© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 076/18 Informationen zur Rutschklausel der unabhängigen Föderalismuskommission von 1992 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 076/18 Seite 2 Informationen zur Rutschklausel der unabhängigen Föderalismuskommission von 1992 Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 076/18 Abschluss der Arbeit: 16. März 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 076/18 Seite 3 1. Einleitung Es wird um Informationen zur sogenannten „Rutschklausel“ des Beschlusses der unabhängigen Föderalismuskommission vom 27.05.1992 gebeten. 2. Hintergrund Die 1991 vom Bundestag berufene unabhängige Föderalismuskommission sollte zur Stärkung des Föderalismus Vorschläge zur Verteilung von Institutionen des Bundes und internationalen Einrichtungen erarbeiten. Hierzu sollten insbesondere die neuen Bundesländer Berücksichtigung finden mit dem Ziel, dass in jedem der neuen Bundesländer Bundesinstitutionen ihren Standort haben. Die Föderalismuskommission beschloss am 27.05.1992 Vorschläge für eine ausgeglichene Verteilung von Bundesbehörden unter besonderer Berücksichtigung der neuen Länder, die unter anderem die Verlagerung von Bundesinstitutionen in die neuen Länder betrafen. Der Bundestag nahm diese Vorschläge mit einer großen Mehrheit am 26.06.1992 in Form einer namentlichen Abstimmung an.1 Ein in Bezug auf die Verlagerung nach Sachsen beschlossener Vorschlag sieht vor, den 5. Strafsenat des BGH sowie für jeden neuen Zivilsenat zu den bestehenden 12 Senaten in Karlsruhe jeweils einen weiteren der vier Strafsenate nach Leipzig zu verlagern. Dieser Regelungsvorschlag wird als „Rutschklausel“ bezeichnet.2 3. Rechtsnatur des parlamentarischen Beschlusses Hinsichtlich der Rechtsnatur dieser Klausel ist zu beachten, dass bei den Beschlüssen des Deutschen Bundestages generell zwischen den „echten“ und den „schlichten“ Parlamentsbeschlüssen unterschieden wird.3 Echte Beschlüsse sind solche mit rechtlicher Verbindlichkeit für den jeweiligen Adressaten.4 Diese verbindlichen Beschlüsse sind im Wesentlichen im Grundgesetz selbst genannt. Dazu gehören aus dem inneren Bereich des Bundestages z.B. die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen (Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG), aus dem Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen z.B. das Herbeirufen von Mitgliedern der Bundesregierung (Art. 43 Abs. 1 GG) oder aus dem Bereich der besonderen Staatsangelegenheiten z.B. die Feststellung des Verteidigungsfalls (Art. 115a Abs. 1 GG).5 1 Vgl. Plenarprotokoll 12/100 des Bundestags vom 26.06.1992, 8519. 2 BT-Drs. 12/2853, 2; Plenarprotokoll 5/79 des Sächsischen Landtages vom 20.06.2013, 8180 f. 3 Die folgenden Ausführungen entstammen dem Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Frage zur Wirkung eines Beschlusses des Deutschen Bundestages, WD 3 - 3000 - 143/16, S. 3 f. 4 Luch, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 1. Auflage 2016, § 10 Rn. 14; Kluth, in: Schmidt- Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG-Kommentar, 13. Auflage 2014, Art. 40 Rn. 31 ff. 5 Siehe dazu ausführlich Luch (Fn. 4), § 10 Rn. 15 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 076/18 Seite 4 Demgegenüber geht von schlichten Parlamentsbeschlüssen keine (rechtliche) Verbindlichkeit aus. Es handelt sich dabei oft um Stellungnahmen zu aktuellen Ereignissen, politische Absichtserklärungen , Ersuchen an die Regierung oder andere Entschließungen, denen (ggf. noch) keine Regulierungsabsicht zu Grunde liegt.6 Diese Beschlüsse müssen sich nicht an ein anderes Staatsorgan wie z.B. die Regierung richten,7 sie können auch als Absichtserklärung für das zukünftige Handeln des Bundestages selbst zu sehen sein. Trotz der fehlenden Verbindlichkeit wird diesen Beschlüssen jedoch eine nicht unerhebliche politische Bedeutung zugemessen.8 Der Beschluss des Bundestages vom 26.06.1992 ist ein schlichter Parlamentsbeschluss. Soweit ersichtlich, ist er nicht auf der Basis einer spezifischen verfassungsrechtlichen Regelung ergangen und ist auch nicht die Grundlage für weiteres (haushaltsrechtliches) Handeln der Regierung. Aus diesen Gründen geht von ihm auch keine rechtliche Bindungswirkung für andere Staatsorgane aus. Als Absichtserklärung des Bundestages geht von dem Beschluss ferner keine absolute Bindungswirkung für den Bundestag selbst aus. Der Bundestag kann den Beschluss jederzeit wieder (ausdrücklich ) aufheben oder ihn durch einen inhaltlich abweichenden Beschluss ändern. Im Ergebnis entfaltet die Rutschklausel weder für andere Staatsorgane noch für den Bundestag selbst rechtliche Bindungswirkung. Politisch dürfte dem Beschluss jedoch schon deshalb erhebliche Bedeutung zukommen, da er vom Plenum mit großer Mehrheit gefasst wurde.9 4. Debatten um die Rutschklausel Bis heute ist die Rutschklausel nicht zur Anwendung gekommen, da sich keine Veränderung hinsichtlich der Zusammensetzung des BGH ergeben hat. Aus Karlsruhe und insbesondere von dem damaligen Präsidenten des BGH, Klaus Tolksdorf, gab es Bemühungen, den 5. Strafsenat von Leipzig nach Karlsruhe zu verlagern, um den BGH zusammenzulegen, und die Rutschklausel abzuschaffen.10 Auf der anderen Seite sprach sich sowohl der Sächsische Landtag als auch die sächsische Regierung auf die Rutschklausel berufend für eine Erweiterung des BGH-Standortes Leipzig um weitere Strafsenate und für die Erhaltung des 5. Strafsenats an diesem Standort aus.11 *** 6 Kluth (Fn. 4), Art. 40 Rn. 34. 7 Luch (Fn. 4), § 10 Rn. 29. 8 Klein, in: Isensee/Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Auflage 2005, § 50 Rn. 14. 9 Vgl. Plenarprotokoll 12/100 Bundestag vom 26.06.1992, 8519. 10 http://www.lvz.de/Region/Mitteldeutschland/BGH-Praesident-will-Leipziger-Strafsenat-zurueck-nach-Karlsruheholen (alle genannten Onlinequellen wurden zuletzt am 15.03.2018 abgerufen). 11 Plenarprotokoll 5/79 Sächsischer Landtag vom 20.06.2013, 8179 ff.; vgl. auch Dippmann, Ine, Sachsen lockt BGH nach Leipzig: Villen für den Bundesgerichtshof, in: MDR-AKTUELL v. 31.05.2017, abrufbar unter: https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/villen-fuer-den-bundesgerichtshof-100.html.