Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Grundsteuer - Sachstand - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 091/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Grundsteuer Sachstand WD 3 - 091/07 Abschluss der Arbeit: 09.03.2007 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Einleitung Dieser Sachstand beantwortet die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Grundsteuer. Insbesondere wird auf die Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel und auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eingegangen. 2. Die Steuergesetzgebungskompetenzen gemäß Art. 105 GG Art. 105 GG enthält die Gesetzgebungszuständigkeit für das materielle Steuerrecht und stellt eine abschließende Spezialregelung dar, die insoweit den in Art. 70 ff. GG geregelten Gesetzgebungszuständigkeiten vorgeht1. Nach Art. 105 GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über die Zölle und Finanzmonopole (Abs. 1) und die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz über die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen (Abs. 2). Den Ländern wird in Art. 105 Abs. 2a GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die örtlichen Verbrauch- und Aufwandssteuern zugewiesen. Art. 105 GG räumt dem Bund sehr weitgehende Steuergesetzgebungskompetenzen ein, um der steuerlichen Rechts- und Wirtschaftseinheit im Bundesgebiet Rechnung zu tragen und unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen durch regional abweichende Steuerregelungen zu verhindern. Das Grundgesetz sorgt damit für eine bundesweite Einheitlichkeit des steuerlichen Belastungsgefüges2. Mit der Kompetenzverteilung zugunsten des Bundes wird zudem die Voraussetzung dafür geschaffen, die Steuerpolitik als wirtschafts-, sozial-, umwelt-, und gesellschaftspolitisches Lenkungsinstrument einzusetzen 3. 3. Die Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer Der Bund könnte die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer als Teil der „übrigen Steuern“ gemäß Art. 105 Abs. 2 GG haben. Im Gegenschluss aus Art. 105 Abs. 1, Abs. 2a GG und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV ergibt sich, dass von den „übrigen Steuern“ allein die Zölle, die örtlichen Verbrauch- und 1 Maunz, Theodor, in: Maunz, Theodor/Dürig, Günter, Grundgesetz Kommentar, Band IV, Art. 105 GG, Rn. 1, 24. 2 Brockmeyer, Hans-Bernhard, in: Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz, Kommentar zum Grundgesetz , Art. 105 GG, Rn. 1. 3 Henneke, Hans-Günter, Die Kommunen in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder: Darstellung , in: Praxis der Kommunalverwaltung, 3. Auflage, Wiesbaden 1998, 5.3. - 4 - Aufwandsteuern sowie die Kirchensteuer nicht in Art. 105 Abs. 2 GG erfasst sind4. Somit fällt die Grundsteuer unter Art. 105 Abs. 2 GG. Das Aufkommen aus der Grundsteuer steht jedoch gemäß Art. 106 Abs. 6 GG nicht dem Bund sondern den Gemeinden zu. Für solche den Ländern oder Gemeinden zufließenden Steuern besteht die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG. 3.1. Die Erforderlichkeitsklausel Art. 72 Abs. 2 GG Art. 72 Abs. 2 GG ist mit Wirkung zum 15. 11. 1994 neu gefasst worden5. Bis 1994 musste ein Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung bestehen, weil eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann oder die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus, sie erforderte. Schließlich wurde Art. 72 Abs. 2 GG dahingehend neu gefasst, dass der Bund in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht hat, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Die Beibehaltung des Abstellens auf die Wahrung der Wirtschaftseinheit ist gerade im Bereich der Steuergesetzgebung von besonderer Bedeutung für die Bundeskompetenzen6. Das Grundsteuergesetz des Bundes stammt vom 7. August 19737. Gesetze, die aufgrund Art. 72 Abs. 2 GG in der bis zum 15. November 1994 geltenden Fassung erlassen wurden , gelten gemäß Art. 125a Abs. 2 S. 1 GG als Bundesrecht fort. Bei Neuregelungen stellt sich allerdings die Frage, ob der Bund auch die Kompetenz innehat, wenn die mittlerweile verschärften Kriterien des Art. 72 Abs. 2 GG nicht erfüllt sind. In diesen Fällen hat der Bund eine eng auszulegende Änderungskompetenz. Eine Modifikation einzelner Regelungen soll möglich sein, wenn die wesentlichen Elemente der im fortbe- 4 Henneke, Hans-Günter, Die Kommunen in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder: Darstellung , 5.4.2. 5 Gesetz vom 27. Oktober 1994, BGBl. I S. 3146. 6 Henneke, Hans-Günter, Die Kommunen in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder: Darstellung , 3.2.1.2. 7 BGBl. I S. 965. - 5 - stehenden Bundesgesetz enthaltenen Regelungen beibehalten werden. Eine grundlegende Neukonzeption ist dem Bund verwehrt8. 3.2. Die Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht Fraglich ist, wie sich die enge Auslegung der Erforderlichkeitsklausel durch das BVerfG auf die Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer auswirkt. Eine erste Konkretisierung des Art. 72 Abs. 2 GG hat das BVerfG in seiner Entscheidung zum Altenpflegegesetz gebracht9. Dort stellt das BVerfG fest, dass der Bund erst dann zum Eingreifen ermächtigt ist, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet. Eine Gesetzesvielfalt auf Länderebene erfüllt die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erst dann, wenn sie eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen darstellt, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann. Der Erlass von Bundesgesetzen zur Wahrung der Wirtschaftseinheit steht dann im gesamtstaatlichen, also im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern, wenn Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich bringen. An diesen hohen Hürden sind seither mehrere Bundesgesetze gescheitert, darunter das Altenpflegegesetz10, das Kampfhundegesetz11, das Ladenschlussgesetz 12 und das Juniorprofessorengesetz13. 3.3. Die Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung der Grundsteuer Im Bereich der Steuergesetzgebung ergibt sich die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung grundsätzlich aus der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse. Wegen des Prinzips der Gleichmäßigkeit der Steuerbelastung kommt dem Bund eine umfassende Gesetzgebungsbefugnis auch für diejenigen Steuern zu, deren Aufkommen den Ländern und Gemeinden zufließt14. Eine Einschränkung wird nach dem Wortlaut der Verfassung nur bei den örtlichen Verbrauch- und 8 BVerfGE 111, 10; 111, 226. 9 BVerfGE 106, 62 144 ff.; NJW 2003,S. 41 ff. 10 BVerfGE 106, 62. 11 BVerfGE 110, 141. 12 BVerfGE 111, 10. 13 BVerfGE 111, 236. 14 Henneke, Hans-Günter, Die Kommunen in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder: Darstellung , 5.4.2. - 6 - Aufwandsteuern gemacht, welche die Rechts- oder Wirtschaftseinheit des Bundes wegen ihrer örtlichen Ausprägung nicht berühren. Man könnte jedoch wegen der engen Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG vertreten, dass gerade für die Grundsteuer keine bundeseinheitliche Regelung im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich wäre15. Für diese Sichtweise wird angeführt, dass die Hebesätze der Realsteuern gemäß Art. 106 Abs. 6 S. 2 GG von den Gemeinden festgesetzt werden, was die kommunale Finanzhoheit zum Ausdruck bringe16. Unterschiedliche Realsteuerbelastungen beeinflussen zwar die Güterverteilung, es käme jedoch nicht zu einer Behinderung des wirtschaftlichen Verkehrs im Bundesgebiet17. Dagegen spricht, dass die Steuergesetzgebung im Vergleich mit den an Art. 72 Abs. 2 GG gescheiterten Gesetzen, eine besondere Materie darstellt. Die Rechtsprechung des BVerfG auf diesem Gebiet ist eine ausgesprochen bundesfreundliche18: Der Steuergesetzgebung wird im Bundesstaat eine besondere zentralstaatlich orientierte Funktion zugewiesen. Deshalb hat die Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG im Bereich des Steuerrechts bisher auch nicht zu einer Ausweitung der Länderkompetenzen geführt19. Die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 72 Abs. 2 GG ist letztlich wohl nicht allein ausreichend für eine Umverteilung der Gesetzgebungskompetenzen bei der Grundsteuer. Somit ist wohl von der Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung der Grundsteuer auszugehen. 4. Die Föderalismusreform Im Rahmen der Föderalismusreform wurde diskutiert, die Rolle der Länder auch im Bereich der Steuergesetzgebung zu stärken. Denn die Länder haben wegen des Auseinanderfallens von Gesetzgebungskompetenzen und Ertragshoheit nur eine sehr eingeschränkte Steuerautonomie, worin auch einer der Gründe für die gegenwärtige Finanzkrise der Länder gesehen wird20. Unter anderem wurde überlegt, die Gesetzgebungskompetenz für die Steuern, deren Ertrag den Ländern gemäß Art. 106 Abs. 2 GG allein zukommt, auf diese zu übertragen. Dadurch sollten den Ländern dauerhafte Finanzquellen und eine Steigerung ihrer Auto- 15 Lang, Joachim, in: Tipke, Klaus/Lang, Joachim, Steuerrecht, 18. Auflage, Köln 2005, § 3 Rn. 30. 16 FG Thüringen, Beschluss vom 15. Januar 2004 17 Lang, Joachim, in: Tipke, Klaus/Lang, Joachim, Steuerrecht, 18. Auflage, Köln 2005, § 3 Rn. 30. 18 Schuppert, in Umbach, Dieter/Clemens, Thomas, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch , Band II, Heidelberg 2002, Art. 105 GG, Rn. 44 ff. 19 Tillmann/Kreienbrock, Regionale Steuerautonomie, in: Holtschneider/Schöne, Die Reform des Bundesstaates, S. 373. - 7 - nomie gewährleistet werden. Konsequenz wäre ein Steuerwettbewerb unter den Ländern sowie weniger Transparenz gewesen. Im Laufe der Beratungen wurde deutlich, dass wegen der Bedenken gegen einen starken Steuerwettbewerb nur die „immobilen Steuern “ für eine Länderautonomie geeignet wären, wozu neben der Grundsteuer auch Grunderwerbssteuer und Erbschaftssteuer zählen. Aber auch bezüglich der „immobilen Steuern“ sprachen sich die Ministerpräsidenten gemeinschaftlich gegen eine regionale Steuerautonomie der Länder aus, da in der derzeitigen Situation ein fairer Wettbewerb zwischen den Ländern nicht möglich sei21. Letztlich einigte man sich lediglich auf die Steuersatzautonomie der Länder für die Grunderwerbssteuer (Art. 105 Abs. 2a GG). Bundestag und Bundesrat haben am 15. Dezember 2006 beschlossen, eine gemeinsame Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen (kurz Föderalismuskommission II) einzusetzen. Die Föderalismuskommission II hat sich öffentlich am 8. März 2007 konstituiert22. Die Kommission hat den Auftrag, Vorschläge zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu erarbeiten, um diese den veränderten Rahmenbedingungen innerhalb und außerhalb Deutschlands für die Wachstums - und Beschäftigungspolitik anzupassen. Dadurch sollen die Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften und deren aufgabengerechte Finanzausstattung gestärkt werden . Inwieweit sich die Gesetzgebungskompetenzen für das Steuerrecht im Zuge der Föderalismusreform II verschieben, bleibt abzuwarten. 5. Ergebnis Die Forderung des Grundgesetzes nach regionaler Gleichheit der Wirtschaftsbedingungen spricht dafür, dass die Gesetzgebungszuständigkeit für die Grundsteuer trotz der engen Auslegung der Erforderlichkeitsklausel beim Bund bleibt. Angesichts der Diskussion im Rahmen der Föderalismusreform ist erkennbar, dass die Bundeskompetenz für die Grundsteuer auch anerkannt und weiterhin gewünscht ist. Im Zuge der Föderalismusreform II ist jedoch eine zukünftige Verschiebung der Gesetzgebungskompetenzen möglich, wovon auch die Grundsteuer betroffen sein kann. ( ) ( ) 20 Tillmann, Antje/Kreienbrock, Isabel, Regionale Steuerautonomie, in: Holtschneider, Rainer /Schöne, Walter (Hrsg.), Die Reform des Bundesstaates, 1. Auflage, Baden-Baden 2007, S. 363. 21 Tillmann/Kreienbrock, Regionale Steuerautonomie, in: Holtschneider/Schöne, Die Reform des Bundesstaates, S. 365. 22 http://www.bundestag.de/parlament/gremien/foederalismus2/index.html