© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 086/16 Weitere Verlagerung von ministeriellen Arbeitsplätzen nach Berlin Anmerkungen zum Gutachten „Strukturelle und aktuelle Probleme des Berlin/Bonn-Gesetzes“ Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 086/16 Seite 2 Weitere Verlagerung von ministeriellen Arbeitsplätzen nach Berlin Anmerkungen zum Gutachten „Strukturelle und aktuelle Probleme des Berlin/Bonn-Gesetzes“ Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 086/16 Abschluss der Arbeit: 31.03.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 086/16 Seite 3 1. Einleitung Die Regelung in § 4 Abs. 1 S. 1 Berlin/Bonn-Gesetz (BBG) sieht vor, dass sich die Bundesministerien in der Bundeshauptstadt Berlin und in der Bundesstadt Bonn befinden. Die zur Umsetzung erforderlichen Organisationsentscheidungen obliegen im Hinblick auf den Sitz der jeweiligen Ministerien in Berlin oder Bonn dem Bundeskanzler (§ 4 Abs. 1 S. 2 BBG) und im Hinblick auf die Ausgestaltung eines weiteren Dienstsitzes in Berlin oder Bonn den zuständigen Bundesministern (§ 4 Abs. 2 und 3 BBG). Nach § 4 Abs. 4 BBG sollen diese Organisationsentscheidungen so ausgestaltet sein, dass „insgesamt der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleibt“. Vor dem Hintergrund der weiteren Verlagerung von ministeriellen Arbeitsplätzen nach Berlin hat Professor Heintzen im Jahr 2012 in seinem Gutachten „Strukturelle und aktuelle Probleme des Berlin/Bonn-Gesetzes“1 u.a. untersucht, welche rechtlichen Vorgaben aus der Verteilungsbestimmung in § 4 Abs. 4 BBG folgen und wer für ihre Beachtung verantwortlich ist.2 Es wird darum gebeten, die insoweit wesentlichen Ergebnisse kurz zusammenzufassen und zu bewerten. 2. Verteilung der ministeriellen Arbeitsplätze zwischen Berlin und Bonn Ausgangspunkt der Untersuchung ist der tatsächliche Befund von Heintzen, dass sich seit dem Jahr 2000 der Anteil der Bundesstadt Bonn an der Gesamtzahl der Arbeitsplätze in den Bundesministerien von 60,8 % auf 45,24% im Jahr 2011 reduziert habe.3 2.1. Rechtliche Vorgaben aus § 4 Abs. 4 BBG Heintzen bejaht die Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 4 BBG4 und geht der Frage nach, welche konkreten rechtlichen Vorgaben aus § 4 Abs. 4 BBG folgen. Die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 4 Abs. 4 BBG richtet Heintzen dabei zu Recht an den in § 1 Abs. 2 BBG verankerten Maßgaben aus, u.a. der Ansiedlung des Kernbereichs der Regierungsfunktionen in Berlin (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BBG) und der Sicherstellung einer dauerhaften und fairen Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BBG). Zu den „Arbeitsplätzen der Bundesministerien“ im Sinne des § 4 Abs. 4 BBG gehörten die jeweils aktuelle Zahl von Arbeitsplätzen in den jeweils vorhandenen Bundesministerien und im Bundeskanzleramt. Überzeugend stellt Heintzen klar, dass die Vorschrift des § 4 Abs. 4 BBG nicht vor Organisationsentscheidungen schütze, die die Gesamtzahl der Ministerialarbeitsplätze reduziere. Die Verteilungsvorschrift beziehe sich vielmehr auf die sich ändernde Gesamtzahl der ministeriellen Arbeitsplätze. Der „größte Teil“ der Ministerialarbeitsplätze bliebe aber nur dann im Sinne des § 4 Abs. 4 BBG in Bonn erhalten, wenn zugunsten Bonns 1 Heintzen, Strukturelle und aktuelle Probleme des Berlin/Bonn-Gesetzes (2012), abrufbar unter: http://www.bonn.de/service/suche/index.html?first=false&lang=de&search_text=Heintzen&suche_abschicken .x=3&suche_abschicken.y=9. 2 Heintzen (Fn. 1), 4, 24. 3 Heintzen (Fn. 1), 2 mit Hinweis auf den Teilungskostenbericht der Bundesregierung für das Jahr 2011. Dass dieser Trend zugunsten von Berlin weiterhin besteht, belegen die aktuellen Zahlen der Bundesregierung, vgl. BT- Drs. 18/7274, 9 f. 4 Vgl. dazu Heintzen (Fn. 1), 16 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 086/16 Seite 4 die Untergrenze von knapp mehr als 50% eingehalten werde.5 Dieser Auslegung ist zuzustimmen. In Bezug auf die Auslegung des Merkmals „soll“ in § 4 Abs. 4 BBG lehnt Heintzen eine schlichte, an die Ermessenslehre des Verwaltungsrechts angelehnte Auslegung im Sinne von Regel- und Ausnahmefall ab. Die besondere Ausgestaltung des § 4 Abs. 4 BBG sowie die Zweckbestimmungen in § 1 BBG würden vielmehr dafür sprechen, dass sich der Organisationsspielraum des Merkmals „soll“ auf die Arbeitsplatzverteilung oberhalb der Untergrenze von knapp mehr als 50% beziehe. Nur so sei die in § 4 Abs. 4 BBG vorgesehene „Insgesamtbetrachtung“ realistisch umsetzbar und nur so bliebe die Normqualität des § 4 Abs. 4 BBG überhaupt erhalten.6 Eine Unterschreitung der Untergrenze von knapp mehr als 50% in Bonn angesiedelter Ministerialarbeitsplätze verstoße daher gegen § 4 Abs. 4 BBG: „Seit etwa vier Jahren entspricht die Realität der Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn dieser gesetzlichen Vorgabe in § 4 Abs. 4 Berlin/Bonn-Gesetz nicht mehr. Das ist objektiv rechtswidrig (…).“7 Aber auch wenn man das „Sollen“ in § 4 Abs. 4 BBG so auslege , dass Ausnahmen von der grundsätzlichen Pflicht zur Einhaltung der Untergrenze von knapp mehr als 50% der in Bonn angesiedelten Arbeitsplätze zulässig seien, würde die „derzeitige Abweichung und ihre scheinbare Unumkehrbarkeit einen solchen Toleranzspielraum“ überschreiten .8 Diese Argumentation lässt sich noch wie folgt ergänzen: Vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Organisationsspielräume oberhalb der Untergrenze und der bisherigen Praxis der Arbeitsplatzverteilung zwischen Berlin und Bonn ist nicht ersichtlich, dass zwingende Gründe für einen Ausnahmefall geltend gemacht werden könnten, die keine anderen Organisationsentscheidungen zuließen, als zulasten Bonns.9 Der Einschätzung von Heintzen zur Nichtbeachtung der Vorgaben aus § 4 Abs. 4 BBG ist daher zuzustimmen. 2.2. Verantwortung für die Beachtung der rechtlichen Vorgaben aus § 4 Abs. 4 BBG Verantwortlich für die Nichtbeachtung der Vorgaben aus § 4 Abs. 4 BBG seien Bundeskanzler und Bundesminister. Heintzen leitet ihre Verantwortung zutreffend aus den Zuständigkeitsregelungen in § 4 Abs. 1 – 3 BBG ab. Während die Bundesminister entsprechend ihrer Ressortkompetenz diejenigen Teile ihrer Ministerien bestimmten, die in Bonn und Berlin als ersten und zweiten Dienstsitz ansässig seien, obliege es der Grundsatzentscheidung des Bundeskanzlers, über den ersten Dienstsitz der Ministerien zu entscheiden. Zur Grundsatzentscheidung des Bundeskanzlers gehöre es auch, „die Entscheidungen der einzelnen Bundesminister so aufeinander abzustimmen, dass ‚insgesamt‘ § 4 BBG eingehalten“ werde.10 Ende der Bearbeitung 5 Heintzen (Fn. 1), 5 ff. 6 Heintzen (Fn. 1), 9 ff. 7 Heintzen (Fn. 1), 36 (Hervorhebung nicht im Original). 8 Heintzen (Fn. 1), 26 (Hervorhebung nicht im Original). So auch Stumpf, Aktuelle Rechtsfragen zum Berlin /Bonn-Gesetz – Wie änderungsfest ist der „doppelte Regierungssitz“?, NWVBl. 2014, 166, 172. 9 Zur Bewältigung der mit den doppelten Dienstsitzen verbundenen organisatorischen Anforderungen vgl. Busse, Hauptstadt Berlin und Bundesstadt Bonn: Modell oder Provisorium?, DÖV 2006, 631, 634 ff. 10 Heintzen (Fn. 1), 24 f.