© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 068/18 Verfassungsrechtlicher Rahmen für eine Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten eines Bundeskanzlers Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 068/18 Seite 2 Verfassungsrechtlicher Rahmen für eine Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten eines Bundeskanzlers Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 068/18 Abschluss der Arbeit: 22. März 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 068/18 Seite 3 1. Einleitung Die vorliegende Ausarbeitung gibt einen Überblick über den verfassungsrechtlichen Rahmen für eine Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten eines Bundeskanzlers. 2. Ausgangslage Nach derzeitiger Rechtslage sieht das Grundgesetz nur für den Bundespräsidenten eine Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten vor. Nach Art. 54 Abs. 2 GG ist dessen Wiederwahl nur einmal zulässig. Für den Bundeskanzler enthält das Grundgesetz hingegen keine Regelung zur Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten. In der öffentlichen Diskussion wird eine solche Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten eines Bundeskanzlers durchaus thematisiert, wobei jedoch allein politikund nicht rechtswissenschaftliche Aspekte angesprochen werden.1 In der rechtswissenschaftlichen Literatur spielt die Frage der Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten eines Bundeskanzlers keine bedeutende Rolle. Soweit die Thematik angesprochen wird, findet keine Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer entsprechenden Regelung statt. Stattdessen wird etwa beispielhaft auf die Begrenzung der Wiederwahl des amerikanischen Präsidenten auf zwei vierjährige Amtszeiten verwiesen.2 Auch wird festgestellt, dass in parlamentarischen Regierungssystemen eine entsprechende Begrenzung eher unüblich, jedoch nicht prinzipiell „systemunkonform “ sei.3 Eine solche Regelung könne zu einer gewissen Belebung der Demokratie beitragen. Im Grundgesetz finden sich für Wahlen zum Bundestag bzw. für das Amt des Bundespräsidenten ausdrückliche Regelungen hinsichtlich der Wählbarkeitsvoraussetzungen (Art. 38 Abs. 2 und 3 i.V.m. § 15 Bundeswahlgesetz, Art. 54 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 GG). Für die Wahl eines Bundeskanzlers fehlen hingegen in Art. 63 GG entsprechende Regelungen zu den Wählbarkeitsvoraussetzungen . Im Ergebnis werden die Voraussetzungen für die Kandidaten bei Wahlen zum Bundestag auf den Bundeskanzler übertragen.4 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Wählbarkeitsvoraussetzungen bei der Bundeskanzlerwahl auf der Ebene des Verfassungsrechts normiert sind. 1 Siehe den Online-Auftritt SWR Aktuell, Pro & Contra – Amtszeitbegrenzung für Bundeskanzler?, abrufbar unter https://www.swr.de/swraktuell/pro-contra-amtszeitbegrenzung-fuer-bundeskanzler/- /id=396/did=20264624/nid=396/l0wpbi/index.html, sowie die Kolumne von Klingst, „Nach zwei Amtszeiten sollte Schluss sein“, bei Zeit Online vom 18. September 2017, abrufbar unter http://www.zeit.de/politik /deutschland/2017-09/bundestag-legislaturperiode-bundeskanzler-amtszeit-5vor8 (alle Internetquellen dieser Arbeit zuletzt abgerufen am 22. März 2018). 2 Siehe Thiele, Neugestaltung des Wahlrechts zur Wiederbelebung der Demokratie, ZRP 2017, 105 (107), dort zum Folgenden. 3 Siehe hierzu auch das Interview mit dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Papier, abrufbar von dem Online- Auftritt der Berliner Morgenpost unter https://www.morgenpost.de/politik/article213041439/. 4 Siehe nur Schröder, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2010, Art. 63 Rn. 20, m.w.N. aus der Literatur. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 068/18 Seite 4 3. Aufnahme einer Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten eines Bundeskanzlers in das Grundgesetz Verfassungsrechtlicher Maßstab für die hier erforderliche Änderung des Grundgesetzes ist die Regelung des Art. 79 GG. Durch Art. 79 GG werden ein Gebot der grundgesetzinternen Verfassungsänderung (Abs. 1), besondere Anforderungen an das verfassungsändernde Gesetzgebungsverfahren (Abs. 2) sowie die sogenannte Ewigkeitsgarantie (Abs. 3) statuiert. In formeller Hinsicht ist zunächst das Gebot der grundgesetzinternen Verfassungsänderung aus Art. 79 Abs. 1 GG zu nennen. Danach kann das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Dieses Gebot gilt auch für Fälle in denen der Normenbestand erweitert werden soll. Es dient der Rechtssicherheit im Sinne der Klarheit über den Bestand des jeweils geltenden Verfassungsrechts.5 Ferner bedarf ein verfassungsänderndes Gesetz nach Art. 79 Abs. 2 GG der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. In materieller Hinsicht sind verfassungsändernde Gesetze an der Schranke des Art. 79 Abs. 3 GG zu messen. Die Ewigkeitsgarantie schließt die Änderung bestimmter Grundsätze des Grundgesetzes dauerhaft aus. Den geschützten Verfassungskern bilden dabei die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die in den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes niedergelegten Grundsätze. Gemäß Art. 79 Abs. 3 GG dürfen die genannten Grundsätze nicht „berührt“ werden. Eine solche „Berührung“ wird lediglich bei prinzipieller Preisgabe angenommen.6 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden die Grundsätze als solche von vornherein nicht berührt, wenn ihnen im Allgemeinen Rechnung getragen wird und sie nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus sachgerechten Gründen modifiziert werden.7 Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter dieser Vorschrift und die durch sie hervorgerufene Beschränkung der Volkssouveränität wird allgemein eine enge Auslegung gefordert.8 Im vorliegenden Fall ist allenfalls zu erörtern, ob das Demokratieprinzip, das zu den in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätzen und damit zum änderungsfesten Kern des Grundgesetzes gehört, durch die hier erwogene Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten berührt wird im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG. Zu der Frage, welche Elemente im Einzelnen im Rahmen des Art. 79 Abs. 3 GG zum Demokratieprinzip zu zählen sind, existiert eine vielfältige rechtswissenschaftliche Literatur.9 Zu 5 Vgl. Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, Stand: 35. Edition (15. November 2017), Art. 79 Rn. 5. 6 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2016, Art. 79 Rn. 10. 7 Siehe BVerfGE 30, 1 (24). 8 Bryde, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 79 Rn. 29. 9 Siehe nur die Nachweise bei Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 79 Rn. 64 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 068/18 Seite 5 diesen Elementen gehören etwa die Freiheit und Gleichheit des politischen Prozesses, das Mehrheitsprinzip , der Schutz von Minderheiten im Parlament sowie die Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk durch Wahlen und Abstimmungen bzw. durch besondere Organe. Eine Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten eines Bundeskanzlers wäre danach nicht unvereinbar mit dem besonderen Schutz des Demokratieprinzips nach Art. 79 Abs. 3 GG. Eine solche Begrenzung wirkt sich zwar unmittelbar auf die Mitglieder des Bundestages aus, die nach Art. 63 GG den Bundeskanzler wählen und hieran durch eine entsprechende Begrenzungsregelung ggf. gehindert sein könnten. Mittelbar können daneben auch die Wähler betroffen sein, soweit sie ihre Wahlentscheidung davon abhängig machen, wen eine Partei als potentiellen Kanzlerkandidaten bestimmt. Diese Auswirkungen berühren jedoch nicht die oben beschriebenen Elemente des Demokratieprinzips im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG. Insbesondere bleibt der Grundsatz, dass die Staatsgewalt vom Volk ausgeht und durch Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird, im Wesentlichen unangetastet. Das System von Bundestags- und Bundeskanzlerwahl bleibt bestehen; es soll lediglich durch die Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeiten als Anforderung an einen Kanzlerkandidaten ergänzt werden. Eine Berührung im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG wäre nur bei prinzipieller Preisgabe eines geschützten Grundsatzes gegeben, die hier jedoch nicht erkennbar ist. Hinzukommt, dass umgekehrt betrachtet Regeln der zeitlichen Begrenzung – etwa für die Wahlperioden oder die Amtsdauer der obersten Bundesorgane – auch als sogar notwendiges Element des Demokratieprinzips angesehen werden.10 *** 10 Siehe etwa Evers, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand der Kommentierung : Zweitbearbeitung (45. EL – Oktober 1982), Art. 79 Abs. 3 Rn. 187.