Deutscher Bundestag Einführung einer verpflichtenden, rechtsverbindlichen Erklärung zur Organspendenbereitschaft Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 071/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 2 Einführung einer verpflichtenden, rechtsverbindlichen Erklärung zur Organspendenbereitschaft Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 071/11 Abschluss der Arbeit: 16. März 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Aktuelle Rechtslage 4 3. Verpflichtung zur Abgabe einer rechtsverbindlichen Erklärung 5 3.1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG 5 3.1.1. Schutzbereich 5 3.1.2. Eingriff 6 3.1.3. Verhältnismäßigkeit 6 3.2. Religionsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG 9 4. Willenserklärung auf der elektronischen Gesundheitskarte 10 4.1. Hintergrund elektronische Gesundheitskarte 10 4.2. Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG 10 4.2.1. Schutzbereich 11 4.2.2. Eingriff 11 4.2.3. Verhältnismäßigkeit 11 4.3. Zwischenergebnis 13 4.4. Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG, 13 4.4.1. Schutzbereich 14 4.4.2. Rechtfertigung 14 5. Zusammenfassung 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 4 1. Einleitung Postmortale Organspenden können in Deutschland den Bedarf an Spenderorganen in der Transplantationsmedizin nicht vollständig decken. Im Jahr 2009 spendeten 1.217 Menschen nach ihrem Tod ihre Organe. Das waren 19 Organspender mehr als im Jahr 2008. Derzeit warten in Deutschland aber etwa 12.000 Patientinnen und Patienten auf ein Spenderorgan.1 Nach einer Repräsentativbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind 74% der befragten Frauen und Männer grundsätzlich damit einverstanden, dass man ihnen nach ihrem Tod Organe und Gewebe entnimmt. 18 % wären damit nicht einverstanden, 8% der Befragten wussten dies noch nicht oder gaben keine Antwort. Jedoch nur 25 % der Befragten besitzen einen Organspendeausweis , mit dem sie ihre Bereitschaft für eine Organspende nach ihrem Tod dokumentieren können.2 Um die (dokumentierte) Spendenbereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen, werden diverse Modelle diskutiert. Eine Möglichkeit, auch als „Erklärungsmodell“ bezeichnet, sieht vor, dass der Gesetzgeber den Einzelnen verpflichtet, sich rechtsverbindlich zu seiner Organspendebereitschaft zu erklären. Die Ausarbeitung untersucht, ob eine solche Verpflichtung und gegebenenfalls in welcher Form verfassungsrechtlich zulässig wäre. Zu klären ist auch, ob der Gesetzgeber festlegen kann, die Willenserklärung auf der elektronischen Gesundheitskarte zu speichern. Da diese bisher nur für die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegeben werden soll, müssen auch die verfassungsrechtlichen Konsequenzen für die Versicherten in der privaten Krankenversicherung bedacht werden. Da noch kein konkreter Vorschlag für ein „Erklärungsmodell“ bzw. ein Gesetzentwurf vorliegt und verschiedene verfahrensrechtliche Ausgestaltungen denkbar sind, kann nur eine erste verfassungsrechtliche Einschätzung abgegeben werden. 2. Aktuelle Rechtslage Die Spende und Entnahme von menschlichen Organen, Organteilen oder Geweben zum Zwecke der Übertragung auf andere Menschen ist im Transplantationsgesetz (TPG)3 geregelt. Der Gesetzgeber hat sich hierbei für eine sog. erweiterte Zustimmungsregelung entschieden, d.h. eine Entnahme von Organen ist nur zulässig, soweit der Organspender in die Entnahme eingewilligt hat, der Tod festgestellt ist und der Eingriff durch einen Arzt vorgenommen wird (§ 3 Abs. 1 S. 1 1 Siehe Deutsche Stiftung Organspende: http://www.dso.de [Stand: 10. März 2011]. 2 Siehe Umfrageergebnisse der Befragung 2010: http://www.organspende-info.de/downloads/24-134- 480/Info-Blatt-Organspende.pdf [Stand: 10 März 2011]. 3 Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben vom 4. September 2007 (BGBl. I S. 2206), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 5 TPG). Eine Entnahme ist nicht zulässig, soweit die Person der Entnahme widersprochen hat (§ 3 Abs. 2 TPG). Sofern weder eine schriftliche Einwilligung noch ein schriftlicher Widerspruch vorliegt , ist die Entnahme von Organen zulässig, soweit die Angehörigen ihr zugestimmt haben. Die Angehörigen haben hierbei den mutmaßlichen Willen des möglichen Organspenders zu beachten (§ 4 Abs. 1 TPG). Höhere Anforderungen als an die postmortale Organspende stellt der Gesetzgeber in § 8 TPG für die Organlebendspende. 3. Verpflichtung zur Abgabe einer rechtsverbindlichen Erklärung Fraglich ist, ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, den Einzelnen zu einer rechtsverbindlichen Erklärung über seine Organspendebereitschaft zu verpflichten. Wichtigster Anknüpfungspunkt für die Zulässigkeit einer solchen Verpflichtung zur Abgabe einer rechtsverbindlichen Erklärung ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Außerdem kann die Entscheidung für oder gegen eine postmortale Organspende religiös oder spirituell motiviert sein, so dass die Religions- und Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG verletzt sein könnte.4 3.1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG Eine Verpflichtung zur rechtsverbindlichen Abgabe einer Erklärung über die Organspendebereitschaft könnte gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen. 3.1.1. Schutzbereich Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet. Der Schutzbereich hat zwei Dimensionen: den Schutz der persönlichen Lebenssphäre und den Schutz der Darstellung der eigenen Person in der Öffentlichkeit . Aus diesen beiden Schutzrichtungen folgt eine Reihe von Einzelverbürgungen. Zu diesen gehört auch das Recht des Einzelnen, darüber entscheiden zu dürfen, ob nach seinem Tod Organe aus seinem Körper für die Transplantationsmedizin verwendet werden dürfen, sog. postmortales Persönlichkeits- bzw. Selbstbestimmungsrecht.5 Davon umfasst ist auch das sog. negative Selbstbestimmungsrecht, d.h. sich mit Fragen nicht befassen und hinsichtlich dieser Fragen bewusst keine Entscheidung treffen zu müssen.6 4 Vgl. auch , Verteilung von Spendeorganen, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 – 280/07), 2007 5 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG (Stand Oktober 2010), Art. 2 Abs. 1, Rn. 206 und Art. 2 Abs. 2, Rn. 22; zu den Grenzen des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Allgemeinen vgl. Art. 2 Abs. 1, Rn. 226. 6 Di Fabio (Fn.5), Art. 2 Abs. 1, Rn. 206. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 6 3.1.2. Eingriff Ein klassischer Eingriff in das Grundrecht ist gegeben, wenn eine staatliche Maßnahme vorliegt, die final, unmittelbar, mit rechtlicher Wirkung und mit Befehl und Zwang durchsetzbar Rechte des Einzelnen verkürzt.7 Die Einführung einer rechtsverbindlichen Erklärungspflicht würde dem allgemeinen Selbstbestimmungsrecht zwar insofern gerecht, als dem potenziellen Spender auch das Recht zustünde, eine ausdrückliche Entscheidung gegen die postmortale Organentnahme zu treffen. Jedoch würde das sog. negative Selbstbestimmungsrecht durch die verpflichtende, rechtsverbindliche Erklärung zu einer möglichen Organspende berührt, weil potenziellen Spendern eine Erklärungslast aufgebürdet würde. Es läge somit eine unmittelbar belastende Wirkung für den Einzelnen vor, da der gesetzliche Zwang zur Abgabe einer Spendererklärung die Freiheit in Bezug auf die Entscheidung, sich mit dem Thema Organspende zu beschäftigen, nimmt. 3.1.3. Verhältnismäßigkeit Ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG impliziert trotz des hohen Menschenwürdegehalts des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts noch keine Verletzung. Der Eingriff kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Der Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn er den Schranken des allgemeinen Persönlichkeitsrechts genügt. Schranke des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist die verfassungsmäßige Ordnung – und damit alle Normen, die formell8 und materiell verfassungsgemäß sind. Wegen des Einflusses von Art. 1 Abs. 1 GG ist jedoch eine verstärkte Verhältnismäßigkeitsprüfung notwendig.9 Eine Regelung ist verhältnismäßig, wenn sie ein legitimes Ziel verfolgt und das ausgewählte Mittel zur Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist.10 Ziel ist es, die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen. Dies ist – trotz ansteigender Tendenz bei der Spendenbereitschaft11 – angesichts des Organmangels und der damit verbundenen existenziellen Fragen für die betroffenen Patienten ein legitimes Ziel des Gesetzgebers. 7 Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Vorb. Vor Art. 1, Rn. 27. 8 Die Gesetzgebungskompetenz folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG, vgl. Jarass/Pieroth (Fn. 4), Art. 74, Rn. 63; siehe auch BT-Drs. 13/4355, S. 12. 9 Jarass/Pieroth (Fn. 7), Art. 2 Abs. 1, Rn. 60. 10 Zu den Teilgeboten Jarass/Pieroth, (Fn. 7), Art. 20, Rn. 83 ff. 11 Im Jahr 2009 spendeten 1217 Menschen nach ihrem Tod ihre Organe; das sind 19 Organspender mehr als im Jahr 2008, siehe www.dso.de (Stand: 11. März 2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 7 Geeignet ist das Mittel, wenn es zur Erreichung des angestrebten Ziels jedenfalls förderlich ist.12 Bezüglich des Spendenaufkommens spricht einiges dafür, dass sich durch die Verpflichtung zur Abgabe einer rechtsverbindlichen Erklärung tatsächlich mehr Personen für eine Organspende entscheiden würden. Dies zeigt sich aus der immer wieder in Umfragen dokumentierten potentiellen Spendenbereitschaft in der Bevölkerung, die aber aus diversen Gründen nicht in einem Organspendenausweis dokumentiert wird.13 Andererseits kann natürlich die Pflicht zu einer rechtsverbindlichen Erklärung auch eine negative Wirkung hervorrufen. Eine abschließende Stellungnahme ist nicht möglich, aber auch nicht notwendig, da dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum eingeräumt wird.14 Erforderlich ist die Regelung, wenn kein milderes, gleichermaßen wirksames Mittel existiert.15 Als mildere Mittel käme z.B. eine aktive Spendenförderung ohne eine Änderung der jetzigen Rechtslage in Betracht. So könnte die Bundesregierung mittels Werbekampagnen, Informationsständen , Schulbesuchen etc. die Bevölkerung über die Notwendigkeit von Organspenden informieren . Ob dies gleichermaßen wirksam wäre, ist aber zweifelhaft, da auch in der Vergangenheit Informationskampagnen nur mäßigen Erfolg hatten. Denkbar wäre auch die Etablierung der sog. Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz16: Hiernach wäre jeder, der nicht gegen eine postmortale Organentnahme widersprochen hat, potentieller Spender. Dabei wäre allerdings ebenfalls jeder gezwungen, sich mit der Frage der postmortalen Organspende auseinanderzusetzen und sich klar für oder gegen eine Organspende auszusprechen - der Eingriff wäre bei fehlendem Widerspruch aber erheblich tiefgreifender.17 Im Übrigen hat der Gesetzgeber auch hier einen Einschätzungsspielraum. Angemessen ist eine Regelung, wenn der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts steht.18 Die Angemessenheit verlangt also eine Güterabwägung .19 Gegenüber stehen sich das Recht, grundsätzlich frei zu entscheiden, sich mit dem Thema der postmortalen Organspende auseinanderzusetzen und das Ziel, mehr Spenderorgane zu erhalten und so Leben und körperliche Unversehrtheit einer größeren Anzahl von Personen zu schützen. 12 BVerfGE 96, 10 (23). 13 Siehe z.B. die in Fn. 2 zitierte Umfrage. 14 Jarass/Pieroth (Fn. 7), Art. 20, Rn. 87. 15 BVerfGE 92, 262 (273). 16 Grundsätzlich hierzu Verfassungsrechtliche Fragen bei der Einführung einer Widerspruchslösung / erweiterten Widerspruchslösung hinsichtlich einer Organspende, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WF III - 236/03), 2003. 17 Blankart, Charles B./Kirchner, Christian/Thiel, Gilbert, Transplantationsgesetz. Eine Analyse aus rechtlicher, ökonomischer und ethischer Sicht, 2002, S. 46; vgl. auch Breyer, Friedrich, u.a. (Hrsg.), Organmangel, Ist der Tod auf der Warteliste unvermeidbar, 2006, S. 74 f. 18 BVerfGE 67, 157 (173). 19 BVerfGE 92, 277 (327). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 8 Beide Rechtsgüter sind ranghohe und der Person unmittelbar und zwingend zugeordnete Rechtsgüter , die wesentliche Bereiche der persönlichen Lebensentfaltung betreffen. Insoweit kann dem Lebens- und Gesundheitsschutz trotz der einschneidenden Konsequenzen bei Organknappheit nicht per se der Vorrang eingeräumt werden. Auf der einen Seite steht somit der Einzelne, der sich eventuell gegen seinen Willen mit der Frage der postmortalen Organentnahme beschäftigen und eine diesbezügliche Entscheidung treffen muss. Die verpflichtende Erklärung könnte dann zu einer negativen Einstellung der Bevölkerung zu Transplantationen führen, da mit Zwang durchgesetzte Handlungen selten positiv aufgefasst werden. Zudem würden Widersprechende mit ihrer Weigerung zu helfen konfrontiert, was zu Schuldgefühlen führen kann. Auf der anderen Seite könnte aber die dem potentiellen Spendern auferlegte Erklärungslast als Ausdruck der vom Grundgesetz geforderten mitmenschlichen Solidarität mit den wartenden Empfängern eines Transplantates angesehen werden.20 Zudem kann auf den großen therapeutischen Nutzen von Transplantationen verwiesen werden sowie in der Folge auf eine Kosteneinsparung im Gesundheitswesen, die wiederum der gesamten Gemeinschaft zugute käme. Wägt man diese verfassungsrechtlich geschützten Güter gegeneinander ab, so spricht einiges dafür , dass der Eingriff in das negative Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen geringer wirkt, als der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der potentiellen Organspendenempfänger . So hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem Beschluss zur erweiterten Zustimmungslösung in § 4 TPG ausgeführt:21 „Soweit die Beschwerdeführer sich gegen die Möglichkeit einer postmortalen Organentnahme auf der Grundlage des § 4 TPG wenden, haben sie die Möglichkeit einer solchen Organentnahme zu widersprechen (§ 2 Abs. 2 TPG). Gemäß §§ 3 Abs. 2 Nr. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TPG ist die Organentnahme dann in jedem Fall ausgeschlossen. Der Widerspruch kann durch die Zustimmung einer anderen Person nicht überspielt werden. Die Beschwerdeführer haben es somit selbst in der Hand, den befürchteten Grundrechtsverletzungen vorzubeugen. Dass sie in ihren Grundrechten bereits dadurch verletzt werden, dass sie zur Abwehr der behaupteten Grundrechtsverletzung einen Widerspruch erklären müssen, ist nicht ersichtlich.22“ Inwieweit der potentielle Spender in seiner Freiheit in Bezug auf die Entscheidung, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, eingeschränkt wird, hängt vor allem auch von der praktischen Umsetzung des Vorhabens ab. Um den Eingriff in das negative Selbstbestimmungsrecht so gering wie möglich zu halten, könnte der Gesetzgeber die Antwortmöglichkeiten „ja“ und „nein“ oder „keine Äußerung bzw. weiß nicht“ vorsehen. Somit könnten sich Personen, die zunächst keine 20 BVerfGE 12, 45 (51); Wille, Sophia, Das Recht des Staates zur postmortalen Organentnahme, Zur Verfassungskonformität des Notstandsmodells im Bereich der Leichenorgangewinnung, MedR 2007, 91, 93. 21 Beschluss vom 18.2.1999, 1 BvR 2156/98, in: NJW 1999, 3403, 3404. 22 Hervorhebung durch die Verfasserin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 9 Entscheidung treffen wollen, zunächst für die Antwort „keine Äußerung“ entscheiden und eventuell zu einem späteren Zeitpunkt eine Entscheidung treffen. Sollte der Gesetzgeber nur die Antwortmöglichkeit „ja“ oder „nein“ vorsehen, ist dies unter Zugrundelegung des oben zitierten Beschlusses des BVerfG wohl auch noch als verhältnismäßig anzusehen, birgt aber das Risiko, weniger Zustimmung zu finden. Denkbar wäre auch eine Stufen-Regelung, bei der der Einzelne zunächst angeschrieben und gefragt würde, ob er sich mit der postmortalen Organspende weiter auseinandersetzen möchte. Wäre dies der Fall, würde er ein weiteres Schreiben bekommen, in dem er sich dann konkret zu seiner Organspendenbereitschaft äußern müsste. Verneint er jedoch zuvor die Beschäftigungsbereitschaft , so würde er mit dem Thema auch nicht weiter konfrontiert. In diesem Fall hätte der Betroffene keinerlei Verpflichtung, sich mit dem Thema Organspende gegen seinen Willen auseinanderzusetzen , würde sich jedoch auch mit einer ablehnenden Antwort auf das erste Schreiben bereits rechtsverbindlich erklären. Dies wäre wohl die am wenigsten eingriffsintensive Variante und damit in Bezug auf das negative Selbstbestimmungsrecht die angemessenste. Im Rahmen der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung sollte auch die Möglichkeit bestehen, die einmal getroffene Entscheidung schnell und unbürokratisch zu revidieren und sie vor dem Zugriff von unbefugten Dritten zu schützen.23 Unverhältnismäßig könnte die Sanktionierung einer nicht erfolgten Erklärung sein. Bei entsprechender praktischer Umsetzung stellt die Einführung einer Verpflichtung zur Abgabe einer rechtsverbindlichen Erklärung über die Organspendenbereitschaft somit zwar einen Eingriff in das sog. negative Selbstbestimmungsrechts dar, der verfassungsrechtlich jedoch gerechtfertigt sein dürfte. 3.2. Religionsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG Die Entscheidung für oder gegen eine postmortale Organspende kann religiös oder spirituell motiviert sein24; im Kern gelten insoweit für die Reichweite des Schutzbereichs die Ausführungen zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. In der Verpflichtung, eine rechtsverbindliche Erklärung zur Organspendenbereitschaft abzugeben , liegt jedoch kein unzulässiger Zwang zur Offenbarung religiöser oder weltanschaulicher Auffassungen. Zum einen ist eine mögliche Ablehnung nicht zu begründen, zum anderen könnte es die Möglichkeit der Antwort „keine Äußerung bzw. weiß nicht“ geben, sodass unzulässige 23 Siehe auch Stellungnahme des Nationalen Ethikrates, Die Zahl der Organspenden erhöhen – Zu einem drängenden Problem der Transplantationsmedizin in Deutschland, 2007, S. 44, 48, http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/Stellungnahme_Organmangel.pdf [14. März 2011]. 24 Spranger, Tade Matthias, Völker- und verfassungsrechtliche Aspekte, in: Breyer, Friedrich /Engelhard, Margret, Anreize zur Organspende, Graue Reihe der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen, Nummer 39, November 2006, S. 118. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 10 Offenbarungen im Hinblick auf eventuelle religiöse und weltanschauliche Motivationen verborgen blieben. Es liegt somit schon kein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 4 GG vor. 4. Willenserklärung auf der elektronischen Gesundheitskarte 4.1. Hintergrund elektronische Gesundheitskarte Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) basiert auf Art. 1 Nr. 162 GKV- Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14. November 2003.25 Art. 1 Nr. 162 GMG regelt die Einführung des § 291 a SGB V, der wiederum die Ermächtigungsgrundlage für die Einführung einer eGK darstellt.§ 291 a SGB V wurde bisher mehrfach geändert.26 Der Einführung der eGK sind Testphasen in verschiedenen Bundesländern vorgeschaltet, die Einführung der eGK ist bisher noch nicht vollendet.27 Die EGK soll der Wirtschaftlichkeit, Qualität und Transparenz der ärztlichen Behandlung dienen. Dies soll vor allem dadurch erreicht werden, dass durch die eGK Doppeluntersuchungen vermieden sowie Rezeptdaten und Notfallinformationen gespeichert werden.28 Auf der eGK werden zunächst – vergleichbar mit der heutigen Krankenversicherungskarte – die Stammdaten des Versicherten gespeichert. Sie muss gemäß § 291 a Abs. 3 SGB V geeignet sein, weitere Daten wie die elektronische Patientenakte oder medizinische Daten zur Notfallversorgung aufzunehmen. Die Speicherung dieser Daten ist jedoch freiwillig und setzt die Einwilligung des Versicherten voraus. Die privaten Krankenversicherungen können die eGK für ihre Versicherten einführen, sind hierzu jedoch nicht verpflichtet. 4.2. Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG Bejaht man die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer durch den Gesetzgeber angeordneten rechtsverbindlichen Willenserklärung über die Organspendenbereitschaft (siehe oben Punkt 2 und 3), so stellt sich die Frage, wie und wo diese Erklärung hinterlegt bzw. gespeichert werden kann. Da ein Zugriff auf diese Willenserklärung nach dem Eintritt des Hirntodes schnell verfügbar sein muss damit eine Organspende überhaupt noch Erfolgsaussichten hat, sprechen praktische Gründe dafür, diese auf der eGK abzuspeichern. In Betracht käme aber auch die Speicherung in einem zentralen Register oder die Speicherung auf dem elektronischen Personalausweis. Zu prüfen ist, ob die Speicherung der Willenserklärung auf der eGK gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verstößt. 25 BGBl. I S. 2190. 26 Zuletzt durch das GKV-Finanzierungsgesetz vom 22.12.2010, in Kraft seit dem 1.1.2011. 27 Siehe nähere Informationen zu eGK auf der Webseite des BMG: http://www.bmg.bund.de/krankenversicherung/elektronische-gesundheitskarte-e-health.html [14. März 2011]. 28 Vgl. BT-Drs. 15/1525. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 11 4.2.1. Schutzbereich Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches vom BVerfG im Volkszählungsurteil29 aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet wurde, gewährleistet die Befugnis des Einzelnen , grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Der Einzelne kann daher selbst entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.30 4.2.2. Eingriff Wird der Versicherte aufgrund eines Gesetzes verpflichtet, seine Willenserklärung zur Organspende auf die eGK speichern zu lassen, so liegt eine Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor. Auch wenn die Speicherung der Daten von den gesetzlichen Krankenkassen und nicht den staatlichen Behörden vorgenommen wird, liegt aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung ein gezielter Eingriff vor. 4.2.3. Verhältnismäßigkeit Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gilt jedoch nicht absolut. Es kann zum Schutz und zur Förderung von Gemeinschaftsgütern eingeschränkt werden, wenn die Datenerfassung und – verarbeitung zur Erreichung dieser Zwecke geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist. Die Datenerhebung muss gesetzlich bestimmt sein, die persönlichkeitsbezogenen Daten müssen gegen Weitergabe und anderweitige Verwertung verfahrens- und organisationsrechtlich geschützt sein und es müssen Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungsansprüche bestehen.31 Geeignet ist das Mittel, wenn es zur Erreichung des angestrebten Ziels jedenfalls förderlich ist.32 Es ist fraglich, ob die Speicherung der Willenserklärung auf der eGK geeignet ist, den vom Gesetzgeber intendierten Zweck zu erreichen. Die Speicherung auf der eGK soll dazu dienen, im Notfall schnell und unkompliziert die Organspendenbereitschaft eines Versicherten festzustellen. Da davon auszugehen ist, dass die meisten Personen ihre eGK – im Gegensatz zu dem heutigen freiwilligen Organspendeausweis - immer bei sich tragen werden, könnte im Falle eines Hirntodes mit Hilfe der auf der Karte verschlüsselten Daten schnell Klarheit über die Organspendenbereitschaft des Versicherten erlangt werden. Ein weiterer, dem Erklärungsmodell zu Grunde liegender Zweck, nämlich die Steigerung der Organspendenbereitschaft der gesamten Bevölkerung, würde jedoch auf diesem Wege nicht erzielt werden können. Da die eGK nur für die in der ge- 29 BVerfGE 65, 1 (41 ff.). 30 BVerfGE 80, 367 (373). 31 BVerfGE 65, 1 (65 ff.); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Kommentar 2010, Art. 2 Abs. 21, Rn. 115; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 2009, Art. 2 Rn. 121. 32 BVerfGE 96, 10 (23). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 12 setzlichen Krankenkasse Versicherten verpflichtend sein soll, die privaten Krankenversicherungen aber nur auf freiwilliger Basis teilnehmen, würde nur ein Teil der Bevölkerung erreicht werden .33 Geeigneter erscheint daher die Speicherung der Willenserklärung zum Beispiel auf dem elektronischen Personalausweis. Bei der Beantragung eines neuen Ausweises könnte jeder Bürger verpflichtet werden, Auskunft über seine Spendenbereitschaft zu geben. Auch eine separate staatliche Datenbank wäre denkbar: § 2 Abs. 3 TPG erlaubt bereits heute dem Bundesministerium für Gesundheit ein Organspendenregister zu gründen. Die dafür notwendige Rechtsverordnung ist allerdings bisher nicht erlassen worden.34 Wenn ein Zugriff auf das Organspendenregister jederzeit möglich ist, so wäre auch auf diesem Wege eine schnelle Auskunft zu erzielen. Erforderlich ist die Regelung, wenn kein milderes, gleichermaßen wirksames Mittel existiert.35 An der Erforderlichkeit der Speicherung der Willenserklärung auf der eGK bestehen ebenfalls Zweifel, da wie oben ausgeführt wirksamere Wege der Speicherung bestehen, die von ihrer Eingriffsintensität her zu mindestens nicht schwerer wiegen als die Speicherung der Daten auf der eGK. Für die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne muss der Bürger Einschränkungen seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung nur im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen . An die Rechtfertigung sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je tiefer die Daten in den Persönlichkeitsbereich hineinreichen und je umfassender die Daten genutzt werden sollen.36 Strengeren Voraussetzungen unterliegen die Daten, die in individualisierter Form erhoben werden sollen und nicht anonymisiert werden. Die Willenserklärung würde in individualisierter Form erhoben werden, somit unterliegt sie strengeren Voraussetzungen. Ein überwiegendes Allgemeininteresse an der Speicherung der Willenserklärung liegt vor, da nur bei einer schnell zugänglichen Speicherung der Daten das Leben einer größeren Anzahl von Personen gerettet werden könnte. Wie tief die Willenserklärung über die Organspende in den Persönlichkeitsbereich des Einzeln hineinreicht, ist fraglich. Stellt man im Sinne einer Stufentheorie37 auf eine erste Stufe Daten wie Adresse und einfache Identifikationsmerkmale, auf eine zweite Stufe Daten über Krankheiten, Körperfunktionen und genetische Merkmale und auf eine dritte Stufe Daten über politische, weltanschauliche und religiöse Einstellungen, so dürfte die untersuchte Willenserklärung zwischen der ersten und der zweiten Stufe liegen. Die Offenbarung von Krankheiten, Leiden oder Beschwerden kann dem Einzelnen unangenehm und peinlich oder seiner sozialen Geltung 33 Da dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum eingeräumt wird, wird die Prüfung der Verhältnismäßigkeit trotz Zweifeln an der Geeignetheit der eGK fortgesetzt und andere Alternativen für die Speicherung der Willenserklärung mit einbezogen. 34 Siehe Schroth, in Schroth/König/Gutmann/Oduncu, Kommentar zum Transplantationsgesetz, 2005, § 2 Rn. 13. 35 BVerfGE 92, 262 (273). 36 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Kommentar 2010, Art. 2 Abs. 21, Rn. 116. 37 Siehe Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Kommentar 2010, Art. 2 Abs. 21, Rn. 118. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 13 abträglich sein. Die Offenbarung über die eigene Organspendenbereitschaft dürfte auf den ersten Blick hingegen weder positive noch negative Folgen mit sich ziehen. Es könnten aber Befürchtungen Einzelner bestehen, dass ihnen in einem Notfall nicht mehr die gleiche intensive ärztliche Hilfe zu Gute käme, wenn vorab ihre Organspendenbereitschaft bekannt wäre. Diesen Befürchtungen könnte aber durch entsprechende datenschutzrechtliche Sicherungen zuvorgekommen werden. So könnte ähnlich wie in § 2 Abs. 4 TPG für das Organspenderegister geregelt, die Auskunft nur an einen vom Krankenhaus benannten Arzt erteilt werden, der weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe des möglichen Organspenders beteilig ist. Die Anfrage darf auch erst nach Feststellung des Todes erfolgen. Die Rechtfertigung hängt vor allem von der praktischen Umsetzung des Vorhabens ab. So muss im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG38 die Willenserklärung auf der eGK (oder einem anderen Medium) gegen Weitergabe und anderweitige Verwertung verfahrens- und organisationsrechtlich geschützt sein und es müssen Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungsansprüche bestehen . 4.3. Zwischenergebnis Der Gesetzgeber hätte grundsätzlich die Möglichkeit etwa durch eine Änderung des § 295 a SGB V neben den Stammdaten auch die Speicherung einer Willenserklärung zur Organspende auf der eGK zu verlangen. Wie die Prüfung in Punkt 4.2. ergeben hat, bestehen jedoch Zweifel an der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Verwendung der eGK für diesen Zweck, so dass eine Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht auszuschließen ist. Geeigneter erscheint die Speicherung der Willenserklärung auf dem elektronischen Personalausweis oder in einer separaten Datenbank. Werden die entsprechenden datenschutzrechtlichen Vorkehrungen getroffen, dürfte das überwiegende Allgemeininteresse an der Datenspeicherung unterstellt , der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu rechtfertigen sein. Für die Speicherung der Willenserklärung auf diesem Wege spricht auch, dass die Daten nicht bei Dritten (gesetzliche Krankenkassen), sondern in der Hand von staatlichen Stellen bleiben. 4.4. Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG Die Speicherung der Willenserklärung zur Organspendenbereitschaft auf der eGK könnte gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, da hiervon nur gesetzlich Versicherte betroffen wären. 38 BVerfGE 65, 1 (65 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 14 4.4.1. Schutzbereich Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung setzt voraus, dass vergleichbare Personengruppen oder auch Sachverhalte betroffen sind. Die Feststellung, ob die übereinstimmenden oder die verschiedenen Einzelmerkmale zweier Personengruppen den Ausschlag geben sollen, ist nur möglich, wenn man ein Differenzierungsmerkmal auswählt, anhand dessen der Vergleich angestellt wird.39 Abgestellt werden kann auf die Gruppe der gesetzlich Versicherten, die eine Speicherung der Willenserklärung auf der eGK hinnehmen muss, sowie die Gruppe der privat Versicherten, die mangels eGK keine Willenserklärung abgeben muss. 4.4.2. Rechtfertigung Nicht jede Ungleichbehandlung von vergleichbaren Personengruppen ist verfassungswidrig; vielmehr kann die Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein. Nach früherer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war die Ungleichbehandlung gerechtfertigt, wenn wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich, und wesentlich Ungleiches nicht willkürlich gleich behandelt wird.40 Danach rechtfertigte das Vorliegen eines sachlichen Grundes eine Ungleichbehandlung. Nach der so genannten „neuen Formel“ müssen in bestimmten Fällen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.41 Einzelheiten und Folgen dieser Rechtsprechung sind umstritten42, ganz allgemein lässt sich aber festhalten , dass der Rechtfertigungsgrund „in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung “ stehen muss.43 Es kommt demnach auf die Intensität der Ungleichbehandlung an. Das Bundesverfassungsgericht fordert, eine strenge Prüfung vorzunehmen, wenn verschiedene Personengruppen ungleich behandelt werden. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Beurteilung der hier zu prüfenden Ungleichbehandlung. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung der zwei Personengruppen ist nicht ersichtlich . Wie die Prüfung unter Punkt 4 gezeigt hat, hätte der Gesetzgeber andere Möglichkeiten die Willenserklärung beider Personengruppen zu speichern und würde so den anvisierten Zweck besser erreichen. Die Benachteiligung der gesetzlich Versicherten würde daher eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG darstellen. 39 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2004, Art. 3, Rn. 18 und 23, m. w. N. 40 BVerfGE 4, 144 (155); BVerfGE 27, 364, (371f.). 41 BVerfGE 55, 72 (88); BVerfGE 71, 146 (154 f.); BVerfGE 82, 126 (146). 42 Heun (Fn. 39), Art. 3 Rn. 21 f. 43 Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. Aufl. 2005, Art. 3 Abs. 1 Rn. 189, m. w. N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 071/11 Seite 15 5. Zusammenfassung Die Verpflichtung zur rechtsverbindlichen Abgabe einer Erklärung über die Organspendenbereitschaft dürfte bei entsprechender verfahrensrechtlicher Ausgestaltung keine Verletzung des negativen Selbstbestimmungsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellen. Zwar würde die Pflicht zur Willenserklärung eine unmittelbar belastende Wirkung für den Einzelnen darstellen, diese wäre jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Es gilt, zwischen zwei verfassungsrechtlich geschützten Gütern abzuwägen: das Recht, sich grundsätzlich frei zu entscheiden, sich mit dem Thema der Organspende zu beschäftigen und das Ziel, mehr Spenderorgane zu erhalten , um so Leben und körperliche Unversehrtheit einer größeren Anzahl von Personen zu schützen. Überwiegen dürfte der Lebens- und Gesundheitsschutz der potentiellen Organspendenempfänger . Um den Eingriff in das negative Selbstbestimmungsrecht so gering wie möglich zu halten, könnte der Gesetzgeber die Antwortmöglichkeiten „ja“, „nein“ oder „keine Äußerung bzw. weiß nicht“ vorsehen. Eine Verletzung der Religionsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG liegt nicht vor. Da ein Zugriff auf die Willenserklärung zur Organspende nach dem Eintritt des Hirntodes schnell verfügbar sein muss damit eine Organspende überhaupt noch Erfolgsaussichten hat, muss sie in geeigneter Weise gespeichert und zugänglich gemacht werden. Die Speicherung der Willenserklärung auf der bisher noch im Versuchsstadium befindlichen elektronischen Gesundheitskarte (eGK) scheint nicht der richtige Weg zu sein, da Zweifel an der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Verwendung der eGK für diesen Zweck aufgrund der Nichteinbeziehung der privat Krankenversicherten bestehen. Eine Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG wäre daher nicht auszuschließen. Zu keiner Grundrechtsverletzung dürfte die Speicherung der Willenserklärung, bei entsprechender Ausgestaltung der datenschutzrechtlichen Vorkehrungen, auf dem elektronischen Personalausweis oder in einem Organspendenregister führen. Die Speicherung der Willenserklärung auf der eGK würde auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG darstellen, da eine willkürliche Ungleichbehandlung zwischen privat und gesetzlich Krankenversicherten stattfinden würde.