© 2021 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 070/21 Gesetzgebungskompetenz des Bundes für sogenannte Ruhetage Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 070/21 Seite 2 Gesetzgebungskompetenz des Bundes für sogenannte Ruhetage Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 070/21 Abschluss der Arbeit: 12. April 2021 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 070/21 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung In der Nacht vom 22. zum 23. März 2021 hatten die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten beschlossen, dass in der Osterzeit vom 1. bis einschließlich 5. April 2021 das öffentliche, wirtschaftliche und private Leben weitgehend heruntergefahren werden sollte, um bestehende Infektionsketten und das exponentielle Wachstum der COVID-19-Pandemie zu durchbrechen. Um dies zu erreichen, sollten der Gründonnerstag und der Karsamstag „einmalig als Ruhetage definiert und mit weitgehenden Kontaktbeschränkungen verbunden“1 werden. Lediglich am Karsamstag sollte der Lebensmittelhandel im engeren Sinne geöffnet sein.2 Bereits am 24. März 2021 wurde der Beschluss zu den Ruhetagen aufgehoben, da das Verhältnis von Aufwand und Nutzen nicht gewahrt sei.3 Gefragt wurde, ob der Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass von bundeseinheitlichen sogenannten Ruhetagen hat, die arbeitsrechtlich wie Sonn- oder Feiertage zu behandeln wären. 2. Mögliche Gesetzgebungskompetenzen Aufgrund der schnellen Rücknahme des Beschlusses, wurden durch die Bundesländer keine Regelungen zu den „Ruhetagen“ getroffen. Es fehlt somit an einer gesetzlichen Definition des Begriffs „Ruhetag“ sowie einer gesetzlichen Ausgestaltung. Auch der Beschluss definiert den Begriff nicht. „Ruhetage“ werden als einmalige Tage beschrieben, an denen das Prinzip „#WirBleibenZuHause“ gelten solle und an denen das öffentliche, wirtschaftliche und private Leben weitgehend eingeschränkt werden soll.4 Durch diese Zwecksetzung unterscheidet sich der Ruhetag vom Feiertag: Es geht bei den „Ruhetagen“ gerade nicht um einen Tag des Feierns, der eine untrennbare Beziehung zu einem Fest aufweist.5 Eine Bundesgesetzgebungskompetenz für die Regelung von Feiertagen – die ohnehin nur in Ausnahmefällen kraft Natur der Sache oder kraft Sachzusammenhangs bestehen würde6 – ist hier somit fernliegend. In Betracht kommen dagegen die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Infektionsschutzrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Grundgesetz (GG) sowie für das Arbeitsrecht nach Art. 79 Abs. 1 Nr. 12 GG. Sollten beide Kompetenztitel in Betracht kommen, ist für die Frage, 1 Beschluss der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 22. März 2021, S. 3, online abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource /blob/997532/1879672/2854753dbc7549432db7f0bba94e8c0f/2021-03-22-mpk-data.pdf?download=1 (Stand: 12. April 2021). 2 Ebenda, S. 4. 3 Tagesschau, Corona-Beschlüsse: Merkel kippt Ruhetage über Ostern, online abrufbar unter: https://www.tagesschau .de/inland/ruhetage-ostern-101.html (Stand: 12. April 2021). 4 Beschluss der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 22. März 2021, (Fn. 1), S. 3. 5 Siehe Korioth, Maunz/Dürig, GG, Werkstand: 92. EL August 2020, WRV Art 139, Rn. 46. 6 Dazu Ehlers, in: Sachs, GG, 8. Auflage 2018, Art. 139 WRV, Rn. 6; Mager, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz- Kommentar, 7. Auflage 2021, Art. 140 GG, Rn. 95. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 070/21 Seite 4 welchem Kompetenzbereich eine Vorschrift angehört, insbesondere auf den Schwerpunkt der konkreten Regelung abzustellen.7 2.1. Infektionsschutz Gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zum Erlass von Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren sowie zur Regelung der Zulassung zu Heilberufen und zum Heilgewerbe. Danach steht ihm eine Gesetzgebungsbefugnis zu, die bei Inanspruchnahme eine Sperrwirkung für eine Landesgesetzgebung auslöst.8 Eine Krankheit ist gemeingefährlich, wenn sie zu schweren Gesundheitsschäden oder zum Tod führen kann und eine größere Zahl von Menschen oder Tieren betrifft.9 Sie ist entsprechend § 2 Nr. 3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) übertragbar, wenn Krankheitserreger oder deren toxische Produkte die Krankheit durch unmittelbare oder mittelbare Übertragung verursachen.10 Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG erfasst alle Maßnahmen, die der Bekämpfung sowie der Vorbeugung der Krankheit dienen.11 Bei vorbeugenden Maßnahmen muss ein spezieller und unmittelbarer Bezug zur Krankheit vorhanden sein. Darunter fallen beispielsweise Meldepflichten, verpflichtende Tests, Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen. Auch die Möglichkeit ein berufliches Tätigkeitsverbot zu erlassen, kann eine Maßnahme des Infektionsschutzes darstellen und ist damit von der Gesetzgebungskompetenz des Art. 79 Abs. 1 Nr. 19 GG erfasst. Eine solche Maßnahme regelt § 31 IfSG, der allerdings die Anordnung der Maßnahme auf Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheidern beschränkt und damit einen konkreten Personenkreis betrifft. Die Festlegung von „Ruhetagen“ und damit verbundene Beschäftigungsverbote, die durch die Einschränkung von Kontakten und Mobilität Infektionen verhindern und so zur Bekämpfung einer gemeingefährlichen oder übertragbaren Krankheit dienen sollen, weisen einen unmittelbaren Bezug zur Krankheit auf und sind daher von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG erfasst. 2.2. Arbeitsschutz Ferner könnte dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zustehen, wenn der „Ruhetag“ unter den Regelungsbereich des Arbeitsschutzes fällt. Der Begriff des Arbeitsschutzes meint dabei sämtliche öffentlich-rechtlichen Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer 7 Degenhart, in: Sachs, GG, 8. Auflage 2018, Art. 70, Rn. 62; Rozek, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Auflage 2018, Art. 70, Rn. 55 f. 8 Wittreck, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 72, Rn. 30. 9 Broemel, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 7. Auflage 2021, Art. 74, Rn. 70. 10 Ebenda. 11 Axer, in: Bronner Kommentar, 151. Auflage, Aktualisierung 2011, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19, Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 070/21 Seite 5 vor Gefahren, die sich aus der Arbeit ergeben, das heißt zum Schutz am Arbeitsplatz.12 Nach der Rechtsprechung fallen hierunter beispielsweise Regelungen über die Arbeitszeiten13, das Beschäftigungsverbot an arbeitsfreien Tagen14 oder die Lohnfortzahlung an Feiertagen15. Wird der „Ruhetag“ als Tag verstanden, an dem ein Beschäftigungsverbot zum Zwecke der Durchbrechung bestehender Infektionsketten im Rahmen einer Pandemie gelten soll, wäre jedoch insoweit die Kompetenznorm aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG vorrangig. 3. Verhältnismäßigkeit Unabhängig von der konkret einschlägigen Gesetzgebungskompetenz, müsste die Anordnung eines „Ruhetages“ stets auch der materiellen Verfassungsmäßigkeit entsprechen. Hierbei wäre insbesondere die Verhältnismäßigkeit zu überprüfen. Nach dem Verständnis des „Ruhetages“ als einer primär infektionsschutzrechtlichen Maßnahme, wäre hierbei insbesondere die zum Zeitpunkt des „Ruhetages“ aktuelle pandemische Lage zu berücksichtigen. *** 12 BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2016, Az. 2 C 18/15, Rn. 44 (juris). 13 BVerfGE 138, 261, 279 f. 14 BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1985, Az. 1 C 1/85, Rn. 19 (juris). 15 BayVerfGH, NJW 1982, 2656, 2658.