Deutscher Bundestag Einsatz der Bundespolizei gegen grenzüberschreitende Kriminalität Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 073/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 073/12 Seite 2 Einsatz der Bundespolizei gegen grenzüberschreitende Kriminalität Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 073/12 Abschluss der Arbeit: 15. März 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 073/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Föderale Kompetenzverteilung 4 3. Grenzschutz gemäß Art. 87 Abs. 1 GG 4 4. Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß Art. 35 Abs. 2 S. 1 GG 5 4.1. Öffentliche Sicherheit und Ordnung 6 4.2. Fall von besonderer Bedeutung 6 4.3. Aufgabenerfüllung durch Landespolizei schwierig oder unmöglich 7 4.4. Rechtsfolge 7 5. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 073/12 Seite 4 1. Einleitung Im Rahmen des Schengener Abkommens endeten am 21.12.2007 die Personenkontrollen an der ostdeutschen Grenze. Als Folge dessen wird eine steigende Grenzkriminalität beklagt.1 Im Folgenden soll beantwortet werden, welche Möglichkeiten bestehen, diesem Problem durch einen verstärkten Einsatz der Bundespolizei zu begegnen. 2. Föderale Kompetenzverteilung Die Polizei ist grundsätzlich Ländersache.2 Die Bundespolizei darf Aufgaben nur insoweit wahrnehmen , als ihr dies durch das Grundgesetz und die darauf beruhenden Vorschriften des Bundespolizeigesetzes (BPolG)3 ausdrücklich erlaubt ist. 4 Hier kommen zwei Kompetenzen der Bundespolizei in Betracht: Zunächst der Grenzschutz gemäß Art. 87 Abs. 1 GG5, § 2 Abs. 1 BPolG, ferner gemäß Art. 35 Abs. 2 S. 1 GG, § 11 Abs. 1 Nr. 1 BPolG der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in besonderen Fällen, soweit die Polizei eines Landes diesen nicht leisten kann. 3. Grenzschutz gemäß Art. 87 Abs. 1 GG Der Grenzschutz umfasst die polizeiliche Überwachung der Grenzen einschließlich der Abwehr von Gefahren für die Grenzen sowie die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs inklusive einer Kontrollbefugnis für das unmittelbare Hinterland der Grenze (30 km ins Landesinnere).6 Letzteres hat insbesondere durch die Abschaffung obligatorischer Grenzkontrollen im Rahmen des Schengen-Abkommens7 an Bedeutung gewonnen.8 Dabei sollen nach der Gesetzesbegründung auch solche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abgewehrt werden, die dem Bundesgebiet oder dessen Bewohnern gerade infolge des grenzüberschreitenden Verkehrs 1 http://www.faz.net/aktuell/grenzueberschreitende-kriminalitaet-im-nu-ueber-die-neisse- 11661147.html; http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/630399/; http://www.rbbonline .de/nachrichten/politik/2012_01/gewerkschaft_fordert.html. 2 Burgi, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. III, 6. Auflage 2010, Art. 87 Rn. 40. 3 Bundespolizeigesetz vom 19. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2978, 2979), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2507) geändert worden ist. 4 Burgi, in: v.Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 2), Art. 87 Rn. 39. 5 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Juli 2010 (BGBl. I S. 944) geändert worden ist. 6 Burgi, in: v.Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 2), Art. 87 Rn. 40. 7 Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 (SDÜ); EG-ABl. Nr. L 239 vom 22.09.2000 S. 20. 8 Burgi, in: v.Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 2), Art. 87 Rn. 40. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 073/12 Seite 5 drohen.9 Wie intensiv der Grenzschutz im Hinterland betrieben wird, obliegt dem Ermessen der Bundespolizei. Neben den Kontrollen im Hinterland können im Rahmen des Grenzschutzes für einen begrenzten Zeitraum und nach Konsultation der übrigen Vertragsparteien des Schengener Abkommens auch wieder obligatorische unmittelbare Grenzkontrollen eingeführt werden (Art. 2 Abs. 2 SDÜ). Ob dies geschieht, steht im politischen Ermessen der Bundesregierung. 4. Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß Art. 35 Abs. 2 S. 1 GG Grundlage für einen Einsatz der Bundespolizei in der angefragten Situation könnte schließlich Art. 35 Abs. 2 S. 1 GG sein, der lautet: „ Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte.“ Näher ausgeformt wird diese Einsatzmöglichkeit in § 11 BPolG: (1) Die Bundespolizei kann zur Unterstützung eines Landes verwendet werden 1. zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung in Fällen von besonderer Bedeutung nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes , […] soweit das Land ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen kann. (2) Die Unterstützung eines Landes durch die Bundespolizei nach Absatz 1 richtet sich nach dem für das Land geltenden Recht. Vorbehaltlich des Artikels 35 Abs. 3 des Grundgesetzes unterliegt die Bundespolizei dabei den fachlichen Weisungen des Landes. (3) Die Entscheidung über eine Verwendung der Bundespolizei nach Absatz 1 trifft im Fall des Artikels 35 Abs. 3 des Grundgesetzes die Bundesregierung, im übrigen das Bundesministerium des Innern auf Anforderung des Landes. Das Bundesministerium des Innern kann seine Entscheidungsbefugnis in bestimmten Fällen durch Verwaltungsvorschrift auf eine Bundespolizeibehörde übertragen. (4) Einer Anforderung der Bundespolizei ist zu entsprechen, soweit nicht eine Verwendung der Bundespolizei für Bundesaufgaben dringender ist als die Unterstützung des Landes. Die Anforderung soll alle für die Entscheidung wesentlichen Merkmale des Einsatzauftrages enthalten. Die durch eine Unterstützung eines Landes nach Absatz 1 entstehenden Mehrkosten trägt das Land, sofern nicht im Einzelfall aus besonderen Gründen in einer Verwaltungsvereinbarung etwas anderes bestimmt wird. 9 BR-Drucks. 418/94, S. 40. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 073/12 Seite 6 (5) Die Verpflichtung zur Amtshilfe bleibt unberührt.“ Ein Einsatz der Bundespolizei nach Art. 35 Abs. 2 S. 1 GG, § 11 BPolG hat nichts mit Grenzsicherung zu tun, sondern findet gleichsam stellvertretend für die Landespolizei statt. Im Folgenden wird beleuchtet, ob die durch die Grenzöffnung offenbar gestiegene Kriminalität den Anwendungsbereich von Art. 35 Abs. 2 S. 1 GG, § 11 BPolG eröffnet und welche Folgen sich daraus ergeben. 4.1. Öffentliche Sicherheit und Ordnung Unter öffentlicher Sicherheit versteht man den Schutz von Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des Einzelnen sowie des Bestandes des Staates, seiner Einrichtungen und der gesamten Rechtsordnung.10 Die Kriminalitätsbekämpfung bezweckt den Schutz der meisten dieser Aspekte und dient damit der „Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit “ im Sinne des Art. 35 Abs. 2 S. 1 GG. Der noch weiter zu fassende Tatbestand der öffentlichen Ordnung11 ist damit jedenfalls auch erfüllt . 4.2. Fall von besonderer Bedeutung Wann ein Fall von besonderer Bedeutung vorliegt, hängt regelmäßig von einer konkreten, wertenden Lageeinschätzung ab, weshalb den Landesorganen hier ein weiter Beurteilungsspielraum zugestanden wird.12 In der Kommentarliteratur werden unter diesen Begriff jedenfalls einmalige Großereignisse gefasst, die die dauerhaft bestehenden Einsatzkräfte eines Landes überfordern (z. B. Großdemonstrationen).13 Ob auch eine dauerhafte Gefahrenquelle wie die durch den freien Grenzverkehr begünstigte Kriminalität hierunter gefasst werden kann, wird nicht näher behandelt. Es spricht jedoch einiges dafür, auch diese Situation unter Art. 35 Abs. 2 S. 1 GG zu fassen, da hiervon nahezu ausschließlich die an der Staatsgrenze liegenden Bundesländer betroffen sind und es sich insofern um eine besondere Belastung dieser Länder handelt. Ob das jeweilige Bundesland die Hilfe der Bundespolizei dann tatsächlich in Anspruch nehmen will, hängt ab von der Lagebewertung durch das Bundesland selbst und einer darauf beruhenden entsprechenden Anforderung beim Bund. 10 Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. II, 2. Auflage 2006, Art. 35 Rn. 27. 11 Bauer, in: Dreier (Fn. 10), Art. 35 Rn. 27. 12 Bauer, in: Dreier (Fn. 10), Art. 35 Rn. 27, Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 11. Auflage 2011, Art. 35 Rn. 6. 13 V.Danwitz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 6. Auflage 2010, Art. 35 Rn. 61 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 073/12 Seite 7 4.3. Aufgabenerfüllung durch Landespolizei schwierig oder unmöglich Für die Beurteilung der Frage, ob die Polizei des betreffenden Landes ohne die Unterstützung der Bundespolizei die Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte, ergibt sich nichts anderes; entscheidend ist auch hier die Beurteilung der Situation durch das betreffende Bundesland.14 4.4. Rechtsfolge Liegen die genannten Voraussetzungen vor und beantragt das Land die Unterstützung durch die Bundespolizei, so hat diese die Pflicht dem nachzukommen.15 Allerdings hat das jeweilige Land grundsätzlich die Mehrkosten zu tragen, die durch den Einsatz der Bundespolizei entstehen (§ 11 Abs. 4 BPolG). Eine andere Kostenverteilung kann im Einzelfall aus besonderen Gründen in einer Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Land geregelt werden (§ 11 Abs. 4 BPolG). 5. Fazit Die Bundespolizei kann im Rahmen ihrer Grenzkontrolltätigkeit bis zu einer Entfernung von 30 km zur Grenze auch Gefahren abwehren, die sich aus dem grenzüberschreitenden Verkehr ergeben. Hierzu bedarf es keiner Mitwirkung der Länder. Im Übrigen könnten ausnahmsweise und vorübergehend wieder obligatorische Grenzkontrollen eingeführt werden oder aber die Bundespolizei auf Bitten des jeweiligen Landes zur Unterstützung der jeweiligen Landespolizei eingesetzt werden. 14 Bauer, in: Dreier (Fn. 10), Art. 35 Rn. 27; Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Fn. 12), Art. 35 Rn. 6. 15 Bauer, in: Dreier (Fn. 10), Art. 35 Rn. 28.