© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 090/17 Rechtliche Grenzen für Äußerungen zu Gerichtsverfahren Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 090/17 Seite 2 Rechtliche Grenzen für Äußerungen zu Gerichtsverfahren Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 090/17 Abschluss der Arbeit: 20.04.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 090/17 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung thematisiert die rechtliche Zulässigkeit von Äußerungen zu laufenden Gerichtsverfahren . Hintergrund der Fragestellung sind Medienberichte zu Äußerungen des Bundesjustizministers sowie eines Richters am Landgericht Berlin, die aktuell anhängige Gerichtsverfahren betreffen.1 Gefragt wird, ob entsprechende Äußerungen insbesondere im Lichte des Grundsatzes der Gewaltenteilung rechtlichen Grenzen unterliegen. 2. Grundsatz der Gewaltenteilung Der Grundsatz der Gewaltenteilung ist allgemein in Art. 20 Abs. 2 GG geregelt.2 Danach wird die Staatsgewalt durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Die Gewaltenteilung wird vom Bundesverfassungsgericht als tragendes Organisationsprinzip angesehen.3 Dennoch kommt ihr kaum ein eigenständiger Anwendungsbereich in der praktischen Rechtsanwendung zu.4 Die Gewaltenteilung wird im GG durch zahlreiche Einzelregelungen ausgestaltet. Rechtsfragen zur Gewaltenteilung sind daher in aller Regel anhand dieser jeweiligen Regelungen zu beurteilen. Dem Grundsatz des Art. 20 Abs. 2 GG kommt vor allem die Funktion einer Interpretationsgrundlage zu, die bei der Auslegung der unterschiedlichen Einzelbestimmungen herangezogen wird.5 Allgemein fordert der Grundsatz der Gewaltenteilung die funktionale, organisatorische und personelle Aufteilung der staatlichen Macht.6 Diese Aufteilung der Staatsgewalt verfolgt vor allem zwei Ziele: So soll einerseits eine Machtbegrenzung erreicht werden, die der Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten dient.7 Andererseits dient sie aber auch der optimalen staatlichen Aufgabenerledigung, indem das Organ mit der strukturell besten Eignung mit der Aufgabenerledigung betraut wird.8 Die Gewaltenteilung wird vom GG nicht in einer Reinform ausgestaltet. An zahlreichen Stellen der Verfassung finden sich vielmehr Verschränkungen der Staatsgewalten. Insbesondere die 1 Vgl. etwa: „Hoffnungsträger unter Druck“ Artikel v. 03.09.2016 abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik /inland/bundesjustizminister-maas-hoffnungstraeger-unter-druck-14418736.html; Richter hält Leistungsschutzrecht für "sehr schlecht gemacht" Artikel vom 07.02.2017, abrufbar unter: http://www.zeit.de/digital/2017- 02/google-vg-media-urheberrecht-landgericht-berlin-leistungsschutzrecht (Stand jeweils 20.04.2017). 2 Jarass, in: Jarass/Pieroth, 14. Aufl. 2016, Art. 20 GG Rn. 23. 3 Vgl. etwa: BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984 – 2 BvE 11/83 –, juris Rn. 102. 4 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, 14. Aufl. 2016, Art. 20 GG Rn. 23; Sachs, in: Sachs, 7. Aufl. 2014, Art. 20 GG Rn. 93. 5 Vgl. etwa: BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984 – 2 BvE 11/83 –, juris Rn. 94 ff. 6 Voßkuhle/Kaufhold: Grundwissen – Öffentliches Recht: Der Grundsatz der Gewaltenteilung, JuS 2012, 314. 7 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2009 – 2 BvE 3/07 –, juris Rn. 120; Jarass/Pieroth, 14. Aufl. 2016, Art. 20 GG Rn. 24. 8 Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1998 – 1 BvR 1640/97 –, juris Rn. 132. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 090/17 Seite 4 Legislative und die Exekutive erfahren durch das parlamentarische Regierungssystem eine enge Verknüpfung, die sich funktional vor allem aber auch organisatorisch und personell feststellen lässt.9 Einer deutlich weniger starken Verschränkung mit den anderen Staatsgewalten unterliegt die rechtsprechende Gewalt. Dies wird bereits durch deren alleinige Zuordnung an die Richter nach Art. 92 GG und den Schutz der richterlichen Unabhängigkeit in Art. 97 Abs. 1 GG hervorgehoben .10 3. Grenzen für Äußerungen zu einem laufenden Gerichtsverfahren vonseiten des Parlaments und der Regierung Ob Äußerungen zu laufenden Gerichtsverfahren sich als rechtlich zulässig erweisen, ist im jeweiligen Einzelfall festzustellen. Allgemeingültige Maßstäbe zur Abgrenzung einer zulässigen von einer unzulässigen Äußerung lassen sich nicht aufstellen. Als Beurteilungsgrundlage für die Zulässigkeit von Äußerungen, die von Parlaments- bzw. Regierungsseite getätigt werden, ist die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG heranzuziehen . Dabei ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine entsprechende Äußerung die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen kann. Nach Art. 97 Abs. 1 GG sind Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Die Regelung stellt eine besondere Ausprägung des Grundsatzes der Gewaltenteilung dar. Die sachliche Unabhängigkeit gewährleistet eine richterliche Tätigkeit, die frei von Weisungen oder einer sonstigen Einflussnahme durch die anderen Staatsgewalten erfolgt. Eine sonstige Einflussnahme von richterlichen Entscheidungen ist insbesondere auch durch die Ausübung öffentlichen Drucks auf gerichtliche Verfahren denkbar.11 Hiervon abzugrenzen ist die zulässige kritische Auseinandersetzung mit einem gerichtlichen Verfahren. 3.1. Grenzen für Äußerungen vonseiten des Parlaments Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit sind grundsätzlich auch durch das Parlament möglich . In der Literatur wird hierzu vertreten, dass es dem Parlament aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit verwehrt ist, auf laufende Verfahren durch informelle Maßnahmen, schlichte Parlamentsbeschlüsse oder Einzelfallgesetze Einfluss zu nehmen.12 Hingegen soll die kritische Auseinandersetzung mit Judikaten dem Parlament bereits wegen seiner Gesetzgebungsaufgabe und seiner Kontrollfunktion gegenüber der Regierung möglich sein.13 Die Grenzziehung zwischen dieser zulässigen Auseinandersetzung und einer unzulässigen Einflussnahme unterliegt einer Abwägung im Einzelfall. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, in welchem Verfahrensstadium sich die gerichtliche Auseinandersetzung befindet. So ist eine mögliche Einflussnahme auf die 9 Voßkuhle/Kaufhold, Grundwissen – Öffentliches Recht: Der Grundsatz der Gewaltenteilung, JuS 2012, 314. 10 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 78. EL September 2016, Art. 20 (V) Rn. 105 ff. 11 Vgl. Kisker, Zur Reaktion von Parlament und Exekutive auf „unerwünschte“ Urteile, NJW 1981, 889 ff. 12 Detterbeck, in: Sachs, 7. Aufl. 2014, Art. 97 GG Rn. 12. 13 Hillgruber, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 78. EL September 2016, Art. 97 Rn. 92. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 090/17 Seite 5 richterliche Unabhängigkeit bei laufenden Verfahren deutlich wahrscheinlicher als bei abgeschlossenen . Daneben ist aber auch der Inhalt der jeweiligen Äußerung zu berücksichtigen. Zu unterscheiden ist eine allgemein politische Auseinandersetzung, die ein laufendes Gerichtsverfahren zum Anlass nimmt, von einer gezielten informellen Einflussnahme auf das Gerichtsverfahren. 3.2. Grenzen für Äußerungen vonseiten der Regierung Die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 GG soll die rechtsprechende Gewalt insbesondere vor einer unzulässigen Einflussnahme der Exekutive schützen.14 Bei entsprechenden Äußerungen von Regierungsmitgliedern ist daher ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, ob es sich um eine allgemein politische Äußerung handelt, die das laufende Verfahren zum Anlass nimmt oder eine gezielte informelle Einflussnahme erfolgen soll.15 Die konkrete Abgrenzung kann auch hier nur im jeweiligen Einzelfall erfolgen. Als maßgebliches Abgrenzungskriterium ist dabei zu berücksichtigen , inwieweit auf die richterliche Entscheidungsfindung durch Ausübung öffentlichen Drucks eingewirkt werden soll.16 Bei amtlichen Äußerungen von Regierungsmitgliedern ist zudem zu beachten, dass diese Äußerungen nicht in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen und grundsätzlich strengeren rechtlichen Anforderungen unterliegen.17 Für die rechtliche Prüfung einer Äußerung eines Regierungsmitgliedes kommt es daher zunächst darauf an, in welchem Kontext diese getroffen wurde. Handelt es sich um eine politische Äußerung, die ohne Amtsbezug erfolgte, geht die grundrechtlich geschützte Äußerungsbefugnis weiter als bei entsprechenden Erklärungen mit Amtsbezug. Liegt ein solcher vor, unterliegt die Äußerung vor allem dem Gebot der Sachlichkeit.18 4. Grenzen für richterliche Äußerungen Auch richterliche Äußerungen unterliegen rechtlichen Grenzen. Nach § 39 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) hat sich ein Richter innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. Die Vorschrift konkretisiert die Dienstpflicht zur inneren Unabhängigkeit des Richters und stützt sich auf die in Art. 33 Abs. 5 GG enthaltenen hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, die auch für das richterliche Dienstrecht in spezifischer Ausprägung Anwendung finden.19 Für 14 Vgl. Sodan, Der Status des Richters, in: HbStR Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 113 Rn. 23. 15 Zur informellen Einflussnahme: Kisker, Zur Reaktion von Parlament und Exekutive auf „unerwünschte“ Urteile, NJW 1981, 889 [891 f.]. 16 Kisker, Zur Reaktion von Parlament und Exekutive auf „unerwünschte“ Urteile, NJW 1981, 889 [891 f.]. 17 Vgl. zur Abgrenzung von Äußerungen, die unter Amtsautorität getätigt werden, von sonstigen politischen Äußerungen : Barczak: Die parteipolitische Äußerungsbefugnis von Amtsträgern, NVwZ 2015, 1014 [1015 f.]. 18 BVerfG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – 2 BvE 2/14 –, juris, Rn. 48. 19 Staats, Deutsches Richtergesetz 2012, § 39 DRiG Rn. 4; vgl. m.w.N.: Pieroth, in: Jarass/Pieroth, 14. Aufl. 2016, Art. 33 GG Rn. 65. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 090/17 Seite 6 richterliche Äußerungen, die im Rahmen der Amtsausübung getroffen werden, verlangt die Vorschrift , dass diese die richterliche Neutralität nicht infrage stellen. So sollte sich den Prozessparteien durch eine Äußerung nicht der Rückschluss auf eine fixierte Gedankenwelt oder eine bestimmte politische Grundhaltung aufdrängen, von der sich der Richter bei seiner Entscheidungsfindung leiten lässt.20 Richterliche Äußerungen, die in Ausübung des Amtes getätigt werden, fallen zudem nicht in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.21 Das Bundesverwaltungsgericht verlangt von den Richtern eine klare Trennung zwischen dem Richteramt und der Teilnahme am politischen Meinungskampf.22 Im Rahmen der Rechtsfindung ist der Richter aufgrund seiner sachlichen Unabhängigkeit dennoch nicht gehindert, sich eine Meinung zum konkreten Verfahren zu bilden und entsprechende Äußerungen zu tätigen. Dabei sind grundsätzlich auch allgemeine Äußerungen zum geltenden Recht oder zu rechtspolitischen Ansichten möglich. In der Literatur wird hierzu vertreten, dass richterliche Äußerungen solange zulässig sind, wie sie das Gebot der Sachlichkeit wahren und noch eine juristische Relevanz für den zu entscheidenden Fall aufweisen.23 Im konkreten Einzelfall wird daher abzuwägen sein, ob eine Äußerung einen Verfahrensbezug aufweist oder sich als reiner Betrag des politischen Meinungskampfes erweist. Als Orientierungsgrundlage für die Abgrenzung kann der umfangreiche Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur herangezogen werden, der sich mit der Begründung der Besorgnis der Befangenheit durch entsprechende richterliche Äußerungen auseinandersetzt.24 *** 20 Staats, Deutsches Richtergesetz 2012, § 39 DRiG Rn. 6. 21 Vgl. Sodan, Der Status des Richters, in: HbStR Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 113 Rn. 92. 22 BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1987 – 2 C 72/86 –, juris Rn. 15; umfassend hierzu: Sodan, Der Status des Richters, in: HbStR Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 113 Rn. 91. 23 Sodan, Der Status des Richters, in: HbStR Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 113 Rn. 92. 24 Vgl. nur: Scheuten, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, § 24 StPO Rn. 17.