© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 074/18 Politische Äußerungen von Hoheitsträgern Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/18 Seite 2 Politische Äußerungen von Hoheitsträgern Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 074/18 Abschluss der Arbeit: 19. März 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/18 Seite 3 1. Einleitung Die Ausarbeitung behandelt öffentliche politische Äußerungen von Hoheitsträgern und stellt deren rechtliche Grenzen dar, insbesondere das sogenannte Neutralitätsgebot. Beispielhaft werden einige Gerichtsentscheidungen aus jüngerer Zeit zusammengefasst, die sich mit Äußerungen unterschiedlicher Amtsträger befassen. Der zugrundeliegende Konflikt ist allen Fällen gemein: In der Demokratie des Grundgesetzes muss sich die politische Willensbildung von unten nach oben, also vom Volk zu den Staatsorganen vollziehen.1 Greifen hier Hoheitsträger, denen ein gewisser „Vertrauensvorschuss“ in der Bevölkerung zugesprochen wird,2 mit der Autorität ihres Amtes und mit staatlichen Ressourcen ein, besteht die Gefahr einer Umkehrung des Willensbildungsprozesses. Ihren Äußerungen werden daher rechtliche Grenzen gesetzt. 2. Sprecherrolle Problematisch sind nur Äußerungen, die ein Hoheitsträger in seiner hoheitlichen Funktion tätigt. Spricht er dagegen als Bürger, insbesondere als Parteipolitiker, bedarf es keiner besonderen Beschränkungen. Er macht dann nicht von einer Befugnis Gebrauch, sondern nimmt seine Freiheitsrechte wahr, insbesondere seine Meinungsfreiheit nach Art. 5 Grundgesetz (GG). Daher muss eine Äußerung stets auf ihren Amtsbezug geprüft werden. Erforderlich ist eine umfassende Würdigung der Umstände, insbesondere des Inhalts, der Form und des äußeren Zusammenhangs der Äußerung. Die Rechtsprechung hat hierfür eine Reihe von Kriterien erarbeitet.3 Für einen Amtsbezug sprechen die ausdrückliche Bezugnahme des Sprechers auf sein Amt und der inhaltliche Zusammenhang der Aussage mit der amtlichen Tätigkeit. Findet die Äußerung in Amtsräumen statt oder wird sie auf der Internetseite eines Ministeriums oder einer Stadtverwaltung publiziert, sprechen diese Indizien ebenso für einen Amtsbezug wie die Verwendung von Hoheitszeichen. Aus Empfängersicht bedient sich der Sprecher in diesen Fällen einer besonderen Autorität, die ihm sein Amt verleiht. Der Amtsbezug kann auch aus der Verwendung öffentlicher Mittel folgen, etwa dann, wenn eine Kampagne aus dem Etat der Bundesregierung bezahlt wird. Äußerungen ohne Amtsbezug sind nicht nur solche, die ein Amtsträger als Privatperson tätigt. Die meisten Amtsträger sind zugleich Parteipolitiker. Auch bei Äußerungen, bei denen diese Rolle im Vordergrund steht, scheidet der Amtsbezug aus. Andernfalls wären Regierungsparteien im Wahlkampf erheblich benachteiligt.4 Das gilt insbesondere für Reden auf Parteitagen und anderen 1 So bereits BVerfGE 20, 56, 99; BVerfGE 138, 102, 109. 2 Milker, Äußerungen von Hoheitsträgern im Wahlkampf und darüber hinaus, JA 2017, 647, unter Hinweis auf Martini/Kühl, Jura 2014, 1221. 3 BVerfGE 138, 102, 117 ff.; BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2018, Az. 2 BvE 1/16, Rn. 62 ff.; Barczak, Die Parteipolitische Äußerungsbefugnis von Amtsträgern, NVwZ 2015, 1014, 1016; Gusy, Neutralität staatlicher Öffentlichkeitsarbeit – Voraussetzungen und Grenzen, NVwZ 2015, 700, 702 f.; Milker, JA 2017, 647, 651. 4 BVerfGE 138, 102, 117; Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1015. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/18 Seite 4 Parteiveranstaltungen. Dabei muss der Sprecher sein Amt auch nicht verschweigen. So soll die bloße Vorstellung als Minister noch keinen Amtsbezug herstellen. Besondere Schwierigkeiten bereitet die Qualifizierung von Aussagen, die in keinem klar zuzuordnenden äußeren Zusammenhang erscheinen. Problematisch sind insbesondere Äußerungen in Fernsehinterviews oder sozialen Netzwerken, für die zumeist auch keine öffentlichen Sach- oder Finanzmittel eingesetzt werden. Eine strikte Trennung der Rollen ist oft nicht möglich.5 Teilweise wird vertreten, dass im Zweifel von der Wahrnehmung der Meinungsfreiheit auszugehen sei.6 Manche Kritiker erwägen, eine umfassendere Abwägung unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs an die Stelle der eindeutigen Zuordnung des Sprechers zu einer der beiden Sphären zu setzen. Die „Alles-oder-nichts-Lösung“ des Bundesverfassungsgerichts werde den Grenzverwischungen zwischen Staats- und Parteiämtern und der Wahrnehmung des Publikums nicht gerecht.7 Die Abgrenzung entspreche nicht der Verfassungsrealität und könne nicht hinreichend rechtssicher erfolgen.8 3. Äußerungsbefugnis Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts folgt die Äußerungsbefugnis von Hoheitsträgern aus dem einem Amt oder Organ zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich. Staatliches Informationshandeln setzt danach keine besondere Rechtsgrundlage voraus. Die Befugnis der Bundesregierung und der Bundesminister zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ergebe sich aus deren Kompetenz zur Staatsleitung,9 die des Bundespräsidenten aus seiner Integrationsaufgabe.10 Ein Bürgermeister darf sich zu Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft äußern.11 Unzulässig sind demnach hoheitliche Äußerungen, mit denen ein Amtsträger seinen Zuständigkeitsbereich verlässt. Die Rechtsprechung schließt an frühere Urteile zum staatlichen Informationshandeln in den Bereichen des Verbraucher- und des Jugendschutzes an.12 Wie bereits in diesen Fällen weisen Kritiker auch im Zusammenhang mit politischen Äußerungen auf deren Grundrechtsrelevanz hin. 5 BVerfGE 138, 102, 118. 6 RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665, 668; Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1016. 7 Tanneberger/Nemeczek, Anmerkung zum „Fall Schwesig“, NVwZ 2015, 215, 216. 8 Putzer, Verfassungsrechtliche Grenzen der Äußerungsbefugnisse staatlicher Organe und Amtsträger, DÖV 2015, 417, 422 f.; dagegen BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2018, Az. 2 BvE 1/16, Rn. 66. 9 BVerfGE 138, 102, 113 f.; BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2018, Az. 2 BvE 1/16, Rn. 51 m.w.N.; Gusy, NVwZ 2015, 700, 701. 10 BVerfGE 136, 323, 332. 11 BVerwG NVwZ 2018, 433, 434; Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1017. 12 Vgl. Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1018 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/18 Seite 5 Auch außerhalb der klassischen Eingriffsverwaltung sind heute mittelbar-faktische Grundrechtseingriffe anerkannt. Daher wird in Teilen der Literatur nach der Lehre vom Gesetzesvorbehalt eine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage gefordert.13 4. Grenzen Auch innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs dürfen sich Hoheitsträger nicht beliebig äußern. Denn auch bei sogenanntem schlichten, also nicht rechtsförmigem hoheitlichen Handeln, sind staatliche Akteure nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz sowie nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Insbesondere kollidierendes Verfassungsrecht setzt ihren Äußerungen Grenzen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Äußerungen, die den Wettbewerb der politischen Parteien betreffen, und Äußerungen über andere Personen oder Personengruppen. 4.1. Äußerungen über politische Parteien Äußert sich ein Amtsträger zugunsten der eigenen oder zu Lasten einer anderen Partei, so stehen seiner Äußerungsbefugnis Art. 21 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG gegenüber.14 Aus Art. 21 Abs. 1 GG wird das Recht der Parteien abgeleitet, gleichberechtigt an der politischen Willensbildung teilnehmen zu können. Im Wahlkampf verstärkt Art. 38 GG dieses Recht mit den Grundsätzen der Gleichheit und Freiheit der Wahl. Maßgeblich für den Ausgleich zwischen der Äußerungsbefugnis des Amtsträgers und der Chancengleichheit der politischen Parteien ist der unverfälschte Wettbewerb der Parteien.15 Daher gilt ein staatliches Neutralitätsgebot, auch außerhalb von Wahlkampfzeiten.16 Hoheitsträger haben sich danach stets sachlich und korrekt zu äußern.17 Diffamierende Äußerungen und Werturteile, denen sachfremde Erwägungen zugrunde liegen, sind unzulässig.18 Im Wahlkampf gelten jedoch noch strengere Maßstäbe: Die staatliche Zurückhaltungspflicht wird umso größer, je näher ein Wahltermin rückt. Das Bundesverfassungsgericht will zwar keinen genauen Stichtag festlegen, nennt als Orientierungspunkt für die Bundestagswahl aber den Zeitpunkt, zu dem der Bundespräsident den Wahltag bestimmt: Dann gelte das Gebot äußerster Zurückhaltung; für Arbeits-, Leistungs- und 13 Vgl. nur Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1018. 14 Vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2018, Az. 2 BvE 1/16, Rn. 39 ff.; Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1015; Milker, JA 2017, 647, 648. 15 Vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2018, Az. 2 BvE 1/16, Rn. 64; den Wettbewerbsbezug hebt besonders Gusy, NVwZ 2015, 700, 703 f., hervor. 16 BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2018, Az. 2 BvE 1/16, Rn. 46. 17 BVerfGE 57, 1, 8; BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2018, Az. 2 BvE 1/16, Rn. 55 ff.; Milker, JA 2017, 647, 648; Gusy, NVwZ 2015, 700, 701. 18 Das Bundesverfassungsgericht sieht darin ausdrücklich eine Parallele zur „Schmähkritik“ bei Art. 5 Abs. 1 GG, vgl. BVerfGE 138, 102, 114. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/18 Seite 6 Erfolgsberichte der Bundesregierung sei kein Raum mehr.19 Die Geltung und die Beachtung des Neutralitätsgebots unterliegen vollständiger gerichtlicher Kontrolle.20 Diese Erwägungen sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nicht auf den Bundespräsidenten übertragbar.21 Bei der Erfüllung seiner Integrationsaufgabe werden ihm weitreichende Freiheiten eingeräumt. Die Gefahr eines unzulässigen Eingriffs in die freie Meinungsund Willensbildung des Volkes sieht das Gericht hier nicht im gleichen Maß wie bei der Bundesregierung . Der Bundespräsident stehe weder im direkten Wettbewerb mit den politischen Parteien, noch stünden ihm die Mittel der Bundesregierung zur Verfügung. Das Gericht beschränkt daher seinen Prüfungsumfang: „Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, aber auch ausreichend, negative Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat.“22 Das Urteil wird teilweise wegen des Verweises auf die Wunsiedel- Entscheidung für nicht verallgemeinerbar gehalten.23 Andere Stimmen sehen in den divergierenden Maßstäben die Gefahr einer Politisierung des Amtes des Bundespräsidenten und einer Entpolitisierung der Regierung.24 4.2. Äußerungen über andere Betroffene Betreffen die Äußerungen keine politischen Parteien, sondern andere Gruppen oder Personen, können deren Grundrechte der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit Grenzen setzen.25 Bei politischen Äußerungen kommen insbesondere die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) und die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) in Betracht. Hier kommt es zu mittelbar-faktischen Grundrechtseingriffen, wenn das staatliche Informationshandeln das grundrechtlich geschützte Verhalten hinreichend gewichtig oder final beeinträchtigt. Das kann etwa der Fall sein, wenn Bürger durch den Aufruf eines Hoheitsträgers von der Teilnahme an einer Versammlung abgeschreckt werden.26 19 BVerfGE 44, 125, 153. 20 BVerfGE 138, 102, 121. 21 BVerfGE 136, 323, 334 ff.; BVerfGE 138, 102, 111 ff. 22 BVerfGE 136, 323, 336. 23 Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1020; vgl. auch Putzer, DÖV 2015, 417, 420 f. 24 Tanneberger/Nemeczek, NVwZ 2015, 215, 216; vgl. auch Putzer, DÖV 2015, 417, 424; dagegen BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2018, Az. 2 BvE 1/16, Rn. 65. 25 Vgl. BVerwG NVwZ 2018, 433, 434 f. ; Putzer, DÖV 2015, 417, 425; Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1019; Milker, JA 2017, 647, 649 f. 26 Das Bundesverwaltungsgericht nahm in dem unter 5.2. geschilderten Fall jedoch keinen Eingriff in die Versammlungsfreiheit an. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/18 Seite 7 5. Gerichtsentscheidungen In jüngster Zeit waren politische Äußerungen von Hoheitsträgern wiederholt Gegenstand verfassungs - und verwaltungsgerichtlicher Verfahren. Im Folgenden werden einige Urteile kurz zusammengefasst. 5.1. „Rote Karte für die AfD“ Mit Urteil vom 27. Februar 2018 hat das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) in ihrem Recht auf Chancengleichheit durch die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna Wanka, festgestellt.27 Auf die Ankündigung einer AfD- Versammlung unter dem Motto „Rote Karte für Merkel! – Asyl braucht Grenzen!“ hatte Ministerin Wanka mit einer Pressemitteilung reagiert. Darin ließ sie sich mit folgender Aussage zitieren: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung.“ Durch die Veröffentlichung der Pressemitteilung auf der Internetseite des Ministeriums und durch die Verwendung des Dienstwappens griff die Ministerin nach Auffassung des Gerichts auf die Autorität ihres Amtes zurück. Durch die einseitige Einflussnahme auf die politische Kundgebung einer Partei habe sie das Neutralitätsgebot und damit das Recht der Partei auf Chancengleichheit verletzt. Zwar habe die Bundesregierung das Recht, Kritik an ihrer Arbeit öffentlich zurückzuweisen . Sie müsse dabei aber stets sachlich bleiben. Ein „Recht auf Gegenschlag“, also auf unsachliche Zurückweisung eines unsachlichen Angriffs, bestehe nicht. 5.2. „Lichter aus!“ Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 13. September 2017 die Rechtswidrigkeit von Äußerungen des Düsseldorfer Oberbürgermeisters festgestellt.28 Er hatte auf eine Versammlung der Vereinigung „Dügida – Düsseldorfer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ mit einem Aufruf auf der Internetseite der Stadt reagiert. Dort hatte er die Bürger aufgefordert, während der Versammlung die Beleuchtung an ihren Häusern auszuschalten und an einer Gegendemonstration teilzunehmen. In der Erklärung hieß es unter anderem: „Lichter aus! Düsseldorf setzt Zeichen gegen Intoleranz (…) Oberbürgermeister Thomas Geisel: 'Das ist das richtige Signal, dass in Düsseldorf kein Platz für das Schüren dumpfer Ängste und Ressentiments ist. Düsseldorf ist eine weltoffene Stadt, in der jeder willkommen ist.'“ Auch an öffentlichen Gebäuden ließ der Oberbürgermeister die Beleuchtung ausschalten. 27 BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2018, Az. 2 BvE 1/16. 28 BVerwG NVwZ 2018, 433. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/18 Seite 8 Das Gericht geht davon aus, dass sich die Äußerungen des Oberbürgermeisters im Rahmen seiner aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG folgenden Zuständigkeit für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft halten. Der Oberbürgermeister habe zwar nicht das Neutralitätsgebot verletzt, das dem Schutz der Chancengleichheit politischer Parteien diene; Dügida sei keine Partei. Auch liege kein mittelbar -faktischer Grundrechtseingriff vor. Verletzt sei aber das Sachlichkeitsgebot, das aus dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip herzuleiten sei. Die „negative Symbolik des öffentlichen Lichtlöschens bringt in drastischer Weise die Missbilligung der mit der Versammlung der Klägerin verfolgten politischen Ziele zum Ausdruck. Sie verlässt die Ebene eines rationalen und sachlichen Diskurses, ohne für eine weitere diskursive Auseinandersetzung mit den politischen Zielen der von der Klägerin angemeldeten Versammlung offen zu sein.“ Entgegen der Auffassung der Vorinstanz greife auch der Aufruf zur Teilnahme an einer Gegendemonstration in unzulässiger Weise in die Meinungsbildung der Bevölkerung ein, die staatsfrei zu erfolgen habe. 5.3. „Ziel Nummer 1 muss es sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt.“ Mit Urteil vom 16. Dezember 2014 hat das Bundesverfassungsgericht einen Antrag der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) im Organstreitverfahren gegen die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zurückgewiesen.29 Im Juni 2014 hatte Ministerin Schwesig an der Verleihung des Thüringer Demokratiepreises teilgenommen und am selben Tag der Thüringischen Landeszeitung ein Interview gegeben. Auf die Frage nach dem richtigen Umgang mit der NPD im Landtag und auf kommunaler Ebene antwortete sie unter anderem: „Meine Erfahrung aus dem Landtag in Mecklenburg-Pommern ist: der Antrag wird abgelehnt und ein Demokrat spricht für alle demokratischen Fraktionen, um dabei deutlich zu machen, dass der Antrag nur vermeintlich soziales Engagement ist (…). Aber ich werde im Thüringer Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt.“ Die Maßstäbe, die für den Bundespräsidenten entwickelt wurden, seien nicht auf Regierungsmitglieder übertragbar. Für sie gelte bei der Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktion ein striktes Neutralitätsgebot, das unbeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliege. Hier habe die Ministerin jedoch weder spezifische amtliche Autorität in Anspruch genommen, noch auf öffentliche Mittel zurückgegriffen. Sie sei daher nicht an das Neutralitätsgebot gebunden gewesen. Ein Amtsbezug folge nicht aus dem bloßen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang der Äußerung mit der Veranstaltungsteilnahme als Ministerin. Hoheitszeichen seien nicht verwendet worden. Etwas anderes folge auch nicht daraus, dass der Begleittext des Interviews auf das Amt der Ministerin hingewiesen habe. Zwar sei sie auch zu ihrer Regierungsarbeit befragt worden; davon sei aber der Teil des Interviews zu unterscheiden, der sich auf einen möglichen Einzug der NPD in den Landtag beziehe . Die Ministerin habe sich hier ausdrücklich auf Erfahrungen aus der Landespolitik bezogen und nicht auf ihre Tätigkeit als Mitglied der Bundesregierung. Gegen solche Äußerungen müsse sich die NPD mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen. 29 BVerfGE 138, 102. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/18 Seite 9 5.4. „Spinner“ Bereits am 10. Juni 2014 hatte das Bundesverfassungsgericht einen weiteren Antrag der NPD gegen den Bundespräsidenten zurückgewiesen.30 Der Bundespräsident habe die Grenzen seines Äußerungsrechts nicht überschritten. Bei einer öffentlichen Veranstaltung in einer Berufsschule hatte Bundespräsident Gauck, gefragt nach seiner Meinung zu einem Verbot der NPD, unter anderem gesagt: „Wir können die Partei verbieten, aber die Spinner und die Ideologen und die Fanatiker, die haben wir dann nicht aus der Welt geschafft.“ Das Gericht legt den oben31 beschriebenen Prüfungsmaßstab an und kommt zu dem Ergebnis, dass die Äußerung nicht zu beanstanden sei. Isoliert betrachtet könne die Bezeichnung als „Spinner“ zwar diffamierend und ausgrenzend wirken. „Hier indes dient, wie sich aus dem Duktus der Äußerungen des Antragsgegners ergibt, die Bezeichnung als ‚Spinner‘ - neben derjenigen als ‚Ideologen‘ und ‚Fanatiker‘ - als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und, unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus, rechtsradikale - nationalistische und antidemokratische - Überzeugungen vertreten (…).“ *** 30 BVerfGE 136, 323. 31 Vgl. oben 4.1.