© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 072/19 Verfassungsrechtliche Gründe für die Einrichtung von Bundesbehörden in den neuen Bundesländern? Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 072/19 Seite 2 Verfassungsrechtliche Gründe für die Einrichtung von Bundesbehörden in den neuen Bundesländern? Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 072/19 Abschluss der Arbeit: 25. März 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 072/19 Seite 3 1. Fragestellung Es stellt sich die Frage, ob es über politische Gründe hinaus verfassungsrechtliche Gründe gibt, die dafür sprechen, Bundesbehörden in bestimmtem Umfang in neuen Bundesländern anzusiedeln. 2. Föderale Parität Art. 36 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) regelt den Grundsatz der proportionalen föderalen Parität:1 „Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden.“ Art. 36 Abs. 1 S. 1 GG ist Ausdruck dafür, dass dem Verfassungsgesetzgeber die föderale Parität ein Anliegen war. Die Vorschrift betrifft jedoch nur die Herkunft der Beamten aus verschiedenen Bundesländern, nicht jedoch die Verteilung der Bundesbehörden auf die Bundesländer. Für eine analoge Anwendung sind keine Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Die Kommentierung diskutiert diesen Aspekt daher noch nicht einmal.2 Nach Art. 36 Abs. 2 GG muss der Gesetzgeber bei der Territorialorganisation3 der Bundeswehr die „Gliederung des Bundes in Länder“ berücksichtigen. Aber auch hier besteht ein „Entscheidungsund Gestaltungsspielraum“ des Wehrgesetzgebers.4 In jedem Fall aber ist diese „föderale Verwaltungsstrukturverpflichtung “5 auf die Bundeswehr begrenzt. 3. Bundestreue Aus der Bundestreue ergibt sich wohl kein Anspruch, alle Bundesländer bei der Ansiedelung von Bundesbehörden in gleicher oder der Größe entsprechender Weise zu berücksichtigen. Dementsprechend finden sich in Kommentierung und Rechtsprechung soweit ersichtlich keine direkten Anhaltspunkte für einen solchen Anspruch.6 Die in Kommentierung und Rechtsprechung anerkannten wesentlichen Fallgruppen für eine Anwendung der Bundestreue sind: Aufsichts- und 1 Siehe hierzu WD 3 - 3000 - 400/18, Beteiligungsquote von Ostdeutschen in öffentlichen Funktionen der Exekutive , https://www.bundestag.de/resource/blob/591148/198aa2d2d7e7062733dbe59a42d4d761/WD-3-400-18- pdf-data.pdf. 2 Siehe nur: Butzer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 36. 3 Butzer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 36 Rn. 59. 4 Butzer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 36 Rn. 60. 5 Butzer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 36 Rn. 59. 6 Siehe nur Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 20 Rn. 126; Abfrage der Datenbank „Beck-online“ mit den Suchkriterien „Bundestreue“ und „Bundesbehörden“. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 072/19 Seite 4 Weisungsrechte des Bundes gegenüber den Ländern, bundesstaatliches Vertragsrecht sowie die auswärtigen Beziehungen.7 Gegen einen Anspruch aus Bundestreue spricht im Übrigen deren Subsidiarität: Die Bundestreue ist „nachrangig gegenüber besonderen Regelungen des GG“.8 Der eng gefasste, besondere Tatbestand des Art. 36 GG spricht dagegen, die föderale Parität über die nur subsidiäre Bundestreue auf Bundesbehörden generell auszudehnen. 4. Gleichbehandlung Die Bundesländer sind keine Grundrechtsberechtigten. Aus dem Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) können sie daher keine Rechte herleiten. Gleichwohl wirkt der allgemeine Gleichheitssatz „als objektiv-rechtliches Prinzip auch im Bereich der Organisation der öffentlichen Gewalt“.9 Jedoch überlagern verschiedene speziellere Verfassungsbestimmungen , wie Art. 36 GG, diesen Grundsatz: Im Ergebnis kann daher „nur von einem schwächeren, föderativen Gleichheitssatz gesprochen werden“.10 So kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das föderative Gleichbehandlungsgebot zum Beispiel „keine Anwendung finden, wenn ein Bundesgesetz nicht die Länder zu Adressaten hat, sondern sich lediglich auf die Finanzkraft der Bürger in den Ländern unterschiedlich auswirkt und so allenfalls mittelbar Einfluss auf die Finanzkraft der Länder ausüben mag.“11 Neben dem Anspruch auf gleichen gliedstaatlichen Status und dem Grundsatz der Bundestreue können sich die Länder daher nur auf das Willkürverbot berufen.12 Dieses setzt aber „nur sehr weite Grenzen“13 und verpflichtet den Bund vor allem zu einer sachlichen Begründung seiner Entscheidungen. *** 7 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 20 Rn. 126. 8 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 20 Rn. 123. 9 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 20 Rn. 117. 10 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 20 Rn. 117. 11 Beschluss vom 14. Oktober 2008, 1 BvF 4/05, Rn. 130. 12 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 20 Rn. 117; Jarass/Pieroth, GG, 15. Auflage 2018, Art. 20 Rn. 25. 13 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 20 Rn. 117.