© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 073/18 Videoüberwachung in Schlachthöfen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 073/18 Seite 2 Videoüberwachung in Schlachthöfen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 073/18 Abschluss der Arbeit: 28.03.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 073/18 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Die Ausarbeitung thematisiert die Zulässigkeit von Videoaufzeichnungen in Schlachthöfen. Nach Ansicht der Bundesregierung stehen einem generellen Einsatz einer kontinuierlichen Videoüberwachung des Personals arbeits- wie datenschutzrechtliche Bedenken entgegen.1 Zudem könne eine Regelung zur Einführung einer verpflichtenden Videoüberwachung in Schlachthöfen wegen des abschließenden Charakters der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung nur durch die Europäische Kommission auf europäischer Ebene getroffen werden.2 2. Datenschutzrechtliche Zulässigkeit einer betrieblichen Videoüberwachung Ab dem 25. Mai 2018 wird das Datenschutzrecht unionsweit neu geregelt. Die Datenschutz- Grundverordnung3, die in allen ihren Teilen verbindlich ist, gilt dann unmittelbar in Deutschland. Das neue Bundesdatenschutzgesetz tritt im Wesentlichen ebenfalls am 25. Mai 2018 in Kraft. Eine gesetzliche Regelung zur Videoüberwachung müsste ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der genannten Regelungen mit diesen im Einklang stehen. Die nachfolgenden Ausführungen bilden den Rechtsstand ab dem Inkrafttreten der genannten Vorschriften ab. 2.1. Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung Zunächst müsste der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung eröffnet sein. Nach Art. 2 Abs. 1 DS-GVO gilt die Verordnung für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Der Begriff der „automatisierten Verarbeitung“ ist denkbar weit und umfasst letztlich jede Form von Datenverarbeitungsanlagen .4 Denn der Schutz natürlicher Personen soll technologieneutral sein und nicht von den verwendeten Techniken abhängen.5 Bei einer Videoüberwachung, die kontinuierlich speichert, handelt es sich demnach um eine automatisierte Verarbeitung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 DS-GVO.6 1 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT- Drs. 17/10021, S. 11. 2 Vgl. BT-Drs. 18/12180, S. 22. 3 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119/1; siehe Art. 99 Abs. 2 und 3 DS-GVO. 4 Ernst, in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 5. 5 Siehe Erwägungsgrund 15 S. 1 DS-GVO. 6 Vgl. EuGH, EuZW 2015, 234 (235, Rn. 24 f.) zu Art. 2 RL 95/46/EG; so auch Ernst, in Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 073/18 Seite 4 Weiterhin müssten personenbezogene Daten verarbeitet werden.7 Der Begriff „personenbezogene Daten“ bezeichnet alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen, Art. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 DS-GVO. Insoweit genügt es, dass die betroffene Person identifizierbar bzw. bestimmbar ist.8 Demnach fällt das von einer Kamera aufgezeichnete Bild einer Person unter den Begriff der personenbezogenen Daten, sofern es die Identifikation der betroffenen Person ermöglicht.9 Umgekehrt ist der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung nicht eröffnet, soweit ausschließlich nicht-personenbezogene Daten verarbeitet werden. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn die Videoüberwachungsanlage allein technische Vorgänge erfasst, ohne zugleich – sei es auch mittelbar oder potenziell – einen Personenbezug herzustellen.10 Im Schlachthof wäre dies denkbar, wenn mittels Kameraeinsatz zwar der Schlachtvorgang überwacht wird, eine Aufnahme von Personen aber nicht erfolgt. In diesem Fall müsste sich der Kameraeinsatz nicht an den Vorgaben des Datenschutzes messen lassen. 2.2. Rechtmäßigkeit der Verarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c DS-GVO Für die Verarbeitung personenbezogener Daten gilt wie bisher ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt .11 Art. 6 DS-GVO erweist sich dabei als zentrale Vorschrift für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten. Nach Art. 6 Abs. 1 DS-GVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn sie auf Grundlage einer Einwilligung erfolgt oder sich auf einen der genannten Erlaubnistatbestände stützen lässt. Als Erlaubnistatbestand kommt für den vorliegenden Einsatz von Kameras in Schlachthöfen Art. 6 Abs.1 lit. c DSGVO in Betracht. Danach ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten zulässig, wenn sie für die Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche unterliegt. Damit ist eine gesetzliche Verpflichtung gemeint, die sich sowohl aus dem Unionsrecht als auch aus dem Recht der Mitgliedstaaten ergeben kann (vgl. Abs. 3 UAbs. 1 lit. b). Die Verpflichtung kann dabei auf allen Gesetzen im materiellen Sinne – gleich ob Parlamentsgesetz , Rechtsverordnung oder Satzung – beruhen.12 7 Vgl. dazu etwa Krügel, Das personenbezogene Datum nach der DS-GVO, ZD 2017, 455; Herbst, Was sind personenbezogene Daten?, NVwZ 2016, 902. 8 Vgl. dazu etwa Schreiber, in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 7 f. 9 EuGH, EuZW 2015, 234 (235, Rn. 22) zu Art. 2 RL 95/46/EG. 10 Vgl. dazu etwa Ernst, in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 11 f. 11 Vgl. Frenzel, in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 1. 12 Vgl. Frenzel, in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 16; Albers, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutz R, 23. Edition – Stand: 1.11.2017, Art. 6 Rn. 34; Buchner/Petri, in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 6 Rn. 77 und 84. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 073/18 Seite 5 2.3. Anforderungen an die Rechtsgrundlage Der Gesetzgeber ist in der Ausgestaltung der Rechtsgrundlage jedoch nicht frei. Die Datenschutz- Grundverordnung gibt ihm mit Art. 6 Abs. 2 und 3 DS-GVO umfassende inhaltliche Vorgaben an die Hand. Nach Art. 6 Abs. 3 UAbs. 2 S. 3 DS-GVO muss die Rechtsgrundlage insbesondere ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen. Zudem muss der Zweck der Verarbeitung in der Rechtsgrundlage festgelegt werden. 2.3.1. Im öffentlichen Interesse liegendes Ziel Die unionsrechtliche oder mitgliedstaatliche Rechtsgrundlage müsste ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen. Die Datenschutz-Grundverordnung sagt nicht abschließend, was sie unter „öffentlichem Interesse“ versteht. Obwohl der Begriff des öffentlichen Interesses grundsätzlich unionsrechtsautonom und damit „möglichst einheitlich“ auszulegen ist, verbleibt den Mitgliedstaaten ein gewisser Regelungsspielraum.13 Nach Art. 13 AEUV gehört der Tierschutz zu den Zielen des Unionsrechts. Vorgaben des Tierschutzes können folglich auch als Ziel des öffentlichen Interesses angesehen werden. 2.3.2. Verhältnismäßigkeit: Allgemeine Grundsätze Zweitens müsste die Rechtsgrundlage „in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel“ stehen, Art. 6 Abs. 3 UAbs. 2 S. 3 DS-GVO. Nahezu wortgleich verlangt auch der Gerichtshof der Europäischen Union, dass „Einschränkungen der in den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Rechte in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten berechtigten Zweck“ stehe.14 Damit wird letztlich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 4 EUV), der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, umschrieben. Art. 6 Abs. 3 UAbs. 2 S. 3 DS-GVO wiederholt somit eine „Selbstverständlichkeit “ und ist insoweit lediglich deklaratorisch.15 Der Gerichtshof der Europäischen Union weist in ständiger Rechtsprechung darauf hin, dass nach Art. 52 Abs. 1 CRCh jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten einerseits gesetzlich vorgesehen sein und andererseits der Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten müsse.16 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlange, dass die 13 So Buchner/Petri, in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 6 Rn. 87 unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 2 und Erwägungsgrund 10 DS-GVO; ebenso bereits Martini/Kühling u.a., Die Datenschutz-Grundverordnung und das nationale Recht – Erste Überlegungen zum innerstaatlichen Regelungsbedarf, 2016, S. 31 f. 14 Siehe z. B. EuGH, Urt. v. 9.11.2010 – C-92/09 und C-93/09, ECLI:EU:C:2010:662, Rn. 72 m.w.N. 15 Frenzel, in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 45; zust. Wolff, in: Schantz/Wolff, Das neue Datenschutzrecht, 2017, Rn. 600. 16 EuGH, Urt. v. 21.12.2016 – C-203/15 und C-698/15, ECLI:EU:C:2016:970, Rn. 94; siehe auch EuGH, Urt. v. 8.4.2014 – C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238, Rn. 38; Urt. v. 17.10.2013 – C-291/12, ECLI:EU:C:2013:670, Rn. 34; Urt. v. 9.11.2010 – C-92/09 und C-93/09, ECLI:EU:C:2010:662, Rn. 50 und 65 zu Art. 7 und 8 GRCh. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 073/18 Seite 6 „eingesetzten Mittel zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sind und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen“.17 Für die Geeignetheit genüge es, wenn das Ziel zumindest gefördert wird.18 Vor diesem Hintergrund kann eine betriebliche Videoüberwachung in deutschen Schlachthöfen ein geeignetes Mittel sein, den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung bzw. Schlachtung wenigstens zu fördern, indem sie einerseits alle Beteiligten zu rechtmäßigem Verhalten anhalten und andererseits Missstände aufdecken kann, die künftig zu beseitigen sind. Im Rahmen der Erforderlichkeit habe der Gesetzgeber insbesondere zu prüfen, „ob Maßnahmen denkbar sind, die weniger stark in die durch die Art. 7 und 8 der Charta anerkannten Rechte eingreifen “ und trotzdem den Zielen der in Rede stehenden Regelung „wirksam dienen“.19 Es darf also kein milderes Mittel zur Verfügung stehen.20 Der Gesetzgeber muss – soweit Anlass besteht – stets prüfen, ob mildere Alternativen nicht ausreichend wären, um die verfolgten Ziele zu erreichen.21 Entscheidend wird letztlich sein, ob der Gesetzgeber das mit der Regelung verfolgte legitime Ziel auf der einen und die Verletzung des Rechts der betroffenen Personen auf Achtung ihres Privatlebens im Allgemeinen bzw. auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten im Besonderen auf der anderen Seite ausgewogen gewichtet.22 Der Gerichtshof der Europäischen Union verlangt zudem in ständiger Rechtsprechung, dass sich die Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Schutz der personenbezogenen Daten „auf das absolut Notwendige“ beschränken müssen.23 Von Bedeutung ist schließlich auch, dass die betroffenen Personen über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz ihrer personenbezogenen Daten vor „Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang zu diesen Daten und jeder unberechtigten Nutzung“ ermöglichen.24 Die Regelung zur Videoüberwachung muss somit jedenfalls „klare und präzise Regeln“ für die Tragweite und die Anwendung der Datenverarbeitung vorsehen und Mindestanforderungen aufstellen.25 17 EuGH, Urt. v. 9.11.2010 – C-92/09 und C-93/09, ECLI:EU:C:2010:662, Rn. 74 m.w.N. – Hervorhebung nicht im Original. 18 Jarass, in: ders., Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2016, Art. 8 Rn. 14. 19 EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-291/12, ECLI:EU:C:2013:670, Rn. 46. 20 Jarass, in: ders., Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2016, Art. 8 Rn. 14. 21 Vgl. EuGH, Urt. v. 9.11.2010 – C-92/09 und C-93/09, ECLI:EU:C:2010:662, Rn. 83. 22 EuGH, Urt. v. 9.11.2010 – C-92/09 und C-93/09, ECLI:EU:C:2010:662, Rn. 77. 23 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.2008 – C-73/07, ECLI:EU:C:2008:727, Rn. 56; Urt. v. 27.9.2017 – C-73/16, ECLI:EU:C:2017:72, Rn. 112. 24 EuGH, Urt. v. 8.4.2014 – C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238, Rn. 54 zur Vorratsdatenspeicherung. 25 EuGH, Urt. v. 8.4.2014 – C-293/12 und C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238, Rn. 54 zur Vorratsdatenspeicherung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 073/18 Seite 7 2.3.3. Beschäftigtendatenschutz – Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde bisher im Bereich des Beschäftigtendatenschutzes insbesondere durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geprägt. Dabei hat sich auch eine Kasuistik zur Kameraüberwachung am Arbeitsplatz entwickelt. Die Rechtsprechung unterscheidet dem Grunde nach zwischen einer offenen und einer verdeckten – heimlichen – Videoüberwachung .26 Zwar beinhaltet die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine unmittelbaren Vorgaben für den Gesetzgeber oder für die Auslegung der neuen datenschutzrechtlichen Regelungen. Ihr können aber zumindest wichtige Anhaltspunkte zur oben erwähnten Abwägungsentscheidung entnommen werden. In einer Entscheidung vom 29.6.2004 zur Videoüberwachung am Arbeitsplatz betonte das Bundesarbeitsgericht zunächst, dass durch die Videoüberwachung „in schwerwiegender Weise“ in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten eingegriffen werde.27 Diese sähen sich einem ständigen „Überwachungs- und Anpassungsdruck“ ausgesetzt.28 Das Bundesarbeitsgericht umschreibt diesen wie folgt: „[…] die Arbeitnehmer [haben] während ihrer gesamten Arbeitszeit davon auszugehen, dass ihre Verhaltensweisen möglicherweise gerade aufgezeichnet werden und später anhand der Aufzeichnungen rekonstruiert und kontrolliert werden können. Dementsprechend müssen sie sich bei jeder ihrer Bewegungen kontrolliert fühlen. Ihre Gestik und Mimik, bewusste oder unbewusste Gebärde, der Gesichtsausdruck bei der Arbeit oder bei der Kommunikation mit Vorgesetzten und Kollegen unterliegen stets der Möglichkeit dokumentierender Beobachtung. Damit entsteht ein Druck, sich möglichst unauffällig zu benehmen, setzen sich doch die Arbeitnehmer andernfalls der Gefahr aus, später wegen etwa abweichender Verhaltensweisen Gegenstand von Kritik, Spott oder gar Sanktionen zu werden.“29 Für die Angemessenheit einer Regelung – so das Bundesarbeitsgericht weiter – bedürfe es einer Gesamtabwägung zwischen der Intensität des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe; die Grenze der Zumutbarkeit dürfe dabei nicht überschritten werden.30 Im Rahmen dieser Prüfung komme der Eingriffsintensität eine entscheidende Bedeutung zu. Maßgeblich sei insoweit, – wie viele Personen wie intensiv den Beeinträchtigungen ausgesetzt sind, und ob diese Personen hierfür einen Anlass gegeben haben, 26 Vgl. zur offenen Videoüberwachung z. B.: BAG, NZA 2004, 1278; NZA 2008, 1187; zur verdeckten Videoüberwachung z. B.: BAG, NZA 2012, 1025; NZA 2017, 112; NZA 2017, 443. 27 BAG, Beschl. v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278 (1281); vgl. dazu auch BVerfG 65, 1 (41 ff.) – Volkszählung. 28 Siehe etwa BAG, Beschl. v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187 (1191); vgl. zuletzt BAG, Beschl. v. 25.4.2017 – 1 ABR 46/15, NZA 2017, 1205 (1211, Rn. 30). 29 BAG, Beschl. v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278 (1281). 30 BAG, Beschl. v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278 (1280 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 073/18 Seite 8 – ob die Betroffenen anonym bleiben, – welche Umstände und Inhalte der Kommunikation erfasst werden können und welche Nachteile den Grundrechtsträgern aus der Überwachungsmaßnahme drohen oder von ihnen nicht ohne Grund befürchtet werden, – ob und in welcher Zahl unverdächtige Dritte mit betroffen sind, – sowie insbesondere Dauer und Art der Überwachungsmaßnahme.31 Es bleibt zwar abzuwarten, inwieweit die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter der Datenschutz-Grundverordnung Bestand haben wird. Dennoch können den nachfolgend skizzierten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zumindest Anhaltspunkte für eine (noch) verhältnismäßige Ausgestaltung der Videoüberwachung entnommen werden. In der zitierten Entscheidung vom 29.6.200432 hielt die streitgegenständliche Regelung zur Videoüberwachung in einem Briefzentrum der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stand. Denn die dort vorgesehene Videoüberwachung sei erstens nicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt, sondern auf unbestimmte Zeit angelegt. Zweitens werde eine Vielzahl von Beschäftigten der dauerhaften Überwachung unterzogen, ohne hierfür einen konkreten Anlass gegeben zu haben. Schließlich werde drittens die Gefahr besonders intensiver Persönlichkeitsverletzungen noch dadurch erhöht, dass die Regelung keine Begrenzung der zu verwendenden Technik enthalte. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung in einer Entscheidung vom 26.8.200833 fortgeführt . Dabei erwies sich eine Videoüberwachung unter Berücksichtigung aller Umstände als teilweise verhältnismäßig. Die Verhältnismäßigkeit ergab sich daraus, dass die Videoüberwachung auf einen räumlichen Bereich beschränkt war, dem ein konkreter Verdacht zugeordnet werden konnte. Damit war eine verdachtsunabhängige, rein präventive Überwachung des gesamten Innenbereichs des Unternehmens ausgeschlossen. Auch war die Dauer der Videoaufzeichnung auf den „erforderlichen Umfang“ beschränkt. Weiterhin sahen die Regelungen eine nur beschränkt zulässige Auswertung der durch die Videoüberwachung gewonnenen Erkenntnisse sowie die Pflicht vor, die Daten unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich waren.34 Gleichzeitig gebot das Bundesarbeitsgerichts einer darüber hinausgehenden Ausweitung der Videoüberwachung Einhalt. Insoweit erklärte es eine Ausdehnung der Überwachung auf weitere Bereiche oder gar den gesamten Innenbereich – sei es auch „lediglich für die Dauer von vier Wochen – als nicht mehr angemessen.35 31 BAG, Beschl. v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278 (1281). 32 Vgl. BAG, Beschl. v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278 (1283) und im Folgenden. 33 Vgl. BAG, Beschl. v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187. 34 Vgl. BAG, Beschl. v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, NZA 2008, 1191. 35 Vgl. dazu BAG, Beschl. v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187 (1192, Rn. 38 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 073/18 Seite 9 Legt man die aufgezeigten Grundsätze zugrunde, wäre zumindest eine anlass- bzw. verdachtsunabhängige , räumlich und zeitlich nicht beschränkte Videoüberwachung in deutschen Schlachthöfen nur schwer zu rechtfertigen.36 Dass die Überwachung der Beschäftigten unter Umständen nur „Nebeneffekt“ anderer Überwachungszwecke, wie beispielsweise der Überwachung technischer Anlagen ist, kann dabei keinen Unterschied machen.37 Dennoch erscheint eine verhältnismäßige Ausgestaltung der Videoüberwachung im Lichte der datenschutzrechtlichen Vorgaben auch nicht vollkommen ausgeschlossen. Gerade bei tierschutzrechtlich hochsensiblen Vorgängen, wie dem Schlacht und Betäubungsvorgang, ließe sich eine begrenzte Videoüberwachung ggf. rechtfertigen. Dabei würde eine enge Zweckbindung der Aufzeichnungen - wie die ausschließliche Verwendung für tierschutzrechtliche Zwecke - die Verhältnismäßigkeit einer solchen Regelung fördern. Lässt man sie in engen Grenzen zu, müssten bei der konkreten Ausgestaltung jedoch sämtliche weiteren datenschutzrechtlichen Vorgaben berücksichtigt werden. 3. Abschließender Charakter der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 Auch der abschließende Charakter der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung könnte einer nationalen Regelung zur Einführung einer Kamerapflicht in Schlachthöfen entgegenstehen.38 Verordnungen haben nach Art. 288 Abs. 2 AEUV allgemeine und unmittelbare Geltung und sind in allen ihren Teilen verbindlich. Sie haben Anwendungsvorrang und verdrängen damit entgegenstehendes nationales Recht.39 Ob eine nationale Kamerapflicht für Schlachthöfe mit der Verordnung im Einklang stehen würde oder durch diese verdrängt wird, richtet sich danach, ob in der Verordnung ein entsprechender Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten angelegt ist.40 Die Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 beinhaltet keine Pflicht oder ausdrückliche Ermächtigung zur Kameraüberwachung. Weder in den Regelungen zu den Betäubungskontrollen (Art. 5) noch in den zusätzlichen Vorschriften für Schlachthöfe (Art. 14 i.v.m. Anhang II und Art. 15 i.V.m. Anhang III) lassen sich entsprechende Vorgaben finden. Nach Art. 5 Abs. 1 Uabs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 finden Betäubungskontrollen vielmehr anhand von repräsentativen Stichproben statt. Für den Erlass von Durchführungsbestimmungen ist nach Art 24 f. die Kommission unter Einhaltung der dort geregelten Verfahrensanforderungen zuständig.41 Nach Art. 26 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 können Mitgliedstaaten jedoch unter bestimmten Voraussetzungen strengere 36 So wohl auch Franzen, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, § 32 BDSG Rn. 18. 37 A.A. wohl Bongers, in: Kramer, IT-Arbeitsrecht, 2017, Rn. 692; vgl. auch Grimm/Schiefer, Videoüberwachung am Arbeitsplatz, RdA 2009, 329 (337). 38 Diese Auffassung vertrat die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Einzelfrage: BT-Drs. 18/12180, S. 22. 39 Vgl. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Auflage 2012 Art. 288 AEUV Rn. 59. 40 Vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 62. EL Juli 2017, Art. 288 AEUV Rn. 101. 41 Hierzu verweist Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 auf die Artikel 5 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 073/18 Seite 10 nationale Vorschriften erlassen. Hierzu sind sie insbesondere berechtigt, wenn sie diese nach Art. 26 Abs. 3 auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse für erforderlich halten. Die ergriffenen Maßnahmen müssen in Bezug auf das Betäubungsverfahren stehen und mit der Kommission abgestimmt werden. Ob eine Kameraüberwachung in Schlachthöfen zu diesen Maßnahmen zählt, wäre auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse zu ermitteln. Weiterhin müsste auch der genannte Bezug zum Betäubungsverfahren bestehen. In diesem Fall wäre es denkbar , entsprechende nationale Regelungen zu erlassen. Außerhalb dieser aufgezeigten Spielräume dürfte die Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 ein geschlossenes Regelungssystem darstellen. Die Einführung einer nationalen Kamerapflicht für Schlachthöfe ist daher lediglich in den engen Grenzen des Art. 26 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 denkbar. 4. Ergebnis Die datenschutzrechtlichen Vorgaben lassen eine vollumfängliche Kameraüberwachung in Schlachthöfen nicht zu. Zulässig ist der Einsatz von Kameras jedoch, wenn keine Personen erfasst werden. Besteht ein entsprechender Personenbezug, ist eine Kameraüberwachung lediglich in den engen aufgezeigten Grenzen denkbar. Eine entsprechende nationale Regelung müsste sich zudem in die Regelungsstruktur der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 einfügen. Diese stellt ein überwiegend geschlossenes Regelungssystem dar. Eine strengere nationale Vorschrift müsste sich daher auf die Regelungsspielräume stützen, die das Unionsrecht einräumt. In Betracht kommt hierbei insbesondere Art. 26 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 ***