© 2013 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 087/13 Verfassungsmäßige Zuständigkeit des Bundesrates bei internationalen, bi- und multilateralen Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 087/13 Seite 2 Verfassungsmäßige Zuständigkeit des Bundesrates bei internationalen, bi- und multilateralen Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 087/13 Abschluss der Arbeit: 16.05.2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 087/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Historie 4 3. Geltende Regelungen zur Mitwirkung des Bundesrates in EU-Angelegenheiten auf Verfassungsebene beim Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen 5 3.1. Mitwirkungsrechte des Bundestages und des Bundesrates gemäß Art. 23 GG 5 3.2. Einfachgesetzliche Regelungen zur Mitwirkung des Bundestages und des Bundesrates in EU-Angelegenheiten 6 3.3. Mitwirkung des Bundestages und des Bundesrates bei EU Abkommen 6 4. Rechte des Bundesrates am Beispiel des EU- Assoziierungsabkommens mit Zentralamerika 7 4.1. Abweichungsrecht der Länder bei organisations- und verwaltungsrechtlichen Regelungen des Bundes 9 4.2. Ausschluss des Abweichungsrechts der Länder 9 4.3. Bundeseinheitliche Verfahrensreglung und Zustimmungserfordernis des Vertragsgesetzes zum Assoziierungsabkommen 10 5. Ausblick 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 087/13 Seite 4 1. Einleitung In der Ausarbeitung erfolgt zunächst die Prüfung der historisch gewachsenen Rechte des Bundesrates in europäischen Fragen allgemein und im speziellem beim Abschluss und der Ratifizierung von EU- Abkommen mit Drittstaaten. Anschließend werden die Rechte des Bundesrates am Beispiel des Assoziierungsabkommens der EU mit den Staaten Zentralamerikas, das im Bundestag aktuell kontrovers diskutiert wurde, beleuchtet. 2. Historie Zu Anfang der Mitgliedschaft Deutschlands in der EWG bestanden nur partiell einfachgesetzliche Regelungen zur Mitwirkung des Parlaments in europäischen Angelegenheiten. So regelte Art. 2 S. 1 des Zustimmungsgesetzes zu den Gründungsverträgen der EWG und EAG, dass die Bundesregierung Bundestag und Bundesrat laufend über die Entwicklungen im Rat zu unterrichten hatte.1 Nur soweit ein Ratsbeschluss innerdeutsche Gesetze erforderlich machte oder unmittelbar in Deutschland geltendes Recht geschaffen wurde, sollte nach Art. 2 S. 2 die Unterrichtung vor der Beschlussfassung im Rat erfolgen.2 Der Bundesrat hat sich früh weitere Mitwirkungsrechte gesichert. Schon 1957 wurde im Bundesrat ein Sonderausschuss „Gemeinsamer Markt und Freihandelszone“ eingerichtet, der nach dem Scheitern der Pläne zur Schaffung einer Europäischen Freihandelszone 1965 in „Ausschuss für Fragen der Europäischen Gemeinschaften“ umbenannt wurde. Die Mitwirkung von Ländervertretern an Verhandlungen des Ministerrates wurde zunächst durch rechtlich unverbindliche Absprachen zwischen Bund und Ländern ermöglicht.3 1986 erfolgte im Zuge der Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte die gesetzliche Verankerung des so genannten Bundesratsverfahrens , das generell die Beteiligung der Länder durch den Bundesrat vorsah.4 1987 wurde eine Bund-Länder-Vereinbarung getroffen, welche eine nähere Ausgestaltung der Beteiligungsrechte enthielt. Auf der Grundlage dieser Vereinbarung setzte der Bundesrat am 10. Juni 1988 eine „Kammer für Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft“ ein, deren Beschlüsse die Wirkung von Beschlüssen des Bundesrates haben sollten.5 Im Zuge der Ratifikation des Vertrags von Maastricht, der eine weitere Verlagerung nationaler Kompetenzen auf die europäische Ebene vorsah, wurde im Dezember 1992 u.a. der „Europa- 1 Gesetz vom 27.7.1957, BGBl. II S. 753 2 Mellein, Christine, Die Rolle von Bundestag und Bundesrat in der Europäischen Union, in EuR-Bei 2011, 13 ff. (18). 3 Nach Art. 2 Abs. 1 des Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Fusionsvertrag) vom 8.4.1965 (BGBl. II S. 1453 (1456) bestand der Rat aus Vertretern der Mitgliedstaaten, wobei jede Regierung eines ihrer Mitglieder entsandte. 4 Melin, Patrick, Die Rolle der deutschen Bundesländer im Europäischen Rechtsetzungsverfahren nach Lissabon, in EuR 2011, S. 655 ff. (655). 5 Vgl. BR-Drs. 230/88, S. 178 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 087/13 Seite 5 Artikel“ 23 in das Grundgesetz eingefügt, der bis heute stetig ergänzt wurde und die Grundnorm für die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat in EU-Angelegenheiten darstellt. 3. Geltende Regelungen zur Mitwirkung des Bundesrates in EU-Angelegenheiten auf Verfassungsebene beim Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen 3.1. Mitwirkungsrechte des Bundestages und des Bundesrates gemäß Art. 23 GG Art. 23 Abs. 1 GG enthält neben einer Staatszielbestimmung einen rechtsverbindlichen Auftrag zur Verwirklichung des vereinten Europas durch Mitwirkung an einer EU, die „demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“ (sog. Struktursicherungsklausel). Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG ermöglicht die Übertragung von Hoheitsrechten durch Bundesgesetz, wobei die Zustimmung des Bundesrates am Übertragungsgesetz notwendig ist.6 Art. 23 Abs. 2 GG regelt als Grundnorm das generelle Recht des Bundestages und der Länder durch den Bundesrat zur Mitwirkung in EU-Angelegenheiten und fordert deren Teilhabe an Entscheidungsprozessen zur Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte Deutschlands. Gem. Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG hat die Bundesregierung Bundestag und Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. In Art. 23 Abs. 4-6 GG sind die Beteiligungsrechte der Länder durch den Bundesrat entsprechend der Zuständigkeit des Bundesrates bei der innerstaatlichen Gesetzgebung abgestuft ausgestaltet.7 Art. 23 Abs. 4 GG begründet allgemein die Pflicht zur Beteiligung des Bundesrates an der Willensbildung des Bundes, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären. Eine nähere Ausdifferenzierung erfolgt in Art. 23 Abs. 5 und 6 GG. Die Bundesregierung hat nach Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG die Stellungnahme des Bundesrates zu berücksichtigen, soweit in einem Bereich ausschließlicher Bundeszuständigkeiten Interessen der Länder berührt sind.8 Fallen die Vorhaben der EU hingegen in Bereiche, die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung der Behörden oder das Verwaltungsverfahren betreffen, ist nach Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG die Auffassung des Bundesrates bei der Willensbildung des Bundes maßgeblich zu berücksichtigen. Die nähere Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat (Art. 23 Abs. 3 S. 1 bzw. Art. 23 Abs. 7 GG) ist durch das EUZBBG, das EUZBGL und das IntVG erfolgt. 6 Mellein, (Fn. 2), EuR-Bei 2011, S. 13 ff. (20). 7 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, 2013, Art. 23 Rn. 162. 8 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, 2013, Art. 23 Rn. 167. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 087/13 Seite 6 3.2. Einfachgesetzliche Regelungen zur Mitwirkung des Bundestages und des Bundesrates in EU-Angelegenheiten Die verfassungsrechtlich verankerten Mitwirkungsrechte des Bundestages werden durch das im mai 2013 neu gefasste Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der EU (EUZBBG) konkretisiert. Zu den Unterrichtungspflichten der Bundesregierung in §§ 4 ff. EUZBBG führt das BVerfG aus, dass diese Pflicht beim prozesshaften Charakter der Beschlussfassung auf EU Ebene eine fortlaufende Unterrichtung umfasse, die den Bundestag in die Lage versetze, seine Mitwirkungsrechte effektiv zu nutzen.9 Die Beteiligungsrechte der Länder entsprechen der Zuständigkeit des Bundesrates bei der innerstaatlichen Gesetzgebung und sind u.a. durch das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der EU (EUZBLG) ausgestaltet.10 Grundsätzlich gilt nach § 4 EUZBLG, dass bei allen Vorhaben, bei denen der Bundesrat „an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären“, die Bundesregierung „vom Bundesrat benannte Vertreter der Länder bereits an Beratungen zur Festlegung der Verhandlungsposition“ beteiligt.11 Der Gesetzgeber hat die Vorgaben des Lissabon-Urteils12 u.a. mit dem Integrationsverantwortungsgesetz (IntVG) umgesetzt. Dieses Gesetz enthält ein Regelungssystem für die Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat an Verfahren zur dynamischen Vertragsentwicklung.13 Betroffen sind insbesondere die Erweiterung von EU-Kompetenzen und die Änderung der Entscheidungsverfahren durch die EU-Organe.14 3.3. Mitwirkung des Bundestages und des Bundesrates bei EU Abkommen In den Vorschriften der §§ 3 EUZBBG, 1 ff. IntVG findet sich eine Ausgestaltung des Begriffs „Angelegenheiten der Europäischen Union“ aus Art. 23 GG.15 Nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 EUZBBG sind „Vorhaben der Europäischen Union“ auch Verhandlungsmandate für die Europäische Kommission zu Verhandlungen über völkerrechtliche Verträge der Europäischen Union“. Für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern konkretisiert die Anlage I Nr. 2 zu § 9 EUZBLG, dass sich die Informations- und Mitwirkungsrechte der Länder im Hinblick auf Vorhaben der Europäi- 9 BVerfG, 2 BvE 4/11 vom 19.6.2012, Rn. 47. 10 Gesetz vom 12.3.1993, BGBl. I S. 313 zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.9.2009, BGBl. I vom 24.9.2009, Nr. 60, S. 3031 ff. 11 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, 2013, Art. 23 Rn. 173. 12 BVerfGE 123, S. 267 ff. 13 Mellein, (Fn. 2) EuR-Bei 2011, S. 13 ff. (25). 14 Hahn, Jörg-Uwe, Die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat in EU-Angelegenheiten nach dem neuen Integrationsverantwortungsgesetz , in EuZW 2009, S. 758 ff. (S. 761). 15 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, 2013, Art. 23 Rn. 148. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 087/13 Seite 7 schen Union auch auf die Vorbereitung und den Abschluss völkerrechtlicher Verträge beziehen. Nach VII Nr. 3 der selben Anlage gilt das Gesetz ausdrücklich für Assoziierungsabkommen nach Art. 217 AEUV und Handelsabkommen nach Art. 207 AEUV. Im Falle, dass die Europäische Union ihrerseits völkerrechtliche Abkommen mit Drittstaaten schließt, folgt deren Kompetenz zum Abschluss solcher Verträge unmittelbar aus dem EUV bzw. AEUV. Solche Abkommen fallen damit unter den Tatbestand der „Angelegenheiten der Europäischen Union“ im Sinne des Art. 23 Abs. 2 GG, weshalb Art. 23 GG, das EUZBBG und das EUZBLG damit abschließend anzuwenden sind.16 Wenn es um völkerrechtliche Abkommen mit Drittstaaten geht, bei denen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten Vertragspartner sind (sog. gemischte Abkommen), ist zu differenzieren: Soweit die Europäische Union Vertragspartner ist, handelt es sich um „Angelegenheiten der Europäischen Union“ im Sinne des Art. 23 Abs. 2 GG, für die das oben Gesagte gilt. Soweit dagegen die Mitgliedstaaten Vertragspartner sind, gelten die allgemeinen Regeln über internationale Abkommen , weil Art. 23 GG insoweit nicht berührt ist. Maßgebend sind dann Art. 32, 59 Abs. 2 S. 1 GG in Verbindung mit dem Lindauer Abkommen.17 Dieses konkretisiert im Einzelnen die völkerrechtlichen Vertragszuständigkeiten von Bund und Ländern im Rahmen des Art. 32 GG. Entscheidend ist dann der Reglungsinhalt. Wenn die Vertragsgegenstände der völkerrechtlichen Abkommen nicht zum Inhaltsbereich der Unionsverträge gehören, bleibt bei den allgemeinen Regelungen des Art. 32 GG in Verbindung mit dem Lindauer Abkommen. Wenn es sich aber um Vertragsgegenstände handelt, die im EUV „als Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse“ ausgewiesen sind, liegt wiederum eine „Angelegenheit der Europäischen Union“ im Sinne des Art. 23 Abs. 2 GG vor, weshalb innerstaatlich die Regelungen nach Art. 23 Abs. 2–5 GG dann auch für diese Abkommen einschlägig sind (unabhängig von der Tatsache, dass solche Verträge dem Verfahren gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG unterliegen).18 4. Rechte des Bundesrates am Beispiel des EU-Assoziierungsabkommens mit Zentralamerika Die EU und sechs Staaten Zentralamerikas (Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Panama) haben ein umfassendes Assoziierungsabkommen ausgehandelt, das eine ehrgeizige Handelskomponente beinhaltet.19 Es umfasst drei Hauptthemen: politscher Dialog, Kooperation und Handel. Bei dem Abkommen handelt es sich um ein gemischtes Abkommen, da es neben Materien in Unionskompetenz auch Materien regelt, für die die Mitgliedstaaten zuständig sind.20 Für diese Art der Abkommen wirken Bundestag und Bundesrat schon während der Verhandlungen nach Art. 23 GG, konkretisiert durch § 3 Abs. 1 Nr. 4 EUZBBG und Anlage I Nr. 2 zu 16 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, 2013, Art. 23 Rn. 183. 17 Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, 2013, Art. 32 Rn. 79. 18 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, 2013, Art. 23 Rn. 185. 19 Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2012 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits vom 14.2.2013, BT-Drs. 17/12355. 20 BT-Drs. 17/12355, S. 89. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 087/13 Seite 8 § 9 EUZBLG mit, d.h., sie sind umfassend und frühestmöglich zu informieren. Ob das erfolgt ist, kann hier dahin stehen, da das Abkommen bereits unterzeichnet wurde. Der entsprechende EU-Ratsbeschluss über die Unterzeichnung des Abkommens und die vorläufige Anwendung des Handelsteils erfolgte am 25. Juni 2012, die Unterschrift des Abkommens durch die Europäische Union und die Staaten Zentralamerikas am 29. Juni 2012, durch die Bundesrepublik Deutschland am 13. Juni 2012 in Brüssel. Nach der Zustimmung des Europäischen Parlaments am 11. Dezember 201221 können die Bestimmungen des Handelsteils (IV), die in die ausschließliche Kompetenz der EU fallen, gemäß Art. 353 Abs. 4 des Abkommens vorläufig angewendet werden. Auf Seiten Zentralamerikas ist hierfür die Ratifikation in den sechs Staaten notwendig. Die nationalen Umsetzungsverfahren in den zentralamerikanischen Staaten wurden eingeleitet und könnten im Laufe des zweiten Quartals 2013 abgeschlossen sein.22 Nach Unterzeichnung richtet sich das innerstaatliche Verfahren nach Art. 59 Abs. 2 GG. Die Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften am völkerrechtlichen Vertragsschlussverfahren erfolgt „in der Form eines Bundesgesetzes“. Mit der Ratifikation – so das BVerfG in der Entscheidung zum Lissabon-Vertrag23 - von völkerrechtlichen Verträgen im Sinne des Art. 59 Abs. 2 GG wird die verfassungsrechtlich gebotene Beteiligung der Gesetzgebungsorgane an der auswärtigen Gewalt allgemein gewährleistet und der innerstaatliche Rechtsanwendungsbefehl für das von der Exekutive vereinbarte Vertragsrecht erteilt.24 Das Ratifizierungsverfahren für das gesamte Abkommen in allen EU-Staaten ist nach Art. 353 des Abkommens Voraussetzung für sein Inkrafttreten. In Deutschland hat die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.25 Auf das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den o.g. Staaten Zentralamerikas andererseits findet laut Begründung zu Art. 1 des Vertragstextes Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Anwendung, da es sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht.26 In der Begründung heißt es weiter, das Gesetz bedürfe der Zustimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG. 21 IP/12/1353, nachzulesen : http://europa.eu/rapid/press-release_IP-12-1353_de.htm, letzter Aufruf am 13.5.2013. 22 Pressemitteilung EU Kommission, nachzulesen: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-12-1353_de.htm, letzter Aufruf 13.5.2013. 23 BVerfGE 123, S. 267 ff. 24 Pieper, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Online-Kommentar GG, 2013, Art. 59 Rn. 38. 25 Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2012 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits vom 14.2.2013, BT-Drs. 17/12355. 26 BT-Drs. 17/12355, S. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 087/13 Seite 9 4.1. Abweichungsrecht der Länder bei organisations- und verwaltungsrechtlichen Regelungen des Bundes Als Ausprägung des im Grundgesetz verankerten föderalen Modells liegt gemäß Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG die Organisationsgewalt in Bezug auf die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren bei der Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit bei den Ländern.27 Der Bund hat hier nur beschränkte exekutive Einwirkungsmöglichkeiten. Vor der Föderalismusreform I von 2006 bedurften Bundesgesetze nach Art. 84 Abs. 1 a. F. GG, die die Einrichtung der Behörden oder das Verwaltungsverfahren regelten, ausnahmslos der Zustimmung des Bundesrates. Dies hat zu einer hohen Zahl zustimmungsbedürftiger Gesetze geführt , deren Reduzierung durch die Reform angestrebt werden sollte. 28 Mit der Neuregelung des Art. 84 Abs. 1 GG von 2006 wurde das alte ausschließliche Zustimmungsmodell durch zwei Varianten der Ländermitwirkung ersetzt. Nach S. 2 der Vorschrift besitzen die Länder grundsätzlich ein Abweichungsrecht, wenn Bundesgesetze Vorgaben zu Behördenorganisation und/oder Verwaltungsverfahren enthalten. Für den Fall, dass nach Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG eine verbindlichen Regelung des Verwaltungsverfahrens durch Bundesgesetz ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder vorliegt, muss der Bundesrat zustimmen.29 4.2. Ausschluss des Abweichungsrechts der Länder Die grundsätzlich bestehende Organisationsgewalt der Länder im Bereich ihrer eigenen Verwaltung bei der Ausführung von Bundesgesetzen darf unter den in Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG genannten Voraussetzungen bundesgesetzlich beschränkt werden. Das Abweichungsrecht kann in Ausnahmefällen ausgeschlossen werden, wenn ein besonderes Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung besteht. Die Bestimmung greift, wenn die materiellen Vorschriften eines Bundesgesetzes so eng mit den Verfahrensregelungen verbunden sind, dass der Reglungszweck ohne die gleichzeitige und einheitliche bundesgesetzliche Regelung nicht ausreichend verwirklicht werden könnte.30 Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen wird z. B. regelmäßig im Umweltverfahrensrecht angenommen.31 Das Zustimmungserfordernis dient dazu, die Grundentscheidung der Verfassung über die Verwaltungszuständigkeit der Länder zugunsten des föderativen Staatsaufbaus abzusichern.32 Der 27 Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl., 2010, Art. 84 Rn. 2. 28 Die Ergebnisse der Föderalismusreform für EU Abkommen werden ausführlich dargestellt in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages (WD 3), : „Entwurf eines Gesetzes zum Handelsübereinkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits (BT-Drs. 17/12354), Zustimmung des Bundesrates“ vom 11.4.2013. 29 Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl., 2010, Art. 84 Rn. 4. 30 Henneke, in: Schmidt/Bleibtreu, GG, Kommentar, 12. Aufl., 2011, Art. 84 Rn. 9. 31 Suerbaum, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Online-Kommentar GG, 2013, Art. 84 Rn. 41. 32 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG Kommentar 12. Aufl., Art. 84 Rn. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 087/13 Seite 10 Bundesrat hat im Rahmen seiner Zustimmungspflicht nach Art. 84 Abs. 1 S. 6 GG die Aufgabe, die Einhaltung der genannten Anforderungen zu überprüfen.33 Bei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den Staaten Zentralamerikas andererseits unterstreicht bereits die Begründung des Gesetzesentwurfs zu Art. 1 das Erfordernis einer bundeseinheitlichen Regelung ohne Abweichungsmöglichkeit. 34 Das Assoziierungsabkommen enthalte spezielle Verfahrensregelungen , die keinen Raum für abweichendes Landesrecht böten. 4.3. Bundeseinheitliche Verfahrensreglung und Zustimmungserfordernis des Vertragsgesetzes zum Assoziierungsabkommen Bei dem Assoziierungsabkommen handelt es sich um ein sogenanntes gemischtes Abkommen, bei dem neben der EU auch ihre Mitgliedstaaten Vertragspartei von Costa Rica, El Salvador, Guatemala , Honduras, Nicaragua und Panama sind. Die Umsetzung der Bestimmungen zu politschem Dialog, Kooperation und Handel in innerstaatliches Recht kann nur durch ein förmliches Gesetz geregelt werden.35 Da eine bundesgesetzliche Regelung somit erforderlich ist, bedarf es eines sog. völkerrechtlichen Zustimmungsgesetzes zum Abkommen. Hiervon ist die Frage zu unterscheiden, ob dieses Bundesgesetz der Zustimmung des Bundesrates (Art. 77 Abs. 2a GG) bedarf oder ein Einspruchsgesetz (Art. 77 Abs. 3 u. 4 GG) ausreichend ist. Dies entscheidet sich danach, ob im Vertrag (mindestens) eine Bestimmung enthalten ist, die die Zustimmungsbedürftigkeit auslöst, d.h. wenn bei entsprechender innerstaatlicher Regelung die Zustimmung des Bundesrates erforderlich wäre.36 Ein Zustimmungserfordernis nach Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG ist gegeben, wenn das Bundesgesetz zum Abkommen keinen Raum für abweichende Länderregelungen zur Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens lässt, da es insofern eine bundeseinheitliche Regelung vorgibt. Bereits in Titel II des Abkommens wird ein eigener institutioneller Rahmen festgelegt, der die Berufung eines Assoziationsrates, zusammengesetzt aus Repräsentanten der EU und der zentralamerikanischen Staaten, zur Überwachung der Ziele des Abkommens und seiner Umsetzung vorsieht.37 Unterstützend soll daneben ein Assoziationskomitee für die generelle Umsetzung des Abkommens eingesetzt werden. Im Titel X (Art. 308 bis 328) werden weitere Verfahren, Fristen und institutionelle Erfordernisse (u. a. Einrichtung und Zusammensetzung der Schiedspanels) zur Beilegung ggf. auftretender Streitigkeiten über Auslegung und Anwendung des Abkommens festgelegt. Auch im Titel XI finden sich noch Verfahrensregelungen für nicht tarifäre Maßnahmen (Art. 329 bis 337). 33 Henneke, in: Schmidt/Bleibtreu, GG, Kommentar, 12. Aufl., 2011, Art. 84 Rn. 9. 34 BT-Drs. 17/12355, S. 8. 35 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG Kommentar, 2012, Art. 59 Rn. 13a. 36 Pieper, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Online-Kommentar GG, 2013, Art. 59 Rn. 31. 37 BT-Drs. 17/12355, S. 90. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 087/13 Seite 11 Damit sind durch das Völkerrecht bindend und ohne nationalen Umsetzungsspielraum Verfahrensregelungen vorgegeben. Eine Abweichungsmöglichkeit der Länder ist in einem solchen Fall ausgeschlossen. Innerstaatlich ist damit der Zustimmungstatbestand des Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG einschlägig.38 Das Bundesgesetz, das Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen mit den Staaten Zentralamerikas, bedarf also der Zustimmung des Bundesrates. Dass der Bundesrat im ersten Durchgang (Art. 76 Abs. 2 GG) keine Einwendungen erhoben hat, bindet ihn nicht im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsvorhabens .39 5. Ausblick Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum EU-Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika wurde am 25. April 2013 im Bundestag kontrovers beraten.40 Besorgnis bestand bei Abgeordneten der Oposition, ob dieses Assoziierungsabkommen zur Nivellierung oder Kompensation der Ungleichheiten zwischen beiden Regionen beitragen werde41 Wichtig erscheint den Kritikern, dass der durch das Abkommen ausgelöste Anreiz von Investitionen in Zentralamerika auch zu Produktionsverbesserungen und Technologietransfer an lokale Unternehmen – hauptsächlich Kleinstbetriebe, kleine und mittlere Unternehmen führe, bzw. eine differenzierte Behandlung der sensiblen Güter Zentralamerikas gewährleiste und zeitlich begrenzte Schutzmaßnahmen für diese Waren bestünden.42 In einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Nachhaltigkeitsfolgenabschätzung klangen Zweifel an, ob durch das Abkommen der Druck auf das Land erhöht werde und dadurch auch Landkonflikte („Land-Grabbing“) weiter verschärft werden könnten.43 Einige Nichtregierungsorganisationen, darunter auch das evangeli- 38 Siehe hierzu: Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages (WD 3), : „Entwurf eines Gesetzes zum Handelsübereinkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits (BT-Drs. 17/12354), Zustimmung des Bundesrates“ vom 11.4.2013; Unterrichtung der Bundesregierung, Bericht über die Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Vorbereitung von Gesetzentwürfen der Bundesregierung und das Gesetzgebungsverfahren, BR-Drs. 651/06, S. 11. 39 Stenografischer Bericht der 906. Sitzung des Bundesrates vom 1.2.2013 zu BR-Drs. 800/12, nachzulesen: http://dipbt.bundestag.de/dip21/brp/906.pdf#P.35, zur Nichtbindung Pieroth, in Jarass/Pieroth, GG Kommentar, 2012, Art. 76, Rn. 7. 40 Stenografischer Bericht, 237. Sitzung des 17. Bundestages vom 25.4.2013, Top 18, S. 29829. 41 http://www.thilo-hoppe.de/themen-3001397/welthandel/rede-zum-assoziierungsabkommen-zwischen-der-eu-undzentralamerika .html, letzter Aufruf 13.5.2013. 42 Balbis, Jörg, „Das Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika: Mehr als Freihandel?“ NUEVA SOCIEDAD Nr. 209, deutsche Sonderausgabe, Mai-Juni 2007, nachzulesen unter : http://www.nuso.org/upload/articulos/d4-1_1.pdf, letzter Aufruf 13.5.2013. 43 Nachzulesen unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2010/april/tradoc_146042.pdf, letzter Aufruf 13.5.2013. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 087/13 Seite 12 sche Hilfswerk „Brot für die Welt“ und das katholische Hilfswerk „Misereor“, hatten an die EU appelliert, dieses Abkommen in dieser Form nicht zu unterzeichnen.44 Die Befürworter sehen die genannten Aspekte durch das Abkommen ausreichend berücksichtigt und halten entgegen, dass es bei dem Assoziierungsabkommen vor allem um die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union in den Bereichen Demokratie, Stärkung der Zivilgesellschaft, Umweltschutz, Achtung der Menschenrechte, Schaffung von nachhaltigem Wohlstand, Integration und Frieden gehe.45 Das Abkommen sei auf Augenhöhe zwischen der EU und den Staaten Zentralamerikas verhandelt worden und biete der Region Fortschritt bei Integration, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Das umfangreiche Vertragswerk sei vor allem dazu da, einen gemeinsamen Wertekonsens zu achten und ihn in Zusammenarbeit mit der EU weiterzuentwickeln. Im Bundestag wurde der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.46 Es bleibt abzuwarten, was im Bundesrat (voraussichtlich am 7. Juni 2013) geschieht. 44 Argumente nachzulesen bei: http://www.stop-assoziierung.de und /http://www.kleinbauernrechte-jetzt.de/wpcontent /uploads/2013/02/NRO-Stellungnahme_zum_Assoziierungsabkommen_EU-Zentralamerika.pdf, oder http://www.oeku-buero.de/assoziierungsabkommen-eu-zentralamerika.html, letzter Aufruf 13.5.2013. 45 Stenografischer Bericht, 237. Sitzung des 17. Bundestages vom 25.4.2013, Top 18, S. 29830. 46 Stenografischer Bericht, 237. Sitzung des 17. Bundestages vom 25.4.2013, Top 18, S. 29836.