© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 089/17 Zulässigkeit einer Auswechselung eines Direktkandidaten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 089/17 Seite 2 Zulässigkeit einer Auswechselung eines Direktkandidaten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 089/17 Abschluss der Arbeit: 13.04.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 089/17 Seite 3 1. Fragestellung Es werden verschiedene Fragen zur Aufstellung von Direktkandidaten bei der Bundestagswahl gestellt. Im Kern ist dabei die Zulässigkeit einer Rücknahme bzw. einer Änderung eines bereits durchgeführten innerparteilichen Aufstellungsverfahrens zu thematisieren. 2. Vorgaben für die Aufstellung von Direktkandidaten Nach Art. 21 Abs. 1 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre wichtigste Funktion im Rahmen dieser Mitwirkung stellt dabei die Aufstellung von Wahlkandidaten dar. Bei dieser Aufstellung handeln die Parteien unmittelbar an der Nahtstelle zwischen den Bürgern und der staatlichen Willensbildung. Rechtliche Vorgaben für die Aufstellung von Wahlkandidaten sind vor allem dem Wahlrecht zu entnehmen.1 Daneben enthalten auch das Parteienrecht und die innerparteilichen Ordnungen bestimmte Vorgaben für das Aufstellungsverfahren. Das Parteienrecht regelt in § 17 PartG die Pflicht zu einer geheimen Abstimmung bei der Aufstellung von Wahlbewerbern. Im Übrigen verweist es auf die Wahlgesetze und Satzungen der Parteien. Die Aufstellung von Direktkandidaten für einen Wahlkreis erfolgt im Rahmen eines sog. Kreiswahlvorschlags . Vorgaben für die Aufstellung von Kreiswahlvorschlägen enthalten insbesondere die §§ 19 bis 26 BWahlG. Nach § 21 Abs. 1 BWahlG werden die Bewerber einer Partei durch eine Mitgliederversammlung oder eine allgemeine oder besondere Vertreterversammlung bestimmt. Nach § 19 BWahlG müssen die Kreiswahlvorschläge spätestens am neunundsechzigsten Tag vor der Wahl bis 18:00 Uhr schriftlich dem Kreiswahlleiter vorliegen. Nach § 26 Abs. 1 BWahlG entscheidet der Kreiswahlausschuss dann am achtundfünfzigsten Tag vor der Wahl über die Zulassung der Kreiswahlvorschläge. 3. Möglichkeiten zur Rücknahme/Änderung eines Kreiswahlvorschlags Regelungen zur Rücknahme und Änderung von Kreiswahlvorschlägen enthalten die §§ 23 und 24 BWahlG. 3.1. Rücknahme von Kreiswahlvorschlägen Die Rücknahme eines Kreiswahlvorschlags ist nach § 23 BWahlG bis zum Ablauf der Einreichungsfrist des § 19 BWahlG möglich. Nach einer Rücknahmeerklärung steht es einer Partei frei, einen anderen Kreiswahlvorschlag innerhalb der Einreichungsfrist abzugeben.2 Auch nach Ablauf der Einreichungsfrist soll eine Rücknahme bis zur Entscheidung über die Zulassung des 1 BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1993 – 2 BvC 2/91 –, juris. 2 Hahlen, in: Schreiber, 9. Aufl. 2013, § 23 BWahlG Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 089/17 Seite 4 Wahlvorschlages durch den Kreiswahlausschuss möglich sein. Die Neuaufstellung eines anderen Bewerbers würde dann jedoch den strengeren Anforderungen des § 24 BWahlG unterliegen.3 Die Rücknahmeerklärung erfolgt durch die gewählten Vertrauensleute der Partei. Bei einer Auswechselung von Bewerbern ist für die Neuaufstellung erneut das Aufstellungsverfahren nach § 21 BWahlG durchzuführen.4 3.2. Änderung von Kreiswahlvorschlägen Vorgaben für die Änderung von Kreiswahlvorschlägen enthält § 24 BWahlG. Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 23 BWahlG zu lesen. Für die Änderung von Kreiswahlvorschlägen sind zwei mögliche Zeiträume zu unterscheiden: Vor Ablauf der Einreichungsfrist nach § 19 BWahlG kann ein Kreiswahlvorschlag jederzeit und aus jedem Grund geändert werden.5 Die Auswechselung des Bewerbers beruht dann auf einer Rücknahme nach § 23 BWahlG in Verbindung mit einer Neuaufstellung, die den Anforderungen des § 21 BWahlG entsprechen muss. Nach Ablauf der Einreichungsfrist aber noch vor der Zulassungsentscheidung durch den Kreiswahlausschuss gelten für die Änderung eines Kreiswahlvorschlags die strengeren Voraussetzungen des § 24 BWahlG. Danach ist eine Änderung nur noch möglich, wenn der Bewerber stirbt oder die Wählbarkeit verliert. Andere Änderungsgründe bestehen hingegen nicht. Einer Partei ist es während dieses Zeitraums nur noch möglich, den Kreiswahlvorschlag gänzlich zurückzuziehen. Die Änderung des Kreiswahlvorschlages gegenüber dem Kreiswahlleiter erfolgt durch schriftliche Erklärung der Vertrauensleute, die den Anforderungen des § 54 Abs. 2 BWahlG genügen muss.6 Für den Zeitraum nach der Zulassungsentscheidung ist jede Änderung des Kreiswahlvorschlags ausgeschlossen. Für den Fall des Todes eines Wahlbewerbers sieht § 43 Abs. 1 Nr. 2 BWahlG die Durchführung einer Nachwahl vor.7 4. Grenzen für die Änderung eines Kreiswahlvorschlags Folgt man den wahlrechtlichen Vorgaben, so enthalten diese insbesondere für den Zeitraum vor Ablauf der Einreichungsfrist keine materiellen Grenzen für die Änderung eines Wahlvorschlages. 3 Dazu sogleich. 4 Hahlen, in: Schreiber, 9. Aufl. 2013, § 23 BWahlG Rn. 5. 5 Hahlen, in: Schreiber, 9. Aufl. 2013, § 24 BWahlG Rn. 2; Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung 2011, § 24 BWahlG Rn. 2 ff.; für eine solche „freie“ Ersetzung von Wahlvorschlägen vgl. auch: Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 06. Dezember 2002 – 192/01 –, juris, Rn. 57. 6 Hahlen, in: Schreiber, 9. Aufl. 2013, § 24 BWahlG Rn. 3. 7 Vgl. zu deren Anforderungen: BVerfG, Beschluss vom 21. April 2009 – 2 BvC 2/06 –, juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 089/17 Seite 5 Einer Partei ist es nach dieser Systematik möglich, bis neunundsechzig Tage vor der Wahl bereits aufgestellte Wahlbewerber auszutauschen. 4.1. Grenzen aus dem Grundsatz der innerparteilichen Demokratie Trotz dieser bestehenden Gestaltungsfreiheit bei der Kandidatenaufstellung ist zu berücksichtigen, dass die Parteien auch bei der Aufstellung von Wahlbewerbern an den Grundsatz innerparteilicher Demokratie gebunden sind.8 Die bloße Neuaufstellung von Kandidaten stellt zwar für sich genommen keinen undemokratischen Akt dar;9 sie birgt aber unter Umständen das Risiko eines Missbrauchs. Der Grundsatz der innerparteilichen Demokratie fordert einen Willensbildungsprozess, der von „unten nach oben“ verläuft.10 Grundsätzlich gelten für innerparteiliche Wahlen die Grundsätze der Allgemeinheit, Freiheit und Gleichheit der Wahlen.11 Um einen demokratischen Willensbildungsprozess sicherzustellen, bedarf es zudem gewisser organisatorischer Rahmenbedingungen. So müssen Zeit und Ort der Mitglieder- bzw. Vertreterversammlungen so gewählt werden, dass eine hinreichende Vorbereitung und Teilnahme der Mitglieder möglich ist.12 Es muss zudem möglich sein, aus der Versammlung heraus Wahlvorschläge zu unterbreiten.13 Der Wahlrechtsgrundsatz der Freiheit der Wahlen verbietet es darüber hinaus, unzulässigen Druck auf die Abstimmungsberechtigten auszuüben.14 Im Ergebnis ist die Vereinbarkeit einer Kandidatenaufstellung mit dem Grundsatz der innerparteilichen Demokratie dennoch immer eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall. 4.2. Grenzen aus dem Satzungsrecht der Parteien Grenzen für eine Wiederholung bereits erfolgter Kandidatenaufstellungen können sich zudem aus dem Satzungsrecht der Parteien ergeben. § 21 Abs. 5 BWahlG verweist für die nähere Ausgestaltung des Wahlverfahrens auf die Satzungsautonomie der Parteien. Den Parteien ist es im Rahmen ihrer Satzungsautonomie möglich, Grenzen für die Wiederholung von Kandidatenaufstellungen 8 Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung 2011, § 17 PartG Rn. 8. 9 In diesem Sinne: Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 06. Dezember 2002 – 192/01 –, juris, Rn. 57, wonach es sich lediglich um eine Aktualisierung der demokratischen Legitimation handelt. 10 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, 14. Aufl. 2016, Art. 21 GG Rn. 23; Ipsen, Parteiengesetz 2008, § 15 PartG Rn. 2. 11 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, 78. EL 2016, Art. 21 GG Rn. 342. 12 Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung 2011, § 16 PartG Rn. 29. 13 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, 78. EL 2016, Art. 21 GG Rn. 344. 14 Vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, 14. Aufl. 2016, Art. 38 GG Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 089/17 Seite 6 vorzusehen und beispielsweise einen wichtigen Grund als Abberufungsvoraussetzung vorzuschreiben .15 Daneben ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine erneute Einberufung einer Mitglieder- oder Vertreterversammlung mit den Vorgaben der Satzung bzw. der Verfahrensordnungen der jeweiligen Partei zu vereinbaren ist. Zu denken ist dabei insbesondere an mögliche Fristenregelungen zur Einberufung, die einer rechtzeitigen „Neuwahl“ entgegenstehen können, da diese wiederum im Rahmen der Zeitvorgaben des § 19 BWahlG erfolgen muss. 5. Entscheidungen in vergleichbaren Fällen Mit einem Austausch von Wahlbewerbern war der Verfassungsgerichtshof Berlin beschäftigt. Der Entscheidung lag unter anderem die Frage zugrunde, ob eine erneute Kandidatenaufstellung bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus zulässig ist. Der Verfassungsgerichtshof bejahte dies und verwies auf ein Interesse der Parteien an einer „möglichst aktuellen demokratischen Legitimation“.16 Eine Partei habe demnach die Möglichkeit, Wahlvorschläge zu ändern und aktuellen Mehrheitsverhältnissen anzupassen.17 Weitere Entscheidungen sind nicht bekannt. *** 15 Vgl. beispielhaft hierzu: § 9 der Wahlordnung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, abrufbar unter: https://www.spd.berlin/w/files/spd-lv/140129_statut_bund-berlin_2014.pdf (Stand: 13.04.2017); 16 Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 06. Dezember 2002 – 192/01 –, juris, Rn. 57. 17 Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 06. Dezember 2002 – 192/01 –, juris, Rn. 58.