© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 074/17 Zur Abschiebepraxis nach Afghanistan Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 074/17 Seite 2 Zur Abschiebepraxis nach Afghanistan Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 074/17 Abschluss der Arbeit: 29.03.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 074/17 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird nach der Abschiebepraxis der Bundesländer nach Afghanistan seit Ende 2016. Konkret geht es darum, welche Länder Abschiebungen nach Afghanistan vornehmen und welche Länder von Abschiebungen absehen, sei es nach Maßgabe eines sog. Abschiebestopps nach Afghanistan gemäß § 60a Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) oder in anderer Weise. Die folgenden Ausführungen basieren auf den im Internet verfügbaren Informationen. 2. Vornahme von Abschiebungen nach Afghanistan Seit Ende 2016 haben laut einer Pro-Asyl-Recherche und verschiedener Medienberichte folgende Bundesländer Abschiebungen nach Afghanistan vorgenommen: Baden-Württemberg (14.12.2016; 23.01.2017; 22.02.2017; 27.03.2017), Bayern (14.12.2016; 23.01.2017; 22.02.2017; 27.03.2017). Brandenburg (27.03.2017), Hamburg (14.12.2016; 23.01.2017; 22.02.2017; 27.03.2017), Hessen (22.02.2017; 27.03.2017), Mecklenburg-Vorpommern (27.03.2017), Nordrhein-Westfalen (14.12.2016), Rheinland-Pfalz (23.01.2017; 22.02.2017; 27.03.2017), Saarland (14.12.2016), Sachsen-Anhalt (22.02.1017). 1 1 Für die Abschiebung vom 14.12.2016 Pro Asyl, Neuer Abschiebeflieger nach Afghanistan droht – wer waren die Betroffenen im Dezember?, abrufbar unter: https://www.proasyl.de/news/neuer-abschiebeflieger-nach-afghanistan -droht-wer-waren-die-betroffenen-im-dezember/ und die Berichterstattung von tagesschau.de vom 15.12.2016, Rückkehr in eine unsichere Zukunft, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/abschiebungen -afghanistan-105.html; für die Abschiebung vom 23.01.2017 Pro Asyl, Trotz massiver Bedenken: Abschiebungen nach Afghanistan gehen weiter, abrufbar unter: https://www.proasyl.de/news/trotz-massiver-bedenken -abschiebungen-nach-afghanistan-gehen-weiter/; zur Abschiebung vom 22.02.2017 vgl. die Berichterstattung von tagesschau.de vom 22.02.2017, Abgeschobene Afghanen landen in Kabul, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/abschiebung-afghanistan-113.html; zur Abschiebung nach Afghanistan vom 27. März 2017 siehe die Berichterstattung der FAZ-Net vom 28. März 2017, Abgelehnte Asylbewerber landen in Kabul, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/abschiebung-nach-afghanistan-abgelehnte-asylbewerber -landen-in-kabul-14945744.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 074/17 Seite 4 Diese Angaben werden durch entsprechende Pressemitteilungen der Bayerischen Staatsregierung bestätigt.2 Auf eine parlamentarische Anfrage zur Abschiebepraxis nach Afghanistan teilt die Staatsregierung von Sachsen in ihrer Antwort vom 21.03.2017 mit, dass seit dem 14.12.2016 keine zuvor in Sachsen wohnhaften afghanischen Staatsangehörigen nach Afghanistan abgeschoben worden seien. Die Staatsregierung habe aber die Absicht, vollziehbar ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige abzuschieben.3 In Bezug auf die Abschiebepraxis in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalzsind folgende Einschränkungen zu berücksichtigen: Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport weist in seiner Antwort vom 03.02.2017 auf eine parlamentarische Anfrage darauf hin, dass Abschiebungen nach Afghanistan nach einer „sorgfältigen Einzelfallprüfung vollzogen“ würden und im Jahr 2016 zwei afghanische Straftäter nach Afghanistan abschoben worden seien. An den Sammelabschiebungen im Dezember 2016 und Januar 2017 habe sich Niedersachsen jedoch nicht beteiligt.4 Einem Pressebericht vom 06.02.2017 zufolge hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport darüber hinaus erklärt, dass außer für ausreisepflichtige Straftäter Abschiebungen nach Afghanistan derzeit „zurückgestellt“ würden.5 Einem Bericht des WDR vom 23.02.2017 zufolge hat ein Sprecher des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen erklärt, dass Abschiebungen nach Afghanistan nach gründlicher Einzelfallprüfung durch die Ausländerbehörden und das Ministerium weiterhin möglich seien, allerdings beschränkt auf Straftäter, Gefährder sowie junge Männer, die nicht integriert und noch nicht lange in Deutschland seien.6 Auf eine parlamentarische Anfrage weist das rheinland-pfälzische Ministerium für Familie , Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz in seiner Antwort vom 14.03.2017 darauf hin, dass aufgrund der fortbestehenden Zweifel an der Sicherheitssituation in Afghanistan derzeit nur Straftäter und Gefährder rückgeführt würden.7 2 Vgl. die Pressemitteilungen der Bayerischen Staatsregierung vom 14.12.2016, abrufbar unter: http://www.bayern .de/erste-sammelrueckfuehrung-auch-nach-afghanistan/ und vom 27.03.2017, abrufbar unter: http://www.bayern.de/sammelabschiebung-nach-afghanistan/. 3 Vgl. die Antwort der Sächsischen Staatsregierung zur Kleinen Anfrage in LT-Drs. 6/8594, abrufbar unter: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=8594&dok_art=Drs&leg_per=6&pos_dok=&dok_id=236731. 4 Vgl. LT-Drs. 17/7350, 74 f. (Niedersachsen). 5 Siehe FAZ.NET vom 06.02.2017, Länder setzten Abschiebungen nach Afghanistan aus, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/fuenf-spd-laender-setzen-abschiebungen-nach-afghanistan-aus- 14857248.html. 6 So die Berichterstattung des WDR vom 23.02.2017, Schiebt NRW bald wieder nach Afghanistan ab?, abrufbar unter: http://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/abschiebungen-afghanistan-102.html. 7 Siehe LT-Drs. 17/2506 (Rheinland-Pfalz). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 074/17 Seite 5 3. Absehen von Abschiebungen nach Afghanistan Soweit ersichtlich hat allein der Minister für Inneres und Bundesangelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein die Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan gemäß § 60a Abs. 1 AufenthG für den Zeitraum vom 14.02.2017 bis zum 13.05.2017 angeordnet.8 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang aber auf zahlreiche parlamentarische Vorgänge in anderen Bundesländern , die die Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan zum Gegenstand haben, z.B. in Form von Entschließungsanträgen.9 Die Aussetzungsanordnung von Schleswig-Holstein ist in ihrer Reichweite beschränkt. Ausgenommen von der Anordnung sind Personen, bei denen eine vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erlassen worden ist oder Ausweisungsgründe nach den §§ 53, 54 AufenthG vorliegen und das Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG nicht überwiegt oder die wegen einer im Bundesgebiet begangenen Straftat verurteilt worden sind, wobei Geldstraften von bis zu 50 Tagessätzen außer Betracht bleiben können.10 Angesichts dieser Einschränkungen besteht eine gewisse Nähe zur Abschiebepraxis in Niedersachsen , Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Nähere Informationen darüber, ob und inwieweit Personen aus Schleswig-Holstein nach Afghanistan abgeschoben werden, die nicht unter die Aussetzungsanordnung fallen, liegen jedoch nicht vor. Aus der Antwort des Senats von Berlin vom 03.02.2017 auf eine parlamentarische Anfrage ergibt sich, dass ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige im Jahr 2016 nicht nach Afghanistan abgeschoben wurden, sondern ihre Abschiebung in Drittstaaten erfolgte.11 Presseberichten zufolge will sich die Berliner Regierung „nach den Worten mehrerer Koalitionspolitiker nicht an 8 Die Aussetzungsanordnung des Ministers für Inneres und Bundesangelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein vom 14.02.2017 ist abrufbar unter: https://www.frsh.de/fileadmin/pdf/behoerden/Erlasse_ab_2012/MIB- SH_Afghanistan-gem-_60aIAufenthG_20170214.pdf. 9 Vgl. dazu die entsprechenden Landtagsdrucksachen von Bayern, LT-Drs. 17/15609 und 17/15902; Brandenburg, LT-Drs. 6/6079 und BePr 6/42, 6; Hamburg, LT-Drs. 21/7524 und 21/8124; Hessen, LT-Drs. 19/4641; Mecklenburg -Vorpommern, LT-Drs. 7/245, 5; Nordrhein-Westfalen, LT-Drs. 16/13681 und Plenarbeschlussprotokoll 16/133, 6; Sachsen, LT-Drs. 6/8768; Sachsen-Anhalt, LT-Drs. 7/702 sowie zum Vorgang http://padoka.landtag .sachsen-anhalt.de/starweb/PADOKA/servlet.starweb. 10 Vgl. die Aussetzungsanordnung des Ministers für Inneres und Bundesangelegenheiten des Landes Schleswig- Holstein vom 14.02.2017 (Fn. 8). 11 Vgl. LT-Drs. 18/10279, 2 f. (Berlin). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 074/17 Seite 6 Sammelabschiebungen nach Afghanistan beteiligen“; ein Sprecher der Innenverwaltung habe aber darauf hingewiesen, dass es keinen generellen Abschiebestopp geben werde.12 Der Innensenator von Bremen weist in einer Vorlage vom 23.12.2016 darauf hin, dass der Senat Ausreisen nach Afghanistan für grundsätzlich unzumutbar halte. Diese Bewertung gelte seit 2009 und sei im Einzelfall Voraussetzung für die Erteilung einer Duldung sowie von humanitären Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG.13 Auch in einem Pressebericht vom 06.02.2017 heißt es unter Berufung auf den Bremer Innensenat, dass Bremen zurzeit nicht nach Afghanistan abschiebe, da die Einzelfallprüfungen bislang jeweils Abschiebehindernisse zum Ergebnis gehabt hätten, zu denen auch Sicherheitsbedenken gehörten.14 Ferner nimmt das Land Thüringen „vorerst keine Abschiebungen nach Afghanistan“ vor.15 *** 12 So die Berichterstattung der Berliner Morgenpost vom 27.03.2017, Demonstration gegen Abschiebung nach Afghanistan , abrufbar unter: http://www.morgenpost.de/berlin/article210071405/Demonstration-gegen-Abschiebung -nach-Afghanistan.html; zuvor bereits rbb-online vom 22.02.1017, Grüne fordern Abschiebestopp nach Afghanistan , abrufbar unter: http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2017/02/brandenburger-gruene-wollen-afghanistan -abschiebungen-stoppen.html. 13 Senator für Inneres, Vorlage für die Sitzung der städtischen Deputation für Inneres am 23. Dezember 2016, abrufbar unter: file:///P:/_unverschluesselt/Asyl/Prof.-Fischer/TOP%2001%20st%C3%A4dtisch.15419.pdf. 14 Siehe FAZ.NET vom 06.02.2017, Länder setzten Abschiebungen nach Afghanistan aus, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/fuenf-spd-laender-setzen-abschiebungen-nach-afghanistan-aus- 14857248.html 15 So die Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge in der Medieninformation 1/2017, abrufbar unter: http://www.thueringen.de/th10/ab/medieninformationen/data/96127/index.aspx; siehe dazu auch die Kleine Anfrage zu Abschiebungen in Thüringen vom 28.02.2017, LT-Drs. 6/1969, Frage 3: „Aufgrund welcher Quellen kommt die Landesregierung - entgegen den Aussagen und den Bewertungen des Bundesministers des Innern - zur Bewertung, dass es in Afghanistan keine sicheren Gebiete gibt und folglich keine Abschiebungen in das Land erfolgen?“