WD 3 - 3000 - 090/21 (30. April 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die Aufstellung der Listenkandidaten der politischen Parteien erfolgt gemäß § 27 Abs. 5 Bundeswahlgesetz (BWG) in entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 1 BWG. Danach werden die Listenkandidaten auf Landesebene durch Mitgliederversammlungen oder durch besondere oder allgemeine Vertreterversammlungen der Parteien gewählt. Gefragt wird nach der Rechtslage, wenn ein gewählter Vertreter einer Vertreterversammlung entgegen dem für die Vertreterversammlung vorgesehenen Schutz- und Hygienekonzeptes nicht bereit ist, sich vor der Versammlung auf SARS- CoV-2 testen zu lassen. Gemäß § 10 Abs. 2 Parteiengesetz (ParteiG) haben die Vertreter in den Parteiorganen gleiches Stimmrecht . § 10 Abs. 2 ParteiG konkretisiert das verfassungsrechtliche Gebot des Art. 21 Abs. 1 S. 3 Grundgesetz (GG), wonach die innere Ordnung der Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Aus Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG folgt, dass für parteiinterne Wahlen die wesentlichen Grundsätze gelten, die Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG für staatliche Wahlen festlegt, wenn auch in abgeschwächter Form.1 Aufgrund der Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichheit der Wahl gilt es bei der Organisation und Durchführung der Wahlveranstaltungen dafür Sorge zu tragen, dass möglichst alle wahlberechtigten Mitglieder an der Wahl teilnehmen können und dem Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber Genüge getan wird.2 Die Ausübung des Stimmrechts beinhaltet das Recht der wahlberechtigten Mitglieder, sich an den Mitglieder- bzw. Vertreterversammlungen zu beteiligen.3 Dieses Recht darf ihnen grundsätzlich nicht durch den Vorstand oder parteiinterne Regelungen verwehrt werden. Eine Ausnahme regelt insofern § 10 Abs. 2 S. 2 ParteiG; danach kann in der Parteisatzung geregelt werden, die Ausübung des Stimmrechts von der Erfüllung 1 Siehe dazu die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste, Elektronische Abstimmungen bei parteiinternen Wahlen per DE-Mail, WD 3 - 3000 - 254/20 vom 30. Oktober 2020, S. 3 f., abrufbar unter https://www.bundestag .de/resource/blob/803188/74264cd591c013606e4a59e39d22dd96/WD-3-254-20-pdf-data.pdf (letzter Abruf: 30. April 2021). 2 Ausführlich hierzu siehe die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste, Kandidatenaufstellung in Wahlkreisen, WD 3 - 3000 - 186/20 vom 30. Juli 2020; abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/724210/971c1856d714588575b86fd9a99ad712/WD-3-186-20-pdf-data.pdf (letzter Abruf: 30. April 2021). 3 Ipsen, in: Ipsen, Parteiengesetz, 2. Auflage 2018, § 10 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Ausübung des Stimmrechts in der Vertreterversammlung und SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmen Kurzinformation Ausübung des Stimmrechts in der Vertreterversammlung und SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmen Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 der Beitragspflicht durch das Mitglied abhängig zu machen. Andere Ausnahmen sind im Parteiengesetz nicht vorgesehen. Ein rechtliches Verbot der Teilnahme kann sich ggfs. aus dem Infektionsschutzrecht ergeben. Die Bundesländer sind nach § 32 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ermächtigt, unter den Voraussetzungen , die für die notwendigen Schutzmaßnahmen nach den § 28, § 28a und §§ 29 bis 31 IfSG maßgebend sind, im Wege der Rechtsverordnung entsprechende Gebote und Verbote zu erlassen. Der Katalog der notwendigen Schutzmaßnahmen enthält auch die Möglichkeit der Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen und -versammlungen, § 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG. Von dieser Ermächtigung haben die Länder verschiedentlich Gebrauch gemacht. So hat bspw. das Land Berlin geregelt, dass zwar Parteiversammlungen in geschlossenen Räumen mit mehr als 20 zeitgleich Anwesenden stattfinden dürfen (§ 9 Abs. 3 Nr. 4 Zweite SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung des Landes Berlin4); soweit aber mehr als fünf Personen zeitgleich bei der Versammlung anwesend sind, dürfen nur solche Personen teilnehmen, die im Sinne von § 6b Zweite SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung negativ getestet worden sind, § 9 Abs. 10 Zweite SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung des Landes Berlin. Ein gewählter Vertreter, der sich vor der Vertreterversammlung nicht auf SARS-CoV-2 testen lässt, darf danach nicht an dieser teilnehmen. Für die Aufstellung von Wahlbewerbern und die Wahl von Vertretern für die Vertreterversammlungen für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag gelten die Erleichterungen der COVID-19-Wahlbewerberaufstellungsverordnung vom 28. Januar 20215, die das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundestages vom 28. Januar 2021 auf Grund des § 52 Abs. 1 und Abs. 4 BWG erlassen hat. Danach können abweichend von den satzungsrechtlichen Bestimmungen Versammlungen zur Wahl von Wahlbewerbern und von Vertretern für die Vertreterversammlungen mit Ausnahme der Schlussabstimmung ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation durchgeführt werden, § 5 COVID-19-Wahlbewerberaufstellungsverordnung . Die Schlussabstimmung über einen Wahlvorschlag kann im Wege der Urnenwahl, der Briefwahl oder einer Kombination aus Brief- und Urnenwahl durchgeführt werden, auch wenn dies nach der Satzung der Partei nicht vorgesehen ist, § 7 COVID-19-Wahlbewerberaufstellungsverordnung . Es besteht damit die Möglichkeit, abweichend von geltenden Satzungsbestimmungen die Vertreterversammlung so zu organisieren und durchzuführen, dass (auch) eine virtuelle Teilnahme an dieser möglich ist. Offen ist, ob die Parteien verpflichtet sind, von diesen Regelungen Gebrauch zu machen, um allen Vertretern einer Vertreterversammlung – insbesondere auch solchen, die kein negatives Testergebnis vorlegen wollen – die Ausübung ihres Stimmrechts zu ermöglichen. Ein solches Vorgehen würde dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl entsprechen, der fordert, dass grundsätzlich 4 Zweite SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 13. April 2021, abrufbar unter https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/ (letzter Abruf: 30. April 2021). 5 Verordnung über die Aufstellung von Wahlbewerbern und die Wahl der Vertreter für die Vertreterversammlungen für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie (COVID-19-Wahlbewerberaufstellungsverordnung ) vom 28. Januar 2021 (BGBl. I S. 115). Kurzinformation Ausübung des Stimmrechts in der Vertreterversammlung und SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmen Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 jeder sein Wahlrecht in möglichst gleicher Weise ausüben können soll.6 Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verbietet es, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen.7 Ob der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl eine „Ausübungsgewährleistungspflicht“ beinhaltet, ist umstritten.8 Bezüglich der Frage, ob der Gesetzgeber zur Einführung der Briefwahl verpflichtet ist, wird vertreten, dass eine solche Pflicht allenfalls im Ausnahmefall anzunehmen ist, aber nicht für den Fall, dass es um in der Person oder der Tätigkeit liegende faktische Erschwerungen geht.9 Bei der Weigerung, sich auf SARS-CoV-2 testen zu lassen, handelt es sich um eine in der Person des Wahlberechtigten liegende Erschwerung, die dieser auch zu vertreten hat und durch eigenes Zutun vermeiden kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Wahlrechtsgrundsätze für parteiinterne Wahlen nur in abgeschwächter Form gelten. Dies alles spricht dafür, dass die Parteien nicht verpflichtet sind, Vorkehrungen für den vorliegenden Fall zu treffen. Etwas anders könnte allerdings für den Fall gelten, dass aufgrund eines positiven Testergebnisses die Teilnahme an der Vertreterversammlung und die Ausübung des Stimmrechts nicht stattfinden kann, da es hier nicht in der Macht des Einzelnen liegt, die Voraussetzungen für eine Teilnahme zu schaffen. Letztlich ist festzuhalten, dass es hierzu noch keine Rechtsprechung gibt und derzeit noch nicht abgesehen werden kann, wie ein Gericht im Einzelfall entscheiden würde. *** 6 Magiera, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, Art. 38 Rn. 81. 7 Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 38 Rn. 130. 8 Siehe Trute, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 7. Auflage 2021, Art. 38 Rn. 34. 9 Ebenda.