demonstrationskonzept sei die Einhaltung der vorgesehenen Coronaschutzmaßnahmen, insbesondere der erforderlichen Mindestabstände von 1,50 Metern zwischen Personen nicht gewährleistet. Es könne zum einen nicht sichergestellt werden, dass die Mindestabstände der Teilnehmer voneinander, vom anwesenden Versammlungsleiter und von den im inneren Grüngürtel der Stadt Köln befindlichen Passanten eingehalten würden. Zum anderen könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich nach dem Aufstellen der Schilder Menschenansammlungen im Bereich der Schilder bildeten, die sich für Aufschriften interessieren würden, da hierin gerade das Ziel der Aktion liege. Nachdem bereits in den letzten Tagen und Wochen zahlreiche Menschen im Grüngürtel unterwegs gewesen seien und die Einhaltung des Mindestabstandes nur mit Mühe möglich gewesen sei, würde dies bei einem zusätzlichen Personenaufkommen durch die Aktion noch erschwert werden.“21 Es erscheint zweifelhaft, ob diese in der Pressemitteilung des Gerichts reflektierten Erwägungen mit den aktuellen Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts im Einklang stehen. So treffen diese Erwägungen wohl auf alle Versammlungen zu. Damit würde die Versammlungsfreiheit 20 Beck-aktuell, VG Dresden: Eilanträge gegen sächsische Maßnahmen zu Corona-Pandemie erfolglos, zu VG Dresden, Beschluss vom 30. März 2020, 6 L 212/20, 6 L 220/20, https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/vg-dresden-eilantraegegegen -saechsische-massnahmen-zur-corona-pandemie-bleiben-ohne-erfolg (Hervorhebung durch Autor); vgl. dazu auch Pressemitteilung zu VG Gießen, Beschluss vom 31. März 2020, 4 L 1332/20.GI, https://verwaltungsgerichtsbarkeit .hessen.de/pressemitteilungen/keine-versammlung-zum-thema-straßenbahn-gießen-am-1-april-2020 (Entscheidung des VG Gießen wurde auf Beschwerde des Antragsstellers hin durch den VGH Kassel bestätigt: Pressemitteilung zu VGH Kassel, Beschluss vom 1. April 2020, 2 B 925/20, https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen .de/pressemitteilungen/versammlung-gießen-zum-thema-straßenbahn-bleibt-verboten). 21 Pressemitteilung des VG Köln vom 9. April 2020, VG Köln, Beschluss vom 9. April 2020, 7 L 687/20, https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?cmsuri=/juris/de/nachrichten/zeigenachricht .jsp&feed=juna&wt_mc=rss.juna&nid=jnachr-JUNA200401091 (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 11 „leerlaufen.“22 Vor diesem Hintergrund ist auch die folgende Begründung fragwürdig, mit der das Verwaltungsgericht Köln die Ausnahmegenehmigung abgelehnt hat: „Außerdem könne die Erteilung der Ausnahmegenehmigung eine Vorbildwirkung für weitere Anträge haben, die die Erreichung des Ziels der Schutzmaßnahmen, nämlich durch eine weitgehende Kontaktbeschränkung eine Ausbreitung des Virus zu vermindern, unterlaufen könnten.“23 4.2.3.3.4. Mundschutz Denkbar wäre auch, Versammlungen unter der Auflage zuzulassen, dass die Teilnehmer während dieser einen Mundschutz tragen. Das Verwaltungsgericht Neustadt (Weinstraße) sieht hierin jedoch kein geeignetes Mittel: „Soweit der Antragsteller schließlich rüge, die Untersagung der Versammlung sei unverhältnismäßig , da es der Antragsgegner versäumt habe, z.B. per Auflage zusätzlich das Tragen von Schutzmasken anzuordnen, um das Infektionsrisiko bei der Versammlung auszuschließen, könne dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Zwar schreibe beispielsweise die Stadt Jena inzwischen einen „Mund-Nasen-Schutz“ für den Aufenthalt in bestimmten öffentlichen Bereichen vor. Mit diesen Maßnahmen sei jedoch keinesfalls ein Infektionsausschluss zu erreichen. Denn es sei derzeit nicht möglich, überaus knappe Schutzmasken einer zertifizierten Schutzkategorie zur faktisch erfüllbaren Auflage zu machen.“24 Ebenso entschied das Verwaltungsgericht Hamburg: „Darüber hinaus sei vorliegend aus infektionsschutzrechtlicher Sicht eine Ausnahme vom Versammlungsverbot auch nicht vertretbar, weil mit der Antragsgegnerin davon ausgegangen werden könne, dass – selbst bei Verwendung von Gesichtsmasken durch die Versammlungsteilnehmer – die Durchführung der Veranstaltung zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen würde.“25 22 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. April 2020, 1 BvR 828/20, Rn. 14. 23 Pressemitteilung des VG Köln vom 9. April 2020, VG Köln, Beschluss vom 9. April 2020, 7 L 687/20, https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?cmsuri=/juris/de/nachrichten/zeigenachricht .jsp&feed=juna&wt_mc=rss.juna&nid=jnachr-JUNA200401091 (Hervorhebungen durch Autor). 24 Beck-aktuell, VG Neustadt: Auch Zwei-Personen-Demo ist wegen Coronavirus verboten, zu VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschluss vom 2. April 2020, 4 L 333/20.NW, https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/vg-neustadt-ander -weinstrasse-zwei-personen-demo-in-kandel-zu-recht-wegen-coronavirus-verboten. 25 Pressemitteilung des OVG Hamburg vom 6. April 2020 zu VG Hamburg, Beschluss vom 4. April 2020, E 1568/20, https://justiz.hamburg.de/aktuellepresseerklaerungen/13799000/pressemitteilung/ (Hervorhebungen durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 12 In diesem Zusammenhang würde jedoch – jedenfalls nach heutigem Standpunkt – ins Gewicht fallen, dass Bund und Länder das Tragen eines Mundschutzes „dringend empfehlen“ und damit offenbar als geeignete Maßnahme zum Infektionsschutz ansehen.26 4.2.3.3.5. Immunisierte („Geheilte“) International gibt es vereinzelte Pressemeldungen, wonach es angeblich bei der gleichen Person Zweitinfektionen gegeben habe.27 Da die Tests unmittelbar nach der ersten Erkrankung vorgenommen wurden, bestehen jedoch Zweifel an der Aussagekraft.28 Erste Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die die Infektion überstanden haben, Antikörper besitzen und damit eine Immunität gegenüber dem Virus Sars-CoV-2 haben: „Und das ist auch das, was wir erwarten im Menschen, dass wir zumindest für die Dauer der Pandemie und wahrscheinlich noch eine Zeit lang darüber hinaus immun sind. Das ist auch meine Arbeitshypothese.“29 Aufgrund verfügbarer sachverständiger Einschätzungen könnte jedenfalls in naher Zukunft eine ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass eine geheilte Erkrankung für einen längeren Zeitraum immunisiert, z. B. für mehrere Jahre.30 Es lässt sich kaum vertreten, dass Immunisierte den gleichen Kontaktbeschränkungen unterliegen müssen wie Nicht-Immunisierte. Für Immunisierte wäre es daher wohl der geringere Eingriff gegenüber einem Versammlungsverbot, wenn sie ihre Immunisierung jederzeit nachweisen oder z. B. durch das offene Tragen eines behördlichen Ausweises sichtbar machen könnten. Hierdurch entstünde ein gewisser Mehraufwand bei der polizeilichen Überwachung der Versammlung. Auch könnte der sichtbare Genuss von Freiheiten für Immunisierte die Moral der Nicht-Immunisierten schwächen. Ob diese Maßnahme damit aber insgesamt tatsächlich signifikant weniger wirksam ist, lässt sich bezweifeln. 26 https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/regeln-zum-corona-virus-vom-15-april-2020-1744662#tar-2: „Seit dem 15. April gibt es neue Regeln zum Corona-Virus. Die Bundes-Kanzlerin und die Regierungs-Chefinnen und Regierungs-Chefs der Bundesländer haben diese Regeln beschlossen. […] Dringende Empfehlung: Mund- Nasen-Schutz tragen.“ 27 BZ vom 27. Februar 2020, Frau in Japan zum zweiten Mal positiv auf Coronavirus getestet!, https://www.bzberlin .de/welt/mehrfach-ansteckung-corona-virus-frau-in-japan-zum-zweiten-mal-positiv-auf-corona-getestet. 28 MDR vom 20. März 2020, Infektion Covid-19Corona – Kann man zwei Mal daran erkranken?, https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/corona-immunitaet-ansteckung-nach-genesung-100.html: „Virale RNA [ribonucleic acid] kann oft lange nachdem das infektiöse Virus verschwunden ist noch nachgewiesen werden“ (Mikrobiologe Prof. Dr. Florian Krammer von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York). 29 Der Virologe Christian Drosten zitiert nach MDR vom 20. März 2020, Infektion Covid-19Corona – Kann man zwei Mal daran erkranken?, https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/corona-immunitaet-ansteckung-nachgenesung -100.html. 30 Prof. Dr. Isabella Eckerle, Universitätsklinikum Genf, Schweiz, zitiert nach MDR vom 20. März 2020, Infektion Covid-19Corona – Kann man zwei Mal daran erkranken?, https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/coronaimmunitaet -ansteckung-nach-genesung-100.html: „Bei SARS[1] beispielsweise sind Antikörper drei bis fünf Jahre nachweisbar. Die Zeiträume sind also eher Jahre.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 13 Allerdings könnte die Privilegierung von „Geheilten“ dazu führen, dass sich Personen absichtlich mit der Krankheit infizieren, um durch eine baldige Immunität ein Versammlungsverbot (und andere Kontaktbeschränkungen) zu umgehen. Dadurch könnte der Zweck vereitelt sein, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. 4.2.3.3.6. Zeitliche Verschiebung Auch eine Verschiebung kann als milderes Mittel zu einem Verbot in Betracht kommen. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Versammlung auch zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll stattfinden kann. In diesem Fall wird die Versammlung lediglich im Hinblick auf eine Ausübungsmodalität beschränkt und kann als bloße Auflage verstanden werden. Wurde der entsprechende Termin hingegen gezielt ausgewählt und bekäme die Versammlung bei Verschiebung einen anderen Charakter, stellt diese kein milderes, gleich geeignetes Mittel dar.31 Vielmehr käme die Verschiebung dann einem Verbot gleich. 4.2.3.3.7. Örtliche Verlagerung Die vorgenannten Erwägungen dürften für eine örtliche Verlagerung entsprechend gelten. Einerseits kann zum Beispiel ein weitläufiger Platz, der über viele Punkte betretbar ist, einen guten Abstand der Teilnehmer gewährleisten. Andererseits kann ein bestimmter, infektionsschutztechnisch nicht so gut geeigneter Platz (z. B. vor einer ausländischen Botschaft) mit dem Zweck der Versammlung eng zusammenhängen. In diesem Fall käme eine örtliche Verlagerung der Versammlung einem Verbot jedenfalls nahe. 4.2.3.4. Wirksamkeit Bei allen milderen Mitteln lässt sich als Gegenargument anführen, dass die Mittel nicht gleich wirksam sind. Bei jeder weiteren Öffnung ergäben sich weitere Bewegungen und typischerweise auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit an Kontakten im öffentlichen Raum. Ferner könnte man eine gewisse Sogwirkung32 oder Nachahmungsgefahr unterstellen: Je mehr Menschen sich außerhalb der Wohnung bewegen, desto weniger wird die Aufenthaltsbeschränkung als umgesetztes und durchgesetztes Ge- und Verbot wahrgenommen und gelebt. 4.2.4. Angemessenheit Gleichwohl dürfte es der hohe Wert der Versammlungsfreiheit gebieten, bis zu einem gewissen Grad auch nicht unbedingt gleichermaßen geeignete Mittel in Erwägung zu ziehen, um eine Ver- 31 Vgl. BVerfG NJW 2007, 2167. 32 Hierzu VG Hamburg, Beschluss vom 27. März 2020, 14 E 1428/20, juris, Rn. 60, https://justiz.hamburg.de/contentblob /13771374/70d4d8e4a9bc41aed170cf2c2e01a9f0/data/14-e-1428-20.pdf (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 092/20 Seite 14 sammlung zu ermöglichen. Insgesamt ist es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts geboten , dass „das Infektionsrisiko auf ein in Abwägung mit dem Grundrecht aus Art. 8 GG vertretbares Maß“ reduziert wird.33 4.2.5. Umsetzungsebene Neben der Ebene der Regelung ist der Erforderlichkeit auch, wenn nicht sogar vor allem, bei der Umsetzung der Eindämmungsverordnungen durch die Vollzugsbehörden Rechnung zu tragen. Dies ist Frage der Anwendung im Einzelfall. Die auf § 32 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz beruhenden Rechtsverordnungen der Länder sehen entsprechende Öffnungsklauseln für den Einzelfall vor, so beispielsweise: § 1 Abs. 7 der Eindämmungsverordnung Berlin: „Für Versammlungen unter freiem Himmel von bis zu 20 Teilnehmenden kann die Versammlungsbehörde in besonders gelagerten Einzelfällen auf Antrag Ausnahmen vom Verbot des Absatz 1 zulassen, sofern dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist. Das zuständige Gesundheitsamt ist fachlich an der Entscheidung nach Satz 1 zu beteiligen.“34 § 1 Abs. 1, Satz 3 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung: „Ausnahmegenehmigungen können auf Antrag von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde erteilt werden, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.“35 § 11 Abs. 2, Satz 1 der Corona- Schutzverordnung Nordrhein-Westfalen: „Die nach § 3 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz zuständigen Behörden können für Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz Ausnahmen zulassen, wenn die Veranstalter die Einhaltung der für den Schutz der Bevölkerung vor Infektionen erforderlichen Maßnahmen (insbesondere Mindestabstände) sichergestellt haben.“36 *** 33 Wissenschaftliche Dienste, WD 3 - 3000 - 094-20, Infektionsschutz: Angemessenheit von Versammlungsverboten. 34 https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/#headline_1_10. 35 https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayIfSMV/true?AspxAutoDetectCookieSupport=1. 36 https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/2020-03-22_coronaschvo_nrw.pdf.