AUSARBEITUNG Thema: Fragen zur religionsrechtlichen Anerkennung des Islam in Frankreich und Deutschland Fachbereich III Verfassung und Verwaltung Tel.: Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: 20. März 2006 Reg.-Nr.: 079/06 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Vorbemerkung 3 2. Aufgaben des französischen Islamrats und Wahlberechtigte 3 2.1. Übersicht über die muslimischen Organisationen in Frankreich 3 2.2. Der Französische Islamrat CFCM 3 2.3. Aufgaben des Islamrats 4 2.4. Die verschiedenen Gremien des Islamrats 5 2.4.1. Die Mitgliederversammlung 5 2.4.2. Der Verwaltungsrat 6 2.4.3. Der geschäftsführende Vorstand 6 2.5. Ausgang der ersten zwei Wahlen zum Islamrat 7 3. Möglichkeiten der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Deutschland 7 3.1. Einleitung 7 3.2. Die Anerkennung islamischer Verbände als Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Bundesrepublik Deutschland 8 3.2.1. Die Vorteile des Körperschaftsstatus 8 3.3. Die Voraussetzungen der Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts – Probleme für muslimische Verbände 8 3.3.1. Gewähr der Dauer durch die Verfassung der Religionsgemeinschaft 9 3.3.2. Gewähr der Dauer durch ihre Mitgliederzahl 9 3.3.3. Garantie der Verfassungstreue 10 3.4. Ergebnis 11 4. Möglichkeiten der Übernahme des französischen Modells 11 5. Wie lassen sich bundesrechtliche Kompetenzschwierigkeiten überwinden? 12 5.1. Zuständigkeit der Länder 12 5.2. Lösungsansätze 12 5.3. Aktuelle Entwicklung 13 - 3 - 1. Vorbemerkung Die vorliegende Ausarbeitung geht auf die vom Auftraggeber gestellten Fragen zum Status des französischen Islamrats und zur religionsrechtlichen Anerkennung des Islams in Deutschland ein. Der Aufbau der Ausarbeitung folgt den gestellten Fragen. 2. Aufgaben des französischen Islamrats und Wahlberechtigte 2.1. Übersicht über die muslimischen Organisationen in Frankreich Frankreich ist ein laizistischer Staat. Staat und Religion sind streng getrennt, deshalb kennt Frankreich die Organisationsform der „öffentlich-rechtlichen Körperschaft“ für Religionsgemeinschaften nicht. In Frankreich leben etwa 5 Millionen Muslime. Dies ist die größte islamische Gemeinde Europas.1 Nur ein geringer Teil von ihnen ist in Verbänden organisiert. Die etablierten Organisationen sind hierbei die aus Algerien finanzierte GMP (Grande Mosquée de Paris), die aus Marokko kommende FNMF (Fédération Nationale des Musulmans de France), die türkische CCMTF (Comité de coordination des musulmans turcs de France) und die UOIF (Union des Organisations Islamiques en France). Die UOIF gilt mittlerweile als einflussreichste Organisation,2 die den ägyptischen Muslimbrüdern – einer fundamentalistischen Vereinigung – nahe steht.3 Bei den genannten Organisationen handelt es sich um privatrechtliche Vereinigungen. 2.2. Der Französische Islamrat CFCM Der nationale Französische Islamrat wurde im Jahr 2003 auf Initiative des französischen Innenministers geschaffen. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keine gemeinsame Vertretung der muslimischen Organisationen. Das Statut und die Ausführungsbestimmungen zum Islamrat sind durch eine Vereinbarung zwischen dem französischen Innenministerium und den Mitgliedern der konsultierten muslimischen Organisationen ausgehandelt worden. Der Islamrat soll alle muslimischen Strömungen Frankreichs repräsentieren 1 Nähere Informationen Müller, NZZ v. 18.12.2004. 2 Näheres zu den Organisationen: Bernath, in: Freitag v. 08.08.2003 (www.freitag.de). 3 Wiegel, FAZ v. 21.6.2005; Hahn, TAZ v. 13.12.2004. - 4 - und vergleichbar mit dem Repräsentativrat der französischen Juden und den christlichen Kirchen Dialogpartner für die Regierung sein.4 2.3. Aufgaben des Islamrats Die Aufgaben des Französischen Islamrats sind in Artikel 2 des Statuts vom 22./23. Februar 2003 niedergelegt.5 Das Statut geht auf eine Rahmenvereinbarung vom 3.7.2001 zurück6. Der Islamrat soll den religiösen Dialog pflegen, die Interessen der in Frankreich lebenden Muslime vertreten, öffentliche Veranstaltungen durchführen, Bildungsarbeit betreiben und an Arbeitsgruppen, Komitees und Kommissionen als Stimme der Muslime teilnehmen. Eine zentrale Aufgabe des Rates liegt bei der Ausbildung der Imame, die bisher im Ausland ausgebildet wurden und häufig kein Französisch sprachen.7 Seit dem vergangenen Jahr werden Kurse in französischer Zivilisation und Sprache für Imame und Vorprediger an den französischen Universitäten angeboten. Der Islamrat soll dazu beitragen, dass möglichst viele Imame an den Kursen teilnehmen. Dieses staatliche Weiterbildungsangebot wird derzeit von 300 Personen genutzt.8 Weitere Aufgabenfelder sind die Berufung islamischer Seelsorger in Krankenhäusern und Gefängnissen, die Einrichtung von Gräbervierteln für Muslime auf Friedhöfen sowie die Mitwirkung an der Konzipierung von Vorschriften über rituelle Schlachtungen und das Tragen von Kopftüchern aus religiösen Gründen.9 Es wurde die “Stiftung für islamische Werke in Frankreich“ gegründet, die von dem Islamrat zusammen mit staatlichen Vertretern geleitet wird.10 Ziel der Stiftung ist es, Mittel für die Finanzierung von Bauvorhaben zu beschaffen, um der finanziellen Abhängigkeit der Organisationen vom Ausland entgegen zu wirken. Bislang erweist sich der Rat jedoch als noch nicht handlungsfähig.11 An dem Islamrat wird kritisiert, dass er sich überwiegend mit Verwaltungsfragen befasst,12 anstatt den 4 Engler, Migration und Bevölkerung, Mai 2003 (www.migration-info.de). 5 Das Statut trat am 3 Mai 2003 mit Gründung des Islamrats in Kraft. Siehe Anlage 1. 6 Accord cadre du 3 juillet 2001: Principes et fondements juridiques régissant les rapports entre les pouvoirs publics et le culte musulman en France. 7 Hahn, TAZ v. 13.12.2004. 8 Wiegel, FAZ v. 21.6.2005. 9 Engler, Migration und Bevölkerung, Mai 2003 (www.migration-info.de). 10 Wiegel, FAZ v. 21.6.2005. 11 Ritzenhofen, Rheinischer Merkur v. 8.12.2005; Hahn, TAZ v. 13.12.2004. - 5 - französischen Muslimen eine grundsätzliche Orientierung im laizistischen Staatswesen zu geben. Die französische Regierung erhoffte sich von der Schaffung des Rates eine stärkere Identifikation der französischen Muslime mit der Republik und eine bessere Integration in die französische Gesellschaft. Einige Beobachter interpretieren die Gründung des Rates auch als einen Versuch, mehr Kontrolle über die muslimische Gemeinschaft zu erlangen.13 Die Mehrheit der Muslime in Frankreich nahm den Islamrat erst wahr, als seine Führungsmitglieder im September 2004 nach Bagdad reisten, um sich dort für die Freilassung von zwei entführen französischen Journalisten einzusetzen. 2.4. Die verschiedenen Gremien des Islamrats Der Französische Islamrat ist ein privatrechtlicher Verein. Er wird von einem geschäftsführenden Vorstand (bureau) geleitet, der von einem Verwaltungsrat (conseil d’administration) unterstützt wird und einer Mitgliederversammlung (assemblée générale ) rechenschaftspflichtig ist. 2.4.1. Die Mitgliederversammlung Die Mitgliederversammlung besteht aus 150 Personen, die die Wahlkreise repräsentieren , 24 Mitgliedern, die den 7 muslimischen Vereinigungen entstammen, 10 Personen sollen die insgesamt 5 großen Moscheen repräsentieren und 10 Personen sollen kooptiert werden. Dies ergibt sich aus Art. 5.1 des Statuts. Die Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der Mitgliederversammlung ist die französische Staatsbürgerschaft oder eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Die zahlreichen Moscheen und Gebetsstätten können Mitglieder in die Mitgliederversammlung wählen. In der Mitgliederversammlung sollen die verschiedenen Regionen Frankreichs vertreten sein. Die Mitglieder für die Mitgliederversammlung werden in den politischen Wahlkreisen gewählt. Die Aufgabe der Mitgliederversammlung ist gemäß Art. 5.2 die Rechenschaftsberichte des Verwaltungsrates zu prüfen und dem Vorstand und dem Verwaltungsrat die Entlastung zu erteilen. Die Mitgliederversamm- 12 Wiegel, FAZ v. 21.6.2005. 13 So Hahn, TAZ v. 13.12.2004; Wiegel, FAZ v. 21.6.2005. - 6 - lung tritt einmal jährlich zusammen. Sachentscheidungen können gemäß Art. 5.2 des Statuts nur mit absoluter Mehrheit getroffen werden. 2.4.2. Der Verwaltungsrat Der Verwaltungsrat kann aus bis zu 66 Mitgliedern bestehen. Zurzeit besteht er aus 58 Mitgliedern. Er tritt wenigstens zweimal im Jahr zusammen. Er befasst sich gemäß Art. 6.2 des Statuts mit den Berichten des geschäftsführenden Vorstandes zur allgemeinen und finanziellen Lage des Vereins und erstellt das Budget. Er muss Änderungen des Statuts zustimmen und die politische Ausrichtung des Vereins beschließen. Der Verwaltungsrat wählt den geschäftsführenden Vorstand. Der Verwaltungsrat wird folgendermaßen gewählt: Jede Moschee ernennt Wahlmänner, wobei sich deren Anzahl nicht nach der Zahl der regelmäßigen Besucher, sondern nach der Grundfläche der Moschee bzw. des Gebetsraumes richtet.14 Diese Wahlmänner - insgesamt ca. 4000 Delegierte - wählen die zuvor von den etablierten Verbänden auf Wahllisten nominierten Kandidaten. Dabei können sie nur 2/3 der 66 Verwaltungsratsmitglieder benennen, während das restliche Drittel von den französischen Behörden bestimmt wird. Die Ratsmitglieder, die auf 3 Jahre gewählt werden, gehören dabei überwiegend einer der genannten großen Muslimorganisationen an. Es gibt auch unabhängige Mitglieder des Verwaltungsrates und Quoten für Minderheiten. 2.4.3. Der geschäftsführende Vorstand Der geschäftsführende Vorstand besteht aus einem Präsidenten, zwei Vizepräsidenten, einem Beauftragten für das Sekretariat, einem Generalsekretär, einem stellvertretenden Generalsekretär, einem Schatzmeister und einem stellvertretenden Schatzmeister. Unabhängig vom Wahlausgang ernannte der Innenminister bei der ersten Wahl 2003 den Präsidenten. Bei der zweiten Wahl im Jahr 2005 wurde dieser von den Ratsmitgliedern selbst gewählt. Die Entscheidungsfindung innerhalb des geschäftsführenden Vorstandes wird dadurch erleichtert, dass die einfache Mehrheit ausreicht (Art. 7.2 des Statuts). 14 Engler, Migration und Bevölkerung, Mai 2003 (www.migration-info.de). - 7 - 2.5. Ausgang der ersten zwei Wahlen zum Islamrat Bei der ersten Wahl im April 2003 entfielen von den 41 von den Wahlmännern zu bestimmenden Sitze 16 auf die FNMF, 14 auf die UOIF, sechs auf die Moschee von Paris und zwei auf den CCMTF, die restlichen Mandate gingen an drei Unabhängige. Das starke Abschneiden der UOIF wurde mit Besorgnis aufgenommen, da diese Vereinigung von der fundamentalistischen Organisation der „Muslimbruderschaft“ unterstützt wird. Demgegenüber verlor die UOIF bei der zweiten Wahl 2005 vier ihrer Sitze, während die gemäßigten Kräfte (FNMF, Pariser Moschee) Sitze hinzugewinnen konnten . Die überwiegend im Grenzgebiet zu Deutschland lebenden türkischen Muslime entsenden künftig einen Vertreter in den Repräsentativrat. 3. Möglichkeiten der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Deutschland 3.1. Einleitung Auch in Deutschland ist nur ein kleiner Teil – etwa 10 bis 15 Prozent – der vermutlich 3,5 Millionen Muslime in islamischen Verbänden oder ähnlichen Vereinigungen organisiert . Wie in Frankreich, so gibt es auch hierzulande eine unüberschaubare Vielzahl von Vereinigungen, von denen sich einige als Dachverbände etabliert haben. Die wichtigsten sind der von der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“ dominierte „Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland“, der arabische „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZMD), und die „türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion“ (DITIB), die von der Türkei finanziert wird und nach eigenen Angaben drei Viertel der deutschen Muslime vertritt.15 Diese Verbände sind als eingetragene Vereine des bürgerlichen Rechts organisiert. Eine Anerkennung als Körperschaften des öffentlichen Rechts blieb ihnen bisher versagt.16 Voraussetzung für die Verleihung des Körperschaftsstatus gem. Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV ist neben dem ungeschriebenen Merkmal der Rechtstreue, das Vorliegen eines Antrags, die Eigenschaft des Antragstellers als Religions- und Weltan- 15 Löhe, Frankfurter Rundschau v. 10.02.2006. 16 Anträge wurden in den 70er Jahren, in den 90er Jahren vom Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland und vom Verband der islamischen Kulturzentren mit Sitz in Köln gestellt. Derzeit ist eine Klage einer Berliner Religionsgemeinschaft vor dem VG Berlin anhängig (Az.: VG 27 - 8 - schauungsgemeinschaft sowie die aus ihrer Verfassung und der Zahl der Mitglieder resultierenden Gewähr der Dauer. Die Religionsgemeinschaft muss über einen längeren Zeitraum bestanden haben und auch über eine hinreichende Finanzausstattung verfügen. 3.2. Die Anerkennung islamischer Verbände als Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Bundesrepublik Deutschland 3.2.1. Die Vorteile des Körperschaftsstatus Der Körperschaftsstatus ist für die Religionsgemeinschaften vor allem wegen des Rechts zur Erhebung von Steuern nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 6 WRV interessant .17 Auch die Dienstherrenfähigkeit, also die Befugnis, Beamte zu haben und somit Dienstverhältnisse öffentlich-rechtlicher Natur zu begründen, die nicht dem Arbeitsrecht und dem Sozialversicherungsrecht unterliegen, mag ein Motiv für das Erstreben des Körperschaftsstatus sein. Darüber hinaus genießen derartige Glaubensgemeinschaften eine Vielzahl von Sonderrechten wie steuerliche Begünstigungen und Gebührenbefreiungen .18 Sie besitzen eine Vorrangstellung im Bereich der Sozialhilfe und Jugendwohlfahrt, Entsenderechte in Rundfunkräte und in die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften.19 Rücksichtnahmegebote auf religionsgemeinschaftliche Belange bestehen im Bauplanungs- und Ordnungsrecht. Insgesamt gehen mit der Verleihung des Körperschaftsstatus ein erheblicher Prestigegewinn und Zuwachs an gesellschaftlichem Einfluss einher.20 3.3. Die Voraussetzungen der Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts Gemäß Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV erhalten Religionsgemeinschaften auf ihren Antrag hin den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, wenn „sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.“ Auch nichtchristlichen Religionsgemeinschaften stehen danach die Körperschaftsrechte offen. Dies ist eine selbstverständliche Folge der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates.21 A55.06), mit der die Gemeinschaft Verhandlungen mit dem Land Berlin über einen Kirchenstaatsvertrag erzwingen will. 17 Vgl. zu den mit dem Körperschaftsstatus verbundenen Rechtspositionen Hollerbach in: Isensee/ Kirchhof, § 138 Rn. 333 f.; Kirchhof in: Listl/Pirson, S. 651, 670 ff. 18 Hammer, in: Listl/Pirson, S. 1065, 1067 ff, 1086 ff. 19 Muckel, DöV 1995, 311 ff. 20 Vgl. , Ausarbeitung WF III-224/95 des Deutschen Bundestages zum Körperschaftsstatus. 21 v. Campenhausen, ZevKR 1980, 135, 141. - 9 - 3.3.1. Gewähr der Dauer durch die Verfassung der Religionsgemeinschaft Nach Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV muss die Religionsgemeinschaft durch ihre Verfassung die Gewähr der Dauer bieten. Sie muss so strukturiert sein, dass sie in der Lage ist, mit dem Staat in den vielen Bereichen, die mit der Verleihung des Körperschaftsstatus verbunden sind, langfristig zusammenzuarbeiten. Eine derartige Kooperationsfähigkeit setzt voraus, dass es eine eindeutige Regelung der Vertretung nach außen gibt. Vor allem bedarf es einer Instanz, die authentisch und verbindlich über Lehre und Ordnung zu entscheiden hat und hierüber Auskunft geben kann.22 Eine derartige auf Dauer eingerichtete Autorität ist dem Islam jedoch fremd. Nach traditionellem islamischem Religionsverständnis bestimmt die Scharia das private, soziale und politische Leben. Da sich unter diesen Voraussetzungen keine Trennung von Staat und Religion im Sinne der europäischen staatskirchenrechtlichen Tradition herausgebildet hat, entstand auch keine gesonderte Institution für das religiöse Leben.23 Ein weiteres Hindernis für eine Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen stellte bisher die Zersplitterung der Vereinigungen dar. Zum einen besteht bei einer Vielzahl von muslimischen Organisationen mit gleichem Bekenntnis immer die Möglichkeit, dass einzelne Gruppen von anderen aufgesogen werden, so dass die Gemeinschaft nicht – wie von Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV gefordert – „die Gewähr der Dauer“ bietet und zum anderen verlangt eine partnerschaftliche Kooperation mit dem Staat nach einer zahlenmäßigen Überschaubarkeit der in Frage kommenden Gesprächspartner.24 3.3.2. Gewähr der Dauer durch ihre Mitgliederzahl Die Religionsgemeinschaft muss nicht nur durch ihre Verfassung, sondern auch nach der Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten (Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV). In der Verleihungspraxis der Länder wird meist eine Mitgliederzahl von einem Tausendstel der Einwohner des betreffenden Bundeslandes gefordert. Viele muslimische Gemeinschaften, vor allem die großen Dachverbände, dürften zwar tatsächlich über einen derart großen Bestand an Mitgliedern verfügen.25 Da jedoch keine Regelungen über die Bindung der Mitglieder an die Vereinigungen bestehen, konnte 22 Hollerbach in: Isensee/ Kirchhof, § 138 Rn. 135. 23 Steinbach, in: Abromeit/Wewer S. 114. 24 Muckel, DöV 1995, 311, 315. 25 Abdullah, Islam S. 38 ff. - 10 - bisher kein Nachweis über die Mitgliederzahl geführt werden. Für die Verleihung des Körperschaftsstatus ist es aber zwingend erforderlich, dass genau feststeht, welche Personen Mitglieder der Glaubensgemeinschaft sind; andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Gemeinschaften über Nichtmitglieder Hoheitsrechte ausüben und damit in deren negative Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GG eingreifen. Der bloße Hinweis auf die 3,2 Millionen in der Bundesrepublik lebenden Muslime vermag den Nachweis der Gewähr der Dauer durch die Verfassung und die Zahl der Mitglieder nicht zu ersetzen.26 3.3.3. Garantie der Verfassungstreue Darüber hinaus setzt die Verleihung des Körperschaftsstatus als ungeschriebenes Kriterium voraus, dass die Religionsgemeinschaft in ihrem Wirken nicht die Grundrechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgüter beeinträchtigt.27 Dies schließt z.B. die Forderung nach Übernahme des islamischen Rechts aus. Hier sind insbesondere das Strafrecht und Frauen diskriminierende Bestimmungen zu nennen.28 Zudem muss die Religionsgemeinschaft das Gebot religiöser Toleranz gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften in der Bundesrepublik beachten und die von der Verfassung garantierte negative Religionsfreiheit – also die Möglichkeit des Austritts – ebenso wie die des Übertritts zu einer anderen Religionsgemeinschaft anerkennen. Beides ist nach islamischem Recht jedoch nicht möglich. Die Muslime in Deutschland müssen daher auf Grund ihrer Bindung an das deutsche Verfassungsrecht einen theologischen und juristischen Sonderweg gehen. Die rein formale Aufnahme eines Bekenntnisses zur Rechtstreue in ihre Satzung dürfte dabei nicht genügen. Es werden aber auch keine überhöhten Anforderungen gestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Anerkennung der Zeugen Jehovas29 weder eine demokratische Binnenstruktur noch eine über die Anerkennung der Grundwerte hinausgehende Loyalität gegenüber dem Staat verlangt. 26 Lindner, ZevKR 2003, S. 178, 183. 27 BVerfGE 102, 370, 384 f. 28 Muckel, DöV 1995, 311, 316. 29 BVerfGE 102, 370, 395 . - 11 - 3.4. Ergebnis Bisher besteht in Deutschland keine muslimische Organisation, die die Voraussetzungen der Verleihung des Körperschaftsstatus nach Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV erfüllt. Das Hauptproblem besteht darin, dass ihnen derzeit eine „Verfassung“ fehlt, die sie befähigt, ein partnerschaftliches, auf dauerhafte Kooperation angelegtes Verhältnis zum Staat zu entwickeln. Ausnahmen von den strengen formalen Verleihungskriterien sind aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht geboten und mit diesem auch nicht vereinbar.30 4. Möglichkeiten der Übernahme des französischen Modells Die französische Entwicklung kann einen Impuls zur besseren Integration der Muslime geben. Eine vollständige Übernahme des französischen Modells ist jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Problematisch ist zum einen, dass der Islamrat in Frankreich von dem Innenminister und damit vom Staat ins Leben gerufen wurde. Schon dies widerspricht dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche (Art. 140 GG iVm Art. 136 Abs. 1 WRV). Hinzu kommt in Deutschland, dass das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften Verfassungsrang besitzt (Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 3 WRV). Daraus folgt, dass Religionsgemeinschaften für sich und ihre Organisation selbst verantwortlich sind. Die zwangsweise Schaffung eines Dachverbandes, dessen Repräsentanten zum Teil vom Staat ernannt werden, ist mit dem deutschen Verfassungsrecht nicht vereinbar. Der Verfassungsgeber hat gerade hier eine klare Trennung des weltlichen und kirchlichen Bereichs vorgenommen. Da es weder eine Notwendigkeit, noch einen rechtlichen Zwang gibt, den Körperschaftsstatus anzunehmen, sondern die Verfassung vielmehr von der Existenz sowohl öffentlich-rechtlicher als auch privatrechtlicher Religionsgemeinschaften ausgeht, kommt auch die Annahme einer „Notzuständigkeit“ des Staates nicht in Betracht. 30 ausführlich: Lindner, ZevKR 2003, S. 183 ff. - 12 - 5. Wie lassen sich bundesrechtliche Kompetenzschwierigkeiten überwinden ? 5.1. Zuständigkeit der Länder Problematisch an einer Übernahme des französischen Modells ist, dass in Deutschland für die Rechtsetzung im religiösen Bereich die Länder und nicht der Bund zuständig sind. Eine sachliche Zuständigkeit des Bundes für die Verleihung des Körperschaftsstatus und vorausgehenden Verhandlungen mit den Religionsgemeinschaften ergibt sich weder aus dem Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes noch aus Art. 140 GG iVm Art. 137 WRV. Damit gilt Art. 30 GG wonach mangels „anderer Regelung“ die Ausübung staatlicher Befugnisse Sache der Länder ist. Zum selben Ergebnis führt auch ein Blick auf Art. 137 Abs. 8 WRV. Danach sind zum Erlass von Vorschriften über das Verleihungsverfahren die Länder zuständig. Diese Kompetenz können die Länder nicht auf den Bund übertragen.31 Umgekehrt kann der Bund sie aber auch nicht an sich ziehen, denn dazu fehlt ihm gemäß Art. 137 Abs. 8 WRV bereits die Gesetzgebungskompetenz .32 Die Bundesländer bleiben auch dann zuständig, wenn es sich um Religionsgesellschaften handelt, die im gesamten Bundesgebiet vertreten sind. Auch in diesem Fall erwächst dem Bund keine Kompetenz „kraft Natur der Sache“.33 Im Ergebnis lässt sich aus verfassungsrechtlicher Sicht dieses Kompetenzproblem kaum lösen, es sei denn, man ändert das Grundgesetzes dahingehend, dass dem Bund im Bereich der bundesweit tätigen religiösen Vereine eine Kompetenz zugewiesen wird. 5.2. Lösungsansätze Weil es unter dem Gesichtspunkt des Rechtsfriedens und der Integration äußerst problematisch wäre, wenn eine so große gesellschaftliche Gruppe wie die Muslime dauerhaft von der Inanspruchnahme der Körperschaftsrechte ausgeschlossen wäre, muss dem 31 Held, Religionsgemeinschaften, S. 126. 32 Friesenhahn, Körperschaften, S. 363; Bohl, Religionsgemeinschaften, S. 90. 33 Held, Religionsgemeinschaften, S. 127; Friesenhahn, Körperschaften, S. 572. - 13 - Staat sehr daran gelegen sein, dass auch muslimische Vereinigungen den Körperschaftsstatus erlangen können. Möglich ist eine Hilfestellung durch staatliche Stellen, zum Beispiel durch rechtliche Hinweise an die antragstellenden muslimischen Vereinigungen.34 Zu überlegen wären aber auch andere Maßnahmen wie die gezielte Aufklärung der muslimischen Bevölkerung über die rechtlichen Voraussetzungen des Körperschaftsstatus, verbunden mit der Ermunterung, sich zunächst möglichst umfassend in religiösen Vereinen zu organisieren , damit der genaue Nachweis der Mitliederzahl und vertretungsberechtigten Organe leichter geführt werden kann. Hinsichtlich der Rechtstreue besteht bei der großen Mehrheit der in der Bundesrepublik lebenden Muslime kein Zweifel. 5.3. Aktuelle Entwicklung Es gibt aktuell Bemühungen der großen muslimischen Verbände, sich zusammen zu schließen. Den Plänen des Islamrats für Deutschland, des Zentralrats der Muslime und des Verbands Islamischer Kulturzentren lassen sich Parallelen zu dem französischen Modell entnehmen. Demnach sollen künftig ausgehend von Wahlen in den Moscheegemeinden organisatorische Zusammenschlüsse auf kommunaler, Landes- und Bundesebene gebildet werden. Die bisher bestehenden Verbände würden fortbestehen und über ein Beiratsmodell in die neue Struktur eingebunden. Über Quotierungen sollen die Interessen von Minderheiten und Frauen eingebracht werden können. 34 Lindner, ZevKR 2003, S. 187. - 14 - Literaturverzeichnis - Abdullah, Muhammad Salim, Was will der Islam in Deutschland?, 1993 (zit.: Abdullah, Islam). - Bernath, Markus, Die Republik, das große Muttertier, Freitag - die Ost-West- Wochenzeitung vom 08.08.2003, (zit.: Bernath, in: Freitag). - Bohl, Elke Dorothea, Der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften, Verleihungsvoraussetzungen und Verfahren, 1. Auflage Baden-Baden 2001, (zit.: Bohl, Religionsgemeinschaften). - Campenhausen, Axel v., Neue Religionen im Abendland, ZevKR 1980, S. 135 ff., (zit.: v. Campenhausen, ZevKR). - Engler, Marcus, Frankreich: Erster nationaler Islamrat gewählt, Migration und Bevölkerung, Ausgabe Mai 2003, (zit.: Engler, Migration und Bevölkerung). - Friesenhahn, Ernst, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Kirche und Staat in der neueren Entwicklung, Paul Mikat (Hrsg.), Darmstadt 1980, S. 352 ff. (zit.: Friesenhahn, Körperschaften). - Hahn, Dorothea, Geld und Glaube der Imame, die Tageszeitung vom 13.12.2004 (zit.: Hahn, TAZ). - Held, Gottfried, Die kleinen Religionsgemeinschaften im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, München 1974, (zit.: Held, Religionsgemeinschaften). - Isensee, Josef/Kirchhof, Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VI, 1989, (zit.: Isensee/Kirchhof). - Lindner, Berend, Körperschaftsstatus für Muslime?, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 2003, S. 178 ff., (zit.: Lindner, ZevKR). - Listl, Joseph/Pirson, Dietrich (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. I, 2. Aufl. 1994, (zit.: List/Pirson). - 15 - - Löhe, Fabian, Einigkeit der Islam-Verbände bleibt Ausnahme, Frankfurter Rundschau vom 10.02.2006, (zit.: Löhe, Frankfurter Rundschau). - Muckel, Stefan, Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, Die öffentliche Verwaltung, 1995, S. 311 ff., (zit.: Muckel, DöV). - Müller, Christian, Allah in Frankreich – Der Islam als Herausforderung der Republik, Neue Züricher Zeitung vom 18.12.2004, (zit.: Müller, NZZ). - Ritzenhofen, Medard, Erben der Jeanne d’Arc, Rheinischer Merkur vom 08.12.2005, (zit.: Ritzenhofen, Rheinischer Merkur). - Steinbach, Udo, Der Islam – Religion ohne Kirche, in: Heidrun Abromeit/Göttrik Wewer (Hrsg.), Die Kirchen und die Politik, 1989, S. 109 ff. (zit.: Steinbach in: Abromeit/Wewer). - Wiegel, Michaela, Die Gemäßigten gewinnen hinzu, FAZ vom 21.06.2005 (zit.: Wiegel, FAZ).