© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 088/17 Fragen zum Umfang des Kennzeichenverbots nach dem Vereinsgesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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In dem Schreiben übermittelte das BMI den Ländern für den Vollzug des Verbotes der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) eine Bewertung der aktuell verwendeten Organisationsbezeichnungen und der hieraus folgenden Kennzeichen der PKK, die somit gleichfalls dem Kennzeichenverbot unterfielen. Laut Presseberichten gehören zu den aufgeführten Kennzeichen auch Symbole der in Syrien tätigen Partiya Yekitiya Demokrat (PYD) und Yekineyen Parastina Gel (YPG).1 Das BMI hatte mit Verfügung vom 22. November 1993 die Tätigkeit der PKK im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes verboten. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage erläutert, dass das eingangs genannte Rundschreiben ausschließlich das Kennzeichenverbot der PKK von 1993 aktualisiere und es sich nicht um ein Verbot von Vereinigungen handele.2 Vor diesem Hintergrund wurde gefragt, ob einer im Bundesgebiet nicht verbotenen Organisation das Zeigen ihrer Symbole auf einer Demonstration untersagt werden kann mit der Begründung, eine andere, verbotene Organisation nutze diese Symbole, um propagandistisch auf ihre Ziele und die Zusammengehörigkeit ihrer Anhänger hinzuweisen. 2. Verbot des Verwendens eines Kennzeichens als versammlungsrechtliche Auflage 2.1. Rechtsgrundlage Gemäß § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) kann die zuständige Behörde eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug von bestimmten Auflagen abhängig machen , wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Unversehrtheit der Rechtsordnung, deren Schutzgüter insbesondere durch Strafgesetze gesichert sind.3 Zum Schutzbereich der öffentlichen Sicherheit gehören auch die Verbotstatbestände des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (VereinsG).4 Gemäß § 9 Abs. 1 VereinsG dürfen Kennzeichen eines verbotenen Vereins nicht mehr öffentlich, in einer Versammlung oder in Medien, die verbreitet werden oder zur Verbreitung bestimmt sind, verwendet werden. § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG stellt das Verwenden von Kennzeichen verbotener oder von einem Betätigungsverbot betroffener Vereine zudem unter Strafe. 1 Z.B.: Berliner Morgenpost, Bilder von PKK-Chef sind untersagt, 12.03.2017. 2 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 18/12025, S. 6. 3 BVerfGE 69, 315, 362. 4 OVG Bremen, Beschluss v. 21.02.2011 - Az. 1 A 227/09, Rn. 21 juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 088/17 Seite 4 Zweck des Verbotes ist es, mit dem verbotenen Verein auch alle einschlägigen Kennzeichen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Werden Kennzeichen eines verbotenen Vereins öffentlich verwendet , so kann dies grundsätzlich auf die Fortsetzung oder zumindest die Unterstützung der verbotenen Bestrebungen dieses Vereins hindeuten.5 Das Verbot einer Organisation gemäß § 18 S. 1 VereinsG, sich im Bundesgebiet zu betätigen (Betätigungsverbot) ist gleichfalls ein Vereinsverbot im Sinne des Vereinsgesetzes.6 Es steht im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde, ob sie eine versammlungsrechtliche Auflage gemäß § 15 Abs. 1 VersG (vorliegend zur Verhinderung eines Verstoßes gegen das Kennzeichenverbot ) erlässt.7 2.2. Verstoß gegen das Kennzeichenverbot 2.2.1. Kennzeichen im Sinne des § 9 VereinsG Fraglich ist zunächst, welche Kennzeichen als Kennzeichen eines verbotenen Vereins im Sinne des § 9 VereinsG gelten. Der Begriff des Kennzeichens ist nicht legal definiert. Für die Definition des Kennzeichenbegriffs im Sinne des Vereinsgesetzes greifen Rechtsprechung und Literatur auf die zu § 86a Strafgesetzbuch (StGB) (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) ergangene Rechtsprechung zurück, da die Vorschriften die gleichen Begriffe verwenden und die gleiche Schutzrichtung verfolgen.8 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sind Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbare Symbole oder Sinnesäußerungen, deren sich die verbotene Organisation bedient oder bedient hat, „um propagandistisch auf ihre politischen Ziele und die Zusammengehörigkeit ihrer Anhänger hinzuweisen.“9 Für die Kennzeicheneigenschaft kommt es dabei weder darauf an, ob das Symbol einen gewissen Bekanntheitsgrad als Erkennungszeichen als einer bestimmten Vereinigung oder Organisation besitzt, noch ist es von Bedeutung, ob das Kennzeichen mehrdeutig ist und deshalb auch in unverfänglichen Zusammenhängen Verwendung findet.10 Maßgeblich ist allein, dass sich die Organisation ein bestimmtes Kennzeichen durch Übung oder durch einen 5 Groh, VereinsG, 1. Aufl. 2012, § 9, Rn. 1; Wache, in: Erbs/Kohlhaas/Wache, Strafrechtliche Nebengesetze, 212. EL 2017, VereinsG § 9, Rn. 2. 6 BVerwG, Urteil vom 28.01.1997 - Az. 1 A 13/93 -, Rz. 24, juris; BVerwG, Gerichtsbescheid vom 08.08.2005 – 6 A 1/04 –, Rn. 13, juris. 7 Wache, in: Erbs/Kohlhaas/Wache, Strafrechtliche Nebengesetze, 212. EL 2017, VersG § 15, Rn. 12. 8 OVG Bremen, Beschluss v. 21.02.2011 - Az. 1 A 227/09, Rn. 22 juris; Groh, VereinsG, 1. Aufl. 2012, § 9, Rn. 6. 9 BGH, NJW 2010, 163, 165; BGH, Beschluss v. 01.10.2008 - Az. 3 StR 164/08, Rn. 19 juris 10 BGH, NJW 2010, 163, 165. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 088/17 Seite 5 formalen Autorisierungsakt als Symbol zu eigen gemacht hat.11 Dabei ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, ob das fragliche Kennzeichen auch von anderen, nicht verbotenen Vereinen oder Organisationen verwendet wird.12 Folglich können grundsätzlich auch Kennzeichen, die ursprünglich von einem nicht verbotenen Verein verwendet werden, wie Fahnen oder bestimmte Symbole, als Kennzeichen eines verbotenen Vereins oder einer verbotenen Organisation im Sinne des Vereinsgesetzes betrachtet werden. 2.2.2. Verbot des Verwendens Kann also auch ein Kennzeichen, das ursprünglich von einem nicht verbotenen Verein als sein Erkennungszeichen benutzt wird, als Kennzeichen eines verbotenen Vereins gelten, weil letzterer es sich zu eigen gemacht hat, stellt sich die Frage, ob aufgrund dessen auch der nicht verbotenen Organisation das Verwenden des Kennzeichens, untersagt werden kann. Grundsätzlich gilt das Kennzeichenverbot gegenüber jedermann, also nicht nur gegenüber dem verbotenen Verein und seinen früheren Mitglieder, sondern auch gegenüber Mitgliedern nicht verbotener Vereine.13 Der Begriff des Verwendens erfasst jeden Gebrauch eines Kennzeichens, der dieses optisch oder akustisch wahrnehmbar macht. Nicht erforderlich ist, ob der Verwender sich mit den Zielen der verbotenen Vereinigung identifiziert; auch die Verwendungsabsicht ist unerheblich.14 Damit ist das Zeigen eines Kennzeichens einer verbotenen Organisation zunächst grundsätzlich ein Verwenden im Sinne des Vereinsgesetzes. Wie oben dargelegt, wird für den Kennzeichenbegriff auf die strafrechtliche Definition zurückgegriffen . Nach Auffassung des BGH muss jedoch aufgrund der weiten Fassung des Kennzeichenbegriffs das Tatbestandsmerkmal „Verwenden“ restriktiv ausgelegt werden. Nach den Ausführungen des BGH kann ein tatbestandliches Verwenden demnach nur vorliegen, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der konkreten Benutzung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck der jeweiligen Norm zuwider läuft.15 Bei der Prüfung, ob die konkrete Verwendung eines Kennzeichens dem Schutzzweck der Norm entgegenläuft, kann nach Ansicht des BGH in der Regel nicht allein auf die Darstellung des Symbols selbst zurückgegriffen werden, da dieses bei isoliertem Gebrauch gerade nicht erkennen lässt, ob es als Kennzeichen der verbotenen 11 BGH, NJW 2010, 163, 165; BGH, Beschluss v. 01.10.2008 - Az. 3 StR 164/08, Rn. 19 juris; BGH, Urteil v. 09.07.2015 - Az. 3 StR 33/15, Rn. 13 juris. 12 BGH, Urteil v. 09.07.2015 - Az. 3 StR 33/15, Rn. 13 juris. 13 OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 22. März 2005 - 12 a 12101/04, Rn. 17 juris; Wache, in: Erbs/Kohlhaas/Wache, Strafrechtliche Nebengesetze, 212. EL 2017, VereinsG § 9, Rn. 4.; Groh, VereinsG, 1. Aufl. 2012, § 9, Rn. 1. 14 OVG Bremen, Beschluss v. 21.02.2011 - Az. 1 A 227/09, Rn. 27 juris ;Groh, VereinsG, 1. Aufl. 2012, § 9, Rn. 2. 15 BGH, Urteil v. 09.07.2015 - Az. 3 StR 33/15, Rn. 22 juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 088/17 Seite 6 Organisation oder zu anderen, nicht zu beanstandenden Zwecken verwendet wird. Der BGH verlangt vielmehr, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles ermittelt wird. Sind die äußeren Umstände dagegen nicht eindeutig, so ist der objektive Tatbestand der Norm, also das „Verwenden eines verbotenen Kennzeichens“, erfüllt.16 Diese in Zusammenhang mit § 86a StGB entwickelten Grundsätze hat der BGH in seiner Rechtsprechung bezüglich der von verbotenen und nicht verbotenen Rockergruppen verwendeten Symbole auf die Strafnorm des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG übertragen, da keine „keine Veranlassung [besteht], den identischen Begriff des Kennzeichens im VereinsG anders auszulegen, als in der verfassungswidrige Organisationen betreffenden Strafvorschrift.“ Zudem gebietet nach Ansicht des BGH auch das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 GG, solche Kennzeichenverwendungen vom Tatbestand auszunehmen, die dem Schutzzweck des Vereinsverbotes eindeutig nicht zuwiderlaufen.17 Demnach stellt die Verwendung eines Kennzeichens, das auch ein verbotener Verein für sich in Anspruch nimmt, jedenfalls dann keinen Verstoß gegen das Kennzeichenverbot des VereinsG dar, wenn aus dem Gesamtzusammenhang der äußeren Umstände des Einzelfalles eindeutig hervorgeht, dass die Benutzung als Kennzeichen eines nicht mit einer Verbotsverfügung belegten Organisation verwendet wird. Eine Verletzung des Schutzzweckes und damit ein Verstoß gegen das Kennzeichenverbot liegen dann nicht vor. Für die vorliegende Fragestellung bedeutet dies: Ein Verstoß gegen das Kennzeichenverbot liegt nur dann nicht vor, wenn das fragliche Symbol bei einer Demonstration eindeutig nicht als solches einer verbotenen Organisation zur Schau gestellt wird. 2.3. Gefahrenprognose § 15 Abs. 1 VersG setzt voraus, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist, vorliegend also ein Verstoß gegen das Kennzeichenverbot zu besorgen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind als Grundlage der Gefahrenprognose konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen sind nicht ausreichend. Für die Gefahrenprognose können dabei Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen.18 16 BGH, Urteil v. 09.07.2015 - Az. 3 StR 33/15, Rn. 22 juris. 17 BGH, Urteil v. 09.07.2015 - Az. 3 StR 33/15, Rn. 23 juris. 18 BVerfG, Jus 2010, 937, 938. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 088/17 Seite 7 2.4. Ergebnis Im Ergebnis ist festzuhalten, dass auch ein Kennzeichen eines ursprünglich nicht verbotenen Vereins unter das Kennzeichenverbot des Vereinsgesetzes fallen kann. Dementsprechend kann zur Verhinderung eines Verstoßes gegen das Verbot in Betracht kommen, dass auch einem nicht verbotenen Verein das Zeigen des Kennzeichens bei einer Demonstration untersagt wird. ***