© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 088/18 Justiziabilität des Amtseids der Mitglieder der Bundesregierung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 088/18 Seite 2 Justiziabilität des Amtseids der Bundesregierungsmitglieder Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 088/18 Abschluss der Arbeit: 20.03.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 088/18 Seite 3 1. Fragestellung Nach Art. 64 Abs. 2 GG leisten die Mitglieder der Bundesregierung bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag den in Art. 56 GG vorgesehenen Eid. Die Eidesformel lautet: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ Auf Wunsch des zu vereidigenden Regierungsmitglieds kann die religiöse Beteuerung entfallen .1 Daran anknüpfend thematisiert der vorliegende Sachstand die Frage, ob dieser von den Bundesregierungsmitgliedern bei der Amtsübernahme zu schwörende Eid justiziabel ist. Das ist nur dann der Fall, wenn er Rechte und insbesondere Pflichten des jeweiligen Regierungsmitglieds begründet. 2. Lediglich deklaratorische Wirkung des Eides Nach absolut herrschender Ansicht in der Literatur begründet die Ableistung des Eides gemäß Art. 64 Abs. 2, 56 GG weder Zuständigkeiten noch Rechte und Pflichten der Bundesregierungsmitglieder .2 Er ist „in keinem denkbaren Sinne konstitutiv“3, sondern bekräftigt vielmehr deklaratorisch die im einfachen Recht und insbesondere in der Verfassung fixierten Pflichten von Bundeskanzler und Ministern. Eine etwaige Zuwiderhandlung ist demnach weder gerichtlich angreifbar noch strafbewehrt.4 Die maßgebliche Bedeutung des Eides liegt somit außerhalb der rechtlichen Sphäre. Das Regierungsmitglied bekundet unter Berufung auf von ihm als bindend empfundene ethisch-moralische Werte vor dem Bundestag und „in einer Form, die den besonderen Ernst dieses Versprechens dokumentiert“5, den Willen zu haben, die Pflichten, die ihm die Rechtsordnung auferlegt, zu erfüllen. 1 So etwa Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, 81 EL. September 2017, Art. 64 Rn. 27. 2 Vgl. Stern, Staatsrecht, Band II, 1980, S. 207; Oldiges, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 56 Rn. 2 f.; ders., ebenda, Art. 64 Rn. 17; Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, 81 EL. September 2017, Art. 56 Rn. 4; ders., ebenda, Art. 64 Rn. 30; Heun, in: Dreier (Hrsg.) GG Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Art. 56 Rn. 4; Hermes, ebenda, Art. 64 Rn. 31; v. Arnauld, in: von Münch/Kunig, GG Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 56 Rn. 3, 5; Mager, ebenda, Art. 64 Rn. 11; Fritz, in: Bonner Kommentar zum GG, 188. EL Dezember 2017, Art. 56 Rn. 8 m.w.N. 3 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, 81 EL. September 2017, Art. 56 Rn. 4; Hervorhebung im Original. 4 Fritz, in: Bonner Kommentar zum GG, 188. EL Dezember 2017, Art. 56 Rn. 10. 5 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, 81 EL. September 2017, Art. 56 Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 088/18 Seite 4 Als Argument für diese Rechtsauffassung wird zuvörderst der Wortlaut der Eidesformel angeführt. Der Text sei zum einen zur Begründung von Handlungspflichten zu unkonkret.6 Das Gelöbnis etwa, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden, sage der Sache nach wenig aus; denn darüber, was Nutzen und Schaden sei, gehe ja in aller Regel gerade der politische, nicht justiziable Streit. Zum anderen verweise der Wortlaut der Eidesformel deutlich auf die anderweitig normierten Pflichten des Amtsinhabers. Die Pflicht, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen, finde ihren verfassungsrechtlichen Niederschlag insbesondere im Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG.7 Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben, folge unmittelbar aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.8 Darüber hinaus wird – ebenfalls unter Rekurs auf den Wortlaut des Art. 56 GG sowie auf die einfachrechtliche Ausgestaltung im Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung –9 angeführt, der Eid begründe schon deshalb keine Rechtspflichten, weil er keine Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Amtsübertragung sei. 3. Justiziabilität bei Verweigerung der Eidesleistung Die Mitglieder der Bundesregierung sind ausweislich des Wortlauts des Art. 64 Abs. 2 GG zur Leistung des Eides verfassungsrechtlich verpflichtet. Sollte – was bisher noch nicht vorgekommen ist – ein Regierungsmitglied die Eidesleistung verweigern, könnte der Bundestag gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG beantragen, die Verpflichtung zur Eidesleistung in einem Organstreitverfahren durch das BVerfG feststellen zu lassen.10 *** 6 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, 81 EL. September 2017, Art. 64 Rn. 33, dort auch zum folgenden Text. 7 Mager, in: von Münch/Kunig, GG Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 56 Rn. 11. 8 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, 81 EL. September 2017, Art. 64 Rn. 33. 9 Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG Kommentar, 81 EL. September 2017, Art. 56 Rn. 4; Hermes, in: Dreier (Hrsg.) GG Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Art. 64 Rn. 31. 10 Vgl. dazu Hermes, in: Dreier (Hrsg.) GG Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Art. 64 Rn. 32; Mager, in: von Münch/ Kunig, GG Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 64 Rn. 11.