© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 082/20 Infektionsschutzgesetz und Katastrophenschutzgesetze der Länder Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 082/20 Seite 2 Infektionsschutzgesetz und Katastrophenschutzgesetze der Länder Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 082/20 Abschluss der Arbeit: 9. April 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 082/20 Seite 3 1. Fragestellung Es wird gefragt, in welchem Verhältnis die Katastrophenschutzgesetze der Länder zum Infektionsschutzgesetz des Bundes stehen. 2. Infektionsschutzgesetz und Katastrophenschutzgesetze Das Infektionsschutzgesetz (IfSG)1 wurde aufgrund der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG für „Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen“ erlassen.2 Es dient gemäß § 1 Abs. 1 IfSG dazu, „übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern “. Im Wesentlichen führen die Länder das Infektionsschutzgesetz als eigene Angelegenheit aus.3 Die Katastrophenschutzgesetze wurden aufgrund der allgemeinen Zuständigkeit der Länder für die Gesetzgebung nach Art. 70 Abs. 1 GG erlassen.4 Die Kompetenz umfasst die Gefahrenabwehr bei Katastrophen in Friedenszeiten.5 Die Katastrophenschutzgesetze bestimmen insbesondere die zuständigen Behörden sowie die in Betracht kommenden Maßnahmen zur Bekämpfung von Katastrophen. Voraussetzung der Anwendbarkeit der Gesetze ist der Katastrophenfall. Die Katastrophenschutzgesetze enthalten weit überwiegend6 eine Definition des Begriffs Katastrophe. Die Definitionen gleichen sich im Wesentlichen . So lautet die Definition in § 2 Abs. 1 des Berliner Katastrophenschutzgesetzes: „Katastrophen im Sinne dieses Gesetzes sind Großschadensereignisse, die zu einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer Vielzahl von Menschen, für die Umwelt oder für sonstige bedeutsame Rechtsgüter führen und die von den für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörden mit eigenen Kräften und Mitteln nicht angemessen bewältigt werden können.“ 1 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587). 2 Vgl. Erdle, Infektionsschutzgesetz, 7. Aufl. 2020, § 1 S. 16. 3 BT-Drs. 19/18111, S. 1. 4 Vgl. Walus, Pandemie und Katastrophennotstand: Zuständigkeitsverteilung und Kompetenzmängel des Bundes, in: DÖV 2010, S. 127 (130). 5 Walus, Pandemie und Katastrophennotstand: Zuständigkeitsverteilung und Kompetenzmängel des Bundes, in: DÖV 2010, S. 127 (131). Dem Bund kommt hingegen nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG die ausschließliche Kompetenz für den Zivilschutz zu, der den Schutz der Bevölkerung im Krieg umfasst. 6 Vgl. Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, § 1 Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 082/20 Seite 4 Die Definition in Art. 1 Abs. 2 des Bayerischen Katastrophenschutzgesetzes lautet: „Eine Katastrophe im Sinn dieses Gesetzes ist ein Geschehen, bei dem Leben oder Gesundheit einer Vielzahl von Menschen oder die natürlichen Lebensgrundlagen oder bedeutende Sachwerte in ungewöhnlichem Ausmaß gefährdet oder geschädigt werden und die Gefahr nur abgewehrt oder die Störung nur unterbunden und beseitigt werden kann, wenn unter Leitung der Katastrophenschutzbehörde die im Katastrophenschutz mitwirkenden Behörden, Dienststellen, Organisationen und die eingesetzten Kräfte zusammenwirken.“ Erforderlich ist somit zunächst ein Geschehen, das eine Gefahr für eine Vielzahl von Menschen, bedeutende Sachwerte oder sonstige bedeutende Rechtsgüter verursacht.7 Auch Infektionskrankheiten können das Ausmaß einer Katastrophe annehmen.8 Den Katastrophenschutzgesetzen ist zudem gemeinsam, dass ein Katastrophenfall nur dann vorliegt , wenn das Großschadensereignis zu einer Überforderung der eigentlich zuständigen Behörden führt.9 Dies begründet die Zuständigkeit der übergeordneten Katastrophenschutzbehörden.10 Umstritten ist, ob es für eine Anwendung der Katastrophenschutzgesetze ausreicht, dass der Katastrophenfall faktisch eingetreten ist oder ob der Katastrophenfall festgestellt werden muss.11 Gegen die generelle Notwendigkeit der Feststellung des Katastrophenfalls wird angeführt, dass einige Katastrophenschutzgesetze diese Feststellung gar nicht vorsehen.12 Zudem erfordere auch der Katastrophennotstand nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG keine Feststellung. Für die Notwendigkeit der positiven Feststellung des Katastrophenfalls wird angeführt, dass diese zur Wahrung der Rechtssicherheit erforderlich sei.13 Zudem könne nur auf diese Weise ein Missbrauch der besonderen Befugnisse ausgeschlossen werden.14 Ohne Eintritt bzw. Feststellung des Katastrophenfalls bleibt im Falle einer Pandemie allein das Infektionsschutzgesetz anwendbar. Liegt der Katastrophenfall in einem Bundesland vor, kommen 7 Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, § 1 Rn. 25. 8 Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, § 1 Rn. 8 ff.; Kloepfer/Deye, Pandemien als Herausforderung für die Rechtsordnung, in: DVBl. 2009, S. 1208 (1213). 9 Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, § 1 Rn. 26. 10 Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, § 1 Rn. 26. 11 Siehe vertiefend zur Diskussion Grüner, Biologische Katastrophen, 2017, S. 90 ff. 12 Grüner, Biologische Katastrophen, 2017, S. 92. Dabei handelt es sich um die Gesetze aus Bremen, Nordrhein- Westfalen und Rheinland-Pfalz. 13 Leupold, Die Feststellung des Katastrophenfalls, 2012, S. 96 f., 107 f., 184 f. 14 Walus, Katastrophennotstand in Berlin: Strukturen und Kompetenzkonflikte, in: LKV 2010, S. 152 (155). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 082/20 Seite 5 das jeweilige Katastrophenschutzgesetz und das Infektionsschutzgesetz nebeneinander zur Anwendung .15 Von besonderer Bedeutung ist dabei vor allem die Unterstützung der nach dem Infektionsschutz vorgesehenen Maßnahmen durch Mittel des Katastrophenschutzes.16 3. Epidemische Lage von nationaler Tragweite Mit der Ende März 2020 erfolgten Änderung des IfSG17 hat der Deutsche Bundestag gemäß § 5 Abs. 1 IfSG eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ festgestellt. Folge dieser Feststellung ist nach § 5 Abs. 2 IfSG, dass das Bundesministerium für Gesundheit „unbeschadet der Befugnisse der Länder“ ermächtigt wird, bestimmte Rechtsverordnungen zu erlassen oder Anordnungen zu erteilen. Die Begründung des Gesetzentwurfs führt aus: „Diese Anordnungsbefugnisse treten neben die Rechtsetzungs- und Verwaltungsbefugnisse der Länder, gleichgültig ob sie nach diesem Gesetz oder auf Grundlage anderer Vorschriften bestehen. Regelungen der Länder dürfen den Regelungen des Bundes in diesem Rahmen nicht widersprechen.“18 Demnach dürften die Katastrophenschutzgesetze auch im Falle einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite Anwendung finden können, soweit ihre Vorschriften nicht im Widerspruch zu den bundesrechtlichen Regelungen stehen. *** 15 Grüner, Biologische Katastrophen, 2017, S. 195. 16 Grüner, Biologische Katastrophen, 2017, S. 195 m.w.N. 17 Die Änderung erfolgte durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587). 18 BT-Drs. 19/18111, S. 20.