© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 083/15 Unterrichtungspflichten der Bundesregierung im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG und § 7 EUZBBG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 2 Unterrichtungspflichten der Bundesregierung im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG und § 7 EUZBBG Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 083/15 Abschluss der Arbeit: 09.04.2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellungen und Problemaufriss 4 2. Die GASP und die GSVP als Angelegenheiten der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG 5 2.1. Verfassungsrechtliche Bewertung der Fragen in Literatur und Rechtsprechung 6 2.2. Bewertung der verfassungsrechtlichen Argumente 8 2.3. Zwischenergebnis 11 3. Die Reichweite des Informationsrechts im Rahmen von § 7 EUZBBG 11 3.1. Gegenstand der Informationspflicht nach § 7 EUZBBG 12 3.2. Bewertung der „grundsätzlichen Bedeutung“ eines Dokuments im Sinne des § 7 Abs. 2 EUZBBG 13 4. Zusammenfassung der Ergebnisse 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 4 1. Fragestellungen und Problemaufriss Im Zusammenhang mit der Unterrichtung des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 2 GG) ist gebeten worden, die folgenden Fragen zu begutachten: 1. Hat die Bundesregierung im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) die gleichen Unterrichtungspflichten gegenüber dem Bundestag gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG wie in anderen EU-Politikbereichen? 2. Kann die Aussage im Urteil des BVerfG vom 19. Juni 2012 (2 BvE 4/11 in Randnummer 105) dahingehend interpretiert werden, dass die Grundsätze der umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung nicht auf den Bereich der GASP/GSVP zutreffen? 3. Kann im Lichte des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG die einfachgesetzliche Bestimmung des § 7 Abs. 1 EUZBBG darauf reduziert werden, dass dem Bundestag nur eine Übersicht der absehbar zur Beratung anstehenden Rechtsakte übersandt wird (§ 7 Abs. 1 Satz 3 EUZBBG), nicht jedoch die entsprechenden Dokumente aus dem GASP/GSVP Bereich? 4. Kann im Lichte des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG die Bestimmung des § 7 Abs. 2 EUZBBG dahingehend ausgelegt werden, dass die „grundsätzliche Bedeutung“ eines angeforderten Dokuments ausschließlich von der Bundesregierung geprüft und bestimmt wird? Die Frage nach der Einordnung der GASP und der GSVP in die parlamentarischen Mitwirkungsund Informationsrechte nach Art. 23 Abs. 2 GG stellt sich, weil der Schwerpunkt der Maßnahmen in diesen Politikfeldern im Bereich der klassischen Außenpolitik liegt.1 In der nationalen Außenpolitik, die verfassungsrechtlich auch als auswärtige Gewalt2 bezeichnet wird, kommt der Bundesregierung eine Prärogative zu,3 für die jedenfalls keine ausdrücklichen Informationsrechte des Bundestages bestehen.4 Die Rolle der rein supranational geprägten Organe der EU, d.h. der Kommission, des Europäischen Parlaments und des Europäischen Gerichtshofs, sind im Bereich der GASP und der GSVP weitgehend zurückgedrängt (Art. 24 Abs. 2 EUV). Die entsprechenden 1 Kövel, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2000, S. 72; vgl. außerdem zur Struktur der GASP eingehend: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 6. Auflage 2014, § 39. 2 Zu diesem verfassungsrechtlichen Begriff ausführlich, aber auch kritisch: Fassbender, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 152. Ergänzungslieferung (Stand: Juni 2011), Art. 32 Rdnr. 14 ff. 3 BVerfGE 1, 351, 369 – Petersberger Abkommen; BVerfGE 1, 372, 394 – Deutsch-Französisches Wirtschaftsabkommen ; BVerfGE 68, 1, 87 – Atomwaffenstationierung (Pershing); BVerfGE 90, 286, 358 – Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr; BVerfGE 104, 151, 207 – Nato-Konzept; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 56. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 23 Rdnr. 133 f.; Klein, Die Macht des Bundestages, ZG 2012, 209, 222. 4 Vgl. aber zu den verfassungsimmanenten Informationsrechte des Bundestages auch im Bereich der auswärtigen Gewalt unten S. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 5 Maßnahmen werden im Wesentlichen vom Rat und vom Europäischen Rat einstimmig beschlossen . Es könnte somit argumentiert werden, dass die Europäische Union insbesondere mit dem Rat nur den institutionellen Rahmen bereitstellt, in dem die Mitgliedstaaten im Bereich der GASP und GSVP ihre jeweilige nationale Außenpolitik koordinieren, so dass auch aus deutscher verfassungsrechtlicher Sicht dieser Bereich von dem Europaartikel des Grundgesetzes (Art. 23 GG) nicht erfasst wird. Gegen eine solche Argumentation spricht vor allem der eindeutige Wortlaut des Art. 23 Abs. 2 GG, der die Mitwirkungs- und Informationsrechte ausdrücklich auf die „Angelegenheiten der Europäischen Union“ bezieht. Die GASP gehört seit dem Unionsvertrag, d.h. seit dem Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992, als so genannte zweite Säule zur Europäischen Union.5 Damit sind die GASP und heute auch die GSVP, die Teil der GASP ist (Art. 42 Abs. 1 Satz 1 EUV), ihrerseits Teil der Europäischen Union, auf die sich der Wortlaut des Art. 23 Abs. 2 GG mit den „Angelegenheiten der Europäischen Union“ ausdrücklich bezieht. Demnach würde das Informationsrecht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG auch die GASP und die GSVP umfassen. Bei den eingangs dargestellten Fragen geht es somit darum, welcher dieser Auffassungen zu folgen ist. Die ersten beiden Fragen betreffen die Auslegung des verfassungsrechtlichen Unterrichtungsrechts des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG, so dass sie nachfolgend gemeinsam beantwortet werden (dazu unten 2.). Bei den beiden letzten Fragen geht es um die Auslegung des § 7 EUZBBG im Lichte von Art. 23 Abs. 2 GG, so dass diese Fragen ebenfalls gemeinsam behandelt werden (dazu unten 3.). 2. Die GASP und die GSVP als Angelegenheiten der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG Gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG hat die Bundesregierung den Bundestag umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. Dieser Satz sieht damit zwar einen Informationsanspruch des Bundestages vor, äußert sich jedoch nicht ausdrücklich zum Anspruchsgegenstand. Satz 2 des Art. 23 Abs. 2 GG steht jedoch in unmittelbarem Zusammenhang mit Satz 1, der bestimmt , dass der Bundestag in „Angelegenheiten der Europäischen Union“ mitwirkt. Durch diesen Zusammenhang ist klargestellt, dass sich auch der Informationsanspruch des Bundestages auf diese „Angelegenheiten der Europäischen Union“ bezieht. Dieser Gegenstand des parlamentarischen Informationsrechts ist nach ganz herrschender Meinung weit auszulegen.6 Daher sind nicht nur die klassischen Handlungsformen der Union Angelegenheiten der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 GG, sondern auch völkerrechtli- 5 Siehe zur historischen Entwicklung auch Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 6. Auflage 2014, § 39, Rdnr. 1. 6 BVerfGE 131, 152, 199 ff. – parlamentarische Informationsrechte; Schorkopf in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz , 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 127; Uerpmann-Wittzack, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 6. Auflage 2012, Art. 23 Rdnr. 75; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band II, 2. Auflage 2006, Art. 23 Rdnr. 96; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 23 Rdnr. 105, insbesondere Fn. 281. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 6 che (intergouvernementale) Verträge zwischen den Mitgliedstaaten, wenn diese in einem Ergänzungs - oder sonstigen Näheverhältnis zur Europäischen Union stehen. Ein solches Näheverhältnis weist z.B. der Vertrag zur Gründung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf.7 Dieses weite Verständnis des Informationsgegenstandes steht im Zusammenhang mit dem Ziel, dem Bundestag umfassende Mitwirkungsrechte in Bezug auf die europäische Integration zu sichern. Nur auf einer ausreichenden Informationsbasis kann der Bundestag seine Mitwirkungsrechte umfassend wahrnehmen.8 2.1. Verfassungsrechtliche Bewertung der Fragen in Literatur und Rechtsprechung Die verfassungsrechtliche Literatur sieht die GASP und die GSVP ganz überwiegend als „Angelegenheiten der Europäischen Union“ im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG an.9 Dies wird von einigen Autoren offenkundig für so selbstverständlich gehalten, dass diese Auffassung nicht weiter begründet wird.10 Im Übrigen wird im Wesentlichen auf den Wortlaut des Art. 23 Abs. 2 GG verwiesen , der ausdrücklich von Angelegenheiten der „Union“ spricht.11 Von Pernice wird außerdem vorgetragen, dass der Mitwirkung des Bundestages bei der GASP und der GSVP besondere Bedeutung zukomme, da das Europäische Parlament hier über keine weitreichenden Mitentscheidungsbefugnisse verfüge und es daher anderenfalls an der parlamentarischen Legimitation der entsprechenden Maßnahmen fehlen würde.12 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist in dieser Frage auf den ersten Blick hingegen nicht eindeutig. Besondere Bedeutung für die Auslegung des Art. 23 Abs. 2 GG hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 7 BVerfGE 131, 152, 199 ff. – parlamentarische Informationsrechte; siehe als Reaktion auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nunmehr auch § 5 Abs. 1 Nr. 11 und Nr. 12 EUZBBG. 8 BVerfGE 131, 152, 202 ff. – parlamentarische Informationsrechte, mit weiteren Nachweisen aus der ständigen Rechtsprechung; aus der Literatur statt vieler: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 136 f.; Hölscheidt, Die Verantwortung des Bundestages für die europäische Integration, DÖV 2012, 105, 108. 9 Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 139; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band II, 2. Auflage 2006, Art. 23 Rdnr. 96; Mayer, Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 223; Kövel, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2000, S. 71 ff.; Hauck, Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, 1999, S. 135 f.; so wohl auch Uerpmann-Wittzack , in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 6. Auflage 2012, Art. 23 Rdnr. 70; im Ergebnis aus dem Blickwinkel der ebenfalls in Art. 23 Abs. 2 GG festgelegten Informationsrechte des Bundesrates wohl ebenso: Winkelmann, Innerstaatliche Kompetenzverteilung bei Vertragsabschlüssen in Angelegenheiten der Europäischen Union – Zur Nichtanwendbarkeit der Lindauer Absprache im Anwendungsbereich von Art. 23 n. F. GG –, DVBl. 1993, 1128, 1134 f. 10 Dies betrifft Uerpmann-Wittzack, Schorkopf und Mayer (alle Fn. 9). 11 Z.B. Hauck, Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, 1999, S. 135. 12 Pernice, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band II, 2. Auflage 2006, Art. 23 Rdnr. 96. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 7 vom 19. Juni 2012. Dabei ging es im Kern um die Frage, ob der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM)13 und der so genannte Euro-Plus-Pakt14 Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 2 GG) sind und die Bundesregierung dem Bundestag daher bereits die Entwürfe zu diesen Vereinbarungen hätte übermitteln müssen.15 Dieses nahm das Gericht zum Anlass, den Umfang und die Reichweite des Informationsanspruches des Bundestages im Einzelnen zu erläutern .16 Dabei ging das Gericht auch auf den Bereich der GASP ein. Ausgehend von einem weiten Verständnis der Angelegenheiten der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 GG führt es in Randnummer 104 aus: „Art. 23 Abs. 2 GG hat im Zusammenhang mit der Ratifikation des Vertrags von Maastricht Eingang in das Grundgesetz gefunden, mit einem Vertrag also, der die damals bereits über 30 Jahre alten supranationalen Europäischen Gemeinschaften mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik, zwei seinerzeit intergouvernemental organisierten Politikbereichen, unter dem Dach der Europäischen Union zusammenfasste […]. Der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 1992 hatte somit ein Bild der Europäischen Union vor Augen, in der die -- allein supranationalen -- Europäischen Gemeinschaften und die intergouvernementalen Bereiche unterschieden wurden. Wenn er die Mitwirkungsrechte des Bundestages vor diesem Hintergrund auf die Angelegenheiten der Europäischen Union bezogen hat, liegt es nahe, dass er zwischen den Säulen der Europäischen Union nicht differenzieren wollte. Vielmehr sollte sich Art. 23 Abs. 2 GG auf „alle Vorhaben der Europäischen Union [erstrecken], die für die Bundesrepublik Deutschland bzw. den Bundestag von Interesse sein könnten" (BTDrucks 12/6000, S. 21). Bestätigt wird dies durch die sich im Laufe der Beratungen verfestigende Erkenntnis, dass die europäische Integration ein dynamischer Entwicklungsprozess sei, der auf der Ebene der Mitgliedstaaten ein hohes Maß an Flexibilität erfordere (BTDrucks 12/3338, S. 6; BTDrucks 12/6000, S. 20). Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung ergeben sich auch nicht aus der Ratifikation des Vertrags von Lissabon, weil nicht erkennbar ist, dass dadurch die Reichweite des Art. 23 Abs. 2 GG reduziert werden sollte.“17 13 Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, Irland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, der Republik Zypern, dem Großherzogtum Luxemburg, Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik und der Republik Finnland, BGBl. 2012 II S. 983. 14 Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11.3.2011 zu einer Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes für eine stärkere wirtschaftliche Koordinierung. 15 BVerfGE 131, 152 – parlamentarische Informationsrechte. 16 BVerfGE 131, 152, 202 ff. – parlamentarische Informationsrechte. 17 BVerfGE 131, 152, 201 f. – parlamentarische Informationsrechte/Hervorhebung im Fettdruck durch die Verfasserin . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 8 In diesem Teil der Entscheidung spricht sich das Bundesverfassungsgericht unter Bezugnahme auf die historischen Entwicklungen somit klar dafür aus, dass auch die GASP zu den Angelegenheiten der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 GG gehört. Allerdings führt es gleich im darauf folgenden Absatz, Randnummer 105, weiter aus: „Ob und inwieweit Maßnahmen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Art. 23 Abs. 2 GG erfasst werden, ist hier nicht zu entscheiden.“18 Aus welchem Grunde das Bundesverfassungsgericht diese Frage an dieser Stelle dahinstehen lassen wollte, ist den weiteren Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen. Eindeutig und mit Bezug zu Frage 2 festzuhalten ist jedoch, dass das Gericht mit dieser Aussage in Randnummer 105 gerade nicht ausschließt, dass die GASP und die GSVP von Art. 23 Abs. 2 GG erfasst werden. 2.2. Bewertung der verfassungsrechtlichen Argumente Im Ergebnis ist der Auffassung in der Literatur, nach der die GASP und die GSVP zu den Angelegenheiten der Europäischen Union nach Art. 23 Abs. 2 GG gehören, zuzustimmen. Dafür spricht vor allem der Wortlaut der Verfassungsvorschrift unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte , wie sie in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni 2012 (Randnummer 104) überzeugend nachvollzogen wird. Dem stehen auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in Randnummer 105 der Entscheidung vom 19. Juni 2012 letztlich nicht entgegen. Die zunächst widersprüchlich anmutenden Aussagen in den Randnummern 104 und 105 dieser Entscheidung sind vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Art. 23 GG zu Art. 24 Abs. 2 GG (Beitritt zu Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit) in der deutschen Verteidigungspolitik zu sehen.19 Mit der Einführung des Europaartikels in das Grundgesetz (Art. 23 GG) im Jahr 1992 war zunächst nicht eindeutig, ob Maßnahmen im Bereich der GSVP der Mitwirkung des Bundestages im Rahmen von Art. 23 GG oder Art. 24 Abs. 2 GG bedürfen.20 Das Einverständnis des Bundestages zur Beteiligung der Deutschen Streitkräfte an den EU-geführten Operationen „Concordia“ zur Stabilisierung des Friedensprozesses in Mazedonien im Jahr 2003 und „Atalanta“ zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias im Jahr 2008 wurde allerdings jeweils auf Art. 24 Abs. 2 GG gestützt.21 In seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass die Europäische 18 BVerfGE 131, 152, 202 – parlamentarische Informationsrechte. 19 Von Kielmansegg, Parlamentarische Informationsrechte in der Euro-Rettung – Anmerkung zum ersten ESM-Urteil des BVerfG vom 19.06.2012, EuR 2012, 655, 662. 20 Thym, Integrationsziel europäische Armee? - Verfassungsrechtliche Grundlagen der deutschen Beteiligung an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), EuR-Beiheft 2010, 171, 173 f. 21 Vgl. zu „Concordia“: BT-Drs. 15/696, BT-PlProt. 15/35, S. 2932 (D)., zu „Atalanta“: BT-Drs. 16/11337; BT-PlProt. 16/197, S. 21357 (D). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 9 Union zwar noch kein „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ sei,22 aber eine entsprechende Weiterentwicklung der Union23 und der zukünftige Einsatz deutscher Streitkräfte im Rahmen der GSVP einer Ermächtigung des Bundestages nach Art. 24 Abs. 2 GG bedürfe.24 Dieser konstitutive Parlamentsvorbehalt nach Art. 24 Abs. 2 GG sei insoweit spezieller als Art. 23 GG.25 Der Vorrang von Art. 24 Abs. 2 GG vor Art. 23 GG führt dazu, dass Einsätze der Bundeswehr stets der Zustimmung des Bundestages bedürfen. Die Europäische Union kann sich nicht in der Weise weiterentwickeln, dass die Union über den Einsatz der Bundeswehr entscheidet und der Bundestag auf seine (letztlich verfassungsrechtlich nicht bindenden) Mitwirkungsrechte nach Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG verwiesen wird. Durch den Vorrang von Art. 24 Abs. 2 GG wird somit die Position des Bundestages in diesem Bereich der GSVP gestärkt. Diese Position sollte aber durch die Entscheidung vom 19. Juni 2012 zu den Informationsrechten des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, insbesondere durch die Ausführungen in Randnummer 104, nicht geschwächt bzw. verändert werden.26 Vor diesem Hintergrund löst sich der zunächst überraschende Widerspruch in den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts auf. Die Erläuterungen des Gerichts in Randnummer 104 sind danach so zu verstehen, dass insbesondere die GASP im Grundsatz zu den „Angelegenheiten der Europäischen Union“ gehört. Mit dieser generellen Aussage wollte das Gericht jedoch vermeiden , sich möglichweise mit einzelnen Ausführungen in seiner Lissabon-Entscheidung in Widerspruch zu setzen und die Position des Bundstages gerade in der Verteidigungspolitik zu schwächen . Daher ist der Hinweis in Randnummer 105 so zu deuten, dass es möglicherweise bei der GASP, vor allem aber bei der GSVP Bereiche geben kann, die nicht dem Regime des Art. 23 GG, sondern einer anderen Verfassungsvorschrift (Art. 24 Abs. 2 GG) unterfallen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass im Zweifelsfall alle Maßnahmen und Themenbereiche der Union auf dem Gebiet der GASP und der GSVP aufgrund des Wortlautes und der Entstehungsgeschichte des Art. 23 Abs. 2 GG als Angelegenheiten der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG zu verstehen sind. Damit gelten alle Mitwirkungs- und Informationsrechte des 22 Dies ist aber nicht unwidersprochen geblieben: Thym, Integrationsziel europäische Armee? - Verfassungsrechtliche Grundlagen der deutschen Beteiligung an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), EuR-Beiheft 2010, 171, 183 ff.; Fassbender, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band XI („Internationale Bezüge“), § 244, Rdnr. 73. 23 Vgl. zu der Frage zur Weiterentwicklung der Union zu einem „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“: Fassbender, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band XI („Internationale Bezüge“), § 244, Rdnr. 72 ff.. 24 BVerfGE 123, 267, 425 – Lissabon. Die Ermächtigung gilt nur für die Weiterentwicklung der Union zu einem „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“, im Rahmen dessen Deutschland in die Beschränkung seiner Hoheitsrechte einwilligen kann (Art. 24 Abs. 2 GG). Der Weiterentwicklung der Union zu einer Verteidigungsunion im Sinne einer Supranationalisierung, d.h. der Übertragung der Hoheitsrechte Deutschlands über die deutschen Streitkräfte auf die Union, hat das Bundesverfassungsgericht in der Lissabon-Entscheidung jedoch eine klare Absage erteilt (BVerfGE 123, 267, 361). 25 BVerfGE 123, 267, 425 – Lissabon. 26 Von Kielmansegg, Parlamentarische Informationsrechte in der Euro-Rettung – Anmerkung zum ersten ESM-Urteil des BVerfG vom 19.06.2012, EuR 2012, 655, 662. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 10 Bundestages gemäß Art. 23 Abs. 2 GG auch für die GASP und GSVP. Ausnahmen können allerdings dann bestehen, wenn die Maßnahmen auf diesen Gebieten, vor allem in der Verteidigungspolitik , eindeutig dem Regime einer anderen Verfassungsnorm unterfallen. Dies wäre etwa der Fall, wenn z.B. eine mit den Operationen „Concordia“ oder „Atalanta“ vergleichbare erneute EUgeführte Operation durchgeführt werden würde. Aber auch wenn solche Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 2 GG bestehen, bedeutet dies nicht, dass der Bundestag keinen oder nur einen sehr eingeschränkten Anspruch auf Unterrichtung durch die Bundesregierung hätte. Soweit es im Rahmen der GSVP um den Einsatz der Bundeswehr geht, ist die „verstärkte“ parlamentarische Kontrolle des Regierungshandelns im militärischen Bereich zu berücksichtigen.27 Zudem hat das Bundesverfassungsgericht auch für die gemeinsame Sicherheitspolitik im Rahmen der NATO klargestellt, dass sich die Mitwirkung und Kontrolle des Bundestages nicht in einem einmaligen Zustimmungsakt erschöpft, sondern auch auf den weiteren Vertragsvollzug erstreckt.28 Die Reichweite der parlamentarischen Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse im Bereich der GASP und der GSVP - außerhalb des Art. 23 Abs. 2 GG – dürfen hinter den entsprechenden parlamentarischen Befugnissen im Zusammenhang mit Maßnahmen der NATO nicht zurückbleiben. Schließlich kommt dem Bundestag auch im Bereich der auswärtigen Gewalt generell ein umfassendes Recht zur parlamentarischen Kontrolle der Regierung zu.29 Sowohl diese Kontrollaufgaben als auch die Entscheidungen über Einsätze der Bundeswehr kann der Bundestag nur wahrnehmen, wenn er von der Bundesregierung umfassend informiert wird. Das Bundesverfassungsgericht führt daher im Zusammenhang mit Informationsansprüchen des Bundestages im Bereich der Rüstungsexportkontrolle aus: Der Gewaltenteilungsgrundsatz „gebietet gerade im Hinblick auf die starke Stellung der Regierung, zumal wegen mangelnder Eingriffsmöglichkeiten des Parlaments in den der Exekutive zukommenden Bereich unmittelbarer Handlungsinitiative und Gesetzesanwendung, eine Auslegung des Grundgesetzes dahin, dass parlamentarische Kontrolle auch tatsächlich wirksam werden kann. Ohne Beteiligung am Wissen der Regierung kann das Parlament sein Kontrollrecht gegenüber der Regierung nicht ausüben.“30 Somit stehen dem Bundestag auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 23 Abs. 2 GG auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt nicht unerhebliche Informationsrechte gegenüber der Bundesregierung zu.31 27 BVerfGE 90, 286, 384 f. – Parlamentsheer. A.A. wohl nur Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar , Loseblattsammlung, 53. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2008), Art. 87a Rdnr. 143. Auch der Einsetzungsbeschluss der "Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr" ist im Übrigen nicht darauf gerichtet, die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an die Beteiligung des Bundestages bei Einsätzen der Bundeswehr stellt, herabzusetzen, vgl. dazu den Wortlaut des entsprechenden Antrags vom 11.03.2014: BT-Drs. 18/766, insbesondere die Ausführungen im 3. Aufzählungszeichen. 28 BVerfGE 104, 151, 209 – NATO-Konzept. 29 Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band II, 6. Auflage 2010, Art. 23 Rdnr. 76. 30 BVerfG, NVwZ 2014, 1652, 1653 – Rüstungsexporte. 31 Vgl. zu den Grenzen des Informationsrechts vor allem im „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“, die stets – d.h. auch im Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 2 GG - gelten: BVerfG, NVwZ 2014, 1652, 1654 – Rüstungsexporte ; für Art. 23 Abs. 2 GG: BVerfGE 131, 152, 206 – parlamentarische Informationsrechte. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 11 2.3. Zwischenergebnis Die Entwicklungen und Maßnahmen im Bereich der GASP und GSVP unterfallen als „Angelegenheiten der Europäischen Union“ den Mitwirkungs- und Informationsrechten des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 GG. Ausnahmen können bestehen, wenn ein Themenbereich eindeutig einer anderen vorrangigen Vorschrift des Grundgesetzes unterfällt. Dies gilt vor allem für den Bereich der Verteidigungspolitik, d.h. im Zusammenhang mit möglichen Einsätzen der Bundeswehr im Rahmen einer GSVP-Mission der Europäischen Union, bei denen sich die Mitwirkung des Bundestages nach Art. 24 Abs. 2 GG richtet. Aber auch wenn in Einzelfällen die Anwendung des Art. 23 Abs. 2 GG im Bereich der GASP und GSVP von anderen Verfassungsvorschriften überlagert wird, ist die Bundesregierung zur Unterrichtung des Bundestages verpflichtet. 3. Die Reichweite des Informationsrechts im Rahmen von § 7 EUZBBG Einfachgesetzlich regelt § 7 EUZBBG das Informationsrecht des Bundestages in Bezug auf die GASP und die GSVP. Darin heißt es: (1) Im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits - und Verteidigungspolitik unterrichtet die Bundesregierung umfassend, fortlaufend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Die Unterrichtung erfolgt in der Regel schriftlich. Sie umfasst die Zuleitung einer Übersicht der absehbar zur Beratung anstehenden Rechtsakte, deren Bewertung und eine Einschätzung über den weiteren Beratungsverlauf. Über Tagungen des Europäischen Rates und des Rates, die Beschlüsse und Schlussfolgerungen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zum Gegenstand haben, gilt § 4 Absatz 4 entsprechend. (2) Ergänzend leitet die Bundesregierung dem Bundestag auf Anforderung Dokumente von grundsätzlicher Bedeutung nach Maßgabe des § 6 Absatz 1 zu. § 6 Absatz 2 gilt entsprechend. (3) Zudem unterrichtet die Bundesregierung fortlaufend und zeitnah mündlich über alle relevanten Entwicklungen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. (4) Über die Sitzungen des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees unterrichtet die Bundesregierung die zuständigen Ausschüsse des Bundestages mündlich. In Bezug auf diese Regelungen in § 7 EUZBBG sind zwei Fragen gestellt worden. Zum einen geht es darum, ob es mit Blick auf Art. 23 Abs. 2 GG genügt, dem Bundestag nur eine Übersicht der absehbar zur Beratung anstehenden Rechtsakte zu übersenden (§ 7 Abs. 1 Satz 3 EUZBBG) und die Bereitstellung der entsprechenden Dokumente aus dem GASP/GSVP Bereich zu verweigern (dazu unten 3.1.). Zum anderen ist die Frage aufgeworfen worden, wem, d.h. der Bundesregierung oder dem Bundestag, die Befugnis zusteht, zu beurteilen, ob ein Dokument „grundsätzliche Bedeutung“ hat und daher von der Vorlagepflicht nach § 7 Abs. 2 EUZBBG erfasst wird (dazu unten 3.2.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 12 3.1. Gegenstand der Informationspflicht nach § 7 EUZBBG Ein Teil der Dokumente und Informationen, die die Bundesregierung dem Bundestag auf dem Gebiet der GASP und der GSVP zu übermitteln hat, ist bereits in § 7 EUZBBG festgelegt. In Bezug auf diese Dokumente und Informationen bedarf es daher im Grunde keines Rückgriffs auf die Frage, ob die GASP und die GSVP der Regelung des Art. 23 Abs. 2 GG unterfallen. Dazu gehören die folgenden Informationen und Dokumente: Die bereits in der 3. Frage erwähnte Übersicht der absehbar zur Beratung anstehenden Rechtsakte, deren Bewertung und eine Einschätzung über den weiteren Beratungsverlauf (§ 7 Abs. 1 Satz 3 EUZBBG). Die schriftliche und mündliche Unterrichtung über jeden Beratungsgegenstand vor Tagungen des Rates und des Europäischen Rates, soweit diese Beschlüsse und Schlussfolgerungen im Bereich GASP und der GSVP zum Gegenstand haben (§ 7 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 4 Abs. 4 Satz 1 EUZBBG). Dazu gehört auch die Darstellung der Grundzüge des Sach- und Verhandlungsstandes sowie die Verhandlungslinie der Bundesregierung sowie deren Initiativen (§ 7 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 4 Abs 4 Satz 2 EUZBBG). Nach den Tagungen muss die Bundesregierung den Bundestag schriftlich und mündlich über die Ergebnisse unterrichten (§ 7 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 4 Abs. 4 Satz 3 EUZBBG). Dokumente von grundsätzlicher Bedeutung muss die Bundesregierung auf Anforderung des Bundestages förmlich zuleiten (§ 7 Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 EUZBBG).32 Schließlich die mündliche Unterrichtung der zuständigen Ausschüsse des Bundestages über Sitzungen des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (§ 7 Abs. 4 EUZBBG). Schon aufgrund dieses eindeutigen Wortlauts des § 7 EUZBBG erschöpft sich die Unterrichtungspflicht der Bundesregierung nicht in der Übermittlung der Übersicht der absehbar zur Beratung anstehenden Rechtsakte, deren Bewertung und eine Einschätzung über den weiteren Beratungsverlauf , d.h. in der Übermittlung der so genannten Indikativen Vorschau (vgl. Frage 3). Darüber hinaus legt § 7 Abs. 1 Satz 1 EUZBBG fest, dass die Bundesregierung den Bundestag im Bereich der GASP und der GSVP umfassend, fortlaufend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten hat. Damit greift § 7 Abs. 1 Satz 1 EUZBBG den Wortlaut des Grundgesetzes in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG auf. Außerdem hat die Bundesregierung fortlaufend und zeitnah mündlich über alle relevanten Entwicklungen in diesem Bereich zu unterrichten (§ 7 Abs. 3 EUZBBG). Diese in Bezug auf den genauen Unterrichtungsgegenstand unbestimmten Regelungen müssen im Lichte des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ausgelegt werden. Wie oben dargestellt, unterfallen auch die Bereiche der GASP und der GSVP im Grundsatz der Informationspflicht im Sinne des Art. 23 Abs. 2 GG. Die einfachgesetzliche Vorschrift des § 7 EUZBBG vermag die Vorgaben des Grundgesetzes nicht zu ändern. Die Wiederholung des Wortlauts des verfassungsrechtlichen Informationsrechts (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) in § 7 Abs. 1 Satz 1 EUZBBG kann daher nur so verstanden werden, dass die Bundesregierung den Bundestag nach den gleichen Grundsätzen wie in anderen Angelegenheiten der Europäischen Union zu unterrichten hat. Die Reichweite und damit auch die Gegenstände des verfassungsrechtlichen Unterrichtungsrechts des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG sind 32 Vgl. zur Bewertung, wann ein Dokument „grundsätzliche Bedeutung“ hat, unten Ziff. 3.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 13 mit Blick auf den Zweck der Unterrichtung zu bestimmen. Das Informationsrecht dient dazu, die Informationsasymmetrie zwischen Bundesregierung und Bundestag auszugleichen, um dem Bundestag so eine effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union zu ermöglichen.33 Das Bundesverfassungsgericht hat vor diesem Hintergrund die Unterrichtung gerade in qualitativer Hinsicht sehr umfassend ausgelegt: Danach umfasst die Unterrichtung zunächst „Initiativen und Positionen der Bundesregierung selbst. Darüber hinaus erstreckt sie sich auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten in Angelegenheiten der Europäischen Union […], ist darauf aber nicht beschränkt. Sobald und soweit die Bundesregierung selbst mit einer Angelegenheit befasst ist, können auch ihr vorliegende Informationen über informelle und (noch) nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge erfasst sein. Die Unterrichtungspflicht kann, unabhängig von einer förmlichen Dokumentation, auch Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen von Organen und Gremien der Europäischen Union betreffen, in denen die Bundesregierung vertreten ist.“34 Die Pflicht der Bundesregierung , dem Bundestag die für sein Mitwirkungsrecht, zu dem auch seine Kontrollrechte gehören, notwendigen Informationen und Dokumente zu übermitteln, ergibt sich daher, neben Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG, direkt aus den in § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 EUZBBG festgehaltenen Grundsätzen der Unterrichtung im Bereich der GASP und der GSVP. Die Bundesregierung ist daher nicht berechtigt, generell die Bereitstellung von Dokumente aus dem GASP/GSVP Bereich zu verweigern und die Unterrichtung auf die Indikative Vorschau (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EUZBBG) zu beschränken . Die erste in Bezug auf § 7 EUZBBG gestellte Frage ist somit dahingehend zu beantworten, dass es schon nach dem Wortlaut dieser einfachgesetzlichen Vorschrift nicht genügt, dem Bundestag nur eine Übersicht der absehbar zur Beratung anstehenden Rechtsakte zu übersenden (§ 7 Abs. 1 Satz 3 EUZBBG). Soweit Maßnahmen aus dem Bereich der GASP und der GSVP nicht ausnahmsweise aus dem Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 2 GG herausfallen, gelten für sie die gleichen Grundsätze für die Unterrichtung wie für die anderen Angelegenheiten der Union. Die allgemeinen Grundsätze der Unterrichtung, wie sie auch in § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 EUZBBG für den Bereich der GASP und der GSVP wiedergegeben sind, gestatten es der Bundesregierung daher nicht, die Bereitstellung der entsprechenden Dokumente aus dem Bereich zu verweigern. 3.2. Bewertung der „grundsätzlichen Bedeutung“ eines Dokuments im Sinne des § 7 Abs. 2 EUZBBG Im Anschluss an die vorstehenden Ausführungen ist mit Blick auf die Regelung des § 7 Abs. 2 EUZBBG zunächst klarzustellen, dass durch die Erwähnung der Dokumente von „grundsätzlicher Bedeutung“ die übrigen Unterrichtungspflichten im Bereich der GASP und der GSVP nicht eingeschränkt werden. Im Gegenteil spricht schon der Wortlaut des § 7 Abs. 2 EUZBBG von einer „ergänzenden“ Zuleitung. Darüber hinaus regelt § 7 Abs. 2 EUZBBG nicht, ob ein Dokument dem 33 Herrschende Meinung: BVerfGE 131, 152, 202 f. – parlamentarische Informationsrechte, mit weiteren Nachweisen aus der ständigen Rechtsprechung; aus der Literatur statt vieler: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 136 f.; Hölscheidt, Die Verantwortung des Bundestages für die europäische Integration, DÖV 2012, 105, 108; Mellein, Die Rolle von Bundestag und Bundesrat in der Europäischen Union, EuR-Bei 2011, 13, 41, jeweils m.w.N. 34 BVerfGE 131, 152, 207 – parlamentarische Informationsrechte. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 14 Bundestag überhaupt übermittelt werden muss, sondern legt nur die Übermittlungsart fest. Dokumente von „grundsätzlicher Bedeutung“ sind danach dem Bundestag im Wege der förmlichen Zuleitung nach § 6 Abs. 1 EUZBBG zu übermitteln. Dies entspricht auch dem System der sonstigen Unterrichtung des EUZBBG nach der Novelle im Jahr 2013. Im Rahmen dieser Novelle wurden die allgemeinen Grundsätze der Unterrichtung im System des EUZBBG vorgezogen (§ 3 EUZBBG n.F.), um deutlich zu machen, dass sie für alle Unterrichtungsrechte gelten. Die Qualifikation eines Dokuments als Vorhaben im Sinne des § 5 Abs. 1 EUZBBG führt allein zu der Vorgabe , in welchem Verfahren das entsprechende Dokument dem Bundestag zugeleitet werden muss (förmliche Zuleitung, § 6 EUZBBG).35 Im Übrigen weist der Wortlaut des § 7 Abs. 2 EUZBBG keinem Verfassungsorgan die Kompetenz zu, darüber zu entscheiden, wann ein Dokument in diesem Sinne „grundsätzliche Bedeutung“ hat. Damit ist die objektive Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals für allgemeinen Auslegungsmethoden offen. Als erster Ausgangspunkt können dazu allgemeine Kriterien herangezogen werden , wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit der Wesentlichkeitstheorie genannt werden. Danach sprechen für die Wesentlichkeit eines Vorhabens (oder auch für die „grundsätzliche Bedeutung “ eines Dokuments) insbesondere seine Grundrechts- und Verfassungsrelevanz, die Größe des betroffenen Adressatenkreises, die Langfristigkeit einer Festlegung, der Umfang der finanziellen Auswirkungen auf Staat und Bevölkerung sowie die Auswirkungen auf das Staats- oder Unionsgefüge.36 Im Übrigen muss bei dieser Auslegung maßgeblich berücksichtigt werden, dass - bis auf die erwähnten Ausnahmefälle - die GASP und auch die GSVP als Angelegenheiten der Europäischen Union dem Informationsrecht des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG unterfallen37 und dieses weit auszulegen ist. Im Zweifel sollte daher die objektive Bedeutung eines Dokuments eher höher eingeschätzt werden, um dieser verfassungsrechtlichen Anforderung gerecht zu werden. Daneben enthält das Tatbestandsmerkmal „grundsätzliche Bedeutung“ aber auch ein subjektives Element. Die „grundsätzliche Bedeutung“ kann nämlich nicht ohne Bezug zur aktuellen politischen Lage und gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung des aktuellen Verhältnisses der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesregierung zueinander verstanden werden. So kann die aktuelle politische Stimmung im Bundestag dazu führen, dass ein Vorgang als „grundsätzlich bedeutsam “ zu beurteilen ist, etwa weil er zum Gegenstand eines parlamentarischen Diskurses zwischen Oppositions- und Mehrheitsfraktionen geworden ist. Möglich ist auch, dass der Bundestag einen Vorgang für besonders bedeutsam und daher aus deutscher Sicht bestimmte Maßnahmen für notwendig hält. In einem solchen Fall kann die parlamentarische Regierungskontrolle darauf gerichtet sein, zu prüfen, ob die Bundesregierung diese, vom Bundestag für notwendig erachteten Maßnahmen auch ergreifen will. Die entsprechenden Dokumente haben in einem solchen Fall für 35 Siehe die Begründung zum EUZBBG im Jahr 2013, BT-Drs. 17/12816, S. 8; dazu auch ausführlich: Schäfer /Schulz, Der Bundestag wird europäisch – zur Reform des Beteiligungsgesetzes EUZBBG, Integration 2013, 199, 203. 36 Vgl. dazu Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 51. Ergänzungslieferung (Stand: Dezember 2007), Art. 20, VI., Rdnr. 107; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band II, 2. Auflage 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rdnr. 113; Robbers, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 142. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 20 Abs. 1, Rdnr. 2025 ff.; BVerfGE 49, 89, 126 – Kalkar I; BVerfGE 98, 218, 251, 137 – Rechtschreibreform; BVerfG NVwZ 2010, 114, 117 – Schacht Konrad II. 37 Vgl. oben S. 8 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 083/15 Seite 15 den Bundestag im Rahmen seiner Regierungskontrolle ebenfalls „grundsätzliche Bedeutung“. Im Übrigen kann letztlich auch nur der Bundestag beurteilen, welche Dokumente er benötigt, um seine Mitwirkungsrechte (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG) wahrnehmen zu können. Wäre es der Bundesregierung möglich, zu bewerten, welche Vorgänge, Themen und Dokumente für den Bundestag von „grundsätzlicher Bedeutung“ sind und welche nicht, könnte die Bundesregierung die Mitwirkungs- und Kontrollrechte des Bundestages steuern. Dies widerspricht nicht nur Art. 23 Abs. 2 GG, sondern auch dem grundlegenden verfassungsrechtlichen Auftrag des Bundestages, die Regierung zu kontrollieren. Aus diesen Gründen ist die zweite Frage zu § 7 EUZBBG dahingehend zu beantworten, dass die Letztentscheidung darüber, welche Dokumente „grundsätzliche Bedeutung“ im Sinne von § 7 Abs. 2 EUZBBG haben, beim Bundestag liegt. 4. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Maßnahmen im Rahmen der GASP und GSVP sind „Angelegenheiten der Europäischen Union“ und unterfallen daher auch den Mitwirkungs- und Informationsrechten des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 GG. In Ausnahmefällen kann allerdings Art. 23 Abs. 2 GG durch andere vorrangige Vorschriften des Grundgesetzes verdrängt sein, so dass sich die Rechte des Bundestages nach diesen Vorschriften bestimmen. Zu denken ist hier insbesondere an Einsätze der Bundeswehr im Rahmen einer GSVP-Mission der Europäischen Union. Die Beteiligung Deutschlands an einer solchen Mission würde der insoweit vorrangigen Regelung des Art. 24 Abs. 2 GG unterfallen . Aber auch wenn in Einzelfällen Art. 23 Abs. 2 GG nicht gilt, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass dem Bundestag auch im Bereich der auswärtigen Gewalt nicht unerhebliche Informationsrechte gegenüber der Bundesregierung zustehen. Im Rahmen der einfachgesetzlichen Regelung des § 7 EUZBBG genügt es nicht, wenn die Bundesregierung dem Bundestag allein die Übersicht der absehbar zur Beratung anstehenden Rechtsakte im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 EUZBBG zur Verfügung stellt. Schon der Wortlaut der Regelung sieht eine Reihe weiterer Informationen und Dokumente vor, die die Bundesregierung zu übermitteln hat. Im Übrigen gelten im Bereich der GASP und GSVP keine wesentlich anderen Grundsätze der Unterrichtung als bei anderen Angelegenheiten der Europäischen Union. Dies wird so schon durch § 7 Abs. 1 Satz 1 EUZBBG deutlich, der den Wortlaut des verfassungsrechtlichen Informationsrechts in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG wiederholt. Die Bundesregierung hat in diesem Rahmen alle Dokumente vorzulegen, die der Bundestag für die Wahrnehmung seiner Mitwirkungs - und Kontrollrechte benötigt, wobei dieses Informationsrecht weit auszulegen ist. § 7 Abs. 2 EUZBBG regelt insoweit nur „ergänzend“, dass Dokumente mit „grundsätzlicher Bedeutung “ dem Bundestag förmlich zuzuleiten sind (§ 6 Abs. 1 EUZBBG). Die Letztentscheidung darüber , welchen Dokumenten diese „grundsätzliche Bedeutung“ zukommt, liegt beim Bundestag.