© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 086/21 Kooperationsvereinbarungen zwischen der Autobahn GmbH und den Ländern Verfassungsrechtliche Zulässigkeit und deren Grenzen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Aufgabenbezogene Amtshilfe 8 5.3. Organleihe 8 6. Einfachgesetzliche Zulässigkeit der Kooperationsvereinbarungen nach dem InfrGG 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 086/21 Seite 4 1. Hintergrund Im Zuge der Reform der Bundesfernstraßenverwaltung soll gem. Art. 90 Abs. 2 S. 1, Art. 143e Abs. 1 S. 1 GG die Verwaltung der Bundesautobahnen von den Ländern auf den Bund übergehen.1 Nach § 1 Infrastrukturgesellschaftserrichtungsgesetz (InfrGG) „überträgt [das BMVI] die Planung, den Bau, den Betrieb, die Erhaltung, die Finanzierung und die vermögensmäßige Verwaltung von Bundesautobahnen, soweit es sich um Aufgaben des Bundes handelt, zur Ausführung auf eine Gesellschaft privaten Rechts“, die zu diesem Zweck gegründete bundeseigene Gesellschaft, Die Autobahn GmbH des Bundes (kurz: Autobahn GmbH). Diese sollte bis zum 31.12.2020 sämtliche Prozesse von den Ländern übernehmen. Dies geschah jedoch nicht rechtzeitig, weshalb die Autobahn GmbH und die Länder sogenannte Kooperationsvereinbarungen schlossen, um sich weiterhin gegenseitig bei der Verwaltung der Bundesfernstraßen zu unterstützen. 2. Fragestellung Durch die Kooperationsvereinbarungen legten die Autobahn GmbH und die Länder fest, in welchen Bereichen sie sich nach dem 01.01.2021 unterstützen wollen. Dies könnte der grundgesetzlichen Kompetenzregelung des Art. 90 GG widersprechen, der die Aufgabenbereiche von Bund und Ländern bei den Bundesfernstraßen strikt trennt. Die Kooperationsvereinbarungen könnten ausnahmsweise, als Amtshilfe oder Organleihe, zulässig sein. Die privatrechtliche Organisationsform der Autobahn GmbH ist dabei unschädlich für die Beurteilung : Weil sie ganz in Bundeseigentum steht, ist der Staat ihr Rechtsträger und sie daher als Verwaltung im verfassungsrechtlichen Sinn anzusehen.2 3. Die Kooperationsvereinbarungen im Einzelnen Die Autobahn GmbH und die Länder haben Kooperationsvereinbarungen abgeschlossen, um die nicht rechtzeitig vollendete Übertragung der Verwaltung der Autobahnen von den Ländern auf die Autobahn GmbH übergangsweise zu regeln. Es gibt drei Modelle der Kooperationsvereinbarungen: die IT-Kooperationsvereinbarungen (IT-KOV), die Allgemeinen Kooperationsvereinbarungen (allgemeine KOV) und die Einzelvereinbarungen.3 Die IT-KOV wurden mit fast allen Ländern über die Nutzung ihrer Datennetze sowie von Hardund Software oder den Zugriff auf Datenbanken gegen die Zahlung einer Pauschale für maximal 1 Siehe dazu auch Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste, Integration der DEGES in die Autobahn GmbH des Bundes – Verkehrsrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte, WD 3 - 3000 - 002/21; WD 5 - 3000 - 001/21, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/824130/fe546f652032b5185b0226a7235f507d/WD-3- 002-21-WD-5-001-21-pdf-data.pdf. 2 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, 93. EL Oktober 2020, GG Art. 83 Rn. 130. 3 Bundesrechnungshof: Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Absatz 2 BHO zur Reform der Bundesfernstraßenreform: eine Bilanz, Gz.: V 5 – 2017 – 1177 vom 31. März 2021, abrufbar ab dem 1. Juni 2021 unter Reform der Bundesfernstraßenverwaltung: eine Bilanz — Startseite (bundesrechnungshof .de); Ausschuss-Drucksache 19/8498. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 086/21 Seite 5 drei Jahre geschlossen. Diese Rahmenvereinbarungen werden durch Anlagen spezifiziert, die ergänzt werden können. Die allgemeinen KOV wurden ebenfalls mit fast allen Ländern über „Betrieb, Verkehr, Planung, Bau, Erhalt und Querschnittsaufgaben“ geschlossen. Autobahn GmbH und Land sichern sich dabei gegenseitige Unterstützung zu, um einen reibungslosen Ablauf der jeweiligen Aufgaben zu ermöglichen. Auch hier handelt es sich um allgemeine Regelungen, während die jeweils benötigte Unterstützung in den Anlagen konkretisiert wird. Auch hier sind die bestehenden Listen nicht abschließend, sondern können nach Bedarf ergänzt werden. Die Laufzeit beträgt ebenfalls drei Jahre und betrifft vielfach die Weiternutzung von Mischverträgen durch die Autobahn GmbH. Die Einzel-KOV behandeln gemeinsame Projekte mit speziellem Regelungsbedarf und dauern meist drei Jahre, teilweise länger. Bisher wurden ungefähr 60 solcher Kooperationsvereinbarungen abgeschlossen . Hoheitliche Aufgaben werden den Ländern nicht übertragen.4 Eine vollumfängliche Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der einzelnen Kooperationsvereinbarungen kann jedoch nicht erfolgen, da diese in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht vorliegen. Es handelt sich nachfolgend um eine nicht abschließende, allgemeine Einschätzung. 4. Verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der Mischverwaltung 4.1. Unzulässigkeit der Mischverwaltung Bund und Länder haben die ihnen zugewiesenen Kompetenzen eigenständig mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen.5 Wird von der im Grundgesetz unter Art. 30, 83 ff. GG festgelegten Kompetenzordnung abgewichen, besteht der Verdacht der sog. Mischverwaltung. Diese ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.6 Planungs- und Entscheidungsbefugnisse haben dabei stets beim ursprünglichen Kompetenzträger zu verbleiben. Werden Aufgaben gemeinsam bearbeitet, muss für jeden Aufgabenteil feststehen, welcher Aufgabenträger zuständig ist.7 Die Zulässigkeit von Mischverwaltung ist bedingt durch „das Gebot der Kompetenzerhaltung, das Umgehungsverbot und die Grundsätze der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung und der Verantwortungsklarheit“.8 Auch das „Gebot klarer und in sich widerspruchsfreier Bestimmung der 4 Bericht des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Thema „Erkenntnisse und Herausforderungen beim Betriebsstart der Autobahngesellschaft des Bundes“, Ausschussdrucksache 19(15)483, S. 10. 5 BVerfGE 63, 1, 41. 6 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, 93. EL Oktober 2020, GG Art. 83 Rn. 117. 7 Trapp: Die Kontinuität der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur sog. Mischverwaltung, DÖV 2008, S. 277. 8 Broß/Mayer, in: Münch/Kunig, 7. Auflage 2021, GG Art. 83 Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 086/21 Seite 6 Verwaltungszuständigkeit“9 muss durch die Letztverantwortlichkeit des verfassungsrechtlich zuständigen Verwaltungsträgers gewahrt sein. Art. 90 GG schreibt ausdrücklich eine Trennung vor: Bundesautobahnen sind vom Bund zu verwalten , sonstige Bundesfernstraßen unterliegen der Verwaltung der Länder, außer es wurde ein Antrag nach Art. 143e Abs. 2 GG gestellt, wie im Fall der Stadtstaaten geschehen. Eine Mischverwaltung ist für die Bundesautobahnen also gerade nicht vorgesehen, findet aufgrund der Kooperationsvereinbarungen aber faktisch statt. So wurden laut dem Bericht des Bundesrechnungshofs unter anderem Planungsbefugnisse auf die Länder zurückübertragen, wodurch die Entscheidungsgewalt nicht durch die der Verfassung nach zuständige Stelle ausgeübt wird. Die Länder übernehmen durch die Kooperationsvereinbarungen eine Vielzahl der Aufgaben, die nach Art. 90 GG dem Bund bzw. der Autobahn GmbH obliegen, sodass diese ihre Aufgaben gerade nicht mit eigenen Mitteln wahrnimmt. Die übernommenen Aufgaben wurden nicht vor Inkrafttreten der Vereinbarungen abschließend geregelt, sondern können in den Anlagen geändert werden. Das zugehörige Verfahren ist nicht bekannt. Dadurch besteht gerade keine Klarheit über die Letztverantwortlichkeit, diese kann sich schnell ändern, ohne dass der Bürger dies nachvollziehen kann. Dies gilt auch für die Aufnahme von Querschnittsaufgaben in die Vereinbarungen. Hinzu kommt, dass die Autobahn GmbH mit den Ländern jeweils einzelne Verträge geschlossen hat, was sich ebenfalls unterschiedlich auf die Zuständigkeit auswirken kann. 4.2. Ausnahmsweise Zulässigkeit wegen eines besonderen sachlichen Grundes? Die Kooperationsvereinbarungen könnten trotz der Charakterisierung als Mischverwaltung ausnahmsweise zulässig sein. Dazu bedürften sie „eines besonderen sachlich rechtfertigenden (auch verwaltungsökonomischen) Grundes“ und müssten „darüber hinaus ihrem Ausnahmecharakter entsprechend auf eng umgrenzte Verwaltungsbereiche beschränkt“10 bleiben. Der besondere sachliche Grund kann in der Gewährleistung eines reibungslosen Übergangs der Verwaltung der Bundesautobahnen von den Ländern auf die Autobahn GmbH bestehen. Die Kooperationsvereinbarungen wurden erforderlich, weil absehbar war, dass die gesetzliche Frist des 31.12.20 erfolglos verstreichen würde und die praktische Verwaltung der Autobahnen aufrechterhalten werden sollte. Der Bundesrechnungshof hatte diese zeitliche Knappheit bereits 2017 angemahnt , blieb aber ungehört.11 Das könnte gegen die Annahme eines sachlichen Grundes sprechen, weil die Kooperationsvereinbarungen vermeidbar gewesen wären. Auch die Beschränkung auf eng umgrenzte Verwaltungsbereiche ist zweifelhaft. So könnten sowohl die zeitliche Dauer von (teilweise über) drei Jahren als auch die inhaltliche Unklarheit durch die 9 Hermes, in: Dreier, 3. Auflage 2018, GG Art. 83 Rn. 50; BVerfGE 104, 249 (266 f., Rn. 78). 10 Broß/Mayer, in: Münch/Kunig, 7. Auflage 2021, GG Art. 83 Rn. 17. 11 Bundesrechnungshof: Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Absatz 2 BHO zur Reform der Bundesfernstraßenreform: eine Bilanz, Gz.: V 5 – 2017 – 1177 vom 31. März 2021. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 086/21 Seite 7 Möglichkeit der Ergänzung der Anlagen um weitere Aufgaben zu weit gefasst sein. Die Beschränkung auf solche Prozesse, die nicht rechtzeitig auf die Autobahn GmbH überführt wurden, könnte jedoch ausreichend sein, um einen eng umgrenzten Verwaltungsbereich anzunehmen. Eine abschließende Beurteilung kann mangels Einsicht in die Kooperationsvereinbarungen im Einzelnen nicht erfolgen. 5. Zulässigkeit der Kooperationsvereinbarungen als Amtshilfe oder Organleihe 5.1. Voraussetzungen der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG Abhängig von der Gestaltung der KOV im Detail könnte anstelle einer Mischverwaltung auch eine Amtshilfe angenommen werden. Dabei handelt es sich um den ergänzenden Beistand durch eine Behörde auf Ersuchen einer von ihr unabhängigen anderen Behörde, um dieser in einem Einzelfall die Durchführung ihrer öffentlichen Aufgaben zu ermöglichen oder zu erleichtern.12 Die Amtshilfe muss auf bestimmte Teilakte eines Verwaltungsverfahrens begrenzt sein; Verwaltungsaufgaben dürfen nicht vollständig übernommen werden. Damit verbleibt die Verfahrensherrschaft für das Gesamtverfahren bei der ersuchenden Behörde.13 Das regelmäßige, nicht nur ausnahmsweise und punktuelle Zusammenwirken von Behörden (z. B. die Delegation, das Mandat, die Organleihe und weisungsgebundene und interne Behördenbeziehungen ) ist nicht als Amtshilfe einzustufen.14 Gegenstände der Amtshilfe sind beispielsweise die Auskunftserteilung, die Akteneinsicht, die Bereitstellung personeller, sächlicher, räumlicher und technischer Mittel, Bereitstellung von speziellem Sachverstand, Ermittlungen sowie Vollstreckungsmaßnahmen.15 Problematisch ist bei den KOV das Merkmal der Einzelfallbezogenheit. Die in deren Rahmen von der Autobahn GmbH auf die Länder übertragenen Aufgaben gehören vielfach zur gem. Art. 90 Abs. 2 GG eigentlich dem Bund zustehenden Kompetenz. Auch die Art der übertragenen Aufgaben unterscheidet sich von den Beispielen für eine Amtshilfe, die eher untergeordneter Natur sind. Die Dauer der meisten KOV von drei Jahren widerspricht ebenfalls dem der Amtshilfe innewohnenden Charakter der „Aushilfe im Einzelfall“16. Die Darstellung des gesamten Übertragungsprozesses der Kompetenz zur Bundesautobahnverwaltung als verfassungsrechtlich einmalig vorgesehen und damit quasi historischen Einzelfall sprengt in Anbetracht des schieren Umfangs dieses Vorgangs sowohl den Wortlaut als auch den Sinn und Zweck des Instituts. 12 BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 13. Juli 2011, Az. 2 BvR 742/10, Rn. 23 (juris). 13 Bauer, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 35 Rn. 20a. 14 Ebenda, Rn. 13. 15 Ibler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 35 Rn. 55. 16 BVerfGE 63, 1, 32. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 086/21 Seite 8 5.2. Aufgabenbezogene Amtshilfe Das BMVI legt den Kooperationsvereinbarungen „keine einzelfall-, sondern eine aufgabenbezogene Amtshilfe zugrunde“17. Eine solche Differenzierung ist dem Verfassungstext sowie der Literatur unbekannt. 5.3. Organleihe Die KOV könnten aber einen Fall der Organleihe darstellen. Bei der Organleihe wird das Organ eines Rechtsträgers ermächtigt und beauftragt, einen Aufgabenbereich eines anderen Rechtsträgers wahrzunehmen , weil dieser aus Zweckmäßigkeitsgründen entsprechende Einrichtungen nicht schaffen will. Das entliehene Organ wird als Organ des Entleihers tätig, dessen Weisungen es unterworfen ist und dem die von diesem Organ getroffenen Maßnahmen und Entscheidungen zugerechnet werden . Der entliehenen Einrichtung wachsen keine neuen (eigenen) Zuständigkeiten zu. Es werden nicht Kompetenzen auf diese Einrichtung „verlagert“; „verlagert“ werden vielmehr personelle und sächliche Verwaltungsmittel von der entliehenen Einrichtung zu der entleihenden Einrichtung.18 Im Gegensatz zur Amtshilfe, die sich auf eine Aushilfe im Einzelfall beschränkt, wird bei der Organleihe ein ganzer Aufgabenbereich aufgrund einer allgemeinen Regelung für eine gewisse Dauer übernommen.19 Eine Organleihe muss die Ausnahme bleiben, weil Kompetenzzuweisungen in der Verfassung den zuständigen Rechtsträger regelmäßig zugleich verpflichteten, seine Aufgaben durch eigene Einrichtungen wahrzunehmen. Bei einer generellen Übernahme von Teilen der Bundesverwaltung durch die Behörden der Länder kann dieser Grundsatz der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung und in dessen Folge die Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes ausgehöhlt werden. Eine Organleihe kommt daher nur für eng umgrenzte Verwaltungsmaterien und nur bei Vorliegen besonderer sachlicher Gründe in Betracht.20 Im Bereich der bundeseigenen Verwaltung i.S.d. Art. 87 Abs. 1 GG ist eine Organleihe aufgrund der Pflicht zu einem eigenen Verwaltungsunterbau grundsätzlich nicht zulässig.21 Die in Art. 87 Abs. 1 S. 1 GG genannten Verwaltungsmaterien sind aufgrund ihrer Bedeutung und Umfang keine eng umgrenzten Verwaltungsmaterien. Eine Organleihe sei nur ausnahmsweise möglich, sofern sich aus einer dieser Materien eine eng umgrenzte Teilmaterie von untergeordneter Bedeutung ausgrenzen und sich für deren Wahrnehmung durch das Organ eines anderen Verwaltungsträgers ein besonderer sachlicher Grund nachweisen ließe. Es sei beispielsweise denkbar, dass sich der 17 Bericht des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Thema „Erkenntnisse und Herausforderungen beim Betriebsstart der Autobahngesellschaft des Bundes“, Ausschussdrucksacke 19(15)483, S. 9. 18 Zum Ganzen BVerfGE 63, 1 (31 f.). 19 BVerfGE 63, 1 (32) sowie Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 4 Rn. 39. 20 Zum Ganzen Ibler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 87 Rn. 58. 21 Vgl. Ibler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 87 Rn. 58. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 086/21 Seite 9 Bund bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung für Baumaßnahmen an Bundeswasserstraßen (Kanalbauten) im Wege der Organleihe auf Baubehörden der Länder stütze.22 Im Anwendungsbereich des Art. 87 Abs. 2 GG ist eine Organleihe grundsätzlich zulässig.23 In Betracht komme eine Organleihe des landesübergreifenden sozialen Versicherungsträgers bei Landesoder Kommunalbehörden oder bei landesunmittelbaren Sozialversicherungsträgern oder umgekehrt, solange Bundes- und Landesbehörden dabei in kein Abhängigkeitsverhältnis i. S. einer unzulässigen Mischverwaltung geraten.24 Die Verwaltung der Bundesautobahnen gehört nicht zur bundeseigenen Verwaltung nach Art. 87 Abs. 1 S. 1 GG, sodass eine Organleihe grundsätzlich in Frage kommt. Die niedrigeren Voraussetzungen , nach denen ein ganzer Aufgabenbereich aufgrund einer allgemeinen Regelung für eine gewisse Dauer von einem anderen Rechtsträger übernommen wird, werden durch die KOV auch erfüllt, da diese eine Fülle an einzelnen Tätigkeiten für die Dauer von drei Jahren umfassen. Nicht abschließend beurteilbar ist, ob die Autobahn GmbH für die den Ländern übertragenen Kompetenzen weiterhin verantwortlich bleibt. Ob der Autobahn GmbH eine Weisungsbefugnis zusteht und die Kompetenz nicht auf die Länder übergeht, ist abhängig von den jeweiligen Vereinbarungen und kann derzeit nicht überprüft werden. Ist dies der Fall, sind die Voraussetzungen der Organleihe erfüllt und die KOV als solche verfassungsrechtlich zulässig. 6. Einfachgesetzliche Zulässigkeit der Kooperationsvereinbarungen nach dem InfrGG Diesbezüglich wird auf die Ausführungen auf S. 6 - 7 in der Ausarbeitung „Integration der DEGES in die Autobahn GmbH des Bundes – Verkehrsrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte“, WD 3 - 3000 - 002; WD 5 - 3000 - 001/21, verwiesen.25 *** 22 Zum Ganzen Ibler, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 92. EL August 2020, Art. 87 Rn. 58. 23 Ibler, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 92. EL August 2020, Art. 87 Rn. 197. 24 Ebenda. 25 Fn. 1.