© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 080/18 Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Frauenquoten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 080/18 Seite 2 Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Frauenquoten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 080/18 Abschluss der Arbeit: 19.03.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 080/18 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung thematisiert die Vereinbarkeit der Frauenquote mit dem Verfassungsrecht. Dabei soll insbesondere auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, namentlich des Bundesverfassungsgerichts , sowie bedeutende Stimmen aus der rechtswissenschaftlichen Literatur eingegangen werden. 2. Unionsrechtliche Vorgaben Eine einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Einführung von Frauenquoten besteht bisher nicht.1 Entsprechende Vorgaben sind jedoch dem Unionsrecht und der darauf beruhenden Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen.2 Die unionsrechtlich entwickelten Maßstäbe dürften aufgrund des Anwendungsvorranges des Unionsrechts auch das nationale Recht maßgeblich prägen.3 Ausgangspunkt ist dabei die „Rechtssache Kalanke“, in der der EuGH starre Quotenregelungen für unzulässig erachtete, indem er ausführt: „daß eine nationale Regelung, nach der weiblichen Bewerbern, die die gleiche Qualifikation wie ihre männlichen Mitbewerber besitzen, in Tätigkeitsbereichen, in denen im jeweiligen Beförderungsamt weniger Frauen als Männer beschäftigt sind, bei einer Beförderung automatisch der Vorrang eingeräumt wird, eine Diskriminierung der Männer aufgrund des Geschlechts bewirkt.“4 Als weitere grundlegende Entscheidung des EuGH ist die „Rechtssache Marschall“ anzusehen. In dieser wurden die Voraussetzungen einer zulässigen offenen Quotenregelung definiert, die eine flexible Öffnungs- bzw. Härtefallklausel beinhaltet. Hierzu führt der EuGH aus: „Im Gegensatz zu der Regelung, die Gegenstand des Urteils Kalanke war, überschreitet eine nationale Regelung, die wie im vorliegenden Fall eine Öffnungsklausel enthält, diese Grenzen nicht, wenn sie den männlichen Bewerbern, die die gleiche Qualifikation wie die weiblichen Bewerber besitzen, in jedem Einzelfall garantiert, daß die Bewerbungen Gegenstand einer objektiven Beurteilung sind, bei der alle die Person der Bewerber betreffenden Kriterien berücksichtigt werden und der den weiblichen Bewerbern eingeräumte Vorrang entfällt, wenn eines oder mehrere dieser Kriterien zugunsten des männlichen Bewerbers überwiegen. Solche 1 Vgl. Langenfeld, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 74. EL – Mai 2015, Art. 3 Abs. 2 Rn. 91. 2 Vgl. hierzu: Art. 157 Abs. 4 AEUV (Gleichstellung von Mann und Frau im Erwerbsleben); Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung), ABl. Nr. L 204 S. 23; EuGH, Urt. v. 17.10.1995 – Rs. C-450/93, NJW 1995, 3109 – Kalanke/Freie Hansestadt Bremen; EuGH, Urt. v. 11.11.1997 – Rs. C-409/95, NJW 1997, 3429 – Marschall/Land Nordrhein-Westfalen. 3 Langenfeld, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 74. EL – Mai 2015, Art. 3 Abs. 2 Rn. 93. 4 EuGH, Urt. v. 17.10.1995 - Rs. C-450/93 (Kalanke), Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 080/18 Seite 4 Kriterien dürfen allerdings gegenüber den weiblichen Bewerbern keine diskriminierende Wirkung haben.“5 Den Vorgaben des EuGH kann allgemein entnommen werden, dass Quotenregelungen nur dann zulässig sind, wenn sie nicht starr ausgestaltet sind und zugunsten der nicht begünstigten Gruppe entsprechende Öffnungsklauseln enthalten. 3. Vereinbarkeit einer Quotenregelung mit dem Grundgesetz 3.1. Allgemeine Grundsätze Nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG darf niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden. Eine Regelung, die ein Geschlecht bevorzugt, benachteiligt im Grundsatz zugleich das andere Geschlecht. Die damit einhergehende Ungleichbehandlung kann aber möglicherweise durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden. Als Rechtfertigung kommt nach herrschender Meinung dabei auch Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG in Betracht, der dem Staat aufgibt, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern tatsächlich durchzusetzen und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. 6 Eine solche Hinwirkung ist grundsätzlich auch durch Quotenregelungen denkbar. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher nicht ausdrücklich mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von entsprechenden Quotenregelungen befasst. Es hat aber allgemein zur Bedeutung von Art. 3 Abs. 2 GG Stellung bezogen. Hierzu führte es etwa aus: „Fehlt es an zwingenden Gründen für eine Ungleichbehandlung, läßt sich diese nur noch im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimieren […]. Insoweit kommt vor allem das erwähnte Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG in Betracht, das den Gesetzgeber berechtigt, faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, durch begünstigende Regelungen auszugleichen […].“7 Die verfassungsgerichtlichen Vorgaben erlauben es daher zumindest in einem gewissen Rahmen, gestützt auf Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG Maßnahmen zur Beseitigung bestehender Nachteile zu ergreifen. 5 EuGH, Urt. v. 11.11.1997 - Rs. C‑409/95 (Marschall), Rn. 33. 6 Vgl. dazu die Nachweise bei Papier/Heidebach, Mehr Frauen in Führungspositionen des öffentlichen Dienstes durch Fördermaßnahmen – verfassungs- und europarechtliche Bewertung, DVBl 2015, 125 (126, Fußnote 13). 7 BVerfGE 92, 91 (109); s. auch BVerfGE 114, 357 (364, 370); ebenso BAG, Urt. v. 21.01.2003 – 9 AZR 307/02, NZA 2003, 1036 = AP Nr. 60 zu Art. 33 Abs. 2 GG m. krit. Anm. Sachs; vgl. dazu auch Nußberger, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 265; a.A. Laubinger, Die „Frauenquote“ im öffentlichen Dienst – Teil 2, VerwArch 1996, 473 (528); Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 6. Aufl. 2010, Art. 3 Rn. 313. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 080/18 Seite 5 Zu diesen Maßnahmen können auch Quotenregelungen zählen. Diese dürfen jedoch nach allgemeiner Ansicht nicht starr und qualifikationsunabhängig ausgestaltet sein.8 Zulässig sind vielmehr nur sog. flexible Quoten, wie sie bereits die oben aufgezeigte Rechtsprechung des EuGH verlangt.9 Zur Ausgestaltung von flexiblen Quotenregelungen hat sich ein umfassender Meinungsstand herausgebildet, der insbesondere danach differenziert, ob Quoten im öffentlichen Dienst oder in der Privatwirtschaft vorgegeben werden. 3.2. Öffentlicher Dienst Bei Quotenregelungen im öffentlichen Dienst ist vor allem das Prinzip der Bestenauslese zu berücksichtigen , das in Art. 33 Abs. 2 GG verankert ist. Zulässig ist eine Bevorzugung daher grundsätzlich nur bei gleichwertiger Qualifikation.10 In der Literatur wird zur Zulässigkeit einer Quotenregelung Folgendes ausgeführt: „Nach der hM sind flexible Quoten im öffentlichen Dienst zulässig, wonach Frauen in Bereichen, in denen sie gegenüber Männern im Vergleich zur relevanten Ausgangsgruppe unterrepräsentiert sind, bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden, soweit nicht in der Person eines männlichen Mitbewerbers liegende, etwa auch soziale Gründe überwiegen.“11 Diese Voraussetzungen sind eng an die oben aufgezeigten Vorgaben des EuGH angelehnt.12 3.3. Privatwirtschaft Bei gesetzlichen Quotenregelungen für die Privatwirtschaft, die derzeit etwa für neu zu besetzende Aufsichtsratsposten in ca. 100 großen Unternehmen gelten,13 ist vor allem deren Grundrechtsrelevanz für die betroffenen Unternehmen zu berücksichtigen. Eine entsprechende Regelung 8 Langenfeld, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 74. EL – Mai 2015, Art. 3 Abs. 2 Rn. 90. 9 Vgl. Nußberger, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 286 m.w.N. 10 Vgl. nur: Langenfeld, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 74. EL – Mai 2015, Art. 3 Abs. 2 Rn. 96 m.w.N. 11 Langenfeld, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 74. EL – Mai 2015, Art. 3 Abs. 2 Rn. 94 m.w.N. 12 Vgl. zur Bedeutung des Leistungsprinzips und des Grundsatzes der Bestenauslese in Bezug auf Quotenregelungen : Papier/Heidebach, Mehr Frauen in Führungspositionen des öffentlichen Dienstes durch Fördermaßnahmen – verfassungs- und europarechtliche Bewertung, DVBl 2015, 125; Langenfeld, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 74. EL – Mai 2015, Art. 3 Abs. 2 Rn. 92 ff.; Jachmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 33 Rn. 20 f.; Kunig, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Kommentar , Band 1, 6. Aufl. 2012, Art. 33 Rn. 34; Brosius-Gersdorf, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Art. 33 Rn. 116 ff. 13 Vgl. hierzu die Darstellung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-und-arbeitswelt/quote-privatwitschaft/quote-fuermehr -frauen-in-fuehrungspositionen--privatwirtschaft/78562?view=DEFAULT (Stand: 19.03.2018). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 080/18 Seite 6 greift insbesondere in die Grundrechte der Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 GG, der Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG sowie in die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG ein. Demgegenüber sind private Unternehmen anders als der öffentliche Dienst nicht unmittelbar an Art. 3 Abs. 2 GG gebunden.14 Eine verfassungsrechtliche Zulässigkeit wird in der Literatur dennoch befürwortet. Exemplarisch stehen hier etwa die Ausführungen von Papier und Heidebach: „Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von gesetzlich verpflichtenden Frauenquoten für die Aufsichtsräte deutscher Unternehmen hat ergeben, dass diese grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar wären. Eine solche gesetzliche Regelung stellte zwar eine Ungleichbehandlung zulasten der Männer nach Art. 3 Abs. 3 GG dar, die sich im vorliegenden Zusammenhang nur durch kollidierendes Verfassungsrecht rechtfertigen ließe. Als Rechtfertigungsgrund könnte hier aber im Regelfall der staatliche Auftrag zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG herangezogen werden. Dies gilt allerdings nicht, soweit Frauen in Unternehmen bestimmter Branchen nicht nur in Führungspositionen sondern generell unterrepräsentiert sind. Zweck des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG ist nämlich nur die Herstellung von Chancengleichheit, nicht aber die geschlechtsparitätische Besetzung aller Positionen um ihrer selbst willen. Hinsichtlich der Ausgestaltung der Quotenregelung dürfte aufgrund der Besonderheiten des Aufsichtsrats auch die Einführung einer so genannten starren, also nicht leistungsbezogenen Frauenquote zulässig sein.“15 Kritisch zur Zulässigkeit von Quotenregelungen äußert sich hingegen Sachs. Die Kritik trifft dabei sämtliche Regelungen im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft: „Festzuhalten bleibt, dass die grundrechtliche Gleichberechtigung als Verbot von Unterscheidungen wegen des Geschlechts nach Art. 3 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 GG von staatlichen Quotenregelungen für den öffentlichen Bereich beeinträchtigt wird; nichts anderes gilt für staatlich verpflichtend vorgeschriebene oder sonst veranlasste Quotenregelungen für den Bereich der Wirtschaft. Diese Grundrechtsbeeinträchtigungen können mit den Zielen der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung und der Beseitigung von Nachteilen nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG nicht gerechtfertigt werden, weil sie ihnen diametral entgegenlaufen. Die gegenteilige Sichtweise verdreht den Sinn der grundrechtlichen Gleichberechtigung männlicher und weiblicher Individuen zu einem geschlechtsgruppenbezogenen Proporzpostulat , das dem Grundgesetz nicht entspricht. Im Gegenteil würde gegenüber von Privaten freiwillig praktizierten Quotenregelungen die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates zugunsten des individuellen Gleichberechtigungsinteresses aktiviert und ihn grundsätzlich zum Einschreiten verpflichten.“16 *** 14 Langenfeld, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 74. EL – Mai 2015, Art. 3 Abs. 2 Rn. 105. 15 Papier/Heidebach, Die Einführung einer gesetzlichen Frauenquote für die Aufsichtsräte deutscher Unternehmen unter verfassungsrechtlichen Aspekten, ZGR 2011, 305 (333); umfassend und m.w.N. zur Zulässigkeit auch: Langenfeld, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 74. EL – Mai 2015, Art. 3 Abs. 2 Rn. 104 ff. 16 Sachs, Quotenregelungen für Frauen im staatlichen und im gesellschaftlichen Bereich, insbesondere für die Wirtschaft, ZG 2012, 52 (67).