© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 086/17 Zustimmung des Bundestages bei Inlandseinsätzen der Bundeswehr Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 086/17 Seite 2 Beteiligungsrechte des Bundestages bei Inlandseinsätzen der Bundeswehr Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 086/17 Abschluss der Arbeit: 25.04.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 086/17 Seite 3 1. Einleitung Gegenstand der Dokumentation sind die Befugnisse und verfassungsgerichtlichen Kontrollmöglichkeiten des Bundestages bei Inlandseinsätzen der Bundeswehr. Die Literaturempfehlungen bilden solche verfassungsrechtlichen Stimmen ab, die sich für eine stärkere parlamentarische Zuständigkeit aussprechen, als dies in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angelegt ist. 2. Verfassungsrechtlicher Hintergrund Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegen Einsätze der Bundeswehr im Innern keinem konstitutiven Parlamentsvorbehalt, wie er etwa für Auslandseinsätze vorgesehen ist.1 Gestützt wird diese Rechtsauffassung insbesondere auf eine systematische Auslegung der Art. 87a Abs. 4 S. 2 GG und Art. 35 Abs. 3 S. 2 GG, wonach Bundestag und Bundesrat nur eine nachträgliche Kontrolle in Form eines Rückrufrechts zukommt.2 Ferner lasse sich auch aus der verwendeten Bezeichnung der Streitkräfte als „Parlamentsheer“ keine allgemeine Zustimmungspflicht für das Parlament ableiten.3 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält weiterhin auch Aussagen zum Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Bundeswehreinsätzen im Innern im Wege eines Organstreitverfahrens. Demnach sei der Organstreit kein objektives Beanstandungsverfahren. Der Deutsche Bundestag sei zudem nicht als allgemeines „Rechtsaufsichtsorgan“ gegenüber der Bundesregierung anzusehen und könne daher nicht jede Verletzung formellen oder materiellen Verfassungsrechts im Wege des Organstreitverfahrens geltend machen. Die im Organstreitverfahren verfolgbaren Rechte müssen daher dem Antragsteller zur ausschließlichen eigenen Wahrnehmung oder zur Mitwirkung übertragen sein oder erforderlich sein, um die Wahrnehmung der Kompetenzen des Bundestages und die Gültigkeit seiner Akte zu gewährleisten.4 Die verfassungsgerichtliche Prüfung von Bundeswehreinsätzen im Innern bleibt damit vor allem Rechtsbehelfen von Betroffenen vorbehalten.5 Eine umfassende verfassungsgerichtliche Überprüfung, die vom Deutschen Bundestag oder einer in Prozessstandschaft für diesen auftretenden Fraktion angestoßen wird, dürfte mit den vorstehenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich sein.6 1 BVerfG, Beschluss v. 4.5.2010 – 2 BvE 5/07 -, juris. 2 Vgl. Ladiges, Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, NVwZ 2010, 1075. 3 BVerfG, Beschluss v. 4.5.2010 – 2 BvE 5/07 -, juris, Rn. 59. 4 BVerfG, Beschluss v. 4.5.2010 – 2 BvE 5/07 -, juris, Rn. 45. 5 Ladiges, Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, NVwZ 2010, 1075 [1076]. 6 Kritisch zu dieser Rechtslage: Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Gefahrenabwehrrecht zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren, Nr.: 78/2016 von Nov. 2016, abrufbar unter: https://anwaltverein .de/de/newsroom?newscategories=&category=&startDate=01.11.2016&endDate=30.11.2016&search- Keywords= (Stand: 12.04.2017). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 086/17 Seite 4 3. Allgemeine Literatur zum Streitkräfteeinsatz im Innern und zum wehrverfassungsrechtlichen Organstreit 3.1. Meermagen, Die Rechtsstellung des Deutschen Bundestages im wehrverfassungsrechtlichen Organstreit unter besonderer Berücksichtigung von Inlandsverwendungen der Streitkräfte, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. - Bd. 2, Emmenegger [Hrsg.] 2011. Der Beitrag bildet sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum wehrverfassungsrechtlichen Organstreit als auch zu Inlandseinsätzen der Bundeswehr ab. Die verschiedenen Entscheidungen zu dieser Thematik werden dargestellt und erläutert. (Auszug S. 471 bis 492) Anlage 1 3.2. Ladiges, Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, NVwZ 2010, 1075 ff. Der Aufsatz befasst sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.20107 und geht vertiefend auf den Parlamentsvorbehalt bei Sekundäreinsätzen als auch auf die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des Art. 87a Abs. 2 GG ein. Anlage 2 4. Literaturempfehlungen zu Literaturstimmen, die eine Zustimmung des Bundestages für Bundeswehreinsätze im Innern befürworten Vorab ist anzumerken, dass die meisten Literaturstimmen, die einen Parlamentsvorbehalt bei einem Streitkräfteeinsatz im Innern befürworten, aus der Zeit vor der aufgezeigten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stammen. 4.1. Schneider, Die Mitwirkungsrechte des Bundestages bei Inlandsverwendungen der Streitkräfte – Der Parlamentsvorbehalt: Vorgaben de constitutione lata und Gestaltungsoptionen de constitutione ferenda, in: Weingärtner [Hrsg.], Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 1. Aufl. 2010, S. 159 - 169. Der Autor spricht sich für einen einsatzabhängigen Parlamentsvorbehalt aus, der sich insbesondere aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Lissabon-Urteil ergebe. Im Rahmen des derzeit geltenden Verfassungsrechts sei daher bei Einsätzen nach Art. 87a Abs. 3 u. 4 GG ein Parlamentsvorbehalt denkbar, da bewaffnete Einsätze im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die individuellen Rechtsgüter der Soldatinnen und Soldaten sowie anderer Betroffener wesentlich seien und die Gefahr tiefgreifender Verwicklungen in sich bergen würden. Der Autor spricht sich daneben dafür aus, bei Einsätzen nach Art. 35 GG und Art. 87a GG einen konstitutiven Parlamentsvorbehalt mittels einer Verfassungsänderung in das GG aufzunehmen. 7 BVerfG, Beschl. v. 04.05.2010 – 2 BvE 5/07 –, juris. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 086/17 Seite 5 Er sieht den verfassungsändernden Gesetzgeber hierzu aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Lissabon-Urteil angehalten. Anlage 3 4.2. Esklony, Das Recht des inneren Notstands. Verfassungsrechtliche Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung der tatbestandlichen Voraussetzungen von Notstandsmaßnahmen und ihrer parlamentarischen Kontrolle, Diss. 2000. Der Autor spricht sich für die Aufnahme eines Parlamentsvorbehalts in das GG aus. Gestützt wird diese Annahme auf einen Erst-recht-Schluss. Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Innern richte sich gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung und könne daher nicht schlechter behandelt werden als ein Einsatz im Ausland. Daneben spreche auch die Wesentlichkeitstheorie für einen Parlamentsvorbehalt , da ein Streitkräfteeinsatz erheblich in die Grundrechte der Bürger eingreifen könne. (Auszug S. 229 bis 235) Anlage 4 4.3. Lutze, Der Parlamentsvorbehalt beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte, DÖV 2003, 972 ff. Der Aufsatz vergleicht die Rechtsprechung zum Streitkräfteeinsatz im Ausland mit vergleichbaren Konstellationen im Inland und gelangt zu einer Zustimmungspflicht des Bundestages bei bewaffneten Einsätzen. Bei seiner Auslegung der Verfassung zur Herleitung des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen ziehe das Bundesverfassungsgericht Vorschriften heran, die sich auf die Bundeswehr im Ganzen bezögen, und nicht zwischen einem Einsatz im Inland oder Ausland unterscheiden würden. Der entgegenstehende Verfassungswortlaut in Art. 87a Abs. 4 S. 2 GG sei durch die Rechtsprechung zu den Auslandseinsätzen eingeebnet. Anlage 5 4.4. Dreist, AWACS-Einsatz ohne Parlamentsbeschluss? – Aktuelle Fragestellungen zur Zulässigkeit von Einsätzen bewaffneter Streitkräfte unter besonderer Berücksichtigung der NATO-AWACS Einsätze in den USA 2001 und in der Türkei 2003, ZaöRV 2004, 1001 ff. Der Autor leitet aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Auslandseinsätzen einen allgemeinen parlamentarischen Zustimmungsvorbehalt für den bewaffneten Einsatz von Streitkräften ab. Begründet wird dies insbesondere damit, dass der konstitutive Parlamentsvorbehalt auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten ist. Anlage 6 4.5. Kokott, in Sachs, Grundgesetz Kommentar 5. Aufl. 2009, Art. 87a GG Rn. 59 f. Die Autorin befürwortet noch in der 5. Aufl. eine Erstreckung des Parlamentsvorbehalts auf den inneren Notstand. Begründet wird dies damit, dass alle wesentlichen Entscheidungen vom Parlament zu treffen seien. Daneben spreche auch der für Auslandseinsätze vorgesehene Parlamentsvorbehalt für diesen Ansatz. In der akt. 7. Auflage nimmt die Autorin in Rn. 67 die ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf und beschränkt die Ausführungen auf die kritische Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 086/17 Seite 6 Anmerkung, dass die in Art 87a Abs. 4 S. 2 GG vorgesehenen Befugnisse von Bundestag und Bundesrat keinen hinreichenden Ausgleich für einen Parlamentsvorbehalt beinhalten. Anlage 7 5. Literatur zum Organstreitverfahren 5.1. Barczak/Görisch, Das Organstreitverfahren als objektives Rechtsschutzverfahren, DVBl 2011, 332 ff. Der Aufsatz ordnet das Organstreitverfahren als objektives Beanstandungsverfahren ein. Entgegen der oben aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bilde die gesamte Verfassung den Prüfungsmaßstab für die Begründetheitsprüfung. Das Bundesverfassungsgericht sei daher verpflichtet, bei bestehender Antragsbefugnis über sämtliche verfassungsrechtlichen Fragen zu entscheiden. Gestützt wird diese Auffassung auf den Wortlaut des § 64 BVerfGG, eine systematische Betrachtung der einschlägigen Regelungen sowie auf die in anderen Verfahren ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Anlage 8 6. Pressestimmen Pressestimmen, die sich vertieft mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinandersetzen und hierzu eine abweichende Haltung einnehmen, lassen sich, soweit ersichtlich, nicht finden. Die meisten Artikel zu diesem Thema beschränken sich auf eine Wiedergabe der Entscheidungsgründe und allenfalls kurze kritische Bemerkungen. Eine Auswahl von Medienberichten wird als Anlage 9 beigefügt. ***