© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 070/20 Untersuchungsausschuss: Aussagepflicht zu privaten Gesprächen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 070/20 Seite 2 Untersuchungsausschuss: Aussagepflicht zu privaten Gesprächen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 070/20 Abschluss der Arbeit: 23. März 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 070/20 Seite 3 1. Fragestellung Es stellt sich die Frage, ob Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Antwort auf eine Frage verweigern dürfen, wenn diese zwar den Untersuchungsgegenstand betrifft, die Antwort jedoch Inhalte eines persönlichen Gespräches preisgeben würde. 2. Gesetzliche Zeugnisverweigerungsrechte Gemäß Art. 44 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) finden die Vorschriften über den Strafprozess auf die Beweiserhebung im parlamentarischen Untersuchungsausschuss sinngemäß Anwendung. Regelungen zum Beweisverfahren finden sich in §§ 17 ff. des Untersuchungsausschussgesetzes (PUAG). Dabei konkretisieren die §§ 22 ff. PUAG die Verweisung des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG auf strafprozessrechtliche Vorschriften insbesondere wie folgt: – § 22 Abs. 1 PUAG deckt die beruflich begründeten Zeugnisverweigerungsrechte nach §§ 53, 53a Strafprozessordnung (StPO) ab; – § 22 Abs. 2 PUAG normiert ein mit § 55 StPO vergleichbares Auskunftsverweigerungsrecht für den Fall, dass die Beantwortung einer Frage dem Zeugen oder einer Person im Sinne von § 52 Abs. 1 StPO „die Gefahr zuziehen würde, einer Untersuchung nach einem gesetzlich geordneten Verfahren ausgesetzt zu werden“; – § 23 PUAG verweist auf die in § 54 StPO geregelte Aussagegenehmigung für Angehörige des öffentlichen Dienstes. Ein generelles Zeugnisverweigerungsrecht für den Inhalt privater Gespräche sehen StPO und PUAG nicht vor. 3. Schutz privater Interessen Es besteht nur „ganz allgemein eine Pflicht des Ausschusses, schutzwürdige Privatinteressen des Zeugen zu wahren und eine faire rechtsstaatliche Verfahrensführung zu gewährleisten. Im Mittelpunkt der rechtsstaatlich garantierten und teilweise im PUAG näher ausgestalteten Verfahrensrechte stehen dabei das nemo-tenetur-Prinzip, das Recht auf rechtliches Gehör, das Recht auf Zulassung anwaltlichen Beistands sowie im Zusammenspiel mit § 68a StPO der Schutz vor bloßstellenden Fragen.“1 § 68a Abs. 1 S. 1 StPO lautet: „Fragen nach Tatsachen, die dem Zeugen oder einer Person, die im Sinne des § 52 Abs. 1 sein Angehöriger ist, zur Unehre gereichen können oder deren persönlichen Lebensbereich betreffen , sollen nur gestellt werden, wenn es unerlässlich ist.“ Die Kommentierung zählt zum persönlichen Lebensbereich 1 Brocker, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 01.12.2019, Art. 44 Rn. 50 (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 070/20 Seite 4 „etwa Umstände aus dem Bereich der Intimsphäre, der Gesundheitszustand, politische und religiöse Einstellungen sowie Eigenschaften und Neigungen, die (ausschließlich) dem privaten Lebensbereich zuzuordnen sind […]. Danach zu fragen ist unerlässlich, wenn die erfragte Tatsache so bedeutsam ist, dass ohne eine Antwort auf die Frage der Sachverhalt nicht erschöpfend aufgeklärt werden kann […]. Die Beurteilung der Zulässigkeit der Frage in den genannten Fällen bedeutet im Ergebnis nichts anderes, als die schutzwürdigen Belange des Zeugen auf Wahrung seiner Grundrechte mit dem im parlamentarischen Kontrollrecht wurzelnden Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsausschusses abzuwägen und so in Einklang zu bringen, dass beide soweit wie möglich ihre Wirkung entfalten […]. Gegebenenfalls ist der Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 14 Abs. 1 Ziff. 1 [PUAG] zu prüfen […]. Diese Abwägung fällt jedenfalls dann zugunsten des Zeugen aus, wenn die Preisgabe einer Information wegen ihres streng persönlichen Charakters für den Zeugen unzumutbar ist […].“2 Ein überwiegendes Allgemeininteresse besteht nur an Daten mit Sozialbezug unter Ausschluss von unzumutbaren intimen Angaben und von Selbstbezichtigungen.3 Das Beweiserhebungsrecht bezieht sich daher nicht auf Informationen, „deren Weitergabe wegen ihres streng persönlichen Charakters für die Betroffenen unzumutbar ist“.4 Der Umstand, dass Informationen Teil eines privaten Gesprächs sind, macht diese noch nicht notwendigerweise zum Teil des persönlichen Lebensbereichs. Werden in einem privaten Gespräch z. B. nur amtsbezogene Informationen mitgeteilt, spricht dies grundsätzlich gegen ein „Betreffen des persönlichen Lebensbereichs“ im Sinne des § 68a StPO. Auch spricht dies für ein Überwiegen des Allgemeininteresses bei einer Abwägung mit betroffenen Grundrechten der an dem Gespräch Beteiligten. Im Übrigen weist die Kommentierung darauf hin, dass § 68a StPO dem Zeugen kein Auskunftsverweigerungsrecht gibt.5 Über die Zulässigkeit der Frage entscheidet nötigenfalls der Ausschuss .6 Ist dessen „Entscheidung juristisch verkehrt, bleibt dem Zeugen nichts anderes übrig, als die Frage nicht zu beantworten und abzuwarten, ob der Ausschuss gegen ihn eine Sanktion verhängt bzw. verhängen lässt, die er dann rechtlich angreift“7 (siehe hierzu unten Abschnitt 4). 2 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 25 Rn. 16 (Hervorhebung durch Autor). 3 BVerfGE 65, 1 (46). 4 BVerfGE 67, 100 (144); BVerfGE 77, 1 (47). 5 Glauben, in: Glauben/Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern , 3. Auflage 2016, 296. 6 Glauben, in: Glauben/Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern , 3. Auflage 2016, 296. 7 Peters, Untersuchungsausschussrecht, 2012, 204 (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 070/20 Seite 5 4. Zeugniszwang Bei einer Zeugnisverweigerung ohne gesetzlichen Grund sind nach § 27 PUAG Zwangsmittel anwendbar .8 Gemäß § 27 Abs. 1 PUAG kann der Untersuchungsausschuss dem Zeugen die durch die Weigerung verursachten Kosten auferlegen und gegen ihn ein Ordnungsgeld bis zu 10.000 Euro festsetzen. Gemäß § 27 Abs. 2 PUAG kann der Ermittlungsrichter oder die Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofes auf Antrag des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder zur Erzwingung des Zeugnisses die Beugehaft anordnen. Die Verweigerung erfolgt berechtigt, wenn ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 22 PUAG besteht .9 Ist eine Frage nach § 68a PUAG unzulässig, findet § 27 bei Verweigerung der Antwort keine Anwendung.10 Auch im Kontext des § 27 PUAG gilt: „Unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechts hat der Untersuchungsausschuss die betroffenen Grundrechte des Zeugen zu beachten und dessen Schutzinteresse mit dem Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung des Untersuchungsgegenstandes im Einzelfall abzuwägen.“11 Der Zeuge kann gegen die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung des Ordnungsgelds durch den Untersuchungsausschuss entsprechend §§ 304 ff. StPO Beschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen.12 Gegen die Anordnung der Beugehaft durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs kann der Zeuge als Adressat der Zwangsmaßnahme Beschwerde beim Bundesgerichtshof nach § 36 Abs. 3 PUAG einlegen.13 Unter den allgemeinen Voraussetzungen kann der Zeuge zudem nach Erschöpfung des Rechtswegs Verfassungsbeschwerde erheben.14 *** 8 Siehe hierzu auch WD 3 - 3000 - 265/16 „Befugnisse des Untersuchungsausschusses zur Beweiserhebung“, S. 5, https://www.bundestag.de/resource/blob/493600/869bf4ce24e8f566ccc0c5fb4327112d/WD-3-265-16-pdfdata .pdf. 9 Siehe oben Abschnitt 2. 10 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 27 PUAG Rn. 10; zur Verweigerung siehe oben Abschnitt 2. 11 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 27 PUAG Rn. 14 unter Verweis auf BVerfGE 76, 363 (383); siehe oben Abschnitt 4. 12 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 27 PUAG Rn. 45. 13 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 27 PUAG Rn. 46. 14 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG (Untersuchungsausschussgesetz), 1. Auflage 2015, § 27 PUAG Rn. 47.