AUSARBEITUNG Thema: Parlamentarisches Auskunftsrecht und Datenschutz Fachbereich III Verfassung und Verwaltung Tel.: Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: 1. März 2006 Reg.-Nr.: WF III 076/06 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Zusammenfassung 3 2. Ausgangsfragestellung 3 3. Antworten auf parlamentarische Anfragen als grundrechtsgebundenes Regierungshandeln 3 4. Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG 4 4.1. Eingriff in den Schutzbereich 4 4.2. Auf den Grundrechtsträger bezogene, individualisierte oder individualisierbare Daten 4 4.3. Subsidiarität gegenüber anderen Grundrechten 5 5. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG 5 5.1. Träger des Grundrechts aus Artikel 14 Abs. 1 GG 5 5.2. Eingriff in den Schutzbereich 5 5.2.1. Teilnahme an Ausschreibung als Geschäftsgeheimnis ? 6 5.2.2. Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG 6 5.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 7 5.4. Inhalt und Schranken von Art. 14 Abs. 1 GG 8 5.5. Art. 38 Abs. 1 Satz 2, 43 Abs. 1 GG als Grundrechtsschranken 8 5.6. Verhältnismäßigkeit der Weitergabe 9 5.7. Zweck und Eignung 9 5.8. Erforderlichkeit 10 5.9. Angemessenheit 11 6. Literaturverzeichnis 12 - 3 - 1. Zusammenfassung Das parlamentarische Auskunftsrecht findet seine Grenzen in den (auch) die „informationelle Selbstbestimmung“ gewährleistenden Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG. Diese werden allerdings wiederum durch das in Art. 43 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG seinerseits verfassungsrechtlich fundierte parlamentarische Auskunftsrecht beschränkt. Das daraus resultierende Spannungsverhältnis ist durch eine einzelfallbezogene Abwägung , d.h. durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, aufzulösen. Im untersuchten Fall erscheint die Weitergabe der Daten an die Berichterstatter des Haushaltsausschusses verhältnismäßig. 2. Ausgangsfragestellung Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Frage, ob die Mitarbeiter des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) den Berichterstattern des Haushaltsausschusses, die sich mit Vergaben befassen, die Angebotsspiegel einschließlich Bieter, Angebotssumme sowie das Ergebnis der Ausschreibung vorgelegen müssen. Insbesondere möchten die Berichterstatter Informationen darüber, wer was wofür geboten hat, wer was für welchen Zuschlag erhalten hat und wie sich dies auf den Haushalt auswirkt. Das Ministerium verweigert die Vorlage der Angebotsspiegel aus Datenschutzgründen. Nach ihren Ausführungen ist die Frage der Teilnahme an einem Wettbewerb ein Geschäftsgeheimnis. Dem Auskunftsrecht des Parlaments stände das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der beteiligten Firmen gegenüber. 3. Antworten auf parlamentarische Anfragen als grundrechtsgebundenes Regierungshandeln Die Beantwortung parlamentarischer Anfragen durch die Bundesregierung ist – wie überhaupt deren gesamte Informationstätigkeit1 – Handeln der „vollziehende[n] Gewalt “ im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG.2 D.h., soweit die Weitergabe von Informationen an das Parlament Grundrechte verletzen würde, kann es weder eine Pflicht der Bundesregierung zur Beantwortung entsprechender parlamentarischer Anfragen noch ein – eine 1 BVerfGE 105, 252 (265 ff.); 105, 279 (292 ff.). 2 Raap, S. 508. - 4 - solche Pflicht voraussetzendes – Recht des Bundestages, seiner Ausschüsse oder seiner Abgeordneten auf Beantwortung solcher Anfragen geben.3 In Betracht zu ziehen sind in diesem Zusammenhang das allgemeine vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete4 Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie, insbesondere im Hinblick auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die „informationelle Dimension“ der Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG.5 4. Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn die Weitergabe von Informationen an den Bundestag in den Schutzbereich dieses Grundrechts eingreift, ohne dass dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. 4.1. Eingriff in den Schutzbereich Ein Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts liegt vor, wenn auf einen Träger des Grundrechts bezogene, individualisierte oder individualisierbare Daten, die nicht bereits vom Schutzbereich eines gegenüber Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG spezielleren Grundrechts erfasst werden, weitergegeben werden.6 4.2. Auf den Grundrechtsträger bezogene, individualisierte oder individualisierbare Daten Auf den Grundrechtsträger bezogen und damit durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt sind nicht nur Daten aus seiner Intimsphäre und seiner Privat- oder Geheimsphäre, sondern auch aus seiner Sozialsphäre. In den Schutzbereich des Grundrechts fallen sowohl Informationen über gesundheitliche Gebrechen, religiöse Bindungen, Ehe- und Familienverhältnisse oder politische Bindungen als auch Informationen über die beruflichen, betrieblichen, unternehmerischen oder sonstigen wirtschaft- 3 Burkholz,, S. 206,; Raap, S.508; Kunig, S. 222; Hölscheidt S. 38; Magiera, in: Sachs, GG3, Art. 38 Rn. 42; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 38 Rn. 151 Fn. 455; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG6, Art. 38 Rn. 34. 4 BVerfGE 65, 1 (41 ff.). 5 BVerfGE 67, 100 (142 ff.); 77, 1 (38 ff.); aus dem Schrifttum Burkholz, S. 206; Schreiber, in: Berliner Kommentar, Art. 38 Rn. 117. 6 BVerfGE 65, 1 (43); 67, 100 (142); 77, 1 (46 ff.). - 5 - lichen Verhältnisse.7 Geschützt sind grundsätzlich auch bereits in die Öffentlichkeit gelangte Daten.8 4.3. Subsidiarität gegenüber anderen Grundrechten Voraussetzung für das Vorliegen eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ist allerdings, dass die Daten nicht bereits in den Schutzbereich eines spezielleren Grundrechts fallen. Als speziellere Grundrechte in Betracht zu ziehen sind im Hinblick auf Daten über berufliche, betriebliche, unternehmerische oder sonstige wirtschaftliche Verhältnisse vor allem Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG. Aus diesem Grunde soll an dieser Stelle geprüft werden, ob eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vorliegt. 5. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Soweit es sich um Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse handelt, ist eine Verletzung des gegenüber Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG spezielleren und gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch inländischen juristischen Personen zustehenden9 Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu prüfen. 5.1. Träger des Grundrechts aus Artikel 14 Abs. 1 GG Träger des Eigentumsgrundrechts sind alle natürlichen und inländischen juristischen Personen des Privatrechts, aber auch nicht rechtsfähige Personengesellschaften und Vereine, soweit sie in dem ihnen zugeordneten Eigentum betroffen sind.10 5.2. Eingriff in den Schutzbereich Die Weitergabe von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen durch die Bundesregierung ist dann ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, wenn es sich bei den Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen um Eigentum im Sinne dieser Vorschrift 7 BVerfGE 67, 100 (142); ferner Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG6, Art. 2 Rn. 33 mit weiteren Beipielen . 8 Murswiek, in: Sachs, GG3, Art. 2 Rn. 88. 9 BVerfGE 77, 1 (38); Wendt, in: Sachs, GG3, Art. 14 Rn. 16. 10 Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 14 GG Rdnr. 6. - 6 - handelt. Dies wird sowohl von der Rechtsprechung wie auch von der Literatur weitgehend bejaht.11 5.2.1. Teilnahme an Ausschreibung als Geschäftsgeheimnis? Zu den Geschäftsgeheimnissen gehören unter anderem Geschäftsverbindungen, Ertragslage , Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Vertriebssysteme, Entwicklungs- und Forschungsprojekte und wirtschaftsverwaltungsrechtliche Genehmigungsverfahren.12 Ob auch die Teilnahme an einem Wettbewerb zu den Geschäftsgeheimnissen gehört, ist ungeklärt. Dies kann aber im Hinblick darauf bejaht werden, dass die Bieter eines Vergabeverfahrens in der Regel nicht möchten, dass die Mitbewerber den Bieter und die Höhe des Angebots kennen. Auch nach Abschluss eines Vergabeverfahrens können der Name des Bieters und die Angebotshöhe geheimhaltungsbedürftig sein. 5.2.2. Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Lehre jede vermögenswerte Rechtsposition, die ihrem Inhaber ebenso ausschließlich wie Eigentum an einer Sache zur privaten Nutzen und zur eigenen Verfügung zugeordnet ist.13 Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse können einen erheblichen Vermögenswert darstellen .14 Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sind sie nach dem soeben Gesagten jedoch erst, wenn es sich um vermögenswerte Rechte handelt, was voraussetzt, dass der einfache Gesetzgeber durch sog. Inhalts- und Schrankenbestimmung (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG)15 den Vermögenswert einem Privaten ebenso ausschließlich wie Eigentum an einer Sache zur privaten Nutzung und zur eigenen Verfügung zugeordnet hat.16 Das ist zu bejahen, soweit die Bundesregierung im Rahmen fiskalischer Hilfsgeschäfte mit Privaten, diesen die vertrauliche Behandlung bestimmter vermögenswerter Daten (wirksam) vertraglich zugesichert hat. Denn damit ist ein privatrechtlicher vertraglicher 11 Raap, S.508; Kestler, S. 267; Hölscheidt S. 43; Scholz, S.576; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG6, Art. 14 Rn. 19. 11 Raap, S. 509 f. 12 Raap, S. 509 f.. 13 BVerfGE 83, 208. 14 Schröder, S. 397. 15 Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 30. 16 Wolff, S. 100 - 7 - Anspruch entstanden, der – ebenso wie die Zahlungsforderung aus einem mit dem Bund abgeschlossenen Kaufvertrag17 – „Eigentum“ im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist. Der faktische Entzug dieser Eigentumsposition durch die diesmal in ihrer hoheitlichen Funktion als Informator des Parlaments agierende Bundesregierung muss sich damit am Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen. Soweit das nicht geschehen ist, ist die Eigentumsqualität von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen jedoch fragwürdig. Zwar gibt es eine Reihe einfachrechtlicher Vorschriften , die den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bezwecken.18 Dass diese dem Berechtigten das Geheimnis ebenso ausschließlich wie Eigentum an einer Sache zuordnen, wird allerdings mit guten Gründen bestritten.19 Ein von diesen Vorschriften unabhängiger eigentumsgrundrechtlicher Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen wäre dann zu bejahen, wenn man ein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das mehr ist als die Summe aller den Gewerbebetrieb zugrunde liegenden Eigentumsrechte (Grundstücke, Sacheigentum, Aktien, Patente etc.), als „Eigentum “ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG anerkennt. Das hängt wiederum davon ab, ob man § 823 Abs. 1 BGB, aus dem der Bundesgerichtshof das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als „sonstiges Recht“ ableitet,20 als hinreichende Inhaltsund Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ansieht. Der Bundesgerichtshof und Teile der Literatur tun dies;21 das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage bislang offen gelassen22. 5.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG findet ebenso wie das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG seine Grenzen in den Art. 43 Abs. 1 bzw. 38 Abs. 1 Satz 2 GG als mit dem Grundrecht kollidierendem Verfassungsrecht. Wie dort ist auch hier im Kollisionsfalle ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen den kollidierenden Positionen herzustellen, mit dem Ziel, dass die Zwecke beider – Erhaltung eines Freiraumes im vermögensrechtlichen Bereich auf Seiten des Eigentumsgrundrechts;23 parlamentarische Kontrolle und Informationsbeschaffung für die parlamentarische Arbeit auf Seiten des Auskunftsrechts – so weit wie möglich zur Entfaltung kommen. 17 BVerfGE 68, 193 (222); Wendt, in: Sachs, GG3, Art. 14 Rn. 24. 18 Wolff, NJW 1997, S. 98 (98). 19 Wolff, NJW 1997, S. 98 (99 f.). 20 Wendt, in: Sachs, GG3, Art. 14 Rn. 26. 21 Wendt, in: Sachs, GG3, Art. 14 Rn. 26 mit weiteren Nachweisen. 22 BVerfGE 51, 193 (221 f.); 66, 116 (145); 68, 193 (222 f.); 84, 212 (232); 96, 375 (397). 23 BVerfGE 83, 201 (208). - 8 - 5.4. Inhalt und Schranken von Art. 14 Abs. 1 GG Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG schützt das Eigentum. Eigentum ist kein feststehender Begriff; sein Umfang muss vielmehr durch einfachgesetzliche Normen innerhalb der Schranken- Schranken von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG bestimmt werden. Hiernach ist Eigentum die Summe aller vermögenswerten Rechtspositionen, die dem Bürger durch einfaches Recht zugeordnet sind und die ihm eine private Nutzungs- und Verfügungsbefugnis einräumen.24 Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verbindet Eigentumsgarantie der Bürger und Regelungsauftrag des Gesetzgebers. Die sich aus Art. 14 GG ergebenden Rechte sind ihrer Existenz und ihrer konkreten Ausgestaltung nach von Regelungen durch den Gesetzgeber abhängig. Insoweit muss für die Eingriffsqualifizierung zwischen inhaltsbestimmenden und schrankenziehenden Gesetzen unterschieden werden.25 Dies ist nicht immer möglich. Es bietet sich an, zur Unterscheidung auf folgende Kriterien abzustellen: Werden Befugnisse generell und pflichtneutral festgelegt, handelt es sich um eine Inhaltsnorm . Werden konkrete Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflichten auferlegt , handelt es sich um eine Schrankennorm.26 Diese wirkt dann als Beeinträchtigung und unterliegt den Schranken des Art. 14 GG. 5.5. Art. 38 Abs. 1 Satz 2, 43 Abs. 1 GG als Grundrechtsschranken Als verfassungsimmanente Schranken kommen hier die nach herrschender Meinung aus Art. 43 Abs. 1 GG folgende Pflicht der Bundesregierung, dem Bundestag und seinen Ausschüssen „Rede und Antwort“ zu stehen,27 und der von der herrschenden Meinung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitete28 Informationsanspruch des einzelnen Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung in Betracht. Auf Informationen, deren Weitergabe wegen ihres streng persönlichen Charakters, für die Betroffenen unzumutbar sind, erstreckt sich der parlamentarische Informationsanspruch nicht.29 Denn die aus diesen Normen folgenden Informationspflichten der Regierung kollidieren – soweit es um grundrechtlich geschützte Daten geht – mit der aus dem Grundrecht resultierenden die Regierung treffenden Unterlassungspflicht, und sie haben – wie diese – verfassungsrechtlichen Charakter. 24 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14, Rn. 12. 25 Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14, Rn. 55. 26 Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14, Rn. 55. 27 Magiera, in: Sachs, GG3, Art. 43 Rn. 6 mit weiteren Nachweisen. 28 Magiera, in: Sachs, GG3, Art. 38 Rn. 41; Schreiber, in: Berliner Kommentar, Art. 38 Rn. 117. 29 BVerfGE 67, 100-388, Urteil vom 17.7.84 - 9 - Es gibt jedoch Stimmen im verfassungsrechtlichen Schrifttum, die den Art. 43 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 2 GG die Fähigkeit, Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen zu können, absprechen, mit der Folge, dass die Weitergabe von in den Schutzbereich dieses Grundrechts fallenden Daten im Rahmen einer Antwort auf eine parlamentarische Frage schlechthin unzulässig ist.30 Das wird damit begründet, dass im Gegensatz zu den Informationsrechten von Untersuchungsausschüssen (vgl. Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG: „die erforderlichen Beweise erhebt“, Abs. 2 Satz 1 GG) beim allgemeinen parlamentarischen Auskunftsrecht eine nähere Regelung über dessen Durchsetzung fehle. Dies zeige, dass der Verfassungsgeber davon ausgegangen sei, dass es zu einer wirklichen Kollision von parlamentarischem Auskunftsrecht und Grundrechten von vornherein nicht kommen könne, was wiederum nur denkbar sei, wenn ersteres unmittelbar am Schutzbereich letzterer ende. Nur so lasse sich auch erklären , dass das Bundesverfassungsgerichts Antworten auf parlamentarische Fragen als „parlamentsinterne[n] Vorgang“ ohne rechtliche Außenwirkung bezeichnet habe.31 Diese Sichtweise widerspricht dem, was sonst im Falle eines Konflikts von Grundrechten mit anderen Werten von Verfassungsrang gilt, nämlich dass keiner der beiden Vorgaben ein unbedingter Vorrang vor der anderen zukommt, sondern dass ein einzelfallbezogener Ausgleich zwischen ihnen hergestellt werden muss.32 Ein unbedingter Vorrang des Schutzes des Geschäftsgeheimnisses, das nicht vorbehaltlos gewährleistet ist,33 stände dem parlamentarischen Fragerecht gegenüber. Dies entspräche nicht der großen Bedeutung, die dem parlamentarischen Fragerecht im parlamentarischen Regierungssystem zukommt.34 5.6. Verhältnismäßigkeit der Weitergabe Art. 43 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 1 Satz 2 GG genießen dann Vorrang vor Art. 14 Abs. 1 GG wenn (und soweit) die Weitergabe von in den Schutzbereich des Grundrechts fallenden Informationen geeignet, erforderlich und angemessen (kurz: verhältnismäßig) zur Verwirklichung der hinter Art. 43 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 1 Satz 2 GG liegenden Zwecke ist. 5.7. Zweck und Eignung 30 Burkholz, S. 226 ff. 31 Burkholz, S. 226 ff. 32 Sachs, in: Sachs, GG3, Vor Art. 1 Rn. 120 ff. 33 Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 179. 34 Vgl. Gusy, S. 880. - 10 - Das parlamentarische Auskunftsrecht ist zum einen ein Mittel der parlamentarischen Kontrolle der Regierung.35 Zum anderen verfügt die Bundesregierung als Spitze der Bundesexekutive über Erkenntnisse (etwa über den Vollzug von Gesetzen), die dem Parlament nicht zur Verfügung stehen, die aber generell bei der parlamentarischen Arbeit (etwa bei der Gesetzgebung) von Nutzen sein können. Über das Auskunftsrecht kann sich die Legislative Zugang zu diesen Erkenntnissen verschaffen.36 Die Kenntnis des Angebotsspiegels bei Vergaben kann prinzipiell der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive und der sonstigen parlamentarischen Arbeit dienlich sein. Die Weitergabe dieser Daten an den Bundestag ist ein geeignetes Mittel zur Verwirklichung dieses Zweckes. Nur wenn in keiner Weise erkennbar ist, wie die erfragte Information der parlamentarischen Kontrolle oder der sonstigen parlamentarischen Arbeit von Nutzen sein kann, ist die Eignung des Grundrechtseingriffs zu verneinen. 5.8. Erforderlichkeit Erforderlich ist die Weitergabe der Daten dann, wenn es kein milderes, gleichermaßen effektives Mittel zur Verwirklichung des Zweckes gibt. Darüber hinaus ist ein milderes Mittel die vertrauliche Behandlung der Daten. Der Haushaltsausschuss tagt in nichtöffentlicher Sitzung. Insofern ist der Kreis derjenigen, die von den Geschäftsgeheimnissen der Bieterfirmen erfahren, begrenzt. Die Anwendung der Geheimhaltungsvorschriften ist gegenüber der Verweigerung der Herausgabe der Daten das mildere Mittel. Als weiteres milderes Mittel kommt prinzipiell die Weitergabe anonymisierter Daten in Betracht. Genauso effektiv wie die Weitergabe individualisierter oder individualisierbarer Daten ist dieses Mittel allerdings nur dann, wenn es nicht gerade auf die Individualisierbarkeit ankommt. Soweit es um die Informationsbeschaffung für Gesetzesvorhaben geht, werden in der Tat regelmäßig anonymisierte Daten rein statistischer Natur genügen. Im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle wird die Individualisierbarkeit dagegen häufiger von Bedeutung sein. Die Frage beispielsweise, ob, in welcher Weise und in welchem Maße Privatpersonen unter Einschluss von Unternehmen und Verbänden auf die Regierung Einfluss haben oder nehmen können, wird sich mit anonymisierten Daten kaum so befriedigend beantworten lassen wie mit individualisierten oder individualisierbaren.37 Hier muss auch in jedem Einzelfall entschieden werden, ob mit anonymisierten Daten eine Kontrolle der Vergabeverfahren durchgeführt werden kann. 35 Schreiber, in: Berliner Kommentar, Art. 38 Rn. 117. 36 Kunig, S. 221. 37 Hölscheidt S. 44. - 11 - 5.9. Angemessenheit Angemessen ist die Weitergabe der Daten nur dann, wenn der durch die Weitergabe der Daten auf Seiten der parlamentarischen Kontrolle und Arbeit hervorgerufene Nutzen den auf Seiten des Schutzes der Geschäftsgeheimnisse verursachten Schaden wert ist. Dieser Nutzen muss umso höher sein, je intensiver der Grundrechtseingriff ist. Der Nutzen einer dem Parlament erteilten Auskunft für die parlamentarische Kontrolle oder die parlamentarische Arbeit lässt sich ex ante nur sehr schwer bewerten. Zum einen kann eine auf den ersten Blick auf eine scheinbar belanglose Information abzielende Frage einen „Stein ins Rollen“ bringen, wenn etwa die Antwort zu weiteren Nachfragen oder Nachforschungen Anlass gibt, die dann die „eigentlich“ bedeutenden Informationen ans „Tageslicht“ bringen. Zum anderen stiftet auch eine im Ergebnis „zu Nichts“ führende Frage noch insoweit Nutzen, als sie der Regierung vor Augen führt, dass sie vom Parlament beobachtet und kontrolliert wird, und sie so „in Atem“ und dazu anhält, möglichst frei von rechtlichen und politischen Fehlern zu handeln. Dieser letztlich abstrakt bleibende Nutzen hat möglicherweise sogar die größere Bedeutung. Angesichts dessen dürfen bei der Abwägung von informationeller Selbstbestimmung und parlamentarischer Kontrolle / Arbeit an den Nutzen der geforderten Auskunft keine überzogenen Anforderungen gestellt werden38 Da es ein legitimes Interesse des Parlaments daran gibt, zu prüfen, ob öffentliche Aufträge unabhängig und nach sachgerechten Kriterien vergeben wurden, ist der Nutzen als recht einzuschätzen und insofern der Grundrechtseingriff auch verhältnismäßig. Aus diesem Grunde kann die Vorlage des Angebotsspiegels und das Ergebnis der Ausschreibung von den Mitgliedern verlangt werden. 38 Schreiber, in: Berliner Kommentar, Art. 38 Rn. 117. - 12 - 6. Literaturverzeichnis Badura, Peter, Die Stellung des Abgeordneten nach dem Grundgesetz und den Abgeordnetengesetzen in Bund und Ländern, in: Schneider, Hans-Peter / Zeh, Wolfgang (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, Ein Handbuch, Berlin, New York 1989, § 15. 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