© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 085/18 Anforderung ausländischer Akten durch einen Untersuchungsausschuss Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 085/18 Seite 2 Anforderung ausländischer Akten durch einen Untersuchungsausschuss Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 085/18 Abschluss der Arbeit: 20. März 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 085/18 Seite 3 1. Fragestellung Die für einen Untersuchungsausschuss als Beweismittel relevanten Akten können sich unter Umständen im Besitz einer öffentlichen oder privaten Stelle im Ausland befinden. Es stellt sich die Frage, ob ein Untersuchungsausschuss einen Beweisbeschluss fassen kann, der auf die Herausgabe solcher ausländischen Akten abzielt. Bejahendenfalls stellt sich die Frage, ob ein solcher Beweisbeschluss durchsetzbar ist. 2. Keine spezielle Rechtsgrundlage im PUAG Das „Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschussgesetz – PUAG)“ regelt insbesondere in den §§ 17 bis 31 die Beweiserhebung . § 18 „Vorlage von Beweismitteln“ PUAG verpflichtet lediglich Stellen des Bundes, dem Untersuchungsausschuss „Akten, die den Untersuchungsgegenstand betreffen, vorzulegen“. Die Vorschrift betrifft auch Akten, die eine Stelle des Bundes im Ausland verwahrt, z. B. eine deutsche Botschaft. Öffentliche Stellen anderer Staaten verpflichtet die Vorschrift jedoch nicht. § 29 PUAG konstituiert eine „Herausgabepflicht“ für private natürliche und juristische Personen. Erfasst sind jedoch nur Personen, die der deutschen Gebiets- oder Personalhoheit unterfallen. Dies sind alle Personen, die sich in Deutschland aufhalten, sowie deutsche Staatsbürger, die sich im Ausland aufhalten.1 3. Entsprechende Anwendung des Strafverfahrensrechts Nach Art. 44 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) finden „auf Beweiserhebungen […] die Vorschriften über den Strafprozess sinngemäß Anwendung.“ Hierzu gehört auch die internationale Zusammenarbeit mit anderen Staaten in Strafsachen (internationale Rechtshilfe). Ein Untersuchungsausschuss kann sich daher „analog den Kompetenzen der Staatsanwaltschaft um die Beschaffung von Beweismitteln im Ausland bemühen […]; deutsche Stellen haben hierbei ggf. nach Art. 44 Abs. 3 GG Amtshilfe zu leisten.“2 Die internationale Rechtshilfe „wird durch eine Vielzahl bi- und multilateraler Abkommen geregelt . Zu den bedeutendsten Regelungen im Bereich der strafrechtlichen Rechtshilfe gehören das Europäische Auslieferungsübereinkommen und das Europäische Rechtshilfeübereinkommen . Im vertragslosen Bereich richtet sich die Rechtshilfe in Strafsachen nach den allgemeinen Bestimmungen des IRG [Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen].“3 Je nach Sachverhalt und betroffenem Land finden andere Regelungswerke Anwendung. 1 Waldhoff/Gärditz, PUAG, 2015, § 20 Rn. 9. 2 Waldhoff/Gärditz, PUAG, 2015, Vorbemerkung E, Rn. 11, unter Verweis auf die Zeugenvorschriften; auch die sonstige Kommentierung behandelt ausländische Beweismittel ausschließlich in Bezug auf Zeugen: Glauben/ Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern, 2016, S. 706, Sachregister „Auslandszeugen“. 3 El-Ghazi, in: BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra, 29. Edition, Stand: 01.01.2018, § 156 GVG, Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 085/18 Seite 4 Internationale Abkommen über Rechtshilfe sind grundsätzlich bindend und damit theoretisch durchsetzbar. Allerdings erlauben sie es, die Anwendbarkeit unter unterschiedliche Vorbehalte zu stellen. Z. B. erlaubt es Art. 5 des „Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen“ den Mitgliedstaaten, unter anderem folgende Vorbehalte zu erklären: „Die dem Rechtshilfeersuchen zugrunde liegende strafbare Handlung muss sowohl nach dem Recht des ersuchenden Staates als auch nach dem des ersuchten Staates strafbar sein. […]. Die Erledigung des Rechtshilfeersuchens muss mit dem Recht des ersuchten Staates vereinbar sein.“4 Ferner kann „Rechtshilfe kann verweigert werden: a. wenn sich das Ersuchen auf strafbare Handlungen bezieht, die vom ersuchten Staat als politische, als mit solchen zusammenhängende oder als fiskalische strafbare Handlungen angesehen werden; b. wenn der ersuchte Staat der Ansicht ist, dass die Erledigung des Ersuchens geeignet ist, die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung (ordre public) oder andere wesentliche Interessen seines Landes zu beeinträchtigen.“5 Ein ersuchter ausländischer Staat könnte daher Rechtshilfe verweigern und argumentieren, – dass ein deutscher Untersuchungsausschuss (im konkreten Fall) keine Straftat untersucht, – dass der ersuchte Staat kein dem deutschen Untersuchungsausschuss entsprechendes parlamentarisches Verfahren kennt, – dass ein Untersuchungsausschuss per definitionem politische „Straftaten“ untersucht, – oder dass die Rechtshilfe „andere wesentliche Interessen“ beeinträchtigt. Im Übrigen ist internationale Rechtshilfe eher als langwieriges und – abhängig vom ersuchten Staat – oft ergebnisloses Verfahren bekannt.6 Insgesamt dürfte es daher auch vom Wohlwollen des betreffenden Staates abhängen, ob er den per internationaler Rechtshilfe übermittelten Beweisbeschluss eines Untersuchungsausschusses umsetzt. 4 Deutsche Übersetzung: https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/rms/09000016800656f9 (Hervorhebung durch Autor). 5 Art. 2 des Europäischen Übereinkommens (Hervorhebung durch Autor). 6 Siehe nur für den Bereich der internationalen Rechtshilfe in Korruptionsverfahren: Transparency International Deutschland (Arbeitsgruppe Strafverfolgung), Strafverfolgung bei Auslandsbestechung, Juni 2012, S. 4: „Rechtshilfeersuchen (teilweise auch in europäischen Staaten) langwierig, aufwendig, nicht nachvollziehbaren Bedingungen unterworfen, schlechte Qualität der Erledigung, Erledigungsdauer mehrere Jahre […]; Anregungen gemäß Rechtshilfeersuchen wurde nur teilweise nachgekommen, erbetene Ermittlungen/Durchsuchungen wurden nicht durchgeführt“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 085/18 Seite 5 4. Internationale Amtshilfe Nach Art. 44 Abs. 3 GG sind „Gerichte und Verwaltungsbehörden […] zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet.“ Dies bezieht sich auf Gerichte und Verwaltungsbehörden von Bund und Ländern, nicht aber auf ausländische Stellen.7 Allerdings können die Behörden des Bundes ihrerseits ausländische Behörden um internationale Amtshilfe bitten: „Bei Fehlen völkerrechtlicher Vereinbarungen (zur Rechts- und Amtshilfe in Zivil- und Strafsachen gegenüber dem Ausland […] richten sich Amtshilferechte und -pflichten nach den Grundsätzen völkerrechtlicher Höflichkeit […]. Soweit eine Behörde (zulässige) Ermittlungen im Ausland für notwendig hält, sind Amtshilfeersuchen in der Regel über die vorgesetzten Behörden auf diplomatischem oder konsularischem Wege zu veranlassen […].“8 5. Praxisbeispiele Ein Praxisbeispiel für einen Beweisbeschluss, der auf eine formale Beiziehung von Akten und damit eher auf Rechtshilfe abzielt, ist z. B. der folgende aus dem „BND-Untersuchungsausschuss“: „Es wird Beweis erhoben zum Untersuchungsauftrag […] durch Beiziehung einer vollständigen Auflistung aller Inhaftierten auf dem US-Stützpunkt Guantánamo Bay mit Angabe der Nationalität und des Beginns der Inhaftierung bei dem Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten von Amerika.“9 Der veröffentlichten Fassung des Abschlussberichts des Ausschusses lässt sich entnehmen, dass die Regierung der Vereinigten Staaten dem Ausschuss keine Akten zur Verfügung gestellt hat. Aus dem Abschlussbericht lässt sich jedoch nur schließen, dass der Ausschuss den Beweisbeschluss gefasst hat, nicht aber, ob er ihn im Hinblick auf die wohl mangelnden Erfolgsaussichten hat überhaupt zustellen lassen. Ein Praxisbeispiel für internationale Amtshilfe ist aus dem „NSA-Untersuchungsausschuss“ der folgende Beweisbeschluss: „Es wird Beweis erhoben zum gesamten Untersuchungsauftrag, indem die australische Regierung auf diplomatischem Wege höflichst ersucht wird, Akten, Dokumente, in Dateien oder auf andere Weise gespeicherte Daten und sonstige sächliche Beweismittel zum gesamten Untersuchungsauftrag zu übersenden […].“10 7 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 81. EL September 2017, Art. 44 GG, Rn. 223. 8 Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 4, Rn. 124. 9 A-Drs. 50, BT-Drs. 16/13400, S. 984. 10 Beweisbeschluss AUS-2, BT-Drs. 18/12850, S. 1751. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 085/18 Seite 6 Soweit sich dies der veröffentlichten Fassung des Abschlussberichts des Ausschusses entnehmen lässt, hat die australische Regierung dem Ausschuss keine Akten übersandt. Ferner hat die Regierung des Vereinigten Königreichs „eine Zustimmung zur Vorlage sächlicher Beweismittel an den Ausschuss durchgehend verweigert.“ Die Begründung – im Wesentlichen Geheimhaltungsbedürfnisse – finden sich im Abschlussbericht.11 Ähnliches gilt neben Australien und dem Vereinigten Königreich hinsichtlich Zeugen für Kanada, Neuseeland und die Vereinigten Staaten.12 Ein Praxisbeispiel, bei dem eine ausländische öffentliche Stelle einem deutschen Untersuchungsausschuss Akten unmittelbar, also ohne den „Umweg“ über eine Amtshilfe von Bundesbehörden, zur Verfügung gestellt hat, ist der „BND-Untersuchungsausschuss“. Der im Auftrag des Ausschusses tätige Ermittlungsbeauftragte erwirkte im unmittelbaren Kontakt, dass die Staatsanwaltschaft Mailand ihm (und dem Ausschuss) eine Kopie ihrer Ermittlungsakten übermittelte zu der Entführung eines muslimischen Geistlichen in Mailand durch Agenten eines US-Geheimdienstes.13 *** 11 BT-Drs. 18/12850, S. 103. 12 BT-Drs. 18/12850, S. 1269: „Die genannten Staaten weigerten sich ausnahmslos, die Ausschussarbeit durch die Entsendung von Zeugen bzw. die Erteilung von Aussagegenehmigungen zu unterstützen.“ 13 Deutscher Bundestag, Der Ermittlungsbeauftragte beim 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode, Abschlussbericht und Vorschlag, Fassung offen, 2008, S. 124, http://dip21.bundestag .btg/dip21/btd/16/CD13400/Dokumente/Dokument-Nr.%20045.pdf.