© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 069/20 Entschädigung für Nachteile aufgrund von Verordnungen nach § 32 Infektionsschutzgesetz? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 069/20 Seite 2 Entschädigung für Nachteile aufgrund von Verordnungen nach § 32 Infektionsschutzgesetz? Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 069/20 Abschluss der Arbeit: 16. März 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 069/20 Seite 3 1. Fragestellung Es stellt sich die Frage, ob nach summarischer Prüfung ein Anspruch auf Entschädigung besteht, wenn Bars und ähnliche Einrichtungen aufgrund einer Verordnung nach § 32 IfSG geschlossen werden müssen. 2. Anspruch nach § 65 Infektionsschutzgesetz Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) regelt in seinem 12. Abschnitt die „Entschädigung in besonderen Fällen“. Für die Entschädigung in vorliegendem Fall ist § 65 IfSG einschlägig.1 Nach dessen Abs. 1 gilt: „Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten […].“2 Im Grundsatz erfasst § 65 IfSG damit auch Rechtsverordnungen: § 17 Abs. 4 und Abs. 5 IfSG ermächtigt zum Erlass von Rechtsverordnungen. Gleichwohl geht es bei § 17 IfSG um besondere Fälle, insbesondere darum, dass „Gegenstände mit meldepflichtigen Krankheitserregern behaftet sind“. Die Verordnungen der Länder zur Schließung von Bars und anderen Einrichtungen beruhen jedoch soweit ersichtlich auf § 32 IfSG: „Aufgrund des § 32 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes […] wird verordnet […].“3 Für diesen Fall sieht das IfSG keinen Entschädigungsanspruch vor. 1 Erdle, Infektionsschutzgesetz, 7. Auflage 2020, § 65 Rn. 2: Entschädigung für Maßnahmen gegen „Nichtstörer“. 2 § 65 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148) geändert worden ist (Hervorhebung durch Autor). 3 Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus in Berlin vom 14. März 2020, https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles /rathaus-aktuell/2020/meldung.906890.php (Hervorhebung durch Autor); ähnlich die „Verordnung der Landesregierung [Baden-Württemberg] über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung - CoronaVO), https://km-bw.de/site/pbs-bw-new/get/documents/KUL- TUS.Dachmandant/KULTUS/KM-Homepage/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen %202020/2020%2003%2016%20Verordnung%20der%20Landesregierung%20%C3%BCber%20infektionssch %C3%BCtzende%20Ma%C3%9Fnahmen%20gegen%20die%20Ausbreitung%20des%20Virus%20SARS- Cov-2%20%28Corona-Verordnung%20-%20CoronaVO%29.pdf: „Auf Grund von § 32 in Verbindung mit den § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 und § 31 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) […] wird verordnet […]“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 069/20 Seite 4 3. Enteignender Eingriff Art. 14 Grundgesetz (GG) schützt das Eigentum. Ob künftige Umsätze eines Betriebs überhaupt unter den Schutz des Eigentums fallen, ist umstritten.4 Insoweit eine „Corona-Verordnung“ grundrechtlich geschützte Eigentumspositionen beeinträchtigt, gilt nach Art. 14 Abs. 3 GG folgende Regelung zu Enteignung und Entschädigung: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen“ (Hervorhebung durch Autor). Die Kommentierung führt hierzu aus: „Der dem Art. 14 Abs. 3 GG zugrunde liegende Rechtsgedanke schafft demnach eine Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung unter der Voraussetzung, dass durch einen Eingriff von hoher Hand Eigentum beeinträchtigt und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit abverlangt wird. Handelt es sich um die Nebenfolge eines an sich rechtmäßigen Handelns, spricht man von enteignendem Eingriff […].“5 Im Folgenden wird unterstellt, dass Erlass und Umsetzung der „Corona-Verordnungen“ rechtmäßig erfolgen. Dabei gilt für eine Entschädigung aus enteignendem Eingriff: „Die Rspr. [Rechtsprechung] des BVerfG [Bundesverfassungsgerichts] hat klargestellt, dass eine Enteignungsentschädigung voraussetzt, dass ein den Anforderungen des Art. 14 III [GG] genügendes Gesetz sie regelt. Fehlt ein solches Gesetz, kann sich eine Klage nur auf Aufhebung des Eingriffsaktes richten. Nicht aber darf eine vom Gesetzgeber als entschädigungslose Schrankenbestimmung gedachte Regelung richterrechtlich oder gewohnheitsrechtlich durch eine Entschädigungsregelung ergänzt werden, womit zugleich auch die Befassung des BVerfG mit der Frage, ob der Ausschluss der Entschädigung mit Art. 14 [GG] vereinbar ist, umgangen würde. Dies folgt letztlich aus dem Eigentumsgrundrecht als Bestandsgarantie und dem Vorbehalt einer näheren Bestimmung eigentumsgestaltender oder -beeinträchtigender Wirkungen durch Gesetz. I. Ü. [im Übrigen] ist gegen eine Fortgeltung des aus dem Aufopferungsgedanken begründeten Instituts des enteignenden Eingriffs nichts einzuwenden.“6 4 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 49. 5 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 174 (Fußnoten ausgelassen; Hervorhebung durch Autor). 6 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 178 (Fußnoten ausgelassen; Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 069/20 Seite 5 Ausnahmen hiervon lässt die Rechtsprechung der Zivilgerichte nur zu bei ungewollten Nebenfolgen: „Wohl aber erscheint es zulässig, wenn die Zivilrspr. [Zivilrechtsprechung] ungewollte, insbes. unvorhergesehene Nebenfolgen an sich rechtmäßigen hoheitlichen Handelns, die der Betroffene aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren wegen ihrer besonderen ‚Schwere‘ oder des im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen bewirkten Gleichheitsverstoßes übersteigen, als ‚enteignenden Eingriff‘ begreift und – so z. B. bei Zufalls- und Unfallschäden – eine Entschädigung zuerkennt.“7 Es lässt sich wohl kaum argumentieren, dass wirtschaftliche Nachteile einer Bar „ungewollte“ oder „unvorhergesehene“ Nebenfolgen einer Verordnung zur Schließung sind. 4. Stand der Rechtsprechung und Literatur Rechtsprechung und Literatur existiert zu den erst wenige Tage alten, nach § 32 IfSG erlassenen Verordnungen soweit ersichtlich nicht. Ein Professor für öffentliches Recht kommt aber zu dem Thema „Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet“ zu folgendem Ergebnis: „Alles in allem zeichnet sich doch ab, dass der eigentumsverfassungsrechtlich begründete Sonderopferausgleich des Infektionsschutzrechts kaum der Hebel sein dürfte, mit dem das gesamtgesellschaftliche Problem schwerwiegender, wohl auch für manches Unternehmen existenzgefährdender, wirtschaftlicher Schäden aufgrund der Corona-Epidemie zu bewältigen wäre. Die Frage einer gerechten Lastenverteilung für die wirtschaftlichen Folgen dieser Krankheit muss politisch verhandelt und dann situationsangemessen entschieden werden; sie ist schwerlich schon durch die spezifischen Entschädigungsvorschriften des Seuchenrechts, die solche Schadensszenarien ersichtlich nicht im Blick hatten, vorentschieden.“8 *** 7 Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 179 (Fußnoten ausgelassen; Hervorhebung durch Autor). 8 Cornils, Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet, 13. März 2020, https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich -betrachtet/ (Hervorhebung durch Autor).