© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 090/19 Verbot von extremistischen Organisationen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/19 Seite 2 Verbot von extremistischen Organisationen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 090/19 Abschluss der Arbeit: 16. April 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/19 Seite 3 1. Einleitung Der vorliegende Sachstand gibt einen Überblick über die Voraussetzungen für Vereinsverbote sowie über Maßnahmen des Bundesinnenministeriums gegen extremistische Organisationen und speziell zur schiitisch-islamistischen Organisation „Hizb Allah“. 2. Voraussetzungen für Vereinsverbote 2.1. Rechtsgrundlagen Nach Art. 9 Abs. 2 GG sind Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten.1 Konkret ergibt sich diese Verbotsfeststellung aus § 3 Abs. 1 S. 1, 1. Hs. VereinsG: „Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, dass seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder dass er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet.“ 2.1.1. Formelle Voraussetzungen Zuständige Verbotsbehörde ist für nur landesweit agierende Vereine und Teilvereine die oberste Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige Behörde nach § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VereinsG; für bundesweit agierende Vereinigungen ist dies der Bundesminister des Innern gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VereinsG. Die zuständige Landesbehörde entscheidet im Benehmen mit dem Bundesinnenminister gemäß § 3 Abs. 2 S. 2 VereinsG über das Verbot für den Teilverein eines solchen Vereins, für dessen Verbot der Bundesinnenminister zuständig wäre. Diese Möglichkeit besteht dann, wenn der Teilverein eigene Verbotsgründe erfüllt und der Bund den Gesamtverein (noch) nicht verboten hat.2 Folglich ist der Bundesinnenminister über das beabsichtigte Verbot in Kenntnis zu setzen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.3 Eine entsprechende Entscheidung im Benehmen mit der zuständigen Landesbehörde ist vom Bundesinnenminister bei dem Verbot von Gesamtvereinen , die sich u.a. aus regional begrenzten Teilvereinen zusammensetzen, gefordert, § 3 Abs. 2 S. 3 VereinsG. 1 Die folgenden Ausführungen entstammen der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Möglichkeiten eines Verbotes von „Parteien“ nach dem Vereinsgesetz, WD 3 - 3000 - 069/15, S. 12 f. 2 Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2012, § 3, Rn. 28. 3 Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2012, § 3, Rn. 28. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/19 Seite 4 Die Einleitung eines Vereinsverbotsverfahrens liegt im Ermessen des Bundesministeriums des Innern bzw. der zuständigen Landesbehörde. Darüber hinaus gibt es für Impulse von anderen Stellen kein Antragsverfahren, sondern diese beschränken sich auf reine Anregungen.4 2.1.2. Materielle Voraussetzungen Die materiellen Voraussetzungen für das Vereinsverbot ergeben sich aus dem Wortlaut des bereits wiedergegebenen § 3 Abs. 1 S. 1 VereinsG. Danach gilt ein Verein dann als verboten, wenn die Zwecke oder Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Die Verbotstatbestände müssen jeweils durch die Bestrebungen des Vereins als solchen erfüllt sein, unabhängig von der Einstellung einzelner Anhänger.5 Ein Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze liegt dann vor, wenn sich die Mitglieder des Vereins ausdrücklich oder stillschweigend zusammengeschlossen haben, um Straftaten zu begehen;6 Ordnungswidrigkeiten sind dagegen nicht umfasst.7 Die verfassungsmäßige Ordnung beinhaltet „vor allem die Achtung vor den im Grundgesetz verankerten Menschenrechten sowie das demokratische Prinzip mit der Verantwortlichkeit der Regierung, das Mehrparteienprinzip und das Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung einer Opposition“.8 Ein Verein richtet sich jedoch nicht schon dann gegen die verfassungsmäßige Ordnung, wenn er diese lediglich ablehnt und ihr andere Grundsätze entgegenstellt, sondern er muss verfassungsfeindliche Ziele in kämpferisch-aggressiver Weise verwirklichen wollen.9 Auch bei dem Zuwiderhandeln gegen den Gedanken der Völkerverständigung muss die Tätigkeit des Vereins in kämpferisch-aggressiver Weise verwirklicht werden und dabei darauf zielen, ernsthafte Störungen des friedlichen Zusammenlebens der Staaten und Völker im Sinne von Art. 26 Abs. 1 S. 1 GG herbeizuführen und 4 So z.B. ein entsprechender Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln vom 25.2.2015, BVV- Drs. 1186/XIX auf den Antrag der CDU vom 17.2.2015, der sich auf eine Aufforderung an das Bezirksamt beschränkt, dieses möge sich bei den zuständigen Stellen für ein Verbot des Vereins islamische Gemeinschaft e.V. wegen islamischer Hetze einsetzen; siehe auch den Antrag seitens der Fraktion der FDP vom 25.6.2008 mit der Aufforderung an die Bundesregierung zu prüfen, ob die gesetzlichen Verbotsvoraussetzungen gegen den Verein „Heimattreue Deutsche Jugend“ erfüllt sind und bei Feststellung eines positiven Ergebnisses ein entsprechendes Vereinsverbot auszusprechen, BT-Drs. 16/9819, S. 2 (Ablehnung des Antrags in der Beschlussempfehlung vom 12.11.2008, BT- Drs. 16/10979, S. 3, jedoch Annahme des ähnlich gelagerten Antrags der Fraktionen CDU/CSU und SPD vom 11.11.2008, BT-Drs. 16/10839). 5 BVerwG, NVwZ 2014, S. 1573 (1577). 6 Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl., 2012, § 3, Rn. 9. 7 Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl., 2012, § 3, Rn. 8. 8 BVerwG, NVwZ 2014, S. 1573 (1576) m.w.N. 9 BVerwG, NVwZ 2014, S. 1573 (1576). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/19 Seite 5 gegen den Gedanken der Völkerverständigung zur friedlichen Überwindung von Interessenskonflikten verstoßen.10 2.1.3. Rechtsfolgen der Entscheidung Nach Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 VereinsG werden Vereinigungen, die die vereinsrechtlichen Verbotsvoraussetzungen erfüllen, durch die zuständige Behörde verboten.11 3. Verbotsmaßnahmen gegen extremistische Organisationen Das Bundesinnenministerium unterrichtet in seinem jährlichen Verfassungsschutzbericht über die Verbotsmaßnahmen und -gründe gegen extremistische Organisationen. Der Bundesinnenminister hat in den vergangenen Jahren mehrere islamistische Vereinigungen, zuletzt „Die wahre Religion (DWR)“ alias „Stiftung LIES“, verboten. Die Tätigkeit der islamistischen Vereine richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die linksextremistische Vereinigung „linksunten.indymedia“ wurde 2017 durch den Bundesinnenminister verboten, da Zweck und Tätigkeit der Vereinigung den Strafgesetzen zuwiderliefen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten.12 4. Nachrichtendienstliche Erkenntnisse Zur Sammlung von Informationen und Erkenntnissen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und sicherheitsgefährdende Tätigkeiten sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder eingerichtet worden, Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. b und Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG. Zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes gehört es u.a. Gefahren durch politischen Extremismus und Terrorismus zu erkennen und einzuschätzen.13 Die Aufgaben des Verfassungsschutzes sind in § 3 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) geregelt. Danach ist es Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, u.a. über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind, zu sammeln und auszuwerten. 10 BVerwG, NVwZ 2014, S. 1573 (1579); Gerlach, Die Vereinsverbotspraxis der streitbaren Demokratie, 2011, S. 86. 11 BVerwG, NVwZ 2003, S. 986 (987); weiterführend zur Problematik: Attendorn/Baier, Assessorexamensklausur – Öffentliches Recht: Grundrechte und Beamtenrecht – Verbot einer Motorradgang, JuS 2013, S. 158 (162). 12 BMI, Verfassungsschutzbericht 2017, S. 322-327, abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads /DE/publikationen/themen/sicherheit/vsb-2017.html. 13 BMI, Verfassungsschutzbericht 2017, S. 14-16, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen /themen/sicherheit/vsb-2017.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/19 Seite 6 5. Maßnahmen zur Organisation „Hisbollah“ 5.1. Vereinsverbot des Bundesministeriums des Innern In der politischen Diskussion kommt in gewisser Regelmäßigkeit die Frage nach einem Verbot der „Hizb Allah“-Organisation in Deutschland bzw. ihrer Unterstützerorganisationen auf.14 Die Bundesregierung äußert sich zu Fragen nach geplanten Vereinsverboten unter Verweis auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung generell nicht. In der 17. Wahlperiode beispielsweise führte die Bundesregierung insoweit aus: „Aufgrund einer fallbezogenen Abwägung zwischen dem parlamentarischen Informationsinteresse auf der einen und der Gefahr einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung durch die einengenden Vorwirkungen eines Informationszugangs auf der anderen Seite äußert sich die Bundesregierung zur Frage des Verbots der Hisbollah-Organisation bzw. ihrer Unterstützerorganisationen nicht, unabhängig davon, ob solche Überlegungen überhaupt bestehen.“15 In der 18. Wahlperiode verweist die Bundesregierung allerdings auf einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und ihr Vorgehen gegen entsprechende Organisationen in der Vergangenheit: „Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat allerdings im Zusammenhang mit dem Urteil vom 16. November 2015 seine ständige Rechtsprechung zur HAMAS […] auf die ‚Hizb Allah‘ übertragen. Danach richtet sich die ‚Hizb Allah‘ ebenso wie die HAMAS insgesamt gegen den Gedanken der Völkerverständigung, unabhängig davon, ob sie im Einzelfall als politische, soziale oder terroristische Struktur in Erscheinung tritt. Sie stellt das Existenzrecht des Staates Israel offen in Frage und ruft zu dessen gewaltsamer Beseitigung auf. Sofern ein gerichtsverwertbarer Nachweis vorlag, dass eine bestimmte Organisation in Deutschland der ‚Hizb Allah‘ oder der HAMAS zuzurechnen ist bzw. diese unterstützt, wurde diese durch den Bundesminister des Innern verboten. […]“16 Rechtsgrundlage für derartige Vereinsverbote ist zuallererst Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz, wonach Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten sind. Die erforderliche behördliche Anordnung eines Vereinsverbotes ergeht auf Grundlage der §§ 3 ff. Vereinsgesetz. 14 Die folgenden Ausführungen entstammen der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Maßnahmen des Bundesministeriums des Innern und des Bundesamtes für Verfassungsschutz bezüglich der „Hizb Allah“, WD 3 - 3000 - 133/18, S. 3 f. 15 BT-Drs. 17/3008, S. 9. 16 BT-Drs. 18/11152, S. 24, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 – 1 A 4/15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/19 Seite 7 Als Beispiele für Vereinsverbote mit Bezug zur „Hizb Allah“ aus der Vergangenheit sind zum einen das Vereinsverbot gegen den Fernsehsender „Al Manar TV“ vom 29. Oktober 200817 und zum anderen das Vereinsverbot gegen den Verein „Waisenkinderprojekt Libanon e.V.“ vom 2. April 201418 zu nennen. 5.2. Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz In den Verfassungsschutzberichten auf Bundesebene, die auf den Erkenntnissen beruhen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages zusammen mit den Landesverfassungsschutzbehörden gewonnen hat, wird regelmäßig über die „Hizb Allah“ berichtet, sodass von einer entsprechenden verfassungsschutzbehördlichen Beobachtung auszugehen ist.19 Die konkret einschlägigen Rechtsgrundlagen für eine Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ergeben sich aus dem Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) und richten sich nach den beabsichtigten Beobachtungsmaßnahmen. Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Beobachtung folgen insbesondere aus den Regelungen in § 3 und § 4 BVerfSchG, d.h. aus der Aufgabenbestimmung der Verfassungsschutzbehörden und den dazugehörigen Legaldefinitionen. 6. Verbotsmöglichkeit über §§ 129, 129a und 129b StGB Ein Verbot der Organisation „Hisbollah“ über § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen), § 129a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) und § 129b StGB (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung) ist nicht möglich; sie regeln die Straftatbestände, Strafart und -rahmen für natürliche Personen, die solche Vereinigungen gründen, deren Mitglied sind oder diese unterstützen. 7. Verbot von Ersatzorganisationen Gemäß § 8 Abs. 1 VereinsG ist es „(…) verboten, Organisationen zu bilden, die verfassungswidrige Bestrebungen (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) eines nach § 3 dieses Gesetzes verbotenen Vereins an dessen Stelle weiterverfolgen (Ersatzorganisationen) oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen.“20 Der Begriff der „verfassungswidrigen Bestrebungen“ bezieht sich auf alle Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG.21 Eine Vereinigung stellt eine Ersatzorganisation dar, wenn sie dazu bestimmt 17 BAnz, Nr. 171 vom 11. November 2008, S. 4060. 18 BAnz, Nr. 69 vom 8. April 2014, S. 2388. 19 Siehe etwa Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2016, 2017, S. 198 f. In den Verfassungsschutzberichten der Landesverfassungsschutzbehörden finden sich entsprechende Ausführungen. 20 Die folgenden Ausführungen entstammen der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Möglichkeiten eines Verbotes von „Parteien“ nach dem Vereinsgesetz, WD 3 - 3000 - 069/15, S. 15 f. 21 Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl., 2012, § 8, Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/19 Seite 8 ist, an die Stelle einer nicht mehr vorhandenen oder funktionierenden Organisation zu treten.22 Für die Bestimmung spielen die folgenden Indizien, die das Bundesverfassungsgericht zur Bestimmung des Charakters einer Ersatzorganisation für eine politische Partei entwickelt hat, eine wesentliche Rolle:23 Die Ersatzorganisation ist nach der „Art ihrer Betätigung, in der Verfolgung der politischen Ziele, nach den in ihr wirksamen politischen Kräften, nach dem Kreis der von ihr angesprochenen Personen, nach der politischen Haltung ihrer Anhänger und nach dem aus der zeitlichen Abfolge des Geschehens erkennbaren Zusammenhang die verbotene Partei zu ersetzen bestimmt.“24 Ein Indiz ist die Identität der Personen auf Funktionärs- und Mitgliederebene und die äußerliche Ähnlichkeit zwischen verbotener und ersetzender Organisation, die sich in der Übernahme der ehemaligen Vereinssymbole oder Publikationsorgane ausdrücken kann.25 Für eine solche Ersatzorganisation einer nach dem Vereinsgesetz verbotenen Vereinigung muss kein eigenständiges Verbotsverfahren nach Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. §§ 3 ff. VereinsG betrieben werden, sondern an dessen Stelle tritt nach § 8 Abs. 2 S. 1 VereinsG ein vereinfachtes Feststellungsverfahren durch die zuständige Verbotsbehörde (§ 3 Abs. 2 VereinsG). Danach kann auf Grundlage einer besonderen Verfügung, durch die festgestellt wird, dass die Partei eine Ersatzorganisation des verbotenen Vereins ist, das Verbot der Ersatzorganisation vollzogen werden, § 8 Abs. 2 i.V.m. § 5 VereinsG. Dagegen wird eine Nachfolgeorganisation vom ursprünglichen Vereinsverbot mit umfasst und auch ein zusätzliches Feststellungsverfahren ist für ihr Verbot nicht erforderlich.26 Eine Nachfolgeorganisation liegt vor, wenn zwischen verbotener und der gegebenenfalls mit neuem Namen fortgeführten Vereinigung Organisationsgleichheit besteht, also in der Außenwahrnehmung kein Zweifel daran besteht, dass trotz so benannter „Neugründung“ oder Abspaltung die verbotene Vereinigung mit unveränderter Zielrichtung weitergeführt wird.27 Das Bundesverwaltungsgericht hat mit seinem Urteil vom 16. November 2015 das Vereinsverbot des Bundesinnenministeriums vom 2. April 2014 gegen den Verein „Farben für Waisenkinder e.V.“ (ehemals „Waisenkinderprojekt Libanon e.V.“) bestätigt.28 Zweck und Tätigkeit des Vereins richteten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG). Der Verein hat über einen langen Zeitraum im Bundesgebiet Spenden eingeworben und damit die in Beirut (Libanon) ansässige Shahid Stiftung unterstützt; diese Stiftung ist ihrerseits als karitative Einrichtung integraler Teil der israel-feindlichen „Hisbollah“ (auch: Hizb 22 BVerfGE 6, S. 300 (307). 23 BVerfGE 6, S. 300 (307); vgl. auch Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl., 2012, § 8, Rn. 7. 24 BVerfGE 6, S. 300 (307). 25 Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl., 2012, § 8, Rn. 7. 26 Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl., 2012, § 8, Rn. 4. 27 So das BVerwG im Verbotsverfahren gegen die Vereinigung „nationalistische Front“, NJW 1993, S. 3213 (3214). 28 BVerwG, Urteil vom 16.11.2015 - 1 A 4.15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 090/19 Seite 9 Allah).29 Ersatz- oder Nachfolgeorganisationen des verbotenen Vereins, deren Ziel das Sammeln und Bereitstellen von Spendengeldern für die Shahid Stiftung zur Sicherung des Lebensunterhalts der Angehörigen von gefallenen Hisbollah-Kämpfern ist, werden gemäß der Regelungen des Vereinsgesetzes als verboten behandelt. *** 29 Vgl. hierzu Pressemitteilung BVerwG, https://www.bverwg.de/pm/2015/94.