© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 091/20 Vergleichbarkeit von infektionsschutzrechtlichen Arbeits- und Versammlungsbeschränkungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 091/20 Seite 2 Vergleichbarkeit von infektionsschutzrechtlichen Arbeits- und Versammlungsbeschränkungen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 091/20 Abschluss der Arbeit: 8. April 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 091/20 Seite 3 1. Fragestellung Die Länder können nach § 32 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz im Wege der Rechtsverordnung „Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten […] erlassen“. Die Länder haben von dieser Befugnis Gebrauch gemacht, so z. B. die „SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin“.1 Grundsätzlich erlauben die Eindämmungsverordnungen Berufstätigen den Weg zur Arbeit.2 Zugleich beschränken oder verbieten sie öffentliche Versammlungen.3 Es stellt sich die Frage, ob dies eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung darstellt. 2. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) 2.1. Schutzbereich Im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG ist „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich“ 4 zu behandeln. 2.2. Vergleichsgruppe Zur Prüfung, ob ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vorliegt, ist zunächst festzustellen , ob eine Vergleichbarkeit von Personen, Gruppen oder Sachverhalten besteht. Hierzu ist eine Vergleichsgruppe zu bilden.5 Die Bildung der Vergleichsgruppe erfolgt durch Erfassung eines bestimmten gemeinsamen Merkmals , das sich unter einen gemeinsamen Oberbegriff subsumieren lässt.6 Der Oberbegriff soll die 1 https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/; Ländervergleichende Übersicht (überwiegend mehrere Verordnungen pro Bundesland): https://brak.de/die-brak/coronavirus/uebersicht-covid19vo-der-laender/; https://www.tagesschau.de/inland/corona-bundeslaender-101.html; siehe auch die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und den Bundesländern „Leitlinien zum Kampf gegen die Corona-Epidemie“, vom 16. März 2020, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/meseberg/leitlinien-zum-kampf-gegen-die-corona-epidemie -1730942. 2 Siehe z. B. § 14 Abs. 3 a der „SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin“, https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/#headline_1_4. 3 Vgl. z. B. § 1 Abs. 1 der „SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin“, https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/#headline_1_4: „Öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen , Versammlungen, Zusammenkünfte und Ansammlungen dürfen nicht stattfinden“; § 1 Abs. 1 Satz 1 der „Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie“, https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayIfSMV/true?AspxAutoDetectCookieSupport=1: „Veranstaltungen und Versammlungen werden landesweit untersagt.“ 4 BVerfGE 4, 144 (155) – Hervorhebung durch Autor. 5 Schmidt, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, Art. 3 Rn. 33. 6 Heun, in Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 3 Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 091/20 Seite 4 Vergleichsgruppe abschließend und vollständig erfassen.7 Es bedarf „eines Aktes wertender Erkenntnis , um den Bezugspunkt für die wesentliche Übereinstimmung bzw. Differenz der zum Vergleich gestellten Sachverhalte, Gruppen oder Personen erfassen zu können.“8 Unvergleichbarkeit beinhaltet die Wertung, dass zwei Gegenstände so verschieden sind, dass sich von vornherein keine Argumente für eine Gleichbehandlung ergeben können.9 Vergleichbarkeit besteht z. B. zwischen gewöhnlichem Einzelhandel einerseits und einer Lottoannahmestelle bzw. einem Pralinenfachgeschäft andererseits.10 Als Oberbegriff fungiert der Begriff „Verkaufsstelle“. Die unterschiedliche Behandlung dieser Geschäfte ist damit am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes zu messen. Gleiches gilt für die Differenzierung von Besuchsverboten für Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern. Nach § 6 Abs. 2 der Eindämmungsverordnung Berlin dürfen z. B. nur Kinder unter 16 Jahren und Schwerstkranke Besuch empfangen.11 Hier ließe sich eine Vergleichsgruppe „Besucher“ bzw. „Besuchsempfänger“ bilden. Ein gemeinsames Merkmal von Berufstätigen und Demonstranten lässt sich hingegen schwerlich finden. Daher behandeln die Eindämmungsverordnungen ungleiche Sachverhalte ungleich. Dies verhält sich im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes, sodass der Schutzbereich von Art. 3 Abs. 1 GG nicht berührt wird. Anders verhielte es sich zum Beispiel, würde man nur bestimmte Demonstrationen zulassen. Innerhalb der Vergleichsgruppe „Demonstranten“ läge dann eine Ungleichbehandlung vor. Entsprechend verhielte es sich, würde man nur für bestimmte Berufe den Weg zur Arbeit erlauben. Innerhalb der Vergleichsgruppe „Berufstätiger“ läge dann eine Ungleichbehandlung vor. Eine Beschränkung oder ein Verbot von Versammlungen durch Eindämmungsverordnungen ist daher grundsätzlich am Maßstab des Freiheitsrechts des Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit) zu prüfen, nicht aber im Hinblick auf unterschiedliche Vergleichsgruppen am Maßstab des Art. 3 GG. *** 7 Wollenschläger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 3 Rn. 80. 8 Schmidt, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, Art. 3 Rn. 33. 9 Kischel, in BeckOK, Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 01.12.2019, Art. 3 GG Rn. 18. 10 VG Aachen, Beschluss vom 23. März 2020, 7 L 233/20, juris, Rn. 19. 11 https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/#headline_1_6.