© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 074/16 Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Verbots der Ausflaggung in Flaggen außereuropäischer Staaten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den Erhalt der deutschen Handelsflotte 10 4.2.2.2.2. Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Sicherung von Arbeitsplätzen für Seeleute 12 4.2.3. Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit des Art. 12 GG 13 4.2.3.1. Eingriff in den Schutzbereich 14 4.2.3.2. Rechtfertigung des Eingriffs 14 5. Zusammenfassung 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 4 1. Einleitung Der Begriff der Ausflaggung beschreibt die Praxis, dass ein vormals die deutsche Flagge führendes Schiff auf Dauer oder zeitlich begrenzt unter einer anderen Nationalflagge fährt.1 Hintergrund dieser Praxis ist, dass durch die Ausflaggung vor allem Personalkosten eingespart werden können .2 Das Phänomen der „Ausflaggung“ ist keineswegs neu. Ab dem Jahr 1970 wurde in der Bundesrepublik eine massive Ausflaggung beobachtet, im Jahr 1980 fuhren bereits 25,8 % der deutschen Handelsschiffe unter einer ausländischen Flagge.3 Diese Entwicklung setzte sich in der jüngeren Vergangenheit weiter fort. Am 29.02.2016 fuhren laut einer Statistik des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie von 2826 Schiffen der deutschen Handelsflotte nur 341 Handelsschiffe unter deutscher Flagge, während 2485 Schiffe unter ausländischer Flagge verzeichnet waren.4 Da gesetzgeberische Versuche zur Erhaltung der nationalen Handelsflotte die Praxis der Ausflaggung nicht eindämmen konnten, wird teilweise ein Verbot der Ausflaggung in „Billigflaggen “ außerhalb der Europäischen Union gefordert.5 Es wird angefragt, ob ein solches Ausflaggungsverbot verfassungsgemäß wäre. 2. Flaggenrechtsprinzip Ausgangspunkt der Problematik der Ausflaggung ist das völkergewohnheitsrechtlich geltende Flaggenrechtsprinzip. Es besagt, dass Schiffe die Staatszugehörigkeit desjenigen Staates besitzen, dessen Flagge sie zu führen berechtigt sind.6 Völkerrechtliche Voraussetzung für ein Flaggenführungsrecht ist eine echte Verbindung (sog. genuine link) des Schiffes zum Flaggenstaat. Da die Anforderungen an dieses Kriterium jedoch nicht definiert sind, legen die Staaten selbst die Voraussetzungen für ihr Flaggenführungsrecht fest.7 In der Bundesrepublik bestimmt § 1 Abs. 1 Flaggenrechtsgesetz (FlRG), dass alle Seeschiffe, deren Eigentümer Deutsche sind und ihren Wohnsitz im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben, die Bundesflagge zu führen haben. § 1 Abs. 2 FlRG erweitert den persönlichen Anwendungsbereich auf juristische Personen, die ihren Sitz im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben. Manche Staaten ermöglichen auch Schiffen 1 Vgl. Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage 2014, § 7 Rn. 1. 2 BT-Drs. 18/4027, S. 7. 3 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 7. 4 Statistik des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie, abrufbar unter: http://www.bsh.de/de/Schifffahrt /Berufsschifffahrt/Deutsche_Handelsflotte/Handelsfl._Mon.pdf (letzter Abruf 16.03.2016). Damit fahren derzeit 86,72% der deutschen Handelsflotte unter ausländischer Flagge. 5 https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-die-deutsche-seeschifffahrt-gegen-die-abschaffung-der-seefahrtsberufe (letzter Abruf 16.03.2016). 6 Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage 2014, Einleitung Rn. 1. 7 Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage 2014, Einleitung Rn. 2; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar , Stand der Kommentierung: 49. EL (März 2007), Art. 27 Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 5 ohne tatsächliche Verbindung zu ihrem Staat ein Flaggenführungsrecht (sog. Billigflaggenstaaten ).8 Mit der Führung der Flagge unterliegt das Schiff der Rechtsordnung des Flaggenstaates.9 Folglich richten sich die Entlohnung und die Arbeitsbedingungen der Seeleute grundsätzlich nach dem Arbeits- und Tarifrecht des Flaggenstaates.10 3. Praxis der Ausflaggung Zahlreiche deutsche Reedereien machten sich in der Vergangenheit das Flaggenprinzip zu Nutze: Um von den weniger strengen Anforderungen des Arbeits- und Tarifrechts anderer Staaten zu profitieren und dadurch Personalkosten zu sparen, flaggten sie ihre Schiffe aus der Bundesrepublik aus und flaggten sie in sog. Billigflaggenstaaten wieder ein. 11 Die Ausflaggung kann auf zwei verschiedene Arten erreicht werden: Entweder wird das Schiff an einen Käufer mit Sitz im Ausland veräußert oder der Eigentümer verlegt selbst seinen Sitz in das Ausland. In beiden Fällen endet die Pflicht zum Führen der deutschen Flagge, § 1 Abs. 1 FlRG, und das Schiff kann in das Schiffsregister eines anderen Staates eingetragen werden. Im Fall der Veräußerung an einen Käufer mit Sitz im Ausland erhalten sich die deutschen Schiffseigentümer durch eine entsprechende Vertragsgestaltung, durch Übertragung an einen Treuhänder, Rückcharter oder durch entsprechende gesellschaftsrechtliche Konstruktionen den wirtschaftlichen Einfluss über das Schiff.12 Im Rahmen der Ausflaggung ist des Weiteren zwischen der Möglichkeit der dauerhaften und der – in Deutschland häufiger praktizierten – vorübergehenden Ausflaggung zu unterscheiden. Während die dauerhafte Ausflaggung gesetzlich nicht geregelt ist, ist die vorübergehende Ausflaggung ausdrücklich in § 7 FlRG vorgesehen. Letztere wurde vom Gesetzgeber eingeführt, um die Praxis der Ausflaggung einzudämmen.13 So wurde in § 7 FlRG eine zweijährige Ausflaggungsmöglichkeit eingeräumt, um den wirtschaftlichen Interessen der Schiffseigentümer entgegenzukommen, ihre Schiffe jedoch auf Dauer unter der deutschen Flagge zu halten. Auch die Einführung des sog. Internationalen Schiffsregisters (ISR), auch Zweitregister genannt, sollte eine fortschreitende 8 Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage 2014, Einleitung Rn. 2. 9 Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage, Einleitung Rn. 3; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand der Kommentierung: 49. EL: (März 2007), Art. 27 Rn. 12. 10 Vgl. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Kommentar zum Grundgesetz, 13. Auflage 2014, Art. 27 Rn. 11. 11 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 9; Ehlers, Flaggenrechtsgesetz , 3. Auflage 2014, § 7 Rn. 3. 12 Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage 2014, § 7 Rn. 4; Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 16. 13 Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage 2014, § 7 Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 6 Ausflaggung verhindern.14 Die Schiffe bleiben dabei der deutschen Rechtsordnung unterworfen, können jedoch ausländische Arbeitnehmer nach den Bedingungen deren Heimatstaates beschäftigen und entlohnen, § 21 Abs. 4 FlRG.15 Ein Verbot der Ausflaggung kann grundsätzlich an die Veräußerung an einen Käufer mit Sitz im Ausland und an die Verlegung des Sitzes des Schiffseigentümers in das Ausland ansetzen. Da letzteres Verbot in der Literatur nicht diskutiert wird und jedenfalls kaum durchsetzbar wäre, beschränken sich die weiteren Ausführungen auf ein Verbot der Veräußerung an einen Käufer mit Sitz im Ausland unter Beibehaltung des wirtschaftlichen Einflusses über das Schiff (Veräußerungsverbot ). 4. Verfassungsmäßigkeit eines Ausflaggungsverbots 4.1. Formelle Verfassungsmäßigkeit Eine gesetzliche Regelung des Ausflaggungsverbots müsste formell verfassungsgemäß sein. Die formelle Verfassungsmäßigkeit ist gewahrt, wenn der Bund für den Erlass des Gesetzes die Zuständigkeit besitzt, das Gesetz in einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen ist und in der vorgeschriebenen Form erlassen wurde. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein Ausflaggungsverbot könnte mit der Zuständigkeit des Bundes zur Regelung des Flaggenrechts einhergehen, die auf eine Kompetenz aus der Natur der Sache zurückgeführt wird.16 Zum Teil wird auch aus Art. 27 GG eine Gesetzgebungskompetenz abgeleitet.17 Des Weiteren kommen als mögliche Kompetenzregelungen Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG oder Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG in Betracht. So hat der Bund nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG die Gesetzgebungszuständigkeit für das Recht der Wirtschaft. Das Recht der Wirtschaft erfasst „Vorschriften, die sich in irgendeiner Form auf die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs beziehen“ sowie „alle anderen das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnden Normen“ und „Gesetze mit wirtschaftsregulierendem und wirtschaftslenkendem Inhalt“.18 Der Wirtschaftszweig des Handels erfasst den erwerbsmäßigen, nicht veredelnden Güteraustauch.19 Vorliegend würde ein Gesetz zum Verbot der Ausflaggung wirtschafts- 14 Stöckel, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 205. Ergänzungslieferung Oktober 2015, Vorbemerkung Flaggenrechtsgesetz Rn. 3; BGBl. 1989 I 550. 15 Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage 2014, § 12 Rn. 3; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand der Kommentierung: 49. EL (März 2007), Art. 27 Rn. 15. 16 Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage 2014, Einleitung Rn. 6. 17 Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage 2014, Einleitung Rn. 6; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar , Stand der Kommentierung: 49. EL (März 2007), Art. 27 Rn. 28; aA Wollenschläger, in : Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band II, 3. Auflage 2015, Art. 27 Rn. 13. 18 BVerfGE 68, 319 (330). 19 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz-Kommentar, 13. Auflage 2014, Art. 74 Rn. 26. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 7 lenkend in den Seehandel eingreifen. Der Bund hat nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG auch eine umfassende Kompetenz für das Schifffahrtswesen.20 Unter Schifffahrt ist jeglicher Verkehr von Wasserfahrzeugen zu verstehen.21 Das Ausflaggungsverbot ist von diesem Kompetenztitel erfasst, da es den Verkauf von Schiffen einschränkt.22 4.2. Materielle Verfassungsmäßigkeit 4.2.1. Die staatliche Schutzpflicht aus Art. 27 GG In der Diskussion um die Ausflaggung wird häufig Art. 27 GG herangezogen, der deshalb zunächst dargestellt werden soll. Dieser stellt fest: „Alle deutschen Kauffahrteischiffe bilden eine einheitliche Handelsflotte.“ Der heute nicht mehr gebräuchliche Begriff der Kauffahrteischiffe bezieht sich auf die gewerbsmäßige Seefahrt.23 Im Ausgangspunkt besteht Einigkeit darüber, dass diese Vorschrift kein verfassungsrechtliches Verbot des Ausflaggens enthält.24 Die darüberhinausgehende Bedeutung des Art. 27 GG ist sehr umstritten. Teilweise wird aus dieser Regelung die Pflicht des Gesetzgebers zum Schutz der Handelsflotte hergeleitet. Diese Ansicht vertreten insbesondere Schiedermair und Dörr in einem Rechtsgutachten aus dem Jahr 1984 zum Thema des Schutzes der deutschen Handelsflotte und zur Frage eines Ausflaggungsverbots.25 So wird die Norm als Einrichtungsgarantie gesehen, aus der sich auch eine staatliche Schutzpflicht zum Erhalt der deutschen Handelsflotte ergeben könne. 26 Dieser Auffassung nach ist der Wortlaut des Art. 27 GG dahingehend auszulegen, dass die Existenz einer deutschen Handelsflotte gewährleistet werde, weshalb auch 20 Erbguth, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 74 Rn. 93. 21 Erbguth, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 74 Rn. 93. 22 Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage 2014, Einleitung Rn. 6 sieht eine Gesetzgebungskompetenz für das Flaggenrecht in Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG; auch der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Flaggenrechtsgesetzes und der Schiffsregisterordnung (BT-Drs. 17/10772) wurde auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG gestützt, BT-Drs. 17/10772, S. 7. 23 Erbguth, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 27 Rn. 5. 24 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand der Kommentierung: 49. EL (März 2007), Art. 27 Rn. 21; Wollenschläger, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band II, 3. Auflage 2015, Art. 27 Rn. 12; Kämmerer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 6. Auflage 2012, Art. 27 Rn. 10; Erbguth, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 27 Rn. 4, 7; Koenig, in: v. Mangoldt/Stark/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Auflage 2010, Art. 27 Rn. 3. 25 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 40; Dörr, Dieter, Die deutsche Handelsflotte und das Grundgesetz, 1988, S. 150 ff. 26 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 40; Dörr, Dieter, Die deutsche Handelsflotte und das Grundgesetz, 1988, S. 150 ff.; Sachs, in: Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 376. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 8 ihr Bestand staatlich gesichert werden müsse.27 Trotz der Einstufung des Art. 27 GG als Einrichtungsgarantie wird von den Vertretern dieser Deutung eingeräumt, dass dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten ein weiter Einschätzungsspielraum obliege, weshalb sich aus seiner Schutzpflicht kein Zwang zum Erlass eines Ausflaggungsverbots ableiten lasse.28 Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Zweitregister ausdrücklich offen gelassen , ob die Erhaltung einer Handelsflotte durch Art. 27 GG den Rang eines verfassungsrechtlich geschützten Gutes erhält.29 Das Gericht sieht eine solche gesetzgeberische Zielsetzung jedoch im Hinblick auf die deutsche exportorientierte Volkswirtschaft als legitim an.30 In der jüngeren Literatur wird die Bedeutung von Art. 27 GG als Bestandsgarantie mit einer sich daraus ergebenden staatlichen Schutzpflicht ganz überwiegend abgelehnt. 31 Insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Norm lasse sich einer solche Interpretation nicht schließen.32 Auch vom Wortlaut sei lediglich die Existenz der deutschen Handelsflotte festgestellt, woraus sich jedoch keine Pflicht zum Erhalt der Handelsflotte ergebe.33 Eine gesetzgeberische Verpflichtung zum Erlass eines Ausflaggungsverbots kann daher nicht aus Art. 27 GG hergeleitet werden. Jedoch könnte staatliches Handeln mit dem Ziel des Erhalts der Handelsflotte im Einzelfall einen Grundrechtseingriff rechtfertigen. 27 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 36; Dörr, Dieter, Die deutsche Handelsflotte und das Grundgesetz, 1988, S. 163 f. 28 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 40; Dörr, Dieter, Die deutsche Handelsflotte und das Grundgesetz, 1988, S. 178 f. 29 BVerfGE 92, 26 (43). 30 BVerfGE 92, 26 (43). 31 Erbguth, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 27 Rn. 8; Wollenschläger, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band II, 3. Auflage 2015, Art. 27 Rn. 12; Umbach, in Umbach/Clemens, Grundgesetz Mitarbeiter Kommentar und Handbuch, 2002, Art. 27 Rn. 20; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand der Kommentierung: 49. EL (März 2007), Art. 27 Rn. 29, der in Art. 27 GG aber zumindest einen „Belang von Verfassungsrang“ sieht (Rn. 25); Kämmerer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band I, 6. Auflage 2012, Art. 27 Rn. 16, der Art. 27 GG zwar als Einrichtungs- nicht jedoch als Bestandsgarantie versteht. 32 Erbguth, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 27 Rn. 8; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz -Kommentar, Stand der Kommentierung: 49. EL (März 2007), Art. 27 Rn. 29. 33 Erbguth, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 27 Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 9 4.2.2. Vereinbarkeit mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG 4.2.2.1. Eingriff in den Schutzbereich Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG schützt das Innehaben und die Nutzung fast aller vermögenswerten Rechtspositionen.34 Darüber hinaus ist auch die Dispositionsbefugnis des Eigentümers vom Schutzbereich erfasst.35 Das Eigentum an einem Schiff ist eine solche vermögenswerte Rechtsposition. Das Verbot schließt die Möglichkeiten der Veräußerung an einen Käufer mit Sitz im Ausland aus und schränkt daher die Verfügungsbefugnis des Eigentümers ein. Das Ausflaggungsverbot legt somit abstrakt-generelle Rechte und Pflichten der Schiffseigentümer fest. Daher handelt es sich bei der Regelung um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Ob darüber hinaus auch ein Eingriff in Form der Beeinträchtigung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs in Betracht kommt, kann dahinstehen .36 4.2.2.2. Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG könnte jedoch durch ein verfassungskonformes Gesetz gerechtfertigt und somit rechtmäßig sein. Dazu müsste das Gesetz formell (siehe dazu unter 4.1.) und materiell verfassungsmäßig sein. Dabei ist der Gesetzgeber insbesondere an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden. Ein Gesetz ist verhältnismäßig, wenn es ein legitimes Ziel verfolgt, zu dessen Erreichung es geeignet, erforderlich und angemessen ist.37 Mit einem Veräußerungsverbot von Schiffen unter deutscher Flagge ins Ausland könnten verschiedene Ziele verfolgt werden. Einerseits könnte dieses Verbot darauf abzielen, die deutsche Handelsflotte zu erhalten, um in Krisenfällen auf Schiffe unter deutsche Flagge zurückgreifen zu können. Dieses Ziel kann nach dem Zweitregisterurteil des Bundesverfassungsgerichts legitimerweise vom Gesetzgeber verfolgt werden (siehe oben unter 4.2.1.).38 Zum anderen könnte das Verbot der Sicherung qualifizierter Arbeitsplätze für deutsche Seeleute dienen.39 Auch diese Zielsetzung stellt einen legitimen Zweck dar. Die noch im Zweitregisterurteil angeführte Sicherheit des Schiffsverkehrs40 dürfte nicht mehr im Fokus möglicher gesetzgeberischer Ziele des Ausflaggungsverbots stehen, da die vor allem von der International Maritime Organization festgelegten 34 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz-Kommentar, 13. Auflage 2014, Art. 14 Rn. 5. 35 BVerfGE 104, 1/8. 36 So bejahend etwa: Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand der Kommentierung: 59. EL (Juli 2010), Art. 14 Rn. 95. 37 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Vorbemerkung vor Art. 1 Rn. 146 ff. 38 BVerfGE 92, 26 (43). 39 Vgl. Begründung der Online-Petition zur Rettung der deutschen Seeschifffahrt, abrufbar unter: https://www.openpetition .de/petition/online/rettet-die-deutsche-seeschifffahrt-gegen-die-abschaffung-der-seefahrtsberufe (letzter Abruf 16.03.2016). 40 BVerfGE 92, 26 (43). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 10 internationalen Standards weltweit gelten und auch Billigflaggenstaaten diese Anforderungen erfüllen müssen.41 4.2.2.2.1. Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den Erhalt der deutschen Handelsflotte Das Veräußerungsverbot müsste zum Erhalt der Zugriffsmöglichkeit auf die deutsche Handelsflotte in Krisenfällen geeignet sein. Dazu genügt es, wenn das Verbot zur Erreichung dieses Ziels förderlich ist, wobei dem Gesetzgeber im Rahmen von komplexen Kausalzusammenhängen ein gewisser Prognosespielraum zukommt.42 Angesichts des weiten Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers ist ein Ausflaggungsverbot zur Erhaltung der deutschen Handelsflotte geeignet. Insbesondere führen Umgehungsmöglichkeiten nicht zur Ungeeignetheit dieses Mittels. Die Möglichkeit der Verlagerung des Sitzes in das Ausland berührt deshalb nicht die Geeignetheit. Das Veräußerungsverbot müsste auch zum Erhalt der Handelsflotte erforderlich sein. Die Erforderlichkeit liegt vor, wenn der verfolgte Zweck nicht genauso effektiv durch ein anderes Mittel erreicht werden kann, das eine weniger intensive Grundrechtsbeeinträchtigung nach sich ziehen würde (milderes Mittel).43 Auch bei dieser Bewertung kommt dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu.44 Wie Schiedermair und Dörr einwenden, könnte es ein gleich geeignetes, milderes Mittel darstellen, die Ausflaggung unter der Prämisse zu erlauben, dass der deutsche Staat in Krisenfällen auf die Schiffe zugreifen kann.45 Dies könnte durch Vertrag mit jeder einzelnen Reederei unter Bestätigung des Billigflaggenstaats oder durch völkerrechtliche Vereinbarung mit dem Billigflaggenstaat selbst erzielt werden.46 Allerdings gehen Schiedermair und Dörr davon aus, dass die Billigflaggenstaaten zu solchen Vereinbarungen mit der Bundesrepublik Deutschland wahrscheinlich nicht bereit seien oder solche Vereinbarungen möglicherweise nicht einhielten.47 Eine Beurteilung, ob diese Einschätzung zutreffend ist und ob der Abschluss von entsprechenden Verträgen praktikabel ist, kann vorliegend nicht erfolgen. Als weiteres milderes Mittel führen Schiedermair und Dörr eine verstärkte staatliche Subventionierung der Seeschifffahrt an, die die Vorteile von Billigflaggen ausgleicht und auf diese Weise den Anreiz zur Ausflaggung beseitigt.48 Die staatliche Subventionierung ist jedoch generell kein milderes Mittel. So ist zusätzliche Voraussetzung der Erforderlichkeit, dass das mildere Mittel Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet.49 Insbesondere ist ein Mittel dann nicht „milder“, wenn es zu einer unangemessen 41 Ehlers, Flaggenrechtsgesetz, 3. Auflage 2014, § 7 Rn. 3. 42 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Vorbemerkung vor Art. 1 Rn. 147. 43 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Vorbemerkung vor Art. 1 Rn.148. 44 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Vorbemerkung vor Art. 1 Rn. 148. 45 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 54. 46 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 54. 47 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 56. 48 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 56 ff. 49 BVerfGE 113, 167/259; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz-Kommentar, 13. Auflage 2014, Art. 20 Rn. 85. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 11 höheren finanziellen Belastung des Staates führt oder die Kostenlast lediglich verschiebt.50 Die in § 7 FlRG eingeräumte zeitweise Ausflaggungsmöglichkeit wie auch die Einführung des Zweitregisters sollen vor allem den Erhalt der deutschen Handelsflotte sichern. Sie stellen grundsätzlich mildere Mittel zur Erreichung dieses Ziels dar. Möglicherweise ist der Erhalt der deutschen Handelsflotte zur Einsetzung in Krisenzeiten jedoch noch wirksamer durch ein Veräußerungsverbot von deutschen Schiffen ins Ausland zu erreichen. Eine abschließende Bewertung dieses Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Die Grundrechtsbeeinträchtigung müsste auch angemessen sein. Von einer Angemessenheit ist auszugehen, sofern der Gesetzgeber im Rahmen einer Gesamtabwägung einen gerechten Ausgleich zwischen dem beeinträchtigten Grundrecht und dem von ihm verfolgten öffentlichen Belang getroffen hat.51 Im Rahmen der Eigentumsfreiheit hat der Gesetzgeber dabei einerseits die in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zum Ausdruck kommende Anerkennung der Privatnützigkeit des Eigentums , andererseits die gem. Art. 14 Abs. 2 GG zu beachtende Sozialbindung zu berücksichtigen.52 Da das Verbot der Veräußerung von Schiffen ins Ausland die Verfügungsbefugnis des Eigentümers tiefgreifend und dauerhaft einschränkt, stellt es eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Eigentumsgarantie dar. Besonders schwer kann der Eingriff in Fällen wiegen, in denen infolge mangelnder Wettbewerbsfähigkeit die wirtschaftliche Nutzung des Schiffes unmöglich wird.53 Ein Ausgleich der wettbewerblichen Nachteile durch staatliche Maßnahmen kann nicht zur Begründung der Angemessenheit herangezogen werden. Zudem erscheinen staatliche Beihilfen auch unionsrechtlich problematisch. So sind staatliche Beihilfen nur unter den engen Voraussetzungen der Art. 107 ff. AEUV zulässig. Eine solche schwerwiegende Beeinträchtigung der Eigentumsgarantie kann nur durch besondere Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden.54 Schiedermair und Dörr sehen den Erhalt der Handelsflotte bereits mit Blick auf Art. 27 GG als besonders schwerwiegendes Rechtsgut von Verfassungsrang an.55 Wie bereits erörtert, lässt sich diese Deutung von Art. 27 GG jedoch bezweifeln. Dennoch stellt der Erhalt der Handelsflotte zur Versorgung der Bevölkerung in einer Krise jedenfalls im Hinblick auf das in Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit eine wichtige Allgemeinwohlerwägung dar.56 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sich seit der Aufnahme des Art. 27 GG in das Grundgesetz die tatsächlichen Verhältnisse erheblich verändert haben. Die Bundesrepublik ist Mitglied verschiedener internationaler Organisationen und wäre im Krisenfall nicht nur auf unter deutscher Flagge fahrende Schiffe angewiesen, sondern könnte auf internationale Hilfe und andere Verkehrswege zurückgreifen. Dies schränkt die Bedeutung, die dem Erhalt der Handels- 50 BVerfGE 109, 64/86; BVerfGE 77, 84/110 f.; BVerfGE 81, 70/91 f. 51 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Vorbemerkung vor Art. 1 Rn. 149. 52 BVerfGE 104, 1 (11). 53 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 50. 54 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 50. 55 Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 50. 56 Vgl. BVerfGE 92, 26 (43). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 12 flotte zukommt, ein. Auch ist seit dem Zweitregisterurteil des Bundesverfassungsgerichts die europäische Integration weiter fortgeschritten, sodass zweifelhaft erscheint, ob das Gericht auch zum jetzigen Zeitpunkt zu einer vergleichbaren Einschätzung gekommen wäre. Aufgrund der besonderen Intensität des Eingriffs in Relation zu der geringer gewordenen Bedeutung einer deutschen Handelsflotte erscheint ein Ausflaggungsverbot wohl unangemessen. Um die Angemessenheit herzustellen, wird teilweise die Schaffung einer Genehmigungsmöglichkeit angeregt, die vorsieht, dass der Verkauf und damit die Ausflaggung genehmigt werden, wenn die Veräußerung des Schiffes schifffahrtspolitisch unbedenklich und wirtschaftlich geboten ist.57 Da die Begriffe „schifffahrtspolitisch unbedenklich“ und „wirtschaftlich geboten“ jedoch unbestimmt sind, müssten diese zunächst näher bestimmt werden. Zudem erscheint zweifelhaft, ob angesichts der geringen Zahl der Handelsschiffe unter deutscher Flagge, diese schifffahrtspolitische Unbedenklichkeit einer Ausflaggung jemals gegeben wäre. Die wirtschaftliche Gebotenheit dürfte demgegenüber , angesichts der Wettbewerbsvorteile des Fahrens unter Billigflaggen, stets zu bejahen sein. Ein Ausflaggungsverbot liefe so praktisch leer. 4.2.2.2.2. Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Sicherung von Arbeitsplätzen für Seeleute Legitimer Zweck kann neben der Erhaltung der Handelsflotte auch die Sicherung qualifizierter Arbeitsplätze für deutsche Seeleute sein. Im Hinblick auf die Geeignetheit eines Veräußerungsverbots zur Erhaltung der Arbeitsplätze deutscher Seeleute sind die Regelungen des Internationalen Schifffahrtsregisters (Zweitregister) zu berücksichtigen. Hiernach unterliegen Arbeitsverhältnisse ausländischer Besatzungsmitglieder auf im Zweitregister eingetragenen Schiffen, die die Bundesflagge führen, nicht dem nationalen Recht, sondern dem Heimatrecht der Besatzungsmitglieder, § 21 Abs. 4 FlRG. Ein Verbot der Ausflaggung alleine wäre daher nicht geeignet die Arbeitsplätze zu erhalten. So würde zwar die Ausflaggung verhindert, aber es würde zunehmend von der Möglichkeit der Eintragung in das Zweitregister Gebrauch gemacht werden und größtenteils ausländische Arbeitnehmer beschäftigt werden, um die Personalkosten zu senken. Um effektiv deutsche und europäische Arbeitsplätze zu erhalten, wäre daher zusätzlich eine Quotenregelung erforderlich. So wird in einer Online- Petition zum Ausflaggungsverbot eine Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung dahingehend gefordert, dass auf Seeschiffen der Kapitän und mindestens 50 % aller Besatzungsmitglieder deutsche Staatsangehörige oder EU-Bürger sein müssen. 58 Andererseits ist auch eine isolierte Quotenregelung nicht geeignet, da sich Schiffseigentümer durch eine Ausflaggung dem Geltungsbereich der Schiffsbesetzungsverordnung (SchBesV) entziehen könnten, § 1 Abs. 1 SchBesV. Eine Kombination des Ausflaggungsverbots und einer Quotenregelung ist hingegen geeignet, die Erhaltung von Arbeitsplätzen für deutsche Seeleute zu erreichen. Im Rahmen der Geeignetheit kommt als milderes Mittel einerseits eine verstärkte Subventionierung in Betracht, die jedoch aus den oben genannten Gründen auch zum Schutz der Arbeitnehmer nicht gleich geeignet erscheint (siehe unter 4.2.2.2.1.). Auch die zeitweise Ausflaggungsmöglichkeit erscheint zumindest gegenüber einem dauerhaften Veräußerungsverbot zum Schutz der 57 So Schiedermair, Hartmut/Dörr, Dieter, Der Schutz der deutschen Handelsflotte, 1984, S. 47. 58 Abrufbar unter: https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-die-deutsche-seeschifffahrt-gegen-die-abschaffung -der-seefahrtsberufe (letzter Abruf 16.03.2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 13 Arbeitnehmer nicht gleich geeignet. So hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass diese Maßnahme nicht zu einer Abnahme der Ausflaggungen geführt hat. Darüber hinaus müsste die Maßnahme auch angemessen sein. Das Interesse an der Sicherung qualifizierter Arbeitsplätze für deutsche Seeleute ist gegen das Interesse der Schiffseigentümer an der freien Verfügungsbefugnis über ihre Schiffe abzuwägen. Der Beruf des Seemanns hat in Deutschland eine lange Tradition. Mit dem Ausflaggungsverbot und der Quotenregelung würde verhindert, dass die deutsche Ausbildung in seemännischen Berufen weiter zurückgeht.59 Daraus kann jedoch kein Bestandsschutz gefolgert werden. Vielmehr unterliegen Berufe dem Wandel infolge der Globalisierung. Auch aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit kann kein Leistungsrecht der deutschen Seeleute auf Aufrechterhaltung von Arbeitsplätzen abgeleitet werden. So enthält Art. 12 GG kein Leistungsrecht auf Schaffung von Arbeitsplätzen.60 Ob aus Art. 12 Abs. 1 GG eine staatliche Pflicht zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen zur Erhaltung des Seemannberufes folgt, lässt das Bundesverfassungsgericht offen.61 Selbst wenn eine solche anzunehmen wäre, wäre der Staat der Schutzverpflichtung bereits mit der Einführung einer Mindestquote für EU-Bürger in der Besatzung (§§ 4, 5 SchBesV) und durch Gewährung von Finanzhilfen und Steuervorteilen nachgekommen.62 Auf Seiten der Reeder wird, wie bereits dargelegt, besonders intensiv in deren Eigentumsgrundrecht eingegriffen. Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, dass ein Ausflaggungsverbot in Kombination mit einer Quotenregelung als wohl nicht angemessen und folglich unverhältnismäßig zu bewerten ist. 4.2.3. Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit des Art. 12 GG Das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG schützt den Erwerb, während Art. 14 GG das Erworbene sichert.63 Das Bundesverfassungsgericht versucht grundsätzlich durch eine Abgrenzung nach dem Schwerpunkt des Eingriffs das sachnähere Grundrecht zu bestimmen.64 Allerdings sind beide Grundrechte häufig gleichermaßen von wirtschaftslenkenden Maßnahmen betroffen . In diesen Fällen sind sie nebeneinander anwendbar.65 Da das Veräußerungsverbot eine 59 BVerfGE 92, 26 (43). 60 Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Art. 12 Rn. 169. 61 BVerfGE 92, 26 (43). 62 BVerfGE 92, 26 (46 f.). 63 Axer, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, Stand der Kommentierung: 27. EL (März 2015), Art. 14 Rn. 27. 64 Axer, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, Stand der Kommentierung: 27. EL (März 2015), Art. 14 Rn. 27. 65 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, Stand der Kommentierung: 27. EL (März 2015), Art. 12 Rn. 161. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 14 wirtschaftslenkende Maßnahme darstellt, ist auch im vorliegenden Fall die Vereinbarkeit mit Art. 12 GG zu prüfen. 4.2.3.1. Eingriff in den Schutzbereich Art. 12 GG beinhaltet entgegen seinem Wortlaut ein einheitliches Grundrecht, das sowohl die Berufsausübung als auch die Berufswahl umfasst.66 Beruf ist jede auf Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Tätigkeit.67 Der Betrieb einer Reederei dient der Sicherung der Existenzgrundlage und ist somit ein Beruf. Fraglich ist, ob auch die Verfügungsbefugnis über das Schiff dem Schutzbereich des Art. 12 GG unterfällt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird grundsätzlich auch das Führen von Unternehmen vom Schutzbereich erfasst, sofern es sich um Tätigkeiten handelt, die den allgemeinen Voraussetzungen des Berufs entsprechen.68 Diese Unternehmensfreiheit umfasst unter anderem die Dispositions -, die Wettbewerbs- und die Vertragsfreiheit.69 Folglich unterfällt auch die Befugnis zur Verfügung über die im Eigentum einer Reederei stehenden Schiffe dem Schutzbereich des Art. 12 GG. Diese Befugnis wird durch das Veräußerungsverbot beeinträchtigt und stellt mithin einen Eingriff in die Berufsfreiheit dar. Das Verbot wirkt sich unmittelbar und zwangsläufig auf Rahmenbedingungen der Reedereitätigkeit aus und hat mithin objektiv berufsregelnde Tendenz.70 4.2.3.2. Rechtfertigung des Eingriffs Das Grundrecht der Berufsfreiheit kann durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden .71 Da Art. 12 GG als einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit angesehen wird, erstreckt sich diese gesetzgeberische Regelungsbefugnis entgegen dem Wortlaut sowohl auf die Berufsausübung als auch auf die Berufswahl.72 Die Zulässigkeit von Eingriffen in die Berufsfreiheit bemisst sich anhand der „Drei-Stufen-Theorie“ des Bundesverfassungsgerichts, die eine spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt.73 Zu unterscheiden ist zwischen einer 66 Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Art. 12 Rn. 28. 67 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, Stand der Kommentierung: 27. EL (März 2015), Art. 12 Rn. 40. 68 Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Art. 12 Rn. 53. 69 Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Art. 12 Rn. 53. 70 Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Art. 12 Rn. 71. 71 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, Stand der Kommentierung: 27. EL (März 2015), Art. 12 Rn. 73. 72 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, Stand der Kommentierung: 27. EL (März 2015), Art. 12 Rn. 74. 73 Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Art. 12 Rn. 92. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 074/16 Seite 15 Berufsausübungsregel, sowie einer subjektiven oder objektiven Berufswahlregel.74 Ein Eingriff durch eine Berufsausübungsregel kann bereits zur Verfolgung vernünftiger Allgemeinwohlerwägungen gerechtfertigt sein.75 Eine objektive Berufswahlregel ist nur zur Abwendung einer nachweislichen oder höchstwahrscheinlichen Gefahr für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zulässig.76 An dieser Einteilung hält das Bundesverfassungsgericht aber nicht schematisch fest. Ist ein Eingriff in die Berufsausübung so intensiv, dass er zur Berufsaufgabe zwingt oder einer Berufswahlregel gleichkommt, ist er an den Anforderungen der objektiven Berufswahlregel zu messen .77 Das Ausflaggungsverbot stellt eine Berufsausübungsregel dar, da sie an das „wie“ der Berufstätigkeit anknüpft.78 Da die Wettbewerbsfähigkeit der Reedereien voraussichtlich stark beeinträchtigt würde, kann ein Ausflaggungsverbot faktisch zu einer Berufsaufgabe führen. Wegen dieser besonderen Intensität der Beeinträchtigung ist das Ausflaggungsverbot nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zulässig. Ob der Erhalt der deutschen Handelsflotte und die Sicherung qualifizierter Arbeitsplätze für deutsche Seeleute solch überragend wichtigen Gemeinschaftsgüter darstellen , erscheint bereits zweifelhaft. Zur Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zur Erreichung dieser Zielsetzungen wird auf obige Ausführungen zu Art. 14 Abs. 1 GG verwiesen (siehe unter 4.2.2.2.). 5. Zusammenfassung Ob ein Ausflaggungsverbot verfassungsgemäß wäre, kann nicht abschließend geklärt werden. Insbesondere kommt es auf die konkrete Ausgestaltung des Verbots an. Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung eines Ausflaggungsverbotes. Zur materiellen Verfassungsmäßigkeit eines Ausflaggungsverbots ist festzuhalten: Aus Art. 27 GG, der eine einheitliche Handelsflotte festsetzt, wird nach heute herrschender Meinung keine Bestandsgarantie und keine Verpflichtung zum Erlass eines Ausflaggungsverbotes abgeleitet. Ein Ausflaggungsverbot greift in die Grundrechte der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG und der Berufsfreiheit des Art. 12 GG ein. Ob ein solcher Eingriff in diese Grundrechte verhältnismäßig ist erscheint zweifelhaft. Zwar würde das Ausflaggungsverbot zwei legitime Ziele – den Erhalt der Handelsflotte und die Sicherung qualifizierter Arbeitsplätze für Seeleute – verfolgen. Ob mildere Mittel als das Ausflaggungsverbot bestehen, kann in tatsächlicher Hinsicht nicht abschließend geklärt werden. Angesichts des besonders intensiven Eingriffs in die Eigentumsgarantie und in die Berufsfreiheit der Reeder wäre ein Ausflaggungsverbot wohl unangemessen. Ende der Bearbeitung 74 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, Stand der Kommentierung: 27. EL (März 2015), Art. 12 Rn. 93. 75 BVerfGE 7, 377, 405 f. 76 BVerfGE 7, 377, 408. 77 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, Stand der Kommentierung: 27. EL (März 2015), Art. 12 Rn. 95 f. 78 Vgl. Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Art. 12 Rn. 69.