© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 082/16 Fragen zu Fristen der Aufstellung von Wahlkreisbewerbern und Landeslistenvorschlägen zur Bundestagswahl Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Erster rechtlich bindender Schritt bei einer Bundestagswahl Die Frage, welcher Schritt bei einer Bundestagswahl der erste mit rechtlicher Bindungswirkung ist, lässt sich nicht allgemein beantworten. Das Grundgesetz (GG) bestimmt jedenfalls den grundsätzlichen zeitlichen Rahmen für Wahlen in Art. 39 Abs. 1 Satz 3 und 4: „Die Neuwahl findet frühestens sechsundvierzig, spätestens achtundvierzig Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt.“ In Bezug auf die Wahlvorbereitung lässt sich weiter festhalten, dass als „Initialakt“ der amtlichen Vorbereitungsmaßnahmen einer Bundestagswahl die gemäß dem in Art. 39 GG vorgegebenen zeitlichen Rahmen erfolgende Festlegung des Wahltags durch den Bundespräsidenten nach § 16 Bundeswahlgesetz betrachtet werden kann (BWahlG).1 Sie entfaltet rechtliche Wirkungen in mehrerer Hinsicht.2 Beispielsweise ist der Wahltag maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der aktiven und passiven Wahlberechtigung für die jeweilige Wahl (§§ 12, 15 BWahlG). Auch ist der Wahltag für diverse Fristen nach dem BWahlG maßgeblich (bspw. §§ 18 Abs. 2, 19, 26 Abs. 1 BWahlG). Demgegenüber können nichtamtliche Vorbereitungsmaßnahmen – insbesondere die vorbereitenden Handlungen zur Nominierung von Kandidaten durch Parteien – auch schon erfolgen, bevor der Wahltag vom Bundespräsidenten festgelegt wurde.3 Insoweit werden teils nur frühestmögliche Zeitpunkte gesetzlich normiert (siehe dazu auch 3.). 3. Bindungswirkung der Fristen zur Kandidatenaufstellung Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 BWahlG kann als Wahlkreisbewerber einer Partei in einem Kreiswahlvorschlag nur benannt werden, wer unter anderem in einer Mitgliederversammlung zur Wahl eines Wahlkreisbewerbers oder in einer besonderen oder allgemeinen Vertreterversammlung dazu gewählt worden ist. Die Vertreter auf einer besonderen oder allgemeinen Vertreterversammlung müssen dabei gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2, 3 BWahlG grundsätzlich jeweils von einer in § 21 Abs. 1 Satz 1 BWahlG bezeichneten Mitgliederversammlung gewählt sein.4 Nach § 21 Abs. 3 Satz 3 BWahlG dürfen die Wahlen für die Aufstellung des Wahlkreisbewerbers prinzipiell frühestens 32 Monate, die für die Vertreterversammlungen frühestens 29 Monate nach Beginn der (laufenden) Wahlperiode 1 Hahlen, Johann, in: Schreiber, Wolfgang (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2013, § 16 Rn. 2, 9. 2 Siehe dazu auch Hahlen (Fn. 1), § 16 Rn. 1 f., 9. 3 Vgl. Hahlen (Fn. 1), § 16 Rn. 2. 4 Siehe Hahlen (Fn. 1), § 21 Rn. 17, 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 082/16 Seite 4 des Deutschen Bundestages stattfinden. Gemäß § 26 Abs. 5 BWahlG gelten die Fristen des § 21 Abs. 3 BWahlG für die Aufstellung der Landeslisten entsprechend. Die Fristen des § 21 Abs. 3 BWahlG sehen damit frühestmögliche Zeitpunkte für die Durchführung der Aufstellung von Wahlkreisbewerbern und Landeslisten vor, das heißt es darf auch wesentlich später damit begonnen werden. Sie sind jedoch insoweit bindend, als es zur Ungültigkeit der Aufstellung eines Bewerbers oder eine Landesliste führt, wenn mit der Durchführung der Aufstellungsmaßnahmen nach §§ 21 Abs. 1, 27 Abs. 5 BWahlG bereits vor den jeweils normierten Zeitpunkten begonnen wurde.5 Eingereicht werden müssen sowohl Kreiswahlvorschläge als auch Landeslisten spätestens am 69. Tag vor der Wahl bis 18 Uhr (§ 19 BWahlG). Der Bundesgesetzgeber ist durch diese einfachgesetzlichen Fristen jedoch nicht dahingehend gebunden, dass er im Hinblick auf eine durchzuführende Bundestagswahl nach Fristbeginn das BWahlG nicht mehr ändern darf. Maßstab für Änderungen ist allein das Grundgesetz. Die Frage, ob die Neueinteilung von Wahlkreisen, die vom Gesetzgeber vorzunehmen ist,6 nach dem Ablauf der Frist für den frühestmöglichen Beginn der Maßnahmen zur Wahlkreisbewerberund Listenaufstellung verfassungswidrig wäre, wird unterschiedlich eingeschätzt. Im Zusammenhang mit einem aktuellen Ergänzungsbericht der Wahlkreiskommission und der dort untersuchten Veränderung eines Wahlkreiszuschnitts in der Weise, dass das Land Thüringen für die kommende Bundestagswahl statt neun nur noch acht Wahlkreise erhält, heißt es in dem Bericht der Landesregierung des Freistaates Thüringen, dass es „von Verfassungswegen aus Gründen der Chancengleichheit der Parteien und der Wahlkreisbewerber sowie aus allgemeinen Gründen der Rechtssicherheit notwendig [sei], dass zum Zeitpunkt des frühestmöglichen gesetzlich festgelegten Beginns der Wahl der Vertreter für Vertreterversammlungen die Einteilung und Größe der Wahlkreise […] festgelegt seien.“7 Darüber hinaus stelle eine Wahlkreiseinteilung nach diesem Zeitpunkt einen Eingriff in die laufende innerparteiliche, demokratische Willensbildung dar.8 5 Siehe Hahlen (Fn. 1), § 21 Rn. 34. 6 Siehe Hahlen (Fn. 1), § 3 Rn. 1. 7 BT-Drucks. 18/7350, S. 7. 8 BT-Drucks. 18/7350, S. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 082/16 Seite 5 Nach Äußerungen in der Literatur dürften die Fristen des § 21 Abs. 3 BWahlG keine Ausschlussfristen für die Änderung der Wahlkreise darstellen.9 Zumindest zeitnah zum Fristbeginn vollzogene Änderungen der Wahlkreiseinteilung dürften demnach noch zulässig sein.10 Es kann jedoch festgehalten werden, dass eine Neueinteilung der Wahlkreise wohl gegen Art. 21 Abs. 1 GG verstoßen würde, wenn es für die Parteien gänzlich unmöglich wäre, fristgerecht, d.h. nach geltendem Wahlrecht bis zum Fristende für die Einreichung von Wahlvorschlägen nach § 19 BWahlG, Kandidaten oder Landeslisten aufzustellen, da Art. 21 GG prinzipiell die Mitwirkung der politischen Parteien an Wahlen vorsieht.11 Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit der Parteien dürfte dagegen fraglich sein, da die Neueinteilung der Wahlkreise die Kandidatenaufstellung aller Parteien in den betroffenen Bundesländern gleichermaßen trifft.12 Die Frist zur Einreichung der Kreiswahlvorschläge und Landeslisten nach § 19 BWahlG ist eine Ausschlussfrist, das heißt danach eingehende Vorschläge finden keine Berücksichtigung mehr.13 Auch diese Frist könnte allerdings vom Gesetzgeber geändert werden. Es ist nicht ersichtlich, dass es verfassungswidrig wäre, diese Frist zu verkürzen, die vor allem die ordnungsgemäße Abwicklung der Wahl gewährleisten soll.14 4. Auswirkungen eines neuen Wahlkreiszuschnitts auf bereits erfolgte Maßnahmen zur Aufstellung von Wahlkreisbewerbern und Landeslisten Sofern eine Wahlkreisneueinteilung nach dem frühestmöglichen Zeitpunkt nach § 21 Abs. 3 Satz 3 BWahlG erfolgte, dürften bis dahin gebildete Vertreterversammlungen in geänderten Wahlkreisen wohl nicht mehr wirksam einen Wahlkreisbewerber wählen. § 21 Abs. 1 Abs. 1 Satz 2, 3 BWahlG sieht vor, dass eine Vertreterversammlung auf eine Mitgliederversammlung der im Zeitpunkt ihres Zusammentritts im Wahlkreis zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Mitglieder der Partei zurückzuführen sein muss. Das wäre dann – angesichts geänderter Zuschnitte der Wahlkreise – jedoch nicht mehr der Fall. Demgemäß müsste ein Wahlkreisvorschlag, der sich auf die Entscheidung einer solchen Vertreterversammlung stützte, wohl nach § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BWahlG zurückgewiesen werden, da er den gesetzlichen Anforderungen nicht entspräche. 9 Vgl. Schreiber, Wolfgang, Die Neueinteilung der Wahlkreise für die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag – verfassungswidrig ?, ZRP 1997, 105 (106); Schreiber, Wolfgang: Novellierungen des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag – Das 15. und 16. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 27. 4. 2001, NVwZ 2002, 1 (2); Die Kommentierung Hahlens (Fn. 1), § 3 Rn. 45, § 21 Rn. 31, legt dies bis zu einem gewissen Grad nahe, da hierin die Möglichkeit einer Aufstellung von Wahlkreisbewerbern vor der Festlegung von Wahlkreisen zwar thematisiert, aber letztlich nicht problematisiert wird. 10 Vgl. Schreiber (Fn. 10), ZRP 1997, 105 (106); Schreiber (Fn. 10), NVwZ 2002, 1 (2). 11 Siehe nur BVerfGE 61, 1 (11 f.); Hahlen (Fn. 1), § 3 Rn. 5; Streinz, Rudolf, in: v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Begr./Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 21 Rn. 79. 12 Siehe zu einer ähnlichen Argumentation mit Blick auf die Festlegung des Wahltermins, die ebenfalls alle gleichermaßen betrifft, Hahlen (Fn. 1), § 16 Rn. 6. 13 Hahlen (Fn. 1), § 19 Rn. 3. 14 Hahlen (Fn. 1), § 19 Rn. 3 Fn. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 082/16 Seite 6 Angesprochen wird dieses Problem in der Literatur für die Frage, ob eine vor der endgültigen Einteilung der Wahlkreise erfolgte Wahlkreisbewerberaufstellung gültig wäre. So führt Hahlen aus, dass eine Wahlkreisbewerberaufstellung „kaum rechtens erfolgen“ könne, bevor die endgültige Wahlkreiseinteilung festliege, so dass das Risiko einer Zurückweisung des Vorschlags nach § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BWahlG bestehe.15 Der dementsprechende Mangel ließe sich dann wohl nur durch ein neues Aufstellungsverfahren heilen.16 Nach den Ausführungen Schreibers kam es bei Bundestagswahlen bisher zumindest in zwei Fällen zu Konstellationen, bei denen die Wahlkreiseinteilung nach dem frühestmöglichen Zeitpunkt zur Kandidatenaufstellung vorgenommen wurde.17 Um eine darauf zurückzuführende Zurückweisung von Kreiswahlvorschlägen zu vermeiden, wies der Bundeswahlleiter zumindest in einem Fall mit einem Schreiben auf die Rechtslage hin.18 Dies dürfte auch dazu führen, dass mögliche Vertrauensschutzerwägungen nicht greifen. In der Praxis müssten in der Konsequenz die Termine für die Kandidatenaufstellung (für Vertreterversammlung und Wahl der Direktkandidaten) ggf. verschoben werden, bis der Wahlkreiszuschnitt feststeht. Der zeitliche Rahmen sowohl für die Entscheidung über den Wahlkreiszuschnitt als auch für eine Terminverschiebung „nach hinten“ in Bezug auf die Kandidatenaufstellung ist insoweit abgesteckt, als dass ein Wahlvorschlag zum gesetzlich festgelegten 69. Tag vor der Wahl bis 18 Uhr gemäß § 19 BWahlG noch realistischer Weise möglich sein muss. Anderenfalls stellt sich die bereits oben angesprochene verfassungsrechtliche Problematik in Bezug auf Art. 21 GG (siehe 3.). Für eine bereits aufgestellte Landesliste ist die Situation anders zu bewerten, weil diese nicht spezifisch auf die Parteimitglieder in den Wahlkreisen zurückzuführen sein muss. Die entsprechende Anwendung des § 21 Abs. 1 BWahlG führt vielmehr dazu, dass die Kandidaten eines Landeslistenvorschlags von einer Landesmitglieder- oder einer Landesvertreterversammlung zu bestimmen sind, für die die Grenzen der Wahlkreise nicht zwingend von Bedeutung sind.19 Zulässig wäre es jedoch wohl auch, dass Mitgliederversammlungen Vertreter für eine Wahlkreis -delegiertenkonferenz wählen, die ihrerseits Vertreter für eine letztendlich maßgebliche Landesdelegiertenversammlung bestimmen.20 Insoweit könnte eine Änderung der Wahlkreisgrenzen problematisch sein, da sich die jeweiligen Versammlungen bei geänderten Wahlkreisen anders zusammensetzen könnten. Dies könnte dann eine Zurückweisung nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 BWahlG auslösen, wenn es so bewertet würde, dass die Anforderungen der §§ 27 Abs. 5, 21 Abs. 1 BWahlG nicht erfüllt wären. Ende der Bearbeitung 15 Hahlen (Fn. 1), § 21 Rn. 31; vgl. auch Rn. 14 und § 3 Rn. 45; siehe auch Schreiber (Fn. 10), ZRP 1997, 105 (106). 16 Vgl. Hahlen (Fn. 1), § 21 Rn. 14. 17 Schreiber (Fn. 10), ZRP 1997, 105 (106); Schreiber (Fn. 10), NVwZ 2002, 1 (2). 18 Schreiber (Fn. 10), NVwZ 2002, 1 (2); Schreiber (Fn. 10), ZRP 1997, 105 (106), führt insoweit schon aus, dass ein solches „Aufklärung-Rundschreiben“ angezeigt sei. 19 Vgl. dazu Hahlen (Fn. 1), § 27 Rn. 21. 20 Hahlen (Fn. 1), § 27 Rn. 21.