Deutscher Bundestag Bundesgesetzliche Regelung der Finanzierung von Frauenhäusern Auswertung des Berichts der Bundesregierung (BT-Drs. 17/10500) und der Sachverständigenanhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 10. Dezember 2012 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2014 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 – 084/14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 2 Bundesgesetzliche Regelung der Finanzierung von Frauenhäusern Auswertung des Berichts der Bundesregierung (BT-Drs. 17/10500) und der Sachverständigenanhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 10. Dezember 2012 Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 084/14 Abschluss der Arbeit: 22. Mai 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung 4 1. Einleitung 5 2. Gesetzgebungskompetenz 6 2.1. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge 6 2.1.1. Kompetenztitel gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG 6 2.1.2. Erforderlichkeit gemäß Art. 72 Abs. 2 GG 7 2.2. Annexkompetenz zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG 10 3. Verwaltungs- und Finanzierungskompetenz des Bundes 11 3.1. Verwaltungskompetenz 11 3.1.1. Grundregel: Länderkompetenz 11 3.1.2. Bundeseigene Verwaltung gemäß Art. 87 Abs. 3 GG 11 3.2. Finanzierungskompetenz 13 3.2.1. Konnexitätsprinzip gemäß Art. 104a Abs.1 GG 13 3.2.2. Geldleistungsgesetz gemäß Art. 104a Abs. 3 und Abs. 4 GG 13 3.2.3. Finanzhilfen gemäß Art. 104b GG 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 4 Zusammenfassung Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung der Finanzierung von Frauenhäusern lassen sich dem Bericht der Bundesregierung (BT-Drs. 17/10500) und der Sachverständigenanhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 10. Dezember 2012 im Wesentlichen die folgenden Positionen entnehmen: Nach einhelliger Auffassung wären bundesgesetzliche Regelungen zur Unterbringung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt einschließlich der Bestimmungen zur Finanzierung dieser Maßnahmen von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) gedeckt. Zur Frage der Erforderlichkeit nach Art. 72 Abs. 2 GG einer solchen Regelung existieren unterschiedliche Sichtweisen. Dabei ist zu differenzieren zwischen einer Befürwortung nur punktueller Änderungen oder Ergänzungen bereits bestehender Bundesgesetze und der bundesgesetzlichen Regelung eines umfassenden Gesamtkonzepts zur Hilfe und Unterstützung im Frauenhaus und ergänzender Angebote. Während die Bundesregierung und einzelne Sachverständige nur erstere Regelungen für zulässig erachten, ein bundesgesetzlich geregeltes umfassendes Konzept dagegen nach der derzeitigen Sachlage für nicht für erforderlich im Sinne von Art. 72 Abs. 2 GG, wird letzeres vom überwiegenden Teil der Sachverständigen bejaht. Die Bundesregierung bewertet die Idee der Durchführung eines umfassenden bundesgesetzlichen Konzepts für die Frauenhausversorgung bzw. der Versorgung mit weiteren Unterstützungsangeboten mittels bundeseigener Verwaltung gemäß Art. 87 Abs. 3 GG als eher theoretische Option. Vereinzelt wird diese Einschätzung von den Sachverständigen der Anhörung geteilt, der Großteil hält aber die Einrichtung einer Bundestiftung für eine verfassungskonforme Lösung im Sinne von Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG. Sofern die Sachverständigen die Verwaltungszuständigkeit des Bundes nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG bejahen, wird teilweise ausdrücklich festgestellt, dass der Bund etwa bei Gründung einer Stiftung auch die Finanzierungskompetenz nach Art. 104a Abs. 1 GG nach dem Grundsatz besitze, dass die Aufgabenverantwortung (für das Recht der Fürsorge und die Erfüllung des grundrechtlichen Schutzauftrags) auch die Ausgabenverantwortung nach sich ziehe. Hinsichtlich einer Finanzierungskompetenz über Art. 104a Abs. 3 und 4 GG (Geldleistungsgesetz) äußert die Bundesregierung Zweifel, ob zu Geldleistungen im Sinne der Bestimmungen auch Geldzahlungen an „Leistungserbringer “, etwa Träger von Frauenhäusern oder anderen Angeboten, gehörten. Weiter weist sie – ebenso wie vereinzelt Sachverständige – kritisch auf das faktische Vetorecht des Bundesrates gemäß Art. 104a Abs. 4 GG hin. Von der Bundesregierung und aus dem Kreis der Sachverständigen wird zudem die Möglichkeit von Finanzhilfen des Bundes gemäß Art. 104b GG angesprochen, deren verfassungsrechtliche Voraussetzungen im Bereich der Frauenhausfinanzierung aber im Ergebnis als nicht gegeben betrachtet werden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 5 1. Einleitung Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Finanzierungsregelungen in den Ländern und nicht zuletzt wegen der schwierigen Finanzsituation in Ländern und Kommunen stellt sich auch aktuell die Frage nach einer bundesgesetzlichen Regelung zur Finanzierung von Frauenhäusern.1 Bei der Thematik „Finanzierung von Frauenhäusern“ geht es im Wesentlichen um zwei Komplexe, nämlich die Subjekt- oder individuelle Förderung und die Objekt- oder institutionelle Förderung:2 Erstere betrifft individuelle Ansprüche auf Hilfe und Unterstützung nach dem Sozialrecht. Hier gibt es derzeit kein eigenes Bundes- oder Landesgesetz, das betroffenen Frauen individuelle Ansprüche auf Gewährung von Schutz und Unterstützung in Frauenhäusern garantiert. Es werden vielmehr die bestehenden sozialgesetzlichen Regelungen, die nicht speziell auf die Situation der von Gewalt betroffenen Frauen zugeschnitten sind, angewandt, was in bestimmten Fallkonstellationen nur mit größerem Argumentationsaufwand möglich ist. Mit der Subjektförderung ist auch die Tagessatzfinanzierung verknüpft. Abhängig von der Anzahl der Frauen, die das Frauenhaus an konkret zu benennenden Tagen aufsuchen, wird das Frauenhaus durch „Tagessätze“ finanziert („Pro-Kopf-Gelder“). Die Kosten für die Unterkunft der Frauen werden den Frauen nach SGB II nicht selbst ausgezahlt, sondern fließen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung unmittelbar an die Frauenhäuser. Bei der Objektförderung setzt die Finanzierung unmittelbar und nicht über den „Umweg“ der Tagessatzleistung bei den Frauenhäusern durch institutionelle bzw. Projektförderung an. Zur verfassungsrechtlichen Lage der Frauenhausfinanzierung durch den Bund hat der Fachbereich WD 3 bereits drei Gutachten erstellt: , Zur Möglichkeit der Finanzierung von Frauenhäusern durch den Bund, WD 3 - 060/08 vom 14. Februar 2008 bzw. WD 3 - 433/08 vom 20. November 2008 sowie zuletzt aktualisiert durch , Finanzierung von Frauenhäusern durch den Bund, WD 3 - 227/12 vom 8. August 2012. Diese Darstellungen beziehen allerdings noch nicht den Bericht der Bundesregierung zur Lage der Frauenhäuser und der darüber hinausgehenden Hilfeinfrastruktur für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder vom 16. August 20123 und das Ergebnis der hierzu erfolgten öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages vom 10. Dezember 20124 ein. Nachfolgend werden die neueren Erkenntnisse zur verfassungsrechtlichen Bewertung einer bundesgesetzlichen Regelung der Finanzierung von Frauenhäusern, die sich aus dem Bericht der 1 Vgl. auch schon den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Die Situation von Frauenhäusern verbessern, BT-Drs. 16/12992, der eine entsprechende Aufforderung an die Bundesregierung zur rechtlichen Prüfung einer bundesgesetzlichen bzw. bundesweit einheitlichen Finanzierung von Frauenhäusern enthält (S. 3). 2 Siehe zu den nachfolgenden Ausführungen zur Subjekt- und Objektförderung: Unterrichtung durch die Bundesregierung , Bericht zur Situation der Frauenhäuser, der Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder, BT-Drs. 17/10500, S. 209 f. 3 BT-Drs. 17/10500. 4 Siehe u.a. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Prot. Nr. 17/82. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 6 Bundesregierung sowie den schriftlichen5 und mündlichen Stellungnahmen der Sachverständigen zu der öffentlichen Anhörung vom Dezember 2012 ergeben, dargestellt. 2. Gesetzgebungskompetenz 2.1. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge 2.1.1. Kompetenztitel gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG Regelungen zur Finanzierung von Frauenhäusern durch den Bund setzen zunächst eine entsprechende bundesgesetzliche Regelung voraus. Als Kompetenztitel kommt die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) in Betracht. Diesem unterfallen allgemein Regelungen zur Unterstützung Hilfsbedürftiger – vor allem in wirtschaftlichen Notlagen – durch die öffentliche Hand. Aus dem Sozialstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 GG folgt aber eine weite Auslegung. Erfasst sind danach auch neue Lebenssachverhalte, wenn sie den Strukturelementen des Bildes der „klassischen Fürsorge“ entsprechen. Fürsorge kann danach u. a. durch finanzielle Zuwendungen – auch für den Bereich von Heimen und Anstalten – erfolgen und betrifft ebenfalls die Hilfe für Opfer von Gewalttaten.6 Folglich werden nach einhelliger Auffassung bundesgesetzliche Regelungen zur Unterbringung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt einschließlich der Bestimmungen zur Finanzierung dieser Maßnahmen als von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gedeckt betrachtet.7 Prinzipiell ergibt sich auch aus dem Bericht der Bundesregierung8 und der Sachverständigenanhörung von 2012 keine andere verfassungsrechtliche Bewertung des Sachverhalts. Mitunter wird betont, dass die Kompetenz des Bundes gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG so weitreichend zu verstehen ist, dass die Regelungsmaterie den Bund inhaltlich zum Erlass von Bestimmungen für Hilfebedürftige im weitesten Sinne ermächtige, was die zusammenhängende Regelung aller die Frauen betreffende Bedarfe umfasse,9 und die Festschreibung der Objektfinanzierung durch den Bund einschließe.10 Zum Teil erfolgt einschränkend auch der Hinweis, dass zwar Kostenregelungen von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG mit gedeckt seien, aber dies nicht zu einer Umgehung der finanzverfas- 5 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, A-Drs. 17(13) 227 a bis k. 6 Degenhart, in: Sachs, GG, Kommentar, 5. Aufl., 2009, Art. 74 Rn. 35. 7 Siehe auch schon , WD 3- 060/08, S. 7 und , WD 3-433/08, S. 3. 8 BT-Drs. 17/10500, S. 243 f. 9 So schon Schuler-Harms/Wieland, Der Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder, vom 4. Juni 2012, abzurufen unter: http://www.der-paritaetische.de/uploads/tx_pdforder/rechtsgut achten-frauen_web.pdf, bestätigend: Schuler/Harms, A-Drs. 17(13)227i, S. 2. 10 Schuler/Harms, A-Drs. 17(13)227i, S. 3 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 7 sungsrechtlichen Vorgaben führen dürfe. Die Umsetzung solcher Regelungen sei an die Finanzverfassung gebunden.11 2.1.2. Erforderlichkeit gemäß Art. 72 Abs. 2 GG Eine zentrale Streitfrage in der Diskussion um eine gesetzliche Regelung der finanziellen Förderung von Frauenhäusern durch den Bund ist die für eine Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG in Art. 72 Abs. 2 GG verankerte Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung.12 Dabei geht es im Kern darum, ob Art. 72 Abs. 2 GG in den Varianten einschlägig ist, dass eine solche Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse bzw. zur Wahrung der Rechteinheit im Bundesgebiet erforderlich ist. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Bundesgesetzgeber insoweit nur regelungsbefugt, „wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblichen, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.“13 Für die Bewertung dieser Voraussetzungen wird eine sorgfältige Ermittlung von Tatsachenmaterial für notwendig erachtet. Erst wenn es fundierte Einschätzungen der gegenwärtigen und künftigen Situation gebe, dürfte der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machen.14 Die Erforderlichkeit zur Wahrung der Rechtseinheit im Bundesgebiet ist zu bejahen, wenn „erhebliche Rechtsunsicherheiten und damit unzumutbare Behinderungen für den länderübergreifenden Rechtsverkehr“ erzeugt werden.15 Zur Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zur Frauenhausfinanzierung existieren unterschiedliche Sichtweisen. Dabei ist in der Bandbreite der vertretenen Auffassungen zu differenzieren zwischen einer nur punktuellen Änderung bereits bestehender Bundesgesetze und der bundesgesetzlichen Regelung eines umfassenden Gesamtkonzepts zur Hilfe und Unterstützung im Frauenhaus und ergänzender Angebote.16 Der gegenwärtige Meinungsstand lässt sich wie folgt zusammenfassen: In dem Bericht zur Situation der Frauenhäuser vom 16. August 2012 kommt die Bundesregierung zu der Einschätzung, dass die effektive Unterstützung gewaltbetroffener Frauen bundesweit ausreichend sichergestellt sei, weswegen keine Bedrohung des Sozialgefüges im Sinne der Recht- 11 Rixen, A-Drs. 17(13)227 f., S. 4. 12 Zur Erörterung in der Anhörung von 2008 siehe , WD 3 - 433/08, S. 4 f. 13 BVerfGE 106, 62, 142. 14 BVerfGE 106, 62, 144; so auch Degenhart, in: Sachs, Art. 72 Rn. 15. 15 BVerfGE 111, 226, 254. 16 So die Unterscheidung laut: BT-Drs. 17/10500, S. 247. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 8 sprechung des Bundesverfassungsgerichts vorliege. Zwar gebe es erhebliche regionale Unterschiede bei der Versorgung betroffener Frauen, allerdings könne man dieses Problem flexibel auf Landesebene lösen. Den Bundesgesetzgeber treffe zurzeit insbesondere eine Pflicht zur konsequenten Beobachtung und Evaluierung.17 Daher sieht die Bundesregierung derzeit keine Erforderlichkeit für ein umfassendes Bundesgesetz. Eine punktuelle Regelung im Sinne von Modifikationen des SGB II als Bestätigungen des grundsicherungsrechtlichen bzw. sozialhilferechtlichen Grundkonzepts, welches derzeit bereits die Versorgung mit Frauenhaus- und anderen Unterstützungsangeboten über die individuellen Ansprüche der Frauen sichere, lasse sich dagegen über die Aspekte der Wahrung der Rechtseinheit und Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse gemäß Art. 72 Abs. 2 GG legitimieren.18 Die Auswertung der schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen19 für die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 10. Dezember 2012 ergibt ein uneinheitliches Bild: Der Großteil der Sachverständigen20 begrüßt eine umfassende bundesgesetzliche Regelung zur Finanzierung der Frauenhäuser und lehnt nur punktuelle Ergänzungen der bestehenden sozialgesetzlichen Regelungen als unzureichend ab. Mitunter beziehen sich die Stellungnahmen der Sachverständigen, die keine eigene juristische Expertise besitzen, in ihrer Einschätzung auf bestehende Rechtsgutachten.21 So hatte der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (Bff) bereits im Juni 2012 ein Rechtsgutachten von Prof. Dagmar Oberlies mit dem Titel „Rechtliche Anforderungen und Möglichkeiten der Ausgestaltung und Finanzierung des Hilfesystems bei Gewalt“22 vorgelegt, das er auch seiner Stellungnahme zur Anhörung im Dezember 2012 beifügte. Oberlies argumentiert hierin folgendermaßen: Bei der Beurteilung, ob eine Regelung erforderlich sei, sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich, welches Gesamtkonzept der Gesetzgeber verfolge.23 So könne eine 17 BT-Drs. 17/10500, S. 247 f. 18 BT-Drs. 17/10500, S. 247. 19 Abzurufen auf der Homepage des Bundestages unter http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=2939&id=1223. 20 Koordinierungsstelle (Co-Stelle) der Landesarbeitsgemeinschaft der Autonomen Frauenhäuser Baden-Württembergs, A-Drs. 17(13)227a, S. 4 f.; Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser, A-Drs. 17(13)227b, S. 6 f.; Elke Schmidt-Sawatzki, Hexenhaus – Hilfe für Frauen in Krisensituation e.V., Drs. 17(13)227c, S. 4, 7; Frauenhauskoordinierung e.V., A-Drs. 17(13)227e S. 4 f.; Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess – KOK e.V., A-Drs. 17(13)227g, S. 18 ff.; Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (Bff) A-Drs. 17(13)227h, S. S. 26; Prof. Margarete Schuler-Harms, A-Drs. 17(13)227i, S. 2; Marion Klußmann, Frauen helfen Frauen Troisdorf/Much e.V., A-Drs. 17(13)227k, S. 2, 6. 21 Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess – KOK e.V., A-Drs. 17(13)227g, S. 5, S. 18 ff.; Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (Bff) A-Drs. 17(13)227h, S. 9, S. 26. 22 Auch abzurufen unter: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/finanzierung-von-hilfe.html; Zusammenfassung abzurufen unter: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/nachricht/items/machbar-und-laengst-faellig-staatlich-geregelteverlaessliche -hilfen-fuer-gewaltbetroffene.html. 23 Oberlies, S. 27. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 9 Bundeskompetenz insbesondere damit begründet werden, dass ein einheitlicher Standard entwickelt werden solle und eine Maßnahme ein zentraler Baustein in einem Bündel von Maßnahmen sei. Dabei differenziere das Gericht zwischen materiellen Fürsorgeleistungen, die zweifellos zum Regelungsbereich öffentlicher Fürsorge gehörten, und organisationsrechtlichen Regelungen, die bundesgesetzlich nur geregelt werden dürften, soweit dies im Interesse fürsorgerischer Ziele erforderlich sei. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werde darauf abgestellt, ob ein Leistungssystem mit definierten Leistungsansprüchen geschaffen werden solle. Ergänzend könnten auch präventive Maßnahmen zum Ausgleich von Notlagen und besonderen Belastungen sowie Vorkehrungen gegen die Gefahr der Hilfsbedürftigkeit einbezogen werden. Daraus sei zu schließen, dass eine bundesgesetzliche Regelungszuständigkeit (zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse) vor allem dann anzunehmen sei, wenn eine Regelung ein konsistentes Gesamtkonzept verfolge und materielle Leistungsansprüche (soziale Rechte) begründet werden sollten.24 Ein solches Konzept sieht Oberlies im sog. due-dilligence-standard, ein im Rahmen internationaler Instrumente geforderter Schutzstandard mit einem Bündel von sozialen Diensten wie z. B. Hilfetelefone, Gesundheitsdienste, Beratungsstellen, Rechtshilfe, Zufluchtseinrichtungen, Schutzanordnungen und finanzielle Unterstützung.25 Schuler-Harms bekräftigt ihren bereits in einem früheren Gutachten26 zum Ausdruck kommenden Standpunkt,27 wonach der Bund im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge den grundrechtlichen Schutzauftrag im Sinne einer zusammenhängenden Regelung auch in Bezug auf die sozialen Dienstleistungen näher ausgestalten und insbesondere Leistungsumfang, Leistungsverantwortung und Bedarfe bundeseinheitlich regeln sowie Grundlinien der Bedarfsplanung und der Förderstrukturen vorgeben könne.28 Letztlich werden sowohl die bundesgesetzliche Regelung umfassender individueller Leistungsansprüche der Frauen als auch eine unmittelbare Einrichtungsfinanzierung über den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG i. V. m. Art. 72 Abs. 2 GG für möglich erachtet.29 Rixen vertritt hingegen die Auffassung, dass dem Bund bei der schwierigen Verschränkung der Verantwortungsebenen – schon wegen seiner aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgenden Beobachtungsund Nachbesserungspflicht – lediglich eine politische Koordinierungs- und Monitoringfunktion zukomme.30 Der Bund könne durch konkrete Änderungen etwa im SGB II oder in anderen Bun- 24 Oberlies, S. 27. 25 Oberlies, S. 6. 26 Schuler-Harms/Wieland, Der Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder, vom 4. Juni 2012, abzurufen unter: http://www.der-paritaetische.de/uploads/tx_pdforder/rechtsgutachtenfrauen _web.pdf. 27 A-Drs. 17(13)227i, S. 2. 28 A-Drs. 17(13)227i, S. 4. 29 A-Drs. 17(13)227i, S. 2 ff. 30 A-Drs. 17(13)227f, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 10 desgesetzen (insb. SGB XII, AsylbLG, SGB VIII, SGB V) dazu beitragen, dass sich die Situation gewaltbetroffener Frauen und ihrer Kinder verbessere. Für eine umfassende Neuregelung durch den Bund sei mit Blick auf die vorliegende Datenlage kein Raum.31 Er schlägt statt rein punktueller Änderungen des Sozialrechts bzw. eines umfassenden Regelungswerks einen „Mittelweg“ vor, der in einer Ergänzung der bisherigen §§ 67 ff. SGB XII bzw. der Einfügung eines neuen Kapitels im Anschluss an die §§ 67 ff. SGB XII bestehen soll, in dem die bisherigen Unterstützungsangebote leicht erweitert zusammengeführt würden. Enthalten seien Regelungen für alle Unterstützungsangebote (nicht nur für Frauenhäuser) mit Geltung für alle gewaltbetroffenen Frauen, unabhängig davon, welchem „Rechtskreis“ (SGB II, AsylbLG etc.) die Frauen angehören; hier könnte auch geregelt werden, unter welchen Voraussetzungen Einkommen und Vermögen ggfs. nachträglich berücksichtigt werden dürfen.32 Das Sozialwissenschaftliche FrauenForschungsInstitut (SoFFI F.) schließt sich in seiner Stellungnahme den rechtlichen Ausführungen Rixens an.33 2.2. Annexkompetenz zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Die Annexkompetenz setzt allgemein voraus, dass eine Materie verständlicherweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene Materie mitgeregelt wird.34 Oberlies thematisiert in Bezug auf bundesgesetzliche Regelungen zur Frauenhausfinanzierung eine Annexkompetenz zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Strafrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG), äußert sich hierzu allerdings zurückhaltend: Allenfalls könne argumentiert werden, dass ein Clearingprozess im Vorfeld der Anzeigeerstattung – neben Opferhilfen , die sich direkt auf die Begleitung und Unterstützung im Strafverfahren beziehen – in einem Sachzusammenhang mit dem Strafverfahren stehe. Zwingend sei dies nicht.35 Auf diese Ausführungen bezieht sich der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess - KOK e.V. in seiner Stellungnahme36: Er stellt einen Sachzusammenhang zum Strafrecht fest, wenn gerade im Bereich des Menschenhandels (wie aber auch bei anderen Gewaltformen) eine Zusammenarbeit der Frauenberatungsstellen mit den Strafverfolgungsbehörden notwendig sein könne. Dies würde für eine Bundeszuständigkeit sprechen . Aus der Praxis sei zudem anzuführen, dass in unregelmäßigen Abständen bundesweite Razzien von den Strafverfolgungsbehörden in Bezug auf den Strafrechtstatbestand Menschen- 31 A-Drs. 17(13)227f, S. 3. 32 A-Drs. 17(13)227f, S. 3. 33 Helfferich/Kavemann, A-Drs. 17(13)227j, S. 3. 34 BVerfGE 3, 407, 433. 35 Oberlies, S. 26. 36 A-Drs. 17(13)227g, S. 20. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 11 handel durchgeführt würden. In der Folge würden die Fachberatungsstellen eingebunden, um die Betroffenen unterzubringen oder zu unterstützen und müssten dann auch bundesweit agieren.37 3. Verwaltungs- und Finanzierungskompetenz des Bundes Neben der Frage der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Frauenhausfinanzierung werden im Bericht der Bundesregierung und den Stellungnahmen der Sachverständigen weiter die mögliche Verwaltungs- und Finanzierungskompetenz erörtert, die auch bei der bundesgesetzlichen Regelung der Frauenhausfinanzierung zu beachten sind. Die hierzu vorgetragenen Positionen werden nachfolgend zusammengefasst. 3.1. Verwaltungskompetenz 3.1.1. Grundregel: Länderkompetenz Es gelten die Art. 83 ff. GG. Grundsätzlich führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt (Art. 83 GG). 3.1.2. Bundeseigene Verwaltung gemäß Art. 87 Abs. 3 GG Gemäß Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG kann der Bund für Angelegenheiten, für die ihm die Gesetzgebungszuständigkeit zusteht, selbständige Bundesoberbehörden und neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts durch Bundesgesetz errichten. Hierzu zählen in analoger Anwendung der Vorschrift auch Stiftungen.38 Gemäß Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG können außerdem bei dringendem Bedürfnis bundeseigene Mittel- und Unterbehörden mit Zustimmung des Bundesrates und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages geschaffen werden, sofern dem Bund auf einem Gebiet, auf dem ihm die Gesetzgebungszuständigkeit zusteht, eine neue Aufgabe erwächst. Die Bundesregierung nimmt in ihrem Bericht zu der Idee, ein umfassendes bundesgesetzliches Konzept für die Frauenhausversorgung bzw. der Versorgung mit weiteren Unterstützungsangeboten mittels bundeseigener Verwaltung durchzuführen, wie folgt Stellung: Inwieweit der Bund von Art. 87 Abs. 3 GG Gebrauch machen könne, hänge entscheidend davon ab, wie das neue Gesamtkonzept im Einzelnen beschaffen sei, ob bzw. inwieweit sich nach diesem Gesamtkonzept die sinnvolle Erledigung der Aufgabe durch eine zentrale Bundesoberbehörde (ohne nachgeschaltete Verwaltungsbehörden) begründen lasse, und – soweit es um Bundesmittel- bzw. Bundesunterbe- 37 A-Drs. 17(13)227g, S. 20. 38 Sachs, in: Sachs, GG, 5. Aufl., 2009, Art. 87 Rn. 67. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 12 hörden geht (Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG) – ob von einer „neuen Aufgabe“ sowie einem „dringenden Bedarf“ zur Errichtung von Mittel- und Unterbehörden des Bundes gesprochen werden könne.39 Nicht zuletzt wegen der Fraglichkeit eines Erfordernisses für eine bundesgesetzliche Regelung, bewertet die Bundesregierung die Option einer bundesbehördlichen Lösung als eher theoretischer Natur.40 Aus der Sachverständigenanhörung ergibt sich folgendes Meinungsbild: Für eine bundeseigene Verwaltung spricht sich grundsätzlich Schuler-Harms aus: In begrenztem Umfang bestünden auch Möglichkeiten des Bundes zur unmittelbaren Finanzierung oder Mitfinanzierung der Einrichtungen im Wege von Zuwendungen (sog. Objektfinanzierung). Der Bund könne im Rahmen von Art. 87 Abs. 3 S. 1 eigene Einrichtungen begründen und gemäß Art. 104a Abs. 1 GG (Konnexitätsprinzip) finanzieren, allerdings mangels dringenden Bedarfs nur als Oberbehörden ohne eigenen Verwaltungsunterbau. Auf diese Kompetenzgrundlage sowie die Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) stützte der Bund sein Angebot eines bundesweiten Hilfetelefons. Der Bund könne außerdem eine Bundesstiftung zur Finanzierung von Einrichtungen für Frauen als Opfer häuslicher Gewalt und ihrer Kinder errichten. Die Verwaltungskompetenz hierfür ergebe sich aus Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG.41 Oberlies stellt in ihrem Gutachten für den Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (Bff) fest, dass der Bund nicht verwalten dürfe, was er nicht regeln könne.42 Die Ausführung eines Bundesgesetzes könne der Bund deshalb nur übernehmen, wenn ihm eine Regelungskompetenz zustehe und darüber hinaus die Ausführung – wie jetzt beim Hilfetelefongesetz – gänzlich auf eine Bundesbehörde übertragen werde (Art. 87 Abs. 3 GG). Allerdings habe schon Bachmeier u.a. (2004) in der Föderalismuskommission darauf hingewiesen, dass eine Bundesregelung dann zustande kommen könne, wenn die Bundesländer mit dem Inhalt eines Bundesgesetzes einverstanden seien und auf eine Beanstandung verzichteten. Gemeint sei wohl, dass den Bundesländern ihre Zuständigkeit abgekauft werden könne. Rixen bezweifelt dagegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit bundeseigener Verwaltung: Der Bund könnte zur Umsetzung eines eigenen Finanzierungsgesetzes zwar unter strengen Voraussetzungen auch eigene Organisationseinheiten der Bundesverwaltung einsetzen, ggfs. auch eine bundeseigene Stiftung.43 Aber diese administrativen Möglichkeiten müssten von der Finanzverfassung des Grundgesetzes gedeckt sein. Auch eine sog. Stiftungslösung müsste also Art. 104a GG beachten; hiergegen bestünden Bedenken.44 39 BT-Drs. 17/10500, S. 249. 40 BT-Drs. 17/10500, S. 257. 41 Schuler-Harms, A-Drs. 17(13)227i, S. 4. 42 Oberlies, S. 28. 43 A-Drs. 17(13)227f, S. 3. 44 Rixen, A-Drs. 17(13)227f, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 13 3.2. Finanzierungskompetenz 3.2.1. Konnexitätsprinzip gemäß Art. 104a Abs.1 GG Weiter stellt sich die Frage nach der Finanzierungszuständigkeit des Bundes für Frauenhäuser. Die Grundregel ist in Art. 104a GG enthalten, wonach Bund und Länder gesondert die Ausgaben tragen, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit das Grundgesetz nichts anderes regelt. Dies bedeutet, dass der Bund nur für die Finanzierung von Frauenhäusern aufkommen darf, sofern er eine entsprechende Verwaltungszuständigkeit in diesem Bereich besitzt. Nach Art. 83 GG führen grundsätzlich die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Da Schuler-Harms die Verwaltungszuständigkeit des Bundes nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG bejaht (siehe oben 3.1.2), stellt sie in ihrer Stellungnahme zu öffentlichen Anhörung folgerichtig fest, dass der Bund auch die Finanzierungskompetenz nach Art. 104a Abs. 1 GG nach dem Grundsatz besitze, dass die Aufgabenverantwortung (für das Recht der Fürsorge und die Erfüllung des grundrechtlichen Schutzauftrags) auch die Ausgabenverantwortung nach sich ziehe.45 Aus diesem Stiftungsvermögen könnte der Bund z. B. Frauenhäuser unmittelbar fördern. Rixen hat dagegen Bedenken in Bezug auf die Vereinbarkeit mit Art. 104a Abs. 1 GG (siehe auch oben 3.1.2).46 Diese resultieren aus einer Verneinung der Gesetzgebungskompetenz für die bundesgesetzlich umfassende Regelung der Frauenhausfinanzierung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG mangels Vorliegens der Voraussetzungen von Art. 72 Abs. 2 GG, aus der auch die Ablehnung der Verwaltungskompetenz des Bundes folgt; die Verwaltungskompetenz ist aber Voraussetzung für eine Finanzierungszuständigkeit des Bundes nach Art. 104a Abs. 1 GG. 3.2.2. Geldleistungsgesetz gemäß Art. 104a Abs. 3 und Abs. 4 GG Vom allgemeinen Konnexitätsgrundsatz des Art. 104a Abs. 1 GG lässt das Grundgesetz Ausnahmen zu, die auch ohne Verwaltungskompetenz dem Bund eine Finanzierungskompetenz zuweisen. Eine davon sind die Regelungen über Geldleistungsgesetze nach Art. 104a Abs. 3 und 4 GG. Die Bundesregierung vertritt in Bezug auf die Frauenhausfinanzierung folgenden Standpunkt: Unter Geldleistungen im Sinne von Art. 104 Abs. 3 GG fielen alle Geldzahlungen, die einem „Dritten“ (also weder Bund noch Ländern) zugutekämen. Damit seien jedenfalls den Hilfesuchenden direkt zukommende Geldleistungen (im Sinne des § 11 S. 1 SGB I) gemeint. Ob zu diesen Geldleistungen auch Geldzahlungen an „Leistungserbringer“, etwa Träger von Frauenhäusern oder anderen Angeboten, gehörten, sei zweifelhaft. Gegen eine Erfassung von Leistungserbringern spreche die Abgrenzung zu Art. 104a Abs. 4 GG, wo über den Begriff der „geldwerten Sachleistungen “ die Finanzierung der Infrastruktur sozialer Sicherungssysteme in den Blick gerate. Anderer- 45 Schuler-Harms, A-Drs. 17(13)227i, S. 4. 46 Rixen, A-Drs. 17(13)227f, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 14 seits lasse der Wortlaut „Geldleistung“ eine Auslegung zu, die über den im engeren sozialleistungsrechtlichen Sinn hinausgeht. Dementsprechend würden, was allerdings nicht unumstritten sei, auch Zuwendungen im haushaltsrechtlichen Sinne zu den Geldleistungen im Sinne des Art. 104a Abs. 3 S. 1 GG gezählt. Das könnten dann auch Zuwendungen an die Trägerorganisationen von Frauenhäusern sein, die jedenfalls den Betrieb der Einrichtung ermöglichten und nicht darauf gerichtet seien, die Einrichtung erst zu schaffen. Damit hält die Bundesregierung also auch eine institutionelle Frauenhausfinanzierung als unter Art. 104a Abs. 3 GG fassbar.47 Allerdings sei dies lediglich eine theoretische und keine praktikable Option.48 Sie führt in diesem Zusammenhang die Problematik der über Art. 104a Abs. 4 GG ins Spiel kommenden finanzpolitischen Interessen der Länder an. Nach dieser Vorschrift bedarf es nämlich der Zustimmung des Bundesrates, wenn die Bundesgesetze Pflichten zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Leistungen oder vergleichbaren Leistungen gegenüber Dritten begründen, von den Ländern als eigene Angelegenheit oder im Auftrag des Bundes ausgeführt werden und die daraus entstehenden Ausgaben von den Ländern zu tragen sind. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass sich selbst bei der Regelung einer vollständigen Ausgabenübernahme durch den Bund eine Auseinandersetzung über diese Frage am unscharfen Begriff der „Ausgabe“ entzünden könnte.49 Eine Folge könnten politische „Paketlösungen“ sein, die das Thema Hilfe und Unterstützung für gewaltbetroffene Frauen und Kinder mit Themen verknüpften, die hiermit nichts zu tun hätten und dieses ggf. an den Rand der politischen Entscheidungsprozesse drängten.50 Bei den Sachverständigen existieren unterschiedliche Auffassungen zur Finanzierungskompetenz des Bundes gemäß Art. 104a Abs. 3 GG: Schuler-Harms hält auch eine Regelung in Gestalt einer indirekten Förderung von Frauenhäusern durch ein Geldleistungsgesetz des Bundes gemäß Art. 104a Abs. 3 GG für möglich.51 Dies ermögliche die Bestimmung des Anspruchs von Gewalt betroffener Frauen und ihrer Kinder auf Geldleistungen sowie die Regelung der Übernahme der Geldleistungen durch den Bund (vergleichbar mit der Zahlung von Bundeselterngeld). Eine Bindung des Zahlungsanspruchs an die Aufnahme in einem Frauenhaus und die direkte finanzielle Zuwendung an die aufnehmende Einrichtung sind nach ihrer Einschätzung grundsätzlich möglich.52 Ohne nähere verfassungsrechtliche Ausführungen zur Frage des Geldleistungsgesetzes schlägt Oberlies ebenfalls ein echtes Leistungsgesetz vor, das Gewaltbetroffenen individuelle Ansprüche auf Hilfe bei Gewalt einräumt.53 47 BT-Drs. 17/10500, S. 250. 48 BT-Drs. 17/10500, S. 250. 49 BT-Drs. 17/10500, S. 250. 50 BT-Drs. 17/10500, S. 250 f. 51 A-Drs. 17(13)227i, S. 3. 52 A-Drs. 17(13)227i, S. 3. 53 Oberlies, S. 44. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 084/14 Seite 15 Kritisch äußert sich dagegen Rixen54: Die unmittelbare Einrichtungsfinanzierung durch den Bund sei nur in den Grenzen des Finanzverfassungsrechts möglich. Insoweit bestünden Bedenken, ob die direkte Einrichtungsfinanzierung eine„Geldleistung“ im Sinne des Art. 104a Abs. 3 GG sei. Wie auch die Bundesregierung, problematisiert er das faktische Vetorecht des Bundesrates gemäß Art. 104a Abs. 4 GG, wenn Ausgaben von den Ländern zu tragen sind. 3.2.3. Finanzhilfen gemäß Art. 104b GG Nach Art. 104b Abs. 1 S. 1 GG kann der Bund, soweit ihm die Gesetzgebungskompetenz zusteht, den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren, die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Nr. 1), zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet (Nr. 2) oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums (Nr. 3) erforderlich sind. Die Bundesregierung vertritt in ihrem Bericht die Auffassung, dass allenfalls Nr. 3 einschlägig sein könne, denn die volkswirtschaftlichen Kosten häuslicher Gewalt wirkten sich negativ (auch) auf das wirtschaftliche Wachstum aus, so dass – in sehr mittelbarer Weise – die Finanzierung von Frauenhäusern oder anderen Unterstützungsangeboten eine das wirtschaftliche Wachstum fördernde Wirkung entfalten könnte.55 Angesichts des Ausnahmecharakters der Vorschrift sei aber bereits zweifelhaft, ob in diesem Sinne argumentiert werden könne. Unstreitig sei allerdings, dass der Begriff der „Investition“ nach gängiger Ansicht nur Sachinvestitionen (dauerhafte, langlebige Anlagegüter, z. B. Gebäude), nicht aber Folgekosten (Verwaltungs-, Betriebsaufwand) umfasse. Soweit es um die Deckung der laufenden Personal- und Betriebskosten z. B. von Frauenhäusern und anderen Unterstützungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder gehe, also keine Sachinvestitionen, sei Art. 104b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GG nicht einschlägig.56 Von den Sachverständigen der Anhörung nimmt Rixen zur Frage möglicher Finanzhilfen des Bundes Stellung. Er betont zunächst, dass es bislang keine grundgesetzliche Finanzierungsregelung für eine „sozialpolitische Gemeinschaftsaufgabe“ gebe. Er sieht allein die Möglichkeit der Änderung des Art. 104b GG dahingehend, dass der Bund den Ländern für bestimmte soziale Dienstleistungen zweckgebundene Finanzhilfen gewähren dürfe. Zu prüfen sei hier auch eine direkte Förderung der Kommunen.57 54 A-Drs. 17(13)227f, S. 3. 55 BT-Drs. 17/10500, S. 251. 56 BT-Drs. 17/10500, S. 251. 57 A-Drs. 17(13)227f, S. 4.