Deutscher Bundestag Unvereinbarkeit eines hauptamtlichen Bürgermeisteramtes mit dem Bundestagsmandat Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 091/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 091/12 Seite 2 Unvereinbarkeit eines hauptamtlichen Bürgermeisteramtes mit dem Bundestagsmandat Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 091/12 Abschluss der Arbeit: 22. März 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 091/12 Seite 3 1. Einleitung Angefragt ist die Vereinbarkeit des Amtes eines hauptamtlichen Bürgermeisters mit dem Mandat als Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Die Problematik wird u. a. am Beispiel der Übernahme des Oberbürgermeisteramtes der Stadt Karlsruhe durch einen Bundestagsabgeordneten erörtert. Eine Unvereinbarkeit der beiden Tätigkeiten könnte sich aus § 5 Abs. 1 S. 2 AbgG1 ergeben (2.), der seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 137 Abs. 1 S. 1 GG2 findet (3.). Abschließend wird kurz auf die vor 1977 geltende Rechtslage eingegangen (4.). 2. Unvereinbarkeit von Amt und Mandat gemäß § 5 AbgG § 5 Abs. 1 S. 1 und 2 AbgG regeln die Vereinbarkeit von Amt und Mandat für Bundestagsabgeordnete . Die Norm lautet: „Die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis eines in den Bundestag gewählten Beamten mit Dienstbezügen ruhen vom Tage der Feststellung des Bundeswahlausschusses (§ 42 Abs. 2 Satz 1 des Bundeswahlgesetzes) oder der Annahme des Mandats für die Dauer der Mitgliedschaft mit Ausnahme der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit und des Verbots der Annahme von Belohnungen und Geschenken. Das gleiche gilt, wenn ein Mitglied des Bundestages in ein solches Dienstverhältnis berufen wird, von dem Tage an, mit dem seine Ernennung wirksam wird.“ Satz 1 betrifft den Fall, dass ein Beamter in den Bundestag gewählt wird, woraufhin sein Amt ruht. Satz 2 betrifft den umgekehrten Fall, in dem ein Mitglied des Bundestages Beamter werden möchte. Für die vorliegende Frage ist Satz 2 maßgeblich. Die dortige Regelung, dass das Beamtenverhältnis ab dem Tage der Ernennung ruht, ist dahingehend zu verstehen, dass der Abgeordnete mindestens bis zu diesem Tag, also bis zur Ernennung, die Möglichkeit hat, zwischen Amt und Mandat zu wählen.3 Erfolgt die Ernennung zum Beamten, ohne dass der Abgeordnete sein Mandat zuvor niedergelegt hat, ergibt sich die Rechtsfolge aus dem Beamtenrecht des Bundes bzw. der Länder. Beamte im Sinne dieser Vorschrift sind auch kommunale Wahlbeamte auf Zeit4, also auch die hauptamtlichen Bürgermeister. Nicht unter die Vorschrift fallen ehrenamtliche Bürgermeister, da diese nicht Beamte mit Dienstbezügen sind. Beispielsweise in Baden-Württemberg gilt: Nach § 42 1 Abgeordnetengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 1996 (BGBl. I S. 326), das zuletzt durch das Gesetz vom 8. November 2011 (BGBl. I S. 2218) geändert worden ist. 2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Juli 2010 (BGBl. I S. 944) geändert worden ist. 3 Braun/Jantsch/Klante, Abgeordnetengesetz, 2002, § 5 Rn. 12. 4 Braun/Jantsch/Klante (Fn. 3), § 5 Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 091/12 Seite 4 Abs. 2 S. 1 Gemeindeordnung Baden-Württemberg (GemO BW)5 ist der Bürgermeister in Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern Ehrenbeamter auf Zeit. In Gemeinden mit mehr als 500 Einwohnern kann durch die Hauptsatzung bestimmt werden, dass der Bürgermeister hauptamtlicher Beamter auf Zeit ist. In allen übrigen Gemeinden ist der Bürgermeister nach § 42 Abs. 2 S. 2 GemO BW hauptamtlicher Beamter auf Zeit. Nach § 42 Abs. 4 GemO BW führt der Bürgermeister in Stadtkreisen und Großen Kreisstädten die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister. Die Besoldung der hauptamtlichen Bürgermeister ist dem Landeskommunalbesoldungsgesetz des Landes Baden-Württemberg zu entnehmen (LKomBesG BW); die konkrete Besoldungsgruppe ergibt sich in Abhängigkeit von der Einwohnerzahl der Gemeinde für hauptamtliche Bürgermeister aus § 2 Nr. 2 dieses Gesetzes. Für den Oberbürgermeister des Stadtkreises Karlsruhe ist danach beispielsweise festzuhalten, dass er als Bürgermeister ein hauptamtlicher Beamter auf Zeit mit Dienstbezügen ist. Damit ist er Beamter im Sinne von § 5 Abs.1 AbgG. Es gilt für das weitere Verfahren die landesrechtliche Vorschrift des § 30 Abgeordnetengesetz Baden-Württemberg (AbgG BW)6: „Der Beamte, der in ein mit dem Mandat unvereinbares Amt berufen wird, ist zu entlassen , wenn er zur Zeit der Ernennung Mitglied des Landtags, des Deutschen Bundestages oder des Europäischen Parlaments war und nicht innerhalb der von der obersten Dienstbehörde zu bestimmenden angemessenen Frist sein Mandat niederlegt.“ Wenn der Abgeordnete zum Zeitpunkt der Ernennung zum Bürgermeister also sein Mandat noch nicht niedergelegt hat, ist ihm zunächst eine Frist zu setzen, in der er dies nachholen kann. 3. Exkurs 1: Art. 137 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Grundlage des § 5 AbgG Die Beschränkungen in § 5 AbgG finden ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 137 Abs. 1 GG: „Die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Ländern und den Gemeinden kann gesetzlich beschränkt werden.“ Nach seinem Wortlaut erfasst Art. 137 Abs. 1 S. 1 GG nur die Variante in § 5 Abs. 1 S. 1 AbgG, also die Beschränkung der Wahl eines Beamten in ein Parlament. Der vorliegend entscheidende umgekehrte Fall in § 5 Abs. 1 S. 2 AbgG, also die Ernennung eines Abgeordneten zum Beamten, wird allerdings ebenfalls auf Art. 137 Abs. 1 GG gestützt. Für diese ganz herrschende Ansicht 5 Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (Gemeindeordnung - GemO) in der Fassung vom 24. Juli 2000, zuletzt geändert durch Artikel 28 der Verordnung vom 25. Januar 2012 (GBl. S. 65, 68). 6 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Landtags (Abgeordnetengesetz) vom 12. September 1978 (GBl. S. 473), zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetzes vom 9. November 2010 (GBl. S. 793, 960). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 091/12 Seite 5 spricht, dass sich für die Regeln der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat keine Unterschiede daraus ergeben können, welches der beiden die betreffende Person zuerst innehatte.7 Fraglich ist, ob der Beamtenbegriff in Art. 137 Abs. 1 GG auch kommunale Wahlbeamte umfasst. Nur wenn dies bejaht wird, kann auch der Beamtenbegriff in § 5 AbgG - wie oben geschehen – dahingehend ausgelegt werden, dass er die kommunalen Wahlbeamten umfasst. Art. 137 Abs. 1 GG schränkt die Wählbarkeit zum Bundestag ein und beschneidet so die Rechte aus Art. 38 und Art. 48 Abs. 2 GG.8 Art. 38 Abs. 1 und 2 GG lauten: „(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. (2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.“ Art. 48 Abs. 2 GG lautet: „Niemand darf gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben . Eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grunde ist unzulässig.“ Die Beschränkung dieser Rechte durch Art. 137 Abs. 1 GG darf nicht weiter reichen, als es der Normzweck unbedingt erfordert. Zweck von Art. 137 Abs. 1 GG ist jedenfalls die Wahrung der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2).9 Wenn die Legislative die Exekutive wirksam kontrollieren können soll, darf es grundsätzlich zwischen den Gewalten keine personellen Überschneidungen geben.10 Beamte unterliegen dabei als Teil der Exekutive erheblichen Interessenskonflikten, wenn sie zugleich Mitglieder des Parlaments sind.11 Für die Unvereinbarkeit gerade des (hauptamtlichen) Bürgermeisteramtes mit dem Bundestagsmandat werden verschiedene Punkte angeführt. Insbesondere sei die Ausführung der Bundesgesetze durch die Gemeinden problematisch. Der Bürgermeister sei hier zugleich den Interessen der Gemeinde und als Abgeordneter denen des gesamten Volkes verpflichtet. Diese Interessen stünden nicht selten im Widerspruch zueinander, sodass eine funktionsgerechte Ausübung sowohl des Bundestagsmandats als auch des kommunalen Wahlamtes nicht möglich sei.12 7 Tsatsos, in: Schneider/Zeh (Fn. 7), § 23 Rn. 48 m.w.N. 8 Tsatsos, in: Schneider/Zeh (Fn. 7), § 23 Rn. 47. 9 v.Campenhausen/Unruh, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. III, 6. Auflage 2010, Art. 137 Rn. 6; daneben möglicherweise auch die Wahrung der parteipolitischen Unabhängigkeit der Beamten sowie eine Verhinderung der „Verbeamtung“ der Parlamente, vgl. ebd. 10 BVerfGE 38, 326 (338 f.), ständige Rspr; weitere Nachweise bei v.Campenhausen/Unruh, in: v.Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 11), Art. 137 Fn. 12. 11 Tsatsos, in: Schneider/Zeh (Fn. 7), § 23 Rn. 51 ff. 12 Tsatsos, in: Schneider/Zeh (Fn. 7), § 23 Rn. 51 ff. mit weiteren Beispielen für mögliche Interessenkonflikte . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 091/12 Seite 6 Abgesehen von einigen kritischen Stimmen, die noch dazu aus der Zeit vor der Verabschiedung des Abgeordnetengesetzes stammen,13 darf heute als herrschende Ansicht gelten, dass Art. 137 Abs. 1 GG sich auch auf kommunale Wahlbeamte bezieht und eine entsprechend weite Auslegung der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat in § 5 Abs. 1 S. 1 und 2 AbgG daher verfassungsrechtlich zulässig ist.14 Entsprechend urteilte auch bereits das Bundesverfassungsgericht 1964 in einer Entscheidung zur Unvereinbarkeit des Amtes eines hauptamtlichen Gemeindedirektors mit dem Bundestags- und Landtagsmandat nach damaligem niedersächsischem Landesrecht.15 Wahlbeamte auf Zeit seien demnach wegen ihrer weitgehenden beamtenrechtlichen Gleichstellung mit Beamten auf Lebenszeit nicht anders zu behandeln als diese.16 4. Exkurs 2: Frühere Rechtslage Das Abgeordnetengesetz stammt von 1977. § 5 Abs. 1 S. 2 AbgG, also der Fall der Verbeamtung während der Ausübung des Mandats, war damals noch nicht ausdrückliche geregelt, wurde aber ab diesem Zeitpunkt bereits praktisch im Sinne dieser Bestimmung gehandhabt und 1994 auch ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen.17 Vor 1977 war die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat auf Grundlage von Art. 137 Abs. 1 GG in den Beamtengesetzen des Bundes und der Länder sowie im RechtsstellungsG18 geregelt. Wahlbeamte auf Zeit waren von diesen Regelungen ausdrücklich ausgenommen. Eine Unvereinbarkeit von Bundestagsmandat und kommunalem Wahlamt durfte jedoch gemäß § 7 RechtsstellungsG durch Landesrecht geschaffen werden, wovon allerdings nur vereinzelt Gebrauch gemacht wurde (u. a. in Niedersachsen, woraus sich der soeben beschriebene Rechtsstreit ergab).19 In den meisten Bundesländern war es daher bis zur Verabschiedung des AbgG 1977 möglich, zugleich kommunaler Wahlbeamter und Bundestagsabgeordneter zu sein.20 Gerichtsentscheidungen zu diesem Problemfeld, die vor 1977 ergangen sind, können insofern für die Bewertung der heutigen Rechtslage größtenteils nicht herangezogen werden. 13 Schneider, Parlamentarische Betätigung der kommunalen Wahlbeamten, ZBR 1958, 78 (81); Sturm, Die Inkompatibilität, 1967, S. 163 ff. 14 Klein/Pieroth, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Grundgesetz, Stand: Oktober 2011, Art. 137 Rn. 52 (Stand: März 2007); v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 11), Art. 137 Rn. 22; Masing, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. III, 2. Auflage 2008, Art. 137 Rn. 9. Ausführlich zum Streitstand: Tsatsos, in: Schneider/Zeh (Fn. 7), 1989, § 23 Rn. 51 ff. 15 BVerfGE 18, 172 ff. 16 BVerfGE 18, 172 (181 f.). 17 Sturm (Fn. 13), S. 134. 18 Gesetz über die Rechtsstellung der in den Deutschen Bundestag gewählten Angehörigen des öffentlichen Dienstes vom 4. August 1953 (BGBl I S. 1557). 19 Sturm (Fn. 13), S. 134 f. 20 Schneider (Fn. 13), 81. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 091/12 Seite 7 5. Fazit Gemäß § 5 Abs. 1 AbgG ist das Amt eines Bürgermeisters, sofern er hauptamtlicher Beamter mit Dienstbezügen ist, unvereinbar mit dem Mandat als Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Wird ein Abgeordneter zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt, hat ihm die zuständige Dienstbehörde eine angemessene Frist zu setzen, in der er sein Bundestagsmandat niederlegen kann.