© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 083/18 Zur Ableitung einer Pflicht zur Durchführung systematischer Grenzkontrollen aus § 18 Asylgesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/18 Seite 2 Zur Ableitung einer Pflicht zur Durchführung systematischer Grenzkontrollen aus § 18 Asylgesetz Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 083/18 Abschluss der Arbeit: 28. März 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/18 Seite 3 1. Fragestellung Die vorliegende Ausarbeitung befasst sich mit der Frage, ob sich aus den Regelungen in § 18 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) zur Verweigerung der Einreise von schutzsuchenden Ausländern, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen, eine Pflicht zur Durchführung systematischer Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen ergibt. 2. Einreiseverweigerung nach § 18 Abs. 2 AsylG Die Einreise von Ausländern in das Bundesgebiet wird im Grundsatz durch §§ 13 ff. Aufenthaltsgesetz (AufenthG) geregelt. Die Anforderungen, die § 14 AufenthG an die Erlaubtheit der Einreise stellt, gelten dabei grundsätzlich auch für Asylbewerber und sonstige internationalen Schutz suchende Menschen.1 Zu diesen Anforderungen gehören insbesondere das Erfordernis eines Aufenthaltstitels nach § 4 Abs. 1 AufenthG sowie die Passpflicht nach § 3 AufenthG. Für den Fall des Fehlens entsprechender Einreisepapiere (Pass oder Passersatz sowie Aufenthaltstitel) enthält das Asylgesetz jedoch Sondervorschriften. So hat nach § 13 Abs. 3 S. 1 AsylG ein schutzsuchender Ausländer, der nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere ist, an der Grenze um Asyl nachzusuchen. Das weitere Verfahren bestimmt sich dann nach § 18 AsylG. Besteht keine Möglichkeit, an der Grenze um Asyl nachzusuchen, so ist der Ausländer gemäß § 13 Abs. 3 S. 2 AsylG verpflichtet, sich unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen. Das Verfahren bei der Asylantragstellung an der Grenze bestimmt sich nach § 18 AsylG, der wiederum teilweise durch das Unionsrecht, insbesondere das unionsrechtliche Asylrecht, z.B. die sog. Dublin-III-Verordnung (VO [EU] Nr. 604/2013), überlagert wird.2 In § 18 Abs. 2 AsylG sind verschiedene Fallkonstellationen genannt, in denen dem Asylsuchenden die Einreise zu verweigern ist. Hierzu gehört auch der Fall, in dem der Betroffene aus einem sicheren Drittstaat einreisen will (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG). Die Pflicht zur Einreiseverweigerung gilt allerdings nicht ausnahmslos. Vielmehr sieht § 18 Abs. 4 AsylG zwei Ausnahmen vor, und zwar für den Fall einer unionsoder völkerrechtlich begründeten Zuständigkeit der Bundesrepublik für die Durchführung von Asylverfahren – einschlägig sind insoweit die sog. Dublin-Zuständigkeiten nach der Dublin-III- Verordnung, VO [EU] Nr. 604/2013 – (§ 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylG) sowie das Vorliegen einer entsprechenden Anordnung des Bundesministeriums des Innern aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen (§ 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylG). 3. Pflicht zur Durchführung von systematischen Grenzkontrollen aufgrund der Drittstaatenregelung ? Nach der vorliegenden Fragestellung ist zu prüfen, ob aus der oben dargestellten Drittstaatenregelung in § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG eine Pflicht zur Durchführung von systematischen Grenzkontrollen 1 Hailbronner, Ausländerrecht, Stand der Kommentierung: 93. EL (November 2015), § 14 AufenthG Rn. 25. 2 Siehe hierzu die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste, WD 3 - 3000 - 109/17, Einreiseverweigerung und Einreisegestattung nach § 18 Asylgesetz, 2017. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/18 Seite 4 abzuleiten ist. Soweit ersichtlich wird diese Frage weder in der Rechtsprechung noch in der rechtswissenschaftlichen Literatur erörtert. Für die Fragestellung ist insbesondere auf die praktische Bedeutung der Vorschrift des § 18 AsylG einzugehen. Seit dem Inkrafttreten der sog. Schengen-Regeln ist die praktische Bedeutung der Vorschrift zunächst zurückgegangen.3 Die Bundesrepublik grenzt an sämtlichen Landgrenzen an Länder, die Teil des Schengen-Raums sind. Gemäß der Schengen-Regeln finden an diesen Binnengrenzen grundsätzlich keine Grenzkontrollen statt.4 Dementsprechend bedarf es für die Einreise schutzsuchender Ausländer, die aus einem benachbarten Land in das Bundesgebiet einreisen wollen, grundsätzlich auch keiner Berufung auf das Asylrecht nach § 18 AsylG.5 Entsprechende Asylanträge sind danach innerhalb des Bundesgebiets zu stellen. Die Mitgliedstaaten besitzen jedoch nach den Schengen-Regeln unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis zur vorübergehenden Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen.6 Von dieser Befugnis hat die Bundesregierung im September 2015 Gebrauch gemacht und an der deutsch-österreichischen Landgrenze Grenzkontrollen vorrübergehend wieder eingeführt, „um wieder zu einem geordneten Verfahren an der Binnengrenze bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms […] zu gelangen und Aspekten der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit Rechnung zu tragen.“7 In derartigen Fällen vorrübergehender Grenzkontrollen an den Binnengrenzen ist die Vorschrift des § 18 AsylG von unmittelbarer Bedeutung.8 Dies zeigt, dass die Vorschrift des § 18 AsylG auch ohne die Durchführung systematischer Grenzkontrolle einen praktischen Anwendungsbereich besitzt. Damit kann nicht argumentiert werden, dass die Vorschrift des § 18 AsylG zwingend die Durchführung systematischer Grenzkontrollen voraussetzt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch für den Fall der Beantragung von Asyl im Bundesgebiet entsprechende einschränkende Regelungen (siehe insbesondere § 26a AsylG) für Schutzsuchende, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen wollen, existieren.9 Hieraus kann geschlussfolgert werden, dass eine solche Beschränkung der Schutzgewährung nicht zwingend an der Grenze geprüft werden muss und damit auch nicht zwingend systematische Grenzkontrollen 3 Die Schengen-Regeln ergeben sich heute aus VO [EU] Nr. 399/2016 (Schengener Grenzkodex). 4 Siehe zur Vereinbarkeit systematischer Grenzkontrollen mit dem Schengener Grenzkodex die Ausarbeitung des Fachbereichs Europa, PE 6 - 3000 - 50/18, Durchführung systematischer Grenzkontrollen – Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, 2018. 5 Vgl. hierzu Hailbronner, Ausländerrecht, Stand der Kommentierung: 65. EL (August 2009), § 18 AsylVfG Rn. 4. 6 Hierzu Kluth, in: ders./Hund/Maaßen (Hrsg.), Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2017, § 3 Rn. 69 ff. 7 Siehe die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage in BT-Drs. 18/7311, S. 2, sowie aus jüngerer Zeit die Presseberichterstattung etwa von Leuchbecher/Breyton, Widerstand gegen stärkere Grenzkontrollen, Die Welt vom 20. März 2018, S. 5. 8 Siehe auch Haderlein, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, Stand: 16. Edition (November 2017), § 18 AsylG Rn. 3. 9 Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand der Kommentierung: 65. EL (August 2009), § 18 AsylVfG Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/18 Seite 5 voraussetzt. Auch an dieser Stelle sei jedoch wiederum der Vollständigkeit halber auf die Auswirkungen der europäischen Zuständigkeitsregelungen für die Durchführung von Asylverfahren hingewiesen. So hat nach Darstellung in der Literatur die Drittstaatenregelung in § 26a AsylG spätestens mit der Dublin-III-Verordnung (VO [EU] Nr. 604/2013) weitgehend ihre praktische Bedeutung verloren.10 *** 10 Günther, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, Stand: 16. Edition (November 2017), § 26a AsylG Rn. 5; vgl. auch Hailbronner, Ausländerrecht, Stand der Kommentierung: 66. EL (November 2009), § 26a AsylVfG Rn. 4.