© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 090/20 Befristung der Corona-Verordnungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/20 Seite 2 Befristung der Corona-Verordnungen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 090/20 Abschluss der Arbeit: 27. April 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/20 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand befasst sich mit den Befristungen der landesrechtlichen Verordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. 2. Befristung von Maßnahmen Eine Befristung von grundrechtsbeschneidenden Maßnahmen ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht vorgeschrieben. Im Einzelfall kann eine Befristung allerdings notwendig sein, damit eine Maßnahme der Verhältnismäßigkeit genügt. In Bezug auf die Corona-Verordnungen betont etwa der ehemalige Verfassungsrichter Papier die Notwendigkeit der Befristung: „Das geht im Moment nicht anders, kann aber nicht auf Dauer gelten. Es muss alles getan werden, um Art und Ausmaß der Gefahren genauer einzugrenzen. Politik und Verwaltung müssen immer wieder prüfen, ob es weniger einschneidende Maßnahmen gibt. Auf Dauer kann man eine solche flächendeckende Beschränkung nicht hinnehmen. Das muss befristet sein.“1 Wie lange genau eine Verordnung unbefristet gelten darf, lässt sich nicht abstrakt beurteilen.2 Dies hängt von der fortlaufend zu beurteilenden Gefahr und den abzuwägenden Interessen und Schutzgütern ab. Je eher sich eine Verletzung des Kernbereichs der Grundrechte ergibt, desto kürzer sind die Maßnahmen zu befristen. 3. Rechtsprechung zur Befristung der Corona-Verordnungen Soweit ersichtlich, hat die Rechtsprechung die in den Corona-Verordnungen vorgesehenen Befristungen bisher nicht beanstandet. Vielmehr wurden die Befristungen als Anhaltspunkt für die Verhältnismäßigkeit der in den Verordnungen vorgesehenen Maßnahmen angesehen. Die Gerichte betonen aber die Pflicht, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen fortlaufend zu überprüfen und die Maßnahmen gegebenenfalls auch vor Ende der Befristung aufzuheben.3 Im Folgenden werden einige Beispiele aus der Rechtsprechung gegeben:4 1 Süddeutsche Zeitung vom 1. April 2020, „Selbst in Kriegszeiten werden die Grundrechte nicht angetastet“, abrufbar unter https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-grundrechte-freiheit-verfassungsgericht-hansjuergen -papier-1.4864792?reduced=true (Stand: 27. April 2020). 2 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Kontaktbeschränkungen zwecks Infektionsschutz: Grundrechte, WD 3 - 3000 - 079/20, S. 25, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/690718/d37f86a0d2630831d13f70f16f63911b/WD-3-079-20-pdf-data.pdf (Stand: 27. April 2020), siehe dort auch zum Folgenden. 3 Vgl. VGH München, Beschluss vom 30. März 2020, 20 NE 20.632, NJW 2020, 1236 (1240). 4 Hervorhebungen jeweils nicht im Original. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/20 Seite 4 3.1. Bundesverfassungsgericht zur bayerischen Corona-Verordnung „Die hier geltend gemachten Interessen sind gewichtig, erscheinen aber nach dem hier anzulegenden strengen Maßstab nicht derart schwerwiegend, dass es unzumutbar erschiene, sie einstweilen zurückzustellen, um einen möglichst weitgehenden Gesundheits- und Lebensschutz zu ermöglichen, zu dem der Staat aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG prinzipiell auch verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 77, 170, <214>; 85, 191 <212>; 115, 25 <44 f.>). Gegenüber den Gefahren für Leib und Leben wiegen die Einschränkungen der persönlichen Freiheit weniger schwer. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die angegriffenen Regelungen von vornherein befristet sind, im Hinblick auf die Ausgangsbeschränkungen zahlreiche Ausnahmen vorsehen und bei der Ahndung von Verstößen im Einzelfall im Rahmen des Ermessens individuellen Belangen von besonderem Gewicht Rechnung zu tragen ist.“5 3.2. Bundesverfassungsgericht zur hessischen Corona-Verordnung „Der überaus schwerwiegende Eingriff in die Glaubensfreiheit zum Schutz von Gesundheit und Leben ist auch deshalb derzeit vertretbar, weil die Verordnung vom 17. März 2020 und damit auch das hier in Rede stehende Verbot von Zusammenkünften in Kirchen bis zum 19. April 2020 befristet ist. Damit ist sichergestellt, dass die Verordnung unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen der Corona-Pandemie fortgeschrieben werden muss. Hierbei ist – wie auch bei jeder weiteren Fortschreibung der Verordnung – hinsichtlich des im vorliegenden Verfahren relevanten Verbots von öffentlichen Gottesdiensten eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen und zu untersuchen, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbreitungswegen des Virus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verantwortet werden kann, das Verbot von Gottesdiensten unter – gegebenenfalls strengen – Auflagen zu lockern“6 3.3. VGH Kassel zu hessischen Corona-Verordnung „Nach alledem überwiegt derzeit das auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gestützte öffentliche Interesse am Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung vor der weiteren Ausbreitung der hochansteckenden Viruskrankheit [...] sowie am Schutz der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens in Deutschland und des in medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Arztpraxen tätigen Personals vor einer akuten Überlastung. [...] Zusammen mit der befristeten Geltungsdauer der Verordnung erscheinen die getroffenen Untersagungen derzeit als verhältnismäßig.“7 5 BVerfG, Beschluss vom 7. April 2020, 1 BvR 755/20, BeckRS 2020, 5317 Rn. 11 (Hervorhebung nur hier). 6 BVerfG, Beschluss vom 10. April 2020, 1 BvQ 28/20, BeckRS 2020, 5589 Rn. 14 (Hervorhebung nur hier). 7 VGH Kassel, Beschluss vom 8. April 2020, 8 B 910/20, BeckRS 2020, 5627 Rn. 51 (Hervorhebung nur hier). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/20 Seite 5 3.4. VGH München zur bayerischen Corona-Verordnung „Bei einer Abwägung zeitlich befristeter (und vom Verordnungsgeber fortlaufend auf ihre Verhältnismäßigkeit zu evaluierender) Eingriffe in die Grundrechte der Normadressaten auf persönliche Freiheit und Freizügigkeit (Art. 2 II 2 GG und Art. 11 GG) mit dem Grundrecht behandlungsbedürftiger, teilweise lebensbedrohlich erkrankender Personen aus Art. 2 II 1 GG setzt sich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch.“8 3.5. VG Karlsruhe zur baden-württembergischen Corona-Verordnung „Angesichts der rasanten Ausbreitung der nicht selten schwer und teilweise sogar tödlich verlaufenden Erkrankung covid19 [...] im Rahmen einer Pandemie, in einer Situation, in der es keinen wirksamen Impfstoff gibt, ist den staatlichen Bemühungen zu einer Eindämmung der Ausbreitung dieser Krankheit im Interesse von Leib und Leben vieler Menschen ein hohes Gewicht beizumessen [...]. Allerdings bedarf die Verhältnismäßigkeit des überaus schwerwiegenden Eingriffs in die Versammlungsfreiheit zum Schutz von Gesundheit und Leben der zeitlich wie tatsächlich engmaschigen Kontrolle durch den Verordnungsgeber. Seine Entscheidung, die Regelungen des § 3 CoronaVO bis zum 15. Juni 2020 und nicht etwa wie diejenigen des § 1 CoronaVO bis zum 19. April 2020 zu befristen, § 11 Abs. 1 CoronaVO, wirkt sich aber nach Auffassung der Kammer auf die Wirksamkeit des Versammlungsverbots trotz der insoweit fehlenden zeitlichen Engmaschigkeit der Kontrolle nicht aus, weil das Verbot erst vier Wochen in Kraft ist und weil eine Verkürzung der Geltungsdauer durch Verordnung des Sozialministeriums möglich ist (§ 11 Abs. 2 CoronaVO). Damit ist sichergestellt, dass die Verordnung unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen der Corona-Pandemie fortgeschrieben werden kann.“9 *** 8 VGH München, Beschluss vom 30. März 2020, 20 NE 20.632, NJW 2020, 1236 (1240) (Hervorhebung nur hier). 9 VG Karlsruhe, Beschluss vom 14. April 2020, 19 K 1816/20, BeckRS 2020, 5775 Rn. 5 (Hervorhebung nur hier).