© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 071/19 Sichere Herkunftsstaaten und beschleunigte Asylverfahren Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 071/19 Seite 2 Sichere Herkunftsstaaten und beschleunigte Asylverfahren Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 071/19 Abschluss der Arbeit: 27. März 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 071/19 Seite 3 1. Einleitung Dem Sachstand liegt eine Frage zu den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 3 Grundgesetz (GG) bzw. Art. 37 Aufnahme-RL1 zugrunde. Zunächst wird erläutert, welche Länder in diesem Sinne derzeit in Deutschland als sichere Herkunftsstaaten von Asylsuchenden qualifiziert werden und ob die Einstufung weiterer Länder geplant ist. Im Anschluss soll der Frage nachgegangen werden, in welchem Zeitraum das beschleunigte Asylverfahren für Asylsuchende aus diesen Ländern durchgeführt werden soll. In diesem Zusammenhang wird auch auf Statistiken zur tatsächlichen Verfahrensdauer eingegangen. 2. Sichere Herkunftsstaaten Aktuell werden in Deutschland neben den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien gemäß § 29a Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) i.V.m. Anlage II zum AsylG2 als sichere Herkunftsstaaten geführt. Am 18. Januar 2019 hat der Bundestag einen Gesetzentwurf3 zur Einstufung von Georgien, Algerien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten beschlossen.4 Das geplante Gesetz bedarf aber gemäß Art. 16a Abs. 3 GG auch der Zustimmung des Bundesrates. Die ursprünglich für den 15. Februar 2019 geplante Abstimmung über das Gesetz im Bundesrat wurde jedoch kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt.5 Es zeichnete sich zuvor ab, dass in den Bundesländern keine Mehrheit für eine Zustimmung zum Gesetzentwurf zustande kommen würde. Der Gesetzentwurf könnte jedoch auf Antrag eines Landes oder der Bundesregierung erneut im Bundesrat behandelt werden.6 3. Die Beschleunigung des Asylverfahrens für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten 3.1. Das beschleunigte Asylverfahren nach § 30a AsylG Für Asylsuchende, die Staatsangehörige eines sogenannten sicheren Herkunftsstaates sind, kann das Asylverfahren gemäß § 30a Abs. 1 Nr. 1 AsylG als beschleunigtes Asylverfahren in besonderen Aufnahmeeinrichtungen durchgeführt werden – die Entscheidung darüber steht im Ermessen des 1 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180/2013 S. 60). 2 BGBl. I 2015, 1725. 3 Der Gesetzentwurf, BT-Drs 19/5314, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/053/1905314.pdf wurde in der Ausschussfassung, BT-Drs 19/6538, abrufbar unter http://dipbt.bundestag .de/dip21/btd/19/065/1906538.pdf angenommen (alle im Sachstand angegebenen Links wurden zuletzt am 27. März 2019 abgerufen). 4 BT-Plenarprotokoll 19/75, S. 8772D, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19075.pdf#P.8772. 5 BR-Plenarprotokoll 974, S. 1, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/brp/974.pdf#P.1. 6 https://www.bundesrat.de/DE/plenum/bundesrat-kompakt/19/974/05.html?nn=4352768#top-5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 071/19 Seite 4 Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), es ist dazu also nicht verpflichtet.7 Voraussetzung zur Durchführung beschleunigter Asylverfahren ist die vorherige Errichtung besonderer Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 5 Abs. 5 AsylG, denen das BAMF dann eine bereits bestehende Außenstelle zuordnet oder dort eine neue einrichtet.8 Wenn das BAMF das Asylverfahren beschleunigt durchführt, muss es innerhalb einer Woche ab Stellung des Asylantrags über diesen entscheiden (§ 30a Abs. 2 S. 1 AsylG). Kann das BAMF nicht innerhalb dieser Frist entscheiden, dann muss es das Verfahren als normales Verfahren fortführen (§ 30a Abs. 2 S. 2 AsylG).9 Die Asylsuchenden sind im beschleunigten Verfahren grundsätzlich10 verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag in der besonderen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Wenn das Verfahren eingestellt, der Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG als unzulässig oder nach §§ 29a, 30 AsylG als offensichtlich unbegründet, oder die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 71 Abs. 4 AsylG abgelehnt wird, müssen sie bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der Aufnahmeeinrichtung wohnen (§ 30a Abs. 3 AsylG).11 Bei Verstößen gegen diese Pflicht gilt der Asylantrag als zurückgenommen und das Asylverfahren wird gemäß § 33 Abs. 5 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 AsylG eingestellt.12 3.2. Statistiken zur tatsächlichen Verfahrensdauer Das BAMF führt zwar keine gesonderte Statistik zu beschleunigten Verfahren nach § 30a AsylG, gliedert seine Gesamtstatistik aber u. a. nach Organisationseinheiten, so dass die Zahlen für diejenigen Einrichtungen ausgewertet werden können, in denen beschleunigte Verfahren durchgeführt werden. 3.2.1. 2017 Im Jahr 2017 wurden beschleunigte Verfahren für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten lediglich in zwei Außenstellen des BAMF in Manching und Bamberg, die beide im Bundesland Bayern liegen, durchgeführt.13 Dort wurde 2017 über insgesamt 1675 Asylanträge von Asylsuchenden aus Albanien (356), Bosnien und Herzegowina (167), Ghana (19), Kosovo (258), Mazedonien (308), Montenegro (9), Senegal (257) 7 Heusch, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 21. Auflage 2019, AsylG § 30a Rn. 9. 8 Heusch, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 21. Auflage 2019, AsylG § 30a Rn. 9. 9 Heusch, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 21. Auflage 2019, AsylG § 30a Rn. 10. 10 Die §§ 48 bis 50 AsylG, die die Beendigung der Verpflichtung, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, die Entlassung und die landesinterne Verteilung regeln, bleiben gemäß § 30a Abs. 3 S. 3 AsylG unberührt. 11 Endres de Oliveira, in: Huber/Eichenhofer/Endres de Oliveira, Aufenthaltsrecht, 2017, Rn. 1766. 12 Endres de Oliveira, in: Huber/Eichenhofer/Endres de Oliveira, Aufenthaltsrecht, 2017, Rn. 1766. 13 BT-Drs. 19/1631, S. 17, abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/016/1901631.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 071/19 Seite 5 und Serbien (301) entschieden.14 Die durchschnittliche Asylverfahrensdauer in den beiden Außenstellen betrug 5,1 Monate.15 Zum Vergleich: Die durchschnittliche Dauer aller 603.428 Asylverfahren in Deutschland, die 2017 entschieden wurden, betrug 10,7 Monate.16 Obwohl im beschleunigten Verfahren gemäß § 30a Abs. 2 S. 1 AsylG innerhalb von einer Woche über den Asylantrag entschieden werden muss, konnte 2017 in den beiden Außenstellen nur über 188 Anträge innerhalb von 7 Tagen entschieden werden.17 Dies entspricht 11,2 % aller Anträge, die in den beiden Außenstellen 2017 entschieden wurden. Knapp 19 % aller Verfahren (318) dauerten demgegenüber zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits mehr als 6 Monate.18 Den zusätzlichen Zeitaufwand in vielen der als beschleunigten Verfahren begonnenen Asylverfahren führt die Bundesregierung insbesondere auf folgende Gründe zurück: – Klärungen der Zuständigkeit bei einer möglichen Schutzgewährung in einem Drittstaat – Klärung von Dublin-Bezügen und den damit in Verbindung stehenden Fristen, – einen erhöhten Bearbeitungsaufwand durch von Antragstellern gemachte Angaben von Erkrankungen, – Anforderungsbedarfe zusätzlicher entscheidungsrelevanter Dokumente und Übersetzungen sowie – einen erhöhten Prüfaufwand zur Klärung der Herkunft bei Antragstellern ohne Identitätsnachweise .19 3.2.2. 2018 Für das Jahr 2018 sind bisher nur Daten für die ersten drei Quartale verfügbar. Von allen knapp 170.000 in Deutschland in dieser Zeit entschiedenen Asylanträgen betrafen nur 10.217 Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten.20 Von diesen wurden nur 431 (4,2 %)21 als beschleunigte Asylverfahren nach § 30a AsylG in den auch 2018 einzigen bestehenden besonderen Aufnahmeeinrichtungen in Manching und Bamberg durchgeführt. 14 BT-Drs. 19/1631, S. 18. 15 BT-Drs. 19/1631, S. 19. 16 BT-Drs. 19/1631, S. 3 f. 17 BT-Drs. 19/1631, S. 20. 18 BT-Drs. 19/1631, S. 20. 19 BT-Drs. 19/1631, S. 22. 20 BT-Drs. 19/7552, S. 21; abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/075/1907552.pdf. 21 BT-Drs. 19/7552, S. 21. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 071/19 Seite 6 3.2.2.1. 1. Quartal 2018 Im 1. Quartal 2018 wurde in beschleunigten Verfahren über insgesamt 156 Asylanträge von Asylsuchenden aus Albanien (45), Bosnien und Herzegowina (11), Ghana (11), Kosovo (19), Mazedonien (24), Montenegro (2), Senegal (15) und Serbien (29) entschieden.22 Die durchschnittliche Asylverfahrensdauer in den beiden Außenstellen betrug 2,2 Monate.23 Zum Vergleich: Die durchschnittliche Dauer der im 1. Quartal 2018 in Deutschland entschiedenen 73.222 Asylanträge betrug 9,2 Monate.24 Im 1. Quartal 2018 konnte in den beiden Außenstellen über 22 Anträge innerhalb von 7 Tagen entschieden werden.25 Dies entspricht 14 % aller Anträge, die in den beiden Außenstellen im 1. Quartal 2018 entschieden wurden. Die Hälfte aller Verfahren (78) dauerte zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits länger als einen Monat.26 3.2.2.2. 2. Quartal 2018 Im 2. Quartal 2018 wurde in beschleunigten Verfahren über insgesamt 155 Asylanträge von Asylsuchenden aus Albanien (22), Bosnien und Herzegowina (9), Ghana (15), Kosovo (8), Mazedonien (48), Senegal (16) und Serbien (37) entschieden.27 Die durchschnittliche Asylverfahrensdauer in den beiden Außenstellen betrug 2,2 Monate.28 Zum Vergleich: Die durchschnittliche Dauer der im 2. Quartal 2018 in Deutschland entschiedenen 52.133 Asylanträge betrug 7,3 Monate.29 Im 2. Quartal 2018 wurden in den beiden Außenstellen über 15 Anträge innerhalb von 7 Tagen entschieden.30 Dies entspricht 9,7 % aller Anträge, die in den beiden Außenstellen im 2. Quartal 2018 entschieden wurden. 46 % aller Verfahren (72) dauerten zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits länger als einen Monat.31 3.2.2.3. 3. Quartal 2018 Im 3. Quartal 2018 wurde in beschleunigten Verfahren über insgesamt 124 Asylanträge von Asylsuchenden aus Albanien (32), Bosnien und Herzegowina (6), Ghana (11), Kosovo (19), Mazedonien 22 BT-Drs. 19/3861, S. 20, abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/038/1903861.pdf. 23 BT-Drs. 19/3861, S. 21. 24 BT-Drs. 19/3861, S. 4. 25 BT-Drs. 19/3861, S. 22. 26 BT-Drs. 19/3861, S. 22. 27 BT-Drs. 19/3861, S. 21. 28 BT-Drs. 19/3861, S. 21. 29 BT-Drs. 19/3861, S. 4. 30 BT-Drs. 19/3861, S. 23. 31 BT-Drs. 19/3861, S. 23. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 071/19 Seite 7 (21), Senegal (6) und Serbien (29) entschieden.32 Die durchschnittliche Asylverfahrensdauer in den beiden Außenstellen betrug 1,1 Monate.33 Die durchschnittliche Dauer der im 3. Quartal 2018 in Deutschland entschiedenen 46.323 Asylanträge34 betrug dagegen 6,1 Monate.35 4. Das Flughafenverfahren Daneben ist auf das sogenannte Flughafenverfahren nach § 18a AsylG als weiteres beschleunigtes Asylverfahren hinzuweisen. Gemäß § 18a Abs. 1 S. 1 und 2 AsylG ist das Asylverfahren unter anderem bei Ausländern aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, die über einen Flughafen einreisen wollen und bei der Grenzbehörde um Asyl nachsuchen, bereits vor der Einreise nach Deutschland durchzuführen, soweit die Unterbringung auf dem Flughafengelände während des Verfahrens grundsätzlich möglich ist. Das BAMF muss in diesem Fall innerhalb von zwei Tagen über den Asylantrag entscheiden oder die Einreise gestatten, wenn in diesem Zeitraum keine Entscheidung möglich ist (§18a Abs. 6 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG). 2017 wurden 444 Verfahren als Flughafenverfahren begonnen, wobei sich unter den 10 häufigsten Herkunftsstaaten der Asylsuchenden keiner der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten findet. Das Flughafenverfahren spielt somit für die Asylverfahren von Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten eine untergeordnete Rolle.36 *** 32 BT-Drs. 19/7552, S. 21. 33 BT-Drs. 19/7552, S. 21. 34 BT-Drs. 19/7552, S. 20. 35 BT-Drs. 19/7552, S. 4. 36 BT-Drs. 19/1371(neu), S. 37, abrufbar unter: https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/013/1901371.pdf.