Regelung der Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn - Ausarbeitung - © 2009 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 073/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Regelung der Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 073/09 Abschluss der Arbeit: 06.03.2009 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - Zusammenfassung - Ein gesetzgeberisches Tätigwerden des Bundestages im Bereich des Eisenbahnwesens hat sich nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 87e Abs. 3 und 4 GG zu richten, die das Spannungsfeld zwischen Wettbewerbsprinzip und Gemeinwohlorientierung bei der Erbringung von Einsenbahndienstleistungen markieren. Es wäre verfassungsrechtlich möglich, die Beförderungspflicht nach § 10 des allgemeinen Eisenbahngesetzes durch eine Novellierung des Gesetzes zu erweitern bzw. zu präzisieren und beispielsweise auf Fahrräder auszudehnen. - 3 - 1. Einleitung Bei der Einflussnahme des Bundes auf die Gestaltung der Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn AG ist zwischen dem gesellschaftsrechtlichen Instrumentarium und parlamentarischen Aktionsmöglichkeiten zu unterscheiden. Die (begrenzten) gesellschaftsrechtlichen Direktionsmöglichkeiten1 wahrzunehmen, ist Sache der Bundesregierung . Der Bundestag kann die Bundesregierung lediglich in Form eines schlichten Parlamentsbeschlusses2 auffordern, die gesellschaftsrechtlich zulässigen Schritte zur Einflussnahme zu ergreifen. Der schlichte Parlamentsbeschluss hat aber lediglich politische Bedeutung und entfaltet gegenüber der Bundesregierung keine Bindungswirkung . Ein gesetzgeberisches Tätigwerden des Bundestages richtet sich nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 87e Abs. 3 und 4 GG, die das Spannungsfeld zwischen Wettbewerbsprinzip und Gemeinwohlorientierung bei der Erbringung von Einsenbahndiens tleistungen markieren. 2. Privatrechtliche Organisationsform der Eisenbahnen Mit der Vorgabe einer privatrechtlichen Organisationsform der Eisenbahnen in Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG hat die Verfassung zugleich die für diese Organisationsform kennzeichnende Trennung zwischen dem Geschäftsführungsorgan auf der einen Seite und den Gesellschaftern als Eigentümern auf der anderen in den Blick genommen. Die Trennung ist keine bloß formale; ihr liegt vielmehr der materielle Gedanke zugrunde, dass der Eigentümer regelmäßig außerstande sind, die Geschäfte der Gesellschaft, insbesondere deren laufendes Tagesgeschäft, zu führen3. Das Gesellschaftsrecht dieser Organisationsform ist darauf angelegt, den Gesellschaftern lediglich grundlegende und außergewöhnliche Entsche idungen zuzuweisen. Deren Vorbereitung und alle übrigen Entscheidungen liegen beim Geschäftsführungsorgan, das zu unternehmerischer Tätigkeit aus der Professionalität seiner Mitglieder heraus befähigt ist4. Für die Eisenbahn des Bundes ist diese in der grundgesetzlichen Vorgabe angelegte Trennung zwischen Geschäftsführer- und Eigentümerebene von besonderer Bedeutung. Denn nach den im Zuge der Neuordnung des Eisenbahnwesens und des Eisenbahnrechts aufgehobenen Bestimmungen des Bundesbahngesetzes hatte der Verwaltungsrat der Bundesbahn nicht nur die Möglichkeit, sogar die Pflicht, bestimmte Maßnahmen des Bundesbahn- Vorstandes seiner Zustimmung zu unterwerfen. Vielmehr stand dem Verwaltungsrat in 1 Hommelhoff/Schmidt-Aßmann, Die Deutsche Bahn AG als Wirtschaftsunternehmen, ZHR 160, S. 543 ff. (549). 2 Sellman, Der schlichte Parlamentsbeschluss, 1966. 3 Zur „Konstruktionsidee“ der Fremdorganschaft John, Die organisierte Rechtspersönlichkeit, 1979, S. 115 ff.; s. auch Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaft , 1970, S. 443 ff. 4 Hommelhoff/Schmidt-Aßmann, a. a. o. (Fn. 1), S. 543. - 4 - zentral bedeutsamen Fragen wie den Beförderungsentge lten und der Personalpolitik das Recht zu, gegenüber dem Vorstand die Initiative zu ergreifen und diesen auf die Durchführung und Ausführung der so vom Verwaltungsrat beschlossenen Maßnahmen zu verpflichten (§ 9 Abs. 1 Satz 2, 12 Bundesbahngesetz [BundesbahnG]). Diese Struktur verwischte die kompetenzielle Trennlinie zwischen dem Geschäftsführungsorgan der Deutschen Bundesbahn und der Ebene ihrer Eigentümerin, der Bundesrepublik Deutschland. Sie war es nicht zuletzt, die den Bundesbahn-Vorstand häufig an unternehmerischen Entscheidungen und Maßnahmen hinderte, wie sie der Wettbewerb auf dem Verkehrsmärkten erfordert hätte. Dagegen ist die verfassungsrechtliche Vorgabe, die Eisenbahn des Bundes in privatrechtlicher Form zu führen (Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG), darauf angelegt, die Eingriffe in die Unternehmensführung ermöglichende Entscheidungsstruktur des alten Bundesbahngesetzes aufzuheben, durch andere Merkmale zu ersetzen und dies zusammen verfassungsrechtlich abzusichern. Dies ist allerdings nur eine Trendaussage, die dem Bundesgesetzgeber Gestaltungsspielräume belässt5. Die in Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG vorgegebene privatrechtliche Organisationsform ist mithin ein Funktionselement, das insgesamt bezweckt, zwischen der Unternehmensle itung der „Deutsche Bahn“ und ihrem Eigentümer, dem Bund, eine kompetenzielle Distanz zu schaffen, die es den Eisenbahnen des Bundes ermöglicht, erfolgversprechend am Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten teilzunehmen6. Adressat der objektiven Rechtspflicht des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG ist der Bund. Ihre Ausgestaltung obliegt aufgrund des Regelungsvorbehalts gemäß Art. 87e Abs. 3 Satz 4 GG, der einen rechtsstaatlichen Vorbehalts des Gesetzes einschließt, dem Bundestag, dem diese Bestimmung eine ausschließliche, nicht an Art. 71 GG gebundene Gesetzgebungskompetenz zuweist. Bundesstaatliche Belange werden durch das in Art. 87e Abs. 5 GG verankerte Erfordernis einer Zustimmung des Bundesrates gewahrt. Den organisationsrechtlichen Anforderungen des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG genügt am besten eine Aktiengesellschaft . Sie gewährleistet aufgrund ihrer Rechtsnatur, Organisations- und Entscheidungsstruktur die für Eisenbahnen des Bundes angeordnete Trennung zwischen staatlicher Eisenbahnverkehrsverwaltung und unternehmerischer Eisenbahnverkehrsleitung, weil das Aktienrecht dem Eigentümer nur begrenzte Einwirkungsbefugnisse auf die Geschäftsführung einräumt. Wegen der unmittelbaren Bindung durch die Privatwirtschaftlichkeitsgarantie des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG darf sich der Bund keine Einwirkungsmöglichkeiten als Eigentümer einräumen, die den wirtschaftlichen Interessen dieser Infrastruktur- und Verkehrsunternehmen widersprechen und diese überlagern7. Der Text des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG („als … geführt“), seine Entstehungsgeschichte und das 5 Hommelhoff/Schmidt-Aßmann, a. a. O. (Fn. 1), S. 445. 6 Windthorst, in: Sachs, Grundgesetz, 4. Auflage 2007, Art. 87e Rn. 38. 7 Windthorst, a. a. O. (Fn. 6), Art. 87e Rn. 69; Gersdorf in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band III, 5. Aufl. 2005, Art. 87e Rn. 75. - 5 - Zusammenwirken mit den Gewährleistungen der formellen Privatisierung verlangen eine funktionsbezogene Auslegung dieses Merkmals. Führung als Wirtschaftsunternehmen bedeutet auch mit Blick auf gemeinschaftsrechtliche Vorgaben8 kaufmännische , wettbewerbs- und gewinnorientierte Führung nach handelsrechtlichen Grundsätzen9. Die Grundentscheidungen des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG signalisieren und garantieren einen ordnungspolitischen Paradigmenwechsel von Gemein- zu Privatnützigkeit , von Monopol- zu Wettbewerbswirtschaft10. 3. Gemeinwohlorientierung Der in Art. 87e GG aufgenommene Absatz 411 statuiert eine Gewährleistungspflicht des Bundes für dort genannten privatwirtschaftlichen Tätigkeiten und fixiert ihre Wahrnehmung auf bestimmte gemeinnützige Ziele. Danach gewährleistet der Bund, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz Rechnung getragen wird. Ausdrücklich ausgenommen vom Geltungsbereich des Art. 87e Abs. 4 GG ist der öffentliche Schienenpersonennahverkehr (SPNV), weil die Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit diesen Verkehrsleistungen seit dem 1. Januar 1996 Aufgabe der Länder ist. Art. 87e Abs. 4 Satz 1 GG enthält nicht bloß ein unverbindlichen, die politische Verantwortung des Bundes deklaratorisch hervorhebenden Programmsatz12, sondern begründet eine unmittelbare, objektive, bindende, gerichtlich kontrollierbare, aber von Einzelnen nicht einklagbare Rechtspflicht des Bundes in Gestalt eines Staatsziels13. Dieser Verfassungsauftrag führt die bei Bundeseisenbahnen zum Kernbereich des aufgabenrechtlichen Gehalts von Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG a. F. gehörende gemeinnützige Pflicht zur Bereitstellung einer ausreichenden Infrastruktur und der erforderlichen Verkehrsleistungen in Bezug auf die nunmehr privatisierten Eisenbahnen des Bundes als staatliche Gewährleistungspflicht fort14. 8 Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 91/440/EWG müssen Eisenbahnunternehmen nach den Grundsätzen geführt werden, die für Handelsgesellschaften gelten. 9 Windthorst, a. a. O. (Fn. 6), Art. 87e Rn. 42. 10 Vgl. Metzler, Die Privatisierung von Personenbahnhöfen, 1999, S. 118 f. 11 Vgl. die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages, BT-Drs. 12/6280, S. 8. 12 Burger, Zuständigkeit und Aufgaben des Bundes für den öffentlichen Personenverkehr nach Art. 87e GG, 1998, S. 100 f.; Henneke/Ruge, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 87e Rn. 6. 13 Windhorst, a. a. O. (Fn. 6), Art. 87e Rn. 62; Gersdorf, a. a. O. (Fn. 7), Art. 87 Rn. 69. 14 Im historischen Kontext enthält Art. 87e Abs. 4 GG als Reaktion auf die Privatisierung eine fortbestehende staatliche Residualverantwortung, die aber keine Nachrangigkeit gegenüber privater Ve rkehrsbedienung im Sinne einer „Ausfallbürgschaft“ impliziert, sondern diese parallel absichert (Windthorst, a. a. O. (Fn. 6), Art. 87e Rn. 49. - 6 - Die Ausfüllung des Gewährleistungsauftrages muss sich am Wohl der Allgemeinheit, insbesondere am Verkehrsbedürfnis, das heißt, an der nachweisbaren Nachfrage nach Verkehrsleistungen der Eisenbahnen des Bundes orientieren. Die Gemeinwohlfokussierung steht der Berücksichtung anderer Belange, zum Beispiel des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes , nicht entgegen. Dem Verkehrsbedürfnis wird durch seine Erwähnung in Ar. 87e Abs. 4 Satz 1 GG zwar besonderes Gewicht, aber kein automatischer Vorrang eingeräumt, was der Normtext verdeutlicht („… insbesondere … Rechnung getragen“). Zielkonflikte mit der durch Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Privatwirtschaftlichkeit sind in der Struktur des Art. 87e GG angelegt und durch Abwägung unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und praktischen Konkordanz auszugle ichen . Dem Bund steht dabei aufgrund seiner Einschätzungsgprägorative ein weiter Gestaltungsspielraum zu15, dessen Grenzen sich aus den Ge- und Verboten des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG sowie den formellen und materiellen Mindestanforderungen des Art. 87e Abs. 4 GG ergeben. Er muss zudem beachten, dass anders als bei Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG a. F. jetzt Privatwirtschaftlichkeit die Regel, Gemeinwirtschaftlichkeit die Ausnahme darstellt. Gemeinnützige Beschränkungen der unternehmerischen Entscheidungsautonomie bedürfen hinreichender sachlicher Rechtfertigung und dürfen diese nicht überlagern. 4. Vorbehalt des Gesetzes Der Sicherstellungsauftrag des Art. 87e Abs. 4 Satz 1 GG wendet sich an die gesetzgebende und vollziehende Gewalt des Bundes. Seine nähere Ausgestaltung obliegt gemäß dem Regelungsvorbehalt in Art. 87e Abs. 4 Satz 2 GG, der einen Gesetzgebungsauftrag und einen Vorbehalt des Gesetzes beinhaltet, dem Gesetzgeber. Für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage spricht auch Art. 87e Abs. 5 Satz 2 GG, da andernfalls der dort vorgesehene Zustimmungsvorbehalt leerläuft16. Zudem beeinträchtigt die Umsetzung des Gewährleistungsauftrages nach Art. 87e Abs. 4 GG regelmäßig die durch Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG abgesicherte Entscheidungsautonomie der Unternehmen und bedarf auch aus diesem Grund einer gesetzlichen Rechtfertigung17. Nach § 10 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG)18 sind öffentliche Eisenbahnverkehrsunternehmen , die dem Personenverkehr dienen, zur Beförderung von Personen und Reisegepäck verpflichtet, wenn die Beförderungsbedingungen eingehalten werden, 15 Gersdorf, a. a. O. (Fn. 7), Art. 87e Rn. 67. 16 Spoerr, Die Stilllegung von Eisenbahnstrecken nach § 11 AEG, DVBl. 1997, S. 1309 (1310) mit F.n. 12. 17 Vgl. etwa Grupp, Eisenbahnaufsicht nach der Bahnreform, DVBl. 1996, S. 591 (594); Studenroth, Aufgaben und Befugnisse des Bahn-Bundesamtes, VerwArch 1996, S. 97 (107 f.). 18 Vom 27. Dezember 1993, BGBl. I S. 2378 (2396), zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 26. Februar 2008 (BGBl. I S. 215). - 7 - die Beförderung mit den regelmäßig verwendeten Beförderungsmitteln möglich ist und die Beförderung nicht durch Umstände verhindert wird, welche das Eisenbahnverkehrunternehmen nicht abwenden und denen es auch nicht abhelfen konnte. Es wäre verfassungsrechtlich möglich, diese Beförderungspflicht durch eine Novellierung des Gesetzes zu erweitern bzw. zu präzisieren und beispielsweise auf Fahrräder auszudehnen. § 10 AEG begründet eine Pflicht zum Abschluss eines Beförderungsvertrages, deren Adressaten die Eisenbahnunternehmen sind, die als Personenverkehrsunternehmen genehmigt sind (§ 6 Abs. 3 Nr. 1 AEG). § 10 AEG erzeugt ein gesetzliches Schuldverhältnis , das dazu verpflichtet, eine Willenserklärung abzugeben, die auf Vertragsabschluss zielt. Es ist vergleichbar mit demjenigen Schuldverhältnis, das durch den Eintritt in Vertragsverhandlungen entsteht 19. 19 Schmidt, in: Hermes/Sellner (Hrsg.), Beck’scher AEG-Kommentar, München, 2006, § 10 Rn. 26.